Armenien löst sich von Russland und strebt nach Westen. Doch der Westen will es nicht.

Jerewan mit dem Ararat im Hintergrund Foto: Matthias Süßen Lizenz: CC BY-SA 4.0


Es gibt ein Land, das von der Welt vergessen wird. Es ist eine kleine aufstrebende Demokratie, die sich nach dem Westen orientiert, das älteste christliche Land der Welt. Aber der Westen kümmert sich nicht um dieses Land. Armenien hat dem Westen nichts zu bieten. Armenien ist allein gelassen und bedroht.

Mit der ethnischen Säuberung von Bergkarabach im September letzten Jahres mussten die Armenier eine Vertreibung hinnehmen, die wie eine Fortsetzung des Völkermordes 1915 durch die Türken wirkt, bei dem 1,5 Millionen Armenier vernichtet wurden. Über 110000 Menschen wurden durch Aserbaidschan innerhalb weniger Tage aus einer Region vertrieben, die seit Jahrhunderten armenisch bevölkert war, wo es wertvolle armenische Kulturschätze gab, wie die älteste Schule der Welt, uralte Klöster und Kreuzsteine. Diese Kulturschätze werden jetzt dem Erdboden gleichgemacht. Weil Diktator Alijew, der uneingeschränkte Herrscher Aserbaidschans, das so will, ein Autokrat, der letzten Freitag von unserem Bundeskanzler mit allen Ehren wie bei einem großen Staatsbesuch empfangen wurde, der von Frau von der Leyen als verlässlicher Partner der EU bezeichnet wird. Wofür? Für Gas und Öl, alternativ zu dem von Putin, das im Übrigen vermutlich auch über Aserbaidschan zu uns kommt? Und wo bitte ist der Unterschied zu Putin? Tut mir leid, aber ich sehe keinen. Auch Alijew ist ein lupenreiner Autokrat mit Repressionen in seinem Land, in dem es weder Pressefreiheit, noch Meinungsfreiheit gibt, wo Menschenrechte nicht zählen. Und auch er überfällt ein demokratisches Nachbarland um es zu vernichten. Er spricht es nur nicht ganz so laut aus. Die Bundesregierung macht bei Aserbaidschan den gleichen Fehler wie bei Russland . Aber das scheint ja auch für manche Politiker sogar lukrativ zu sein. Alijew hat genug Geld um sich Politiker zu kaufen. Die Aserbeidschan-Connections und seine Kaviar-Diplomatie sind lange kein Geheimnis mehr .

Eine kleine Gegendemonstration bei Alijews Besuch gab es am Freitag, den 26.04.2024 mit ca. 60 Teilnehmern und vom ZDF begleitet. Vielleicht wären es mehr Demonstranten gewesen, wenn das Thema nicht nahezu völlig aus den Medien verschwunden wäre und, wenn es nicht Bedrohungen gegen die Organisatoren im Internet gegeben hätte. Wer Familie oder kleine Kinder hat, traut sich nicht offen gegen Alijew zu demonstrieren. Die Armenier haben Angst, dass sie vom aserbaidschanischen Geheimdienst festgestellt werden und Schwierigkeiten bekommen. In Deutschland sind zudem die Grauen Wölfe sehr stark, die größte rechtsextreme Vereinigung von türkischen Nationalisten im Land. Auch diese helfen gern bei der Einschüchterung von Armeniern, wie bereits 2020 geschehen als Drohbriefe der Grauen Wölfe gegen Armenier im Umlauf waren. Außerdem wurde wohl auch eine aserbaidschanische Gegendemonstration angemeldet. Es kam aber keiner, wahrscheinlich damit sich Herr Alijew sich nicht so gestört fühlt.

Die Demonstration am Freitag fand direkt vor dem Bundeskanzelamt nach einer Pressekonferenz mit Scholz und Alijew, bei der es leider an wirklich kritischen Fragen fehlte, statt.

Demonstration vor dem Kanzleramt Foto: Gabi Damm

Die Demonstranten, die den Kuschelkurs unserer Regierung mit Diktator Alijew unerträglich finden, standen direkt gegenüber dem ausgerollten roten Teppich und dem Riesenpodest für den Herrscher aus Baku. Die Stimmung der Demonstranten schaukelte sich hoch und zeugte von Wut und Verzweiflung, manche weinten oder schrien. “Alijew nach Den Haag“ “ Alijew du Möder“ “Alijew ein Schwerverbrecher“ skandierten die Teilnehmer. Unverständlich ist für sie, dass dieser Mensch einen Empfang wie ein großes Staatsoberhaupt bekommt. Als dann der große Tross mit den schwarzen gepanzerten Autos, ca. 20 Motorrädern und den schwarzen Regierungswagen mit den Aserbaidschanfahnen zu dem großen roten Teppich kam, wurden die Autos geschickt vor die Transparente gestellt, damit Alijew die Botschaften der Demonstranten nicht sehen musste und die Rufe auch etwas gedämpft wurden . Ebenso schwang eine gewisse Angst der Journalisten vor dem aserbaidschanischen Geheimdienst mit, zumal die Demonstranten fotografiert wurden. Auch bei der Pressekonferenz vorher hatten sich aserbaidschanische Agenten reingeschlichen und unverfroren fotografiert.

