Premiere in Dortmund: 2099 – Die große Behauptung

Sebastian Kuschmann, Uwe Schmieder, Björn Gabriel und Christoph Jöde (Foto: Nick Jaussi)
Sebastian Kuschmann, Uwe Schmieder, Björn Gabriel und Christoph Jöde (Foto: Nick Jaussi)

Bisher wurde darüber gestritten, ob die Aktionen des Zentrums für politische Schönheit eher Kunst oder Politaktivismus sind, oder vielleicht auch politische Aktionskunst. Nun wagen sie sich in Dortmund auf die Theaterbühne und machen ein richtiges Theaterstück. Und – scheitern mit 2099 kläglich. Das Schlimmste: Das Zentrum hätte es lange vor der Premiere am 19.9. wissen können, denn es gibt gute Gründe, warum das Konzept nicht aufgehen konnte.

Lassen wir einmal das Getöse der vergangenen Tage um das zu erschießende Leopardenbaby und die aus dem Zoo gestohlenen Tiere beiseite und und konzentrieren uns darauf, was am Premierenabend zu sehen war. Das Schauspiel Dortmund hatte dem ZPS mit Björn Gabriel, Christoph Jöde, Sebastian Kuschmann und Uwe Schmieder eine Luxusbesetzung an die Hand gegeben. Allesamt Schauspieler, die neben hoher darstellerischer Kunstfertigkeit jede Menge nicht nur theatrale Intelligenz mitbringen. Auch auf der technischen Seite waren den Aktivisten mit Jan Voges (Video) und T.D. Finck von Finckenstein (Musik) zwei Dortmunder zur Seite gestellt, die ihre Geschäft verstehen. Beste Ausgangsposition also auf der künstlerischen Seite, das ZPS musste nur noch den Inhalt beisteuern und im besten Fall natürlich ein bisschen Skandal.

Christoph Ernst baute einen zweistöckigen Raum in Weiß auf die Drehbühne, darum herum eine ebenfalls weiße Einfassung. Alles aus beschichteten Spanplatten, zwischen denen der PU-Schaum hervorquillt. An der Decke lange Reihen von Neonröhren. Ein Bühnenbild wie bei Armin Petras, das lauthals die Behauptung vor sich her trägt. Setting für ein Stück, das das ZPS mit den Schauspielern gemeinsam entwickelte. Die Story von 2099: Vier Philosophen aus dem Jahr 2099 blicken zurück auf das Jahr 2015 und warnen uns vor den Katastrophen, die da kommen werden, und versuchen uns Zeitgenossen zu überzeugen, dass wir sie noch verhindern können. Die Darsteller haben schwarz beschmierte Gesichter, wie es das Markenzeichen der ZPS-Aktivisten ist. Auch das eine Behauptung. Eine, die dem ganzen Abend eine unangenehm besserwisserische Aura verleiht. Das ZPS geriert sich hier als altkluger Verein, der weiß, was auf uns zukommt, als Kassandra. Wir sitzen im Zuschauerraum und geben das dumme und träge Volk, das wahlweise den Prophezeiungen nicht glaubt oder nicht handelt. Besonders im ersten Teil des Abends gibt es dazu noch jede Menge Animationspropramm, das uns aus unserer Lethargie und den Sesselchen holen soll.

Die Story des Abends bleibt wie das Bühnenbild den ganzen Abend bloße Behauptung. Es wird nichts erzählt, der Zeitsprung wird nie erlebbar. Irgendwann entsteht der Eindruck, dass das ZPS selbst vergessen hat, dass sie sich mal diese Story ausgedacht haben. Auch die Fassbombe, die irgendwann zusammengebaut wird, bleibt eine Behauptung. Immer wieder wird gesagt, dass der Zünder, der in ein Taschentuch gewickelt hin und her getragen wird, ja ganz und gar echt und direkt aus Syrien sei. Spätestens bei der dritten Erwähnung der Echtheit macht es ihn nicht mehr bedrohlicher, sondern nur noch albern. Und dann kommt da auch noch die Asche von Menschen zum Einsatz. Die Asche von uns, den 2099 längst verstorbenen. Schmieder muss sie mit Namensnennung ins Publikum pusten. Auch das ist so platte Behauptung und überhaupt: Menschenasche im Theater, das ist immer so unglaublich Lars Norén. Das ist so 1980er. Irgendwann wird auch noch behauptet, wie wir alle die Katastrophen der vergangenen Jahre erlebt haben – Ruanda, Bosnien, Tschetschenien – und mit welchen Strategien wir sie von uns geschoben haben sollen. Das könnte schmerzhaft für den Zuschauer sein, wenn es treffen würde, aber so teilnahmslos, wie sich das ZPS es ausdenkt, hat wohl kaum einer im Publikum diese Konflikte verfolgt.

