Premiere in Dortmund: Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm von Theresia Walser

Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm am Schauspiel Dortmund (Foto: Birgit Hupfeld)

Da sitzen sie, zwei Schauspieler eine Schauspielerin, drei Generationen, drei Theaterauffassungen. Sitzen an einem runden Tisch mit Mikrophonen darauf, einem Schälchen mit vier Weingummis in der Mitte, an der Rückwand ordentlich nebeneinander drei schwarzweiße Op-Art-Bilder über den Köpfen eine kreisrunde Lampe, die auch von Stanley Kubrick erdacht sein könnte. Man weiß nicht recht, was das für ein Raum ist. Ist es ein Wartezimmer oder ein Studio, in dem die drei gleich eine Talkshow abhalten? Das Bühnenbild von Susanne Priebs bleibt wunderbar vage. Aus den Lautsprechern dudelt Fahrstuhlmusik. Und dann schiebt ein Bühnenarbeiter auch noch ein Bühnenelement durch die Tür herein, einmal quer über die Bühne und auf der anderen Seite wieder hinaus.

Es ist eine absurde, ein bisschen Beckett’sche Situation, die Theresia Walser da erfunden hat. Die Figuren aber sind bei ihr sehr viel eindeutiger in der Komödie angesiedelt. Drei Schauspieler, die beiden Männer haben schon mal Hitler gespielt, die Schauspielerin hat es nur bis zum Goebbels geschafft. In Dortmund zeigen die Kostüme von Mona Ulrich, dass sie alle in diesen ihren bisher größten Rollen hängen geblieben sind. Franz Prächtel, der älteste in der Runde, trägt eine weiße Uniform mit schwarzen Paspeln an den Ärmelaufschlägen und exquisiten Hakenkreuzen aus schwarzem Strass darauf. Peter Söst ist ein komischer Science-Fiction-Nazi in silbernen Breeches und Jacke mit weißen SS-Runen auf der Brust, die wie Blitze aussehen. Irgendwas zwischen Superhero und Raumschiff Orion. Ulli Lerch sitzt in einem durchfallbraunen Latexkleid mit Armbinde da und das Innenfutter ihres Mantels ziert ein riesiges Hakenkreuz. Das behighheelte Bein hält sie immer merkwürdig abgeknickt, damit der Tisch auf seinen Rollen und der leicht schrägen Spielfläche sich nicht selbstständig macht.

Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm am Schauspiel Dortmund (Foto: Birgit Hupfeld)

Das Gespräch beginnt stockend. Wann immer sich ein Thema findet, würgt Söst es ab mit der Bemerkung, das hebe man sich besser für später auf. Prächtel sitzt meist still dazwischen und wenn er etwas sagt, dann ist es von größtem Gewicht, dann stemmt er sich sofort hoch, die Fingerspitzen in die Tischplatte gebohrt. Uwe Rohbeck spielt ihn. Er ist immer Herr der Szene, auch wenn er nicht spricht. Dann verfolgt und kommentiert sein Gesicht das Geschehen. In seinen Blicken ist immer ablesbar, wie sich der Großschauspieler in ihm auftürmt, bis er – dann doch überraschend – ausbricht. Natürlich erinnert das nicht zufällig an Rohbecks Theatermacher. Prächtel und Bruscon – sie sind ganz klar aus dem gleichen Holz geschnitzt.

Am Beginn wirkt es, als würde Rohbeck diesen Abend zu seiner großen Soloshow machen. Was könnten die anderen beiden diesem irrwitzigen Minenspiel auch entgegen setzen. Ekkehard Freyes Söst ist zunächst von speichelleckender Unterwürfigkeit, der seine Rolle nur darin sieht, der unbedarften Ulli Lerch der Alexandra Sinelnikova die überragende Bedeutung Prächtels nahezubringen. Immer wieder wabert Freye schleimpilzartig über den Tisch auf sie zu, um zu bekräftigen, dass Prächtels „Hämlet“, den man auch „Homlet“, aber keinesfalls „Hamlet“, weil das ja, so Prächtel, wie eine Abkürzung von „Hammelkotelett“ klinge, aussprechen könnte, eine ganz eigene Kategorie des Schauspiels darstellte.

Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm am Schauspiel Dortmund (Foto: Birgit Hupfeld)

Doch je weiter der Abend kommt, je mehr sich die drei in ihre Kämpfe um das Wesen des Schauspiels, um die Möglichkeiten der Darstellung und insbesondere Hitlers verstricken, um so mehr treten Freye und Sinelnikova aus dem Schatten Rohbecks hervor. Dass Prächtel sich wochenlang einen Parkinson antrainierte – für Söst eine veraltete Technik der Wahrhaftigkeit. Er habe seinen Hitler ja nie als Menschen gespielt. Und während Lerch am Anfang noch hilflos versucht, sich Bedeutung zu verschaffen, indem sie auf ihre „Follower“ verweist, Autogrammkarten ins Publikum wirft und ihr Playboycover präsentiert, tritt sie bald sehr selbstbewusst für neue, performative Theaterformen ein, die – Sakrileg!!!! – die Trennung zwischen Bühne und Publikum überwinden. Da eskaliert die Situation. Sinelnikova klettert ins Publikum und tätschelt minutenlang Zuschauern den Kopf, während Freye die uralte Glasscheiben-Pantomime kreuz und quer durch den Bühnenraum macht, um die sagenumwobene vierte Wand zu demonstrieren und panisch vor dem Abriss zu bewahren. Und Prächtel zetert im Videoflimmern.

Walsers Text ist urkomisch auch dadurch, dass er sich ständig über Schauspieler in allen ihren diversen Eitelkeiten und überzogenen Haltungen lustig macht und gleichzeitig doch ihnen  bestes Futter liefert. Thorsten Bihegue inszeniert mit leichter Hand und Gespür für Tempo, absurden Witz und die Qualitäten seines Ensembles. Da kann man sich dann auch ein irres Kostüm wie die rosafarbenen Glitzerplüschstrapsen erlauben, die Freye zu Highheels und nietenbesetztem Lederslip trägt, während er in einen Blumenstrauß singt, weil er selbst das hirnrissigste Outfit noch mit einer spießigen Selbstverständlichkeit präsentiert, als wäre es nur eine Polyesterkrawatte mit Rotweinfleck, über dessen Existenz er sich gar nicht bewusst ist. Sinelnikova schwankt in ihrem hautengen Latexkleid zwischen zur Schau gestellter Sexyness, die bei den Herren – Prächtel zu selbstverliebt und Söst schwul – nicht verfängt, feministischem Selbstbewusstsein und revoluzzernder Performerin, die sich an dem Skandal ergötzt, den sie verursachte, weil sie kniend mit den Zähnen Seiten aus dem Koran gerissen hat. Und Rohbeck zelebriert den großen Mimen (hier ist dieses Wort einmal wirklich angebracht) in allen Facetten und Kunstfertigkeiten. Immer tänzelnd auf dem schmalen Grad zwischen Überwältigung und Ironisierung.

Termine und Tickets: Schauspiel Dortmund

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