Bei dem Protest ging es u.a. auch um 10 Politiker aus Bergkarabach, die von den Aserbaidschanern festgenommen worden sind, als sie nach Armenien fliehen wollten. Sie sitzen seit November 2022 in Baku unter menschenunwürdigen Bedingungen im Gefängnis. So wie auch Ruben Vardanyan, der ehemalige Staatsminister von Bergkarabach, ein Oligarch und Philanthrop, der sehr viel Geld für Arzach, wie die Armenier Bergkarabach nennen, gegeben hat. Nachdem er in Einzelhaft von allen Kontakten zur Außenwelt isoliert wurde und ihm jedwede Medien entzogen wurden, trat er am 5.4. in den Hungerstreit. Sein Gesundheitszustand ist sehr schlecht. Auch das ZDF beklagt die Inhaftierung eines Journalisten und fordert dessen Freilassung. Es gibt keinerlei Zugang zu den politischen Gefangenen auch nicht für Hilfsorganisationen wie z.B. dem roten Kreuz.

Frau Gabi Damm, die selbst an der Demonstration teilnahm, erzählte mir unter anderem von dem Kriegsmuseum in Aserbaidschan, wo der Krieg verherrlicht und mit grotesken Darstellungen gefallene armenische Soldaten entmenschlicht werden. Sie berichtete auch von einer Familie, die ihre Hilfsorganisation betreut, wo der Vater nach den ersten Kriegstagen im 44-Tage-Krieg 2020 vermisst wurde. Der Mann war monatelang spurlos verschwunden. Man fand ihn schließlich in einem Leichenberg, den ein aserbaidschanischer Lastwagen in einem Grenzdorf ablud, wo eine ganze Wagenladung Leichen einfach auf dem Marktplatz abgekippt wurde. Da er ganz furchtbar verstümmelt war, konnte er nur mittels DNA-Test identifiziert werden.

Warum hofiert man solch einen Herrscher, der so viel Grausamkeit nicht nur duldet, sondern sogar fördert? Vielleicht geht es neben Gas und Öl auch um die Bodenschätze in Bergkarabach? Die Region ist besonders reich daran. Vor allem Lithium liegt dort unerschlossen in der Erde. Ist das möglicher Weise ein Grund dafür, warum Alijew die Bevölkerung dort erst monatelang ausgehungert und dann mit Waffengewalt vertrieben hat? Ist das vielleicht auch ein Grund warum Deutschland dazu schweigt?

Die Schutzmacht Russland gibt es für Armenien schon lange nicht mehr. Die sogenannten russischen Friedenstruppen haben es zugelassen, das Bergkarabach entvölkert wird und schauten tatenlos zu. Auch war Alijew erst am 22.4. bei Putin und hat mit ihm in sehr freundlicher Atmosphäre unter vier Augen gesprochen. Putin hat keinerlei Interesse mehr an Armenien. Auch weil sich die Armenier nach dem Westen orientieren, lässt Putin die Armenier in Stich . Die russischen “Friedenstruppen“ ziehen jetzt ab aus Aserbaidschan und Klöster wie Dadiwank, ein Hauptwerk der armenischen Architektur des Mittelalters, und die älteste Schule der Welt im Kloster Amaras, die im Jahr 304 für Mädchen und Jungen gegründet wurde, und alle anderen armenischen Kulturgüter, dem Untergang geweiht sind. Denn all das wird von Aserbaidschan zerstört werden. Wo bleibt der Aufschrei der westlichen Welt?

Nikol Paschinjan, der demokratisch gewählte Premierminister von Armenien will wenigstens das Kernland Armenien, dass massiv von der Türkei und Aserbaidschan in seiner Existenz bedroht wird, retten und verkauft Stück für Stück für einen scheinbaren Frieden an Aserbaidschan. Die Armenier glauben nicht an diesen Frieden. Um die Grenzstreitigkeiten zu befrieden, werden nun auch 5 Dörfer der Region Tavush an Aserbaidschan übergeben, verständlicher Weise unter dem Protest der Bewohner. Auch hier sehe ich Parallelen zur Ukraine. Solche Art Herrscher geben sich nicht zufrieden. Alijew macht nicht Schluss nach 5 Dörfern an der Grenze oder dem Sangesur-Korridor, der eine Verbindung zu Nachitschewan eine aserbaidschanische Enklave, und somit auch direkter Zugang zum Bruderland Türkei, wäre.