Nach ungefähr anderthalb Stunden langweile ich mich und überlege, wie lange es wohl her sein mag, dass etwas neues auf der Bühne passiert oder gesagt worden sein mag: Zehn Minuten? Eine Viertelstunde? Dann wird es ja wohl bald vorbei sein. Doch dann schaue ich auf das Bühnenbild. Da ist so vieles, was noch gar nicht bespielt wurde. Die 60er-Jahre-Sitzgruppe im oberen Stockwerk, die Kamera und der Fernseher im hinter Plastikfolie verborgenen Raum darunter, das Lüftungsrohr, das in die Bühne hereinragt, der Requisitenstapel rechts, aus dem nur ganz am Anfang mal ein Overheadprojektor (sehr hip gerade im Theater) hervorgezogen wurde, um ein Hakenkreuz an die Wand zu malen. Und ich habe Angst, dass der Abend noch sehr lange weiter geht, bis das alles genutzt wurde. Die Angst ist unbegründet. Das ZPS weiß einfach nicht so recht etwas mit dieser Bühne anzufangen.

Eigentlich könnte 2099 ganz knackiges Agitprop-Theater mit einer Prise Handke’scher Publikumsbeschimpfung sein. Aber das ZPS macht das durch seine hanebüchene Story von Anfang an kaputt. Zudem ist der Text einfach nicht intelligent genug. Wenn hinter all der Behauptung auch irgendwo mal eine Argumentation aufscheinen würde, wäre das schon gut. Oder wenigstens eine kluge Selbstreferenz, Selbstreflexion oder ein Gedanke über das Theater und seine Funktionsweise.

Der wesentliche Grund, warum dieser Theaterabend aber überhaupt nicht funktioniert, ist, dass das ZPS bei seinen bisherigen Aktionen immer auf den Resonanzraum der medialen Berichterstattung und der Öffentlichkeit vertrauen konnte. Erst dieser Resonanzraum machte die Aktionen wirklich interessant. Das ZPS griff ein wirklich drängendes Thema auf und ließ uns dann beobachten, wie die Diskussion um die Aktion das eigentliche Problem in den Hintergrund drängte. Darin legte das ZPS offen, wie die Verdrängungsmechanismen funktionieren: Statt sich mit der tatsächlichen moralischen Frage ertrinkender Flüchtender im Mittelmeer zu beschäftigen, beschäftigte sich die Öffentlichkeit damit, ob es moralisch vertretbar sei, die Mauerkreuze zu stehlen oder Beerdigungen zum medialen Ereignis zu machen.

Im Theater fehlt dieser Resonanzraum. Das hätte das ZPS wissen müssen. Daraus hätten sie eine ganz andere Strategie entwickeln müssen. Doch das gelingt nicht. Wohl auch deshalb, weil das ZPS zu wenig Erfahrung mit den Mitteln des Theaters hat. Oder weil es sich einfach zuwenig Gedanken darüber gemacht hat, warum seine bisherigen Aktionen funktioniert haben und warum das möglicherweise auf eine Theaterbühne nicht funktioniert. So bleibt nur ein ziemlich langweiliger und altbackener Agitprop-Abend übrig, der trotz technischer Perfektion und toller Schauspieler etwas von einem bemühten freien Theaterprojekt auf einer Hinterhofbühne in Berlin Friedrichshain hat.

