Wissenschaftlich erwiesen: Drogen auf der Loveparade

Muss die Geschichte der Loveparade jetzt neu geschrieben werden? Sieht die ganze Sache nicht ganz anders aus, wenn es stimmt, was in der Zeitung steht? „Loveparade: Viele Verletzte unter Drogen“, titelt heute die Rheinische Post, Lokalausgabe Duisburg. „Tja“, denkt sich der geneigte Leser, „wenn die alle zugedröhnt waren, dann braucht man sich natürlich auch nicht zu wundern, wenn das nicht gutgehen konnte.“ Man muss ja nicht gleich so weit gehen wie Oberbürgermeister Sauerland, der auf der ersten Pressekonferenz den Toten und Verletzten der Loveparade gleich selbst die Schuld fürs eigene Schicksal zugeschoben hatte. Da war der Mann halt noch nicht ganz richtig informiert. Doch dafür, dass die da alle – okay: „viele“ – „unter Drogen“ gestanden haben, kann er ja nun einmal auch nichts.

„Loveparade: Viele Verletzte unter Drogen“, das schreibt die RP Duisburg nicht einfach so. Hinter dieser Überschrift verbergen sich neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die in einer Studie der interessierten Weltöffentlichkeit vorgelegt wurden. Hier: Ackermann, O; Lahm, A; Pfohl, M; Köther, B; Lian, T K; Kutzer, A; Weber, M; Marx, F; Vogel, T; Hax, P: Patient Care at the 2010 Love Parade in Duisburg, Germany: Clinical Experiences. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(28-29): 483-9. Original article, DOI: 10.3238/arztebl.2011.0483. Und hier können Sie sogar das Summary der Studie lesen. Wenn Sie Englisch können.

Also, wissenschaftlich erwiesen: „Viele Verletzte unter Drogen“. So war also das letztes Jahr auf der Loveparade! Da wird jetzt wohl die Geschichte der Loveparade neu geschrieben werden müssen. Die Studie ist übrigens ein Artikel im Deutschen Ärzteblatt, in dem sich Duisburger Ärzte der Fragestellung widmen, ob die medizinische Versorgung auf der Loveparade funktioniert hatte. Und nicht nur, weil es die mit selbiger beschäftigten Ärzte waren, die ihre Einsatzstatistiken ausgewertet haben, lautet das Ergebnis: ja, sie hat. Egal, uns interessiert hier mehr, wie das jetzt mit den Drogen war.

Schauen wir also in die Rheinische Post, Lokalausgabe Duisburg; da haben wir es wenigstens auf Deutsch. Die Überschrift – ach, sagte ich ja bereits: „Loveparade: Viele Verletzte unter Drogen“. Im Text lesen wir, es habe sich „ausgezahlt, dass die Ärzte vorab speziell geschult wurden, wie Patienten unter Drogeneinfluss zu behandeln sind“. Logisch. Jetzt möchte man nur noch wissen, a) wie viele eigentlich „viele“ sind, und b) was die Vielen so an Drogen zu sich genommen haben. Danke, RP Duisburg! Auch das erfahren wir im Artikel. a) Die „viele Verletzten“ waren „140 Patienten“ – in der Tat nicht wenige. Das entspricht, weil es eben so viele Verletzte gegeben hatte, Achtung:  „29,6 Prozent“.

Bei „29,6 Prozent“ der Geschädigten konnten die Ärzte also einen „Rauschmittel-Missbrauch“ diagnostizieren. Und reingepfiffen hatten sich die Patienten – Achtung! b)  „zumeist Alkohol“. Spektakulär. „Damit war dies die am häufigsten gestellte Diagnose.“ Wer jetzt nicht die Geschichte der Loveparade neu schreiben will … –  „Allerdings waren nur sehr wenige Personen direkt dadurch gefährdet“, erläuterte einer der Ärzte. Es kann also nicht allein am Becher Bier gelegen haben, dass man sich verletzt hatte. Da muss noch irgendeine andere Sache mit hinzugekommen sein. Auch das ist wissenschaftlich erwiesen. Trotzdem: „Loveparade: Viele Verletzte unter Drogen“. Danke, RP Duisburg!

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
16 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Caro
Caro
13 Jahre zuvor

Aha, nach dem ominösen Gutachten, jetzt eine wissenschaftliche Studie. Und die Rheinische Post meint mit diesem Artikel ihrem Freund S. den Hintern retten zu können? Dieser Schuss wird voll nach hinten losgehen.
Von über 500 Verletzten standen also 140 unter Drogen. Nix besonderes. Dieser Anteil findet sich bei jedem Fußballspiel oder auch in jeder Amtsstube.
Und dem Leser der RP soll jetzt suggeriert werden, die 21 Toten hätten sich quasi selber umgebracht. Fest steht, die Loveparade hätte niemals so in Duisburg genehmigt werden dürfen. Wenn dann Menschen qualvoll erdrückt werden und an ihren schwersten inneren Verletzungen sterben, spielt es keine Rolle, ob sie vorher Magenkrank, Diabetiker oder einfach nur zugedröhnt waren.