In Armenien hat man aber noch ganz andere Probleme. Das Land ist völlig überlastet mit den tausenden Flüchtlingen, auch wenn viele nach Russland oder eine der großen armenischen Communities in den USA oder Kanada weitergezogen sind. Den knapp 110000 Flüchtlingen fehlt jede Lebensgrundlage. Das Hilfsprojekt “ Initiative Armenienhilfe Holzhausen Schlöben“ von Gabi Damm unterstützt seit dem Krieg 2020 geflüchtete Familien aus Bergkarabach. Gabi Damm kennt sich aus mit dem Thema Armenien und der himmelschreienden Ungerechtigkeit, die dieses Land betrifft. So betreut sie nach der ethnischen Säuberung von Arzach etliche neue Familie von vertriebenen Karabach-Armeniern wie z.B. eine Familie mit 6 Kindern, denen es an allem fehlt. Neben diesen punktuellen Hilfen durch Paten und Spenden organisiert sie auch Lesungen und Veranstaltungen in Thüringen u.a. mit Prof. Tessa Hoffmann, die auch ein Lehrbuch über den Völkermord an den Armeniern geschrieben hat. Sie wirbt dafür an Schulen und bietet auch entsprechend Fortbildungen an. Denn es ist wichtig, dass auch in deutschen Schulen über diesen ersten großen Genozid, den Völkermord an den Armeniern, an dem Deutschland auch beteiligt war und den es seit 2016 offiziell anerkennt, aufgeklärt wird. Auch wenn Lehrer bedroht und gemobbt werden, weil sie ihren Schülern dieses Thema nahebringen wollen , muss es Anliegen des Geschichtsunterrichts sein, über dieses Verbrechen aufzuklären. Derartige Bedrohung teilweise aus dem Graue-Wölfe-Milieu sind leider nicht ungewöhnlich, wie auch der Streit um das Völkermorddenkmal in Köln zeigt .

Armenier-Mahnmal in Köln 2018 Foto: Laurin

Das Einknicken mancher Kommunalpolitiker vor der türkischen Community, darf nicht zum Geschichtsrevisionismus führen. Auch bei einer Buchvorstellung über die Kulturschätze von Arzach der deutschen Gesellschaft für auswertige Politik, der Konrad-Adenauer-Stiftung hat man den Bedrohungen nachgegeben. Die Veranstaltung zur Vorstellung des Buches “Das kulturelle Erbe von Arzach: Armenische Geschichte und deren Spuren in Berg-Karabach“ fand schließlich nur noch digital und nicht in Präsenz statt. Die Vorstellung des Lehrbuches von Tessa Hoffmann: “Der Genozid an den indigenen Christen des osmanischen Reiches“ im November bei Topf und Söhne in Erfurt, die von Gabi Damms Organisation geplant ist, wird dann hoffentlich in Präsenz stattfinden können. Denn auch die Verleugnung und Vernichtung der Kulturschätze Arzachs muss Thema bleiben und kann nicht einfach hingenommen werden. Immer wieder falsch zu lesen und zu hören ist, Arzach (Berkarabach) gehöre völkerrechtlich zu Aserbaidschan. Auch wenn es so bei Wikipedia steht und von den Medien ständig so angegeben wird, stimmt das so nicht. Stalin hat die Region verschenkt, aber nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker gehört es den dort mehrheitlich lebenden Armenier, die dort immer indigen gewesen sind. Aber jetzt ist keiner von ihnen mehr dort. Und der Exodus von Arzach ist fast vergessen und kaum noch in den Medien zu finden. Die Sanktionen gegen Aserbaidschan blieben aus. https://taz.de/Sanktionen-gegen-Aserbaidschan/!5959759/

Obwohl sich Armenien zunehmend von Russland löst und nach Westen strebt. Der Westen will es nicht. Viel zu erfolgreich war die Sprache des Geldes. Ob in Form der Bakus Kaviar-Diplomatie oder in Form von “politisch korrektem“ Gas- und Öl, wenn man genug Geld hat, kann man sich im Westen einfach einkaufen und im eigenen Land schalten und walten wie es einem beliebt. Alijew kann einfach mal so 100000 Menschen vertreiben, Geschichtsrevisionismus betreiben, alle Kulturgüter platt machen und sich Armenien Stück für Stück, Dorf für Dorf einverleiben. Dieser “Frieden“ wird Armenien auffressen,  aber der Aufschrei wird nicht  kommen und unsere werteorientierte Außenpolitik hat sich auch hier mal wieder lächerlich gemacht.

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