
Mit der anstehenden Kommunalwahl hier in NRW tue ich mich diesmal besonders schwer. Im Laufe der Jahre habe ich schon einiges ausprobiert: regierende Bürgermeister unterstützt, den Wechsel gewählt, mich als Protestwähler positioniert. Wählen gegangen bin ich, seit ich 18 bin, aber immer.
Nun, mit inzwischen 54 Jahren, habe ich mich für einen Weg entschieden, der selbst für mich etwas kurios anmutet. Ich werde am Sonntag in Waltrop die FDP-Kandidatin Melanie Heiber unterstützen – aus Protest und ohne große Erwartungen, aber durchaus mit Hintergedanken.
Waltrop, das 30.000-Einwohner-Städtchen im Kreis Recklinghausen, in dem ich seit den 1970er-Jahren lebe, war einst eine SPD-Hochburg. Viele Jahre regierte in meiner Kindheit und Jugend Bürgermeister Jochen Münzner das Rathaus. In dieser Zeit blühte die Stadt sichtbar auf: Eine Fußgängerzone wurde eingerichtet, ein neuer Stadtpark angelegt usw. In Waltrop ging es uns prima, hier ließ es sich gut leben. Als Lokalpatriot schwärmte ich Freunden und Bekannten von meinem Wohnort vor und zeigte Besuchern gerne die schönen, gepflegten Anlagen der Stadt.
Das alles ist längst Geschichte. Waltrop gehört inzwischen zu den Städten mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung in NRW. Entsprechend bergab ging es zuletzt mit Infrastruktur und öffentlichen Einrichtungen. Der Vorsprung gegenüber den damals als hässlich empfundenen Nachbarstädten wie Datteln und Castrop-Rauxel ist weitgehend dahin. Heute fällt es mir schwer, Freunden und Bekannten überhaupt noch etwas Vorzeigbares am Ort zu zeigen.
Regiert haben in Waltrop in den vergangenen Jahren Bürgermeister von SPD und CDU. Keinem gelang es, den Niedergang, der ungefähr mit der deutschen Wiedervereinigung einsetzte, aufzuhalten. Erzählt und versprochen wurde vor den Wahlen immer viel, verbessert hat sich eigentlich nichts. Der Abwärtstrend setzte sich stets fort – egal, ob das Bürgermeisteramt mit Willi Scheffers (CDU), Anne Heck-Guthe (SPD), Nicole Moenickes (CDU) oder aktuell Marcel Mittelbach (SPD) besetzt war.
Der inzwischen turmhohe Schuldenberg macht es den Amtsinhabern zudem nahezu unmöglich, noch etwas zu bewegen. Was nicht über einen Fördertopf bezahlt wird – egal wie unsinnig es einem Bürger erscheinen mag –, kann nicht bezahlt werden. So lautet, einfach und kurz zusammengefasst, die traurige Gegenwart.
Wen also wählen, wenn am Sonntag der nächste Bürgermeister bestimmt wird? Weder dem amtierenden Bürgermeister Mittelbach noch seinem CDU-Herausforderer Christian Hoppe traue ich eine Trendwende zu. Bleiben noch der Parteilose Claus Volke und FDP-Kandidatin Melanie Heiber. Beide dürften realistisch gesehen keine Chance auf einen Wahlsieg haben.
Nach reiflicher Überlegung habe ich mich dazu entschieden, diesmal die FDP zu wählen. Auch wenn ich einige liberale Gedanken in mir trage, wäre das früher eine Partei gewesen, die für mich nie infrage gekommen wäre. Nachdem sich Melanie Heiber im Internet bei verschiedenen Auftritten jedoch durchaus sympathisch gezeigt hat und ich mich mit vielen ihrer Gedanken und Vorstellungen identifizieren kann, werde ich sie nun mit meiner Stimme aktiv unterstützen.
Ich gebe zu, dass ich ihr keine realistischen Siegchancen einräume und mir auch keine großartigen Verbesserungen für die Entwicklung meiner darbenden Heimatstadt verspreche – selbst wenn sie demnächst den Chefposten im Rathaus übernehmen dürfte. Ich wähle diesmal die FDP-Kandidatin aus einer Mischung aus Trotz und Verbitterung. Traurig, so etwas nach rund 35 Jahren als engagierter Bürger einer Stadt offen zugeben zu müssen. Aber es ist leider so.