Helmut Junge
13 Jahre zuvor

Ich habe mich gestern mit einigen Unterschriftensammlern zur Abwahl des derzeitigen Oberbürgermeisters der Stadt Duisburg unterhalten.
Die sind ausgesprochen zuversichtlich, daß sie genügend Unterschriften zusammen kriegen.
Der kann dann ein Bier auf seine Abwahl trinken.
Und die RP könnte dann mal einen Artikel dieser Art daraus machen.
Nur so als Idee für die RP.

riffmaster
riffmaster
13 Jahre zuvor

Falls in in München mal eins von den Festzelten einstürzt, mach ich auch eine Studie. Titel: Oktoberfest – viele Besucher unter Alkoholeinfluss!

Jan
Jan
13 Jahre zuvor

Ignoriert man den Themenkomplex Alkohol, ist der Artikel der Rheinischen Post eigentlich in Ordnung. Bei der inhaltlichen Kritik kommt das fehlende Notkrankenhaus zur Sprache (Leichtverletzte mussten für einfache Behandlungen transportiert werden) und vor allem die falschen Erfahrungswerte, die aus falschen Besucherzahlen resultieren. Unterm Strich rattert man die Zahlen für Nichtmediziner verständlich verpackt, dabei geht etwas schief wird aus der ‚psychoactive substance‘ ein ‚Rauschmittel‘ und am Ende ‚Drogen‘. Was im Ärztesprech noch korrekt war, wird bei der RP sehr unscharf: der Zusatz ‚zumeist Alkohol‘ schafft es nicht mehr in die Überschrift, ebenso das entscheidende Detail, dass der Rausch meist nur diagnoseerschwerend war und eben nicht behandlungsbedürftig.
Welchen Nutzwert hat die Rauschmittelquote? Nun, wenn ein Unglück dafür sorgt, dass es eben nicht nur die rauschbedingten Patienten die Sanitätszelte und Krankenhäuser erreichen, sondern im Prinzip jeder der zur falschen Zeit am falschen Ort war, dann ist eine solche Zahl einigermaßen repräsentativ. Und so herauskommt, dass mindestens 70% der Besucher (auch wenn hier der harte Kern, der früh kam und spät abreiste, nicht erfasst ist) hochgradig nüchtern war, kratzt sich doch jeder Landarzt bei der Erinnerung ans letzte Schützenfest am Kopf.

Im Text selbst ist der Alkoholabschnitt nicht in den Vordergrund gerückt, auch wenn dieser Absatz nicht gerade ein Kandidat für eine 1+ mit Sternchen ist. Wie frei ein Redakteur in der Wahl einer seriösen Überschrift ist, kann ich an dieser Stelle nicht beurteilen. Gerade von WAZ und NRZ weiß ich aber, dass 10% der Überschriften wahre Wundertüten sind, aus denen nicht einmal grob der Inhalt des Artikels hervorgeht – bestenfalls sind das dann aufgeblasene Teilaspekte, die im Artikel nicht einmal einen Halbsatz wert sind. Falls es mal das Bilderrätsel nicht mehr gibt, wäre ein Schlagzeilenquiz sicher mal eine Alternative.

Uli
Uli
13 Jahre zuvor

Es ist Sommerloch. Oder anders formuliert: Nach den Nikotinkampagnen ist Alkohol jetzt auch im offiziellen deutschen Mediensprech eine „Droge“.
Das sollte man sich doch in der Tat mal auf der Zunger zergehen lassen.

riffmaster
riffmaster
13 Jahre zuvor

Letztlich ist noch nicht mal etwas an der Überschrift auszusetzen, denn in der Studie wird nicht zwischen Alkohol und anderen Drogen unterschieden. Dort wird allgemein von psychoaktiven Substanzen gesprochen.

„Viele Verletzte unter Drogen“ heißen dort „hoher Anteil an Patienten, bei denen Drogenmissbrauch oder ein Drogenrausch diagnostiziert wurde“.
Und später: „Das Hauptproblem für die inneren Medizin war der Missbrauch psychoaktiver Substanzen …“.
Dass die Leser die falschen Schlüsse aus einer Überschrift ziehen, ist das Problem der Leser.

riffmaster
riffmaster
13 Jahre zuvor

Gerade entdeckt: eine deutsche Version der Studie

https://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=97961

kabelbrandt
kabelbrandt
13 Jahre zuvor

was die da bei der rheinischen post (wer liest dieses kirchenblatt eigentlich?) genommen haben möchte ich auch!

mein gott, werner…, die geschichte(n) des hamborner „kinderkarnevalzuges“ müssten dann auch neu geschrieben werden. oder glaubst du im ernst, dass die sich da an kamellen berauschen?