Und dann ist da noch diese furchtbar belanglose Musik, die den ganzen Abend über vor sich hin daddelt – und dabei gehörig nervt. Irgendetwas zwischen Hans Zimmer und glattgebügeltem Philip Glass (ja, man kann sogar Philip Glass noch glattbügeln). Um es klar zu stellen: Offensichtlich geht dieser Schrott nicht auf das Konto von T.D. Finck von Finckenstein, der hier wohl nur technischen Support leistete, sondern auf das von einem/einer Comic Berlin, der/die für die „Komposition“ verantwortlich zeichnet. Im Pressematerial wird er oder sie zwar in der Besetzung erwähnt, hat aber anders als die anderen Beteiligten keinen Lebenslauf beigesteuert. Auf seiner Internetseite finden sich dann allerdings Sätze wie „Wähle dich selbst“ (Ziemlich Schlingensief) und „Diktat der Kunst“ (Fast Meese), das Styling hat er sich von Blixa Bargeld entliehen und mit seiner Band „Poetryclub“ macht er Musik, die nach Ton Steine Scherben klingt, aber in den Texten doch weit entfernt von der Poesie und Kraft eines Rio Reisers bleibt. Trotzdem war er offensichtlich klug genug, sich nicht allzu sehr mit dem musikalischen Müll dieser Produktion in Verbindung bringen zu wollen.

 

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Christian Wiermer
Christian Wiermer
8 Jahre zuvor

Mimimimi, Musik im Theater, ich will Skandal und "Provo"! – Was ist denn mit dem Autor los?

Rainer Möller
Rainer Möller
8 Jahre zuvor

War das nicht die Aufführung, die mit "Tötet Roger Köppel" beworben wurde? Kam Roger Köppel überhaupt in der Aufführung vor?

trackback

[…] Premiere in Dortmund: 2099 – Die große Behauptung (Ruhrbarone) – Siehe auch: „2099“ im Schauspielhaus: Schmerzende Anklagen des ZPS aus der […]

freigeist
freigeist
8 Jahre zuvor

Zum Glück ist das kritisierte Stück nicht im Geringsten so langweilig wie der hier präsentierte Verrß.

Das Stück mag pädagogisch daher kommen,na und?
Ich fand das Stück kurzweilig,interessant, regt zum Nachdenken und zur (Selbst-) Reflektion an,geht kritisch mit medialer Berichterstattung und einer zum Teil heuchlerisch Willkommendkultur um.

DIE Macht der Bilder wider die gutbürgerliche Vequemlichkeit – wie spricht dagegen? Die fatale Rolle deutscher und internationaler Politik bei der Entstehung regionaler Konflikte genauso wie das absolute Versagen bei der Suche nach Konfliktlösungrn bei kriegerischen Auseinandersetzungen werden klar benannt-und due Folgen für die Betroffenen deutlich hervorgehoben. Das Stück ist in höchstem Maße aktuell und geeignet, die Zusehen zum selbstkritische Nachdenken anzuregen. Viel mehr erwarte ich nicht vom Schauspiel.

Stefan Laurin
Admin
8 Jahre zuvor
Reply to  freigeist

@Freigeist: Stimmt. Mehr analytische Tiefe als bei Volker Pispers und Neues aus der Anstalt würde ich auch nicht erwarten.

Arnold Voss
8 Jahre zuvor

"The Germans dive deeper, but they come up muddier."

Wickham Steed in "The German Genius"

🙂

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
8 Jahre zuvor

Ich habe das Stück nicht gesehen und habe auch nicht vor, dies zu tun.
Das Theaterstück zum aktuellen Nachrichtenthema. So wie es in den Berichten klingt, natürlich voller Klischees.
Irgendwie ist mir dieses Vorgehen zu offensichtlich, zu belehrend etc.

Da gibt es im Land und international große Probleme und was macht man u.a. in Deutschland? Man schreibt ein Theaterstück, statt "heuchlerisch" anzupacken.
Marketing ist auch wichtig. Natürlich für die eigenen Produkte.

Ben
Ben
8 Jahre zuvor

Ich habe das Stück heute gesehen und an der Diskussionsrunde vorher und nachher teilgenommen.
Zumindest beim heutigen Publikum scheint die Meinung von Honke Rambow von niemandem geteilt worden zu sein. Die Resonanz derjenigen, die heute anwesend waren, war durch die Bank sehr gut.

Ich kann daher nur sagen: Lieber Honke, kritisiere vielleicht etwas anderes als Theaterstücke.

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