Judith Fromm
Judith Fromm
13 Jahre zuvor

Danke für den guten Bericht.

trackback

[…] (Loveparade 2010): Wissenschaftlich erwiesen: Drogen auf der Loveparade (Ruhrbarone) – Vor allem Alkohol! Welch bahnbrechende […]

Helmut Junge
13 Jahre zuvor

Wenn man dem von @Riffmaster (8) eingestelltem Link folgt, wird man sehen, daß es einen größeren zeitlichen Rahmen für die Krankenhauseinweisung gab.

„Hierbei wurden nur Patienten, die sich auf dem Loveparade-Gelände oder den unmittelbaren Zuwegen befanden und mit Erstkontakt zwischen dem 24. 7. 2010, 9.00 Uhr und dem 25. 7. 2010, 9.00 Uhr in einem Duisburger Krankenhaus behandelt wurden, in die Studie eingeschlossen.“
Und weiter:

„Die Ursachen des Unglücks sind nicht Thema dieser Untersuchung.“

Da der Bericht nicht auf den eigentlichen Unfall eingeht, nehme ich an, daß es sich bei den Fällen von Drogenabusus, (Abusus=Mißbrauch) um die üblichen „Schnapsleichen“ handelt, die bei jeder größeren Feier aufgelesen werden.
Also nichts ungewöhnliches. Im Bericht wird auch erwähnt, daß ein großer Teil der Patienten entgegen ärztlichem Rat, die Kliniken vorzeitig verlassen haben.

„Das Hauptproblem auf internistischer Seite lag im Rauschmittelabusus, der bei 29,6 % der Patienten vorlag. Obwohl dieser selbst oft nicht behandlungsbedürftig ist, beeinträchtigt er doch die Diagnostik und die Compliance der Patienten, so dass weitere Symptome überlagert werden können. Auch die hohe Zahl stationärer Entlassungen gegen ärztlichen Rat ist hierauf zurück zu führen.“

Daraus ist leicht abzuleiten, daß die benannten Drogenabususfälle nicht in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Katastrophe im Tunnel stehen müssen.
Ja, daß dieser zeitliche Zusammenhang sogar unwahrscheinlich ist, weil der Bericht auch über die zeitlichen Patientenströme Auskunft gibt.

„Die Analyse der Patientenströme im Zeitverlauf (Grafik 3) zeigt, dass es nach der Massenpanik um 17.00 Uhr zunächst zu einer Abnahme der Patientenzahlen kam und die Spitzenauslastung erst 2 bis 3 Stunden später erreicht wurde. Dies ist auf die Einrichtung von zentralen Patientenablagen zur Erstversorgung vor Ort (7–12) und dem nachfolgend geordneten Abtransport zurück zu führen, wie es den aktuellen Empfehlungen entspricht (13–15). Eine Entlastung der Ambulanzen durch die geringere Patientenzahl in den ersten Stunden war jedoch nicht spürbar, da primär zwar weniger, dafür aber schwerer verletzte Patienten eingeliefert wurden. Die sofortige Bildung von Traumateams (16) und die Vorbereitung weiterer (Not-)Schockräume erlaubte die regelrechte Kontrolle der Patientenströme in allen Kliniken.“

Wenn jetzt alles zusammengemixt wird, ist dies einzig auf die Berichterstattung der RP zurückzuführen.

Helmut Junge
13 Jahre zuvor

Warum sagt keiner was?
Ethanoldrogen auf der Beecker Kirmes?
https://www.derwesten.de/staedte/duisburg/nord/Buhrufe-bei-Eroeffnung-der-Beecker-Kirmes-durch-OB-Sauerland-in-Duisburg-id5001280.html
Faßanstechen könnte Vorbereitung zum Alkoholabusus sein!

Helmut Junge
13 Jahre zuvor

@Werner,
ich bin nicht glücklich über meinen Kommentar (13).
Der Fall Sauerland muß härter und ernster angegangen werden.
Aber nun ist der Kommentar im Netz und ich muß damit leben.
Zum Ausgleich sage ich hier noch einmal klar und deutlich:
„Dieser OB Sauerland muß, so schnell es geht, als OB weg.“

Karin Reske
Karin Reske
13 Jahre zuvor

Diese Studie wäre wichtig, wenn ungewöhnliche, also ungewohnte Drogen auf der Loveparade in Duisburg aufgetaucht wären. Darauf hat man die Toten und Verletzten doch hoffentlich untersucht?

Werbung