Baerbock und das Drama der deutschen Außenpolitik – Furchtlos wenig furchteinflößend

Annalena Baerbock (GRÜNE), Foto: Roland W. Waniek

Seit sechs Wochen ist Annalena Baerbock die erste deutsche Außenministerin. Neben diversen Feel-good Besuchen, unter anderem in Frankreich, muss sich die neue deutsche Spitzendiplomatin in der Ukraine-Krise beweisen. Das Drama aber ist nicht Annalena Baerbock, es ist die unheilvolle Mischung grüner und roter Parteipolitik, die sich aus unterschiedlichen Motiven mit Ignoranz und Naivität ihrer Verantwortung zu entziehen versuchen.

Ich habe mich in den vergangenen Jahren mit Kritik an Grünen und insbesondere auch Annalena Baerbock selten zurückgehalten. Losgelöst aber von ihrer bisherige Vita, in welcher Version auch immer, beweist die Hannoveranerin bisher Stil, Ruhe und vor allem Überzeugung. In sehr kurzer Zeit hat die ehemalige Kanzlerkandidatin vom Wahlkampf- in den Realpolitik-Modus geschaltet. Es ist eine persönliche Meinung: Mir sind Versprecher einer Außenministerin, der ich ihren pro-europäischen Demokratiekompass jederzeit glaube, lieber als ein Möchtegern-Model wie Heiko Maas, der jeden Termin als Foto-Session für sein Lifestyle-Image genutzt hat.

Auch Baerbocks Auftritt in Moskau war respektabel. Unaufgeregt, furchtlos und ohne übermäßige Höflichkeit. Wieso auch – Moskaus Truppen stehen vor der Grenze zur Ukraine und der Machthaber im Kreml droht unverhohlen mit Angriffen auf NATO-Staaten. Lawrow wirkte ausgesprochen irritiert darüber, wie wenig kompromissbereit die dreißig Jahre jüngere Deutsche auftrat. Die Frage ist, ob die deutsche Außenministerin, bei allen guten Ansätzen, noch in der Realität ankommt.

So furchtlos, so wenig furchteinflößend. Wirtschaftlicher Druck und demokratische Überzeugung sind wichtig. Genauso wichtig ist es aber unmissverständlich klarzumachen, dass Überzeugungen auch wehrhaft verteidigt werden. Zur Not mit Gewalt. Es wäre hochgradig naiv zu glauben, dass der Kreml von Baerbocks Drohungen, ein Einmarsch in die Ukraine habe Konsequenzen, in irgendeiner Form beeindruckt wäre. Als Außenministerin und Parteipolitikerin muss sie die Linie der deutschen Bundesregierung sowie die ihrer Partei verfolgen. Und genau hier beginnt das Drama.

Seit Jahren haben es sich die politischen Wohlfühlromantiker bei Grünen und SPD (sowie der gesamten politischen Linken) angeeignet, Waffenexporte grundsätzlich infrage zu stellen und die Handlungsfähigkeit der Bundeswehr stetig zu unterwandern. Nachdem Habeck im vergangenen Jahr Waffenexporte vorgeschlagen hat, brach ein ideologischer Shitstorm aus der eigenen Partei über ihn herein. In der Wünschelrutenwelt grüner Ideologie lässt sich jeder Konflikt mit einem guten Gespräch und echt viel Toleranz, Freundschaft und Verständnis lösen. Waffenexporten könne man, unter Verweis auf die deutsche Geschichte, nicht einfach zustimmen. Wohl kaum eine Ausrede ist historisch absurder: Die Ukraine bittet um Defensivwaffen, zur Verteidigung. Im Zweiten Weltkrieg überfiel die Wehrmacht von Ukrainern bewohnte Gebiete* und richtete unvorstellbare Gräueltaten, nicht nur an den Juden, sondern der gesamten Bevölkerung an. Ohne Waffen konnte sie sich nicht verteidigen. Im Molotow-Ribbentrop-Pakt hatten Hitler und Stalin Osteuropa unter NS-Deutschland und der Sowjetunion aufgeteilt. Die heutige Westukraine, damals zu Polen gehörend, wurde 1939 unter dem Vorwand des Schutzes von der Sowjetunion besetzt. Stalin wähnte sich aufgrund des Paktes in Sicherheit und stationierte nur kleine Truppenkontingente in der Region. 1941 sollte dies der Wehrmacht ermöglichen, sämtliche Gebiete, die heute zur Ukraine gezählt werden, innerhalb weniger Wochen zu erobern. Auch die anderen sowjetischen Bruderstaaten kam den Ukrainern nicht zur Hilfe. Und so war es folgerichtig, dass die deutsche Kriegsniederlange nur den Beginn eines weiteren Kapitels russischer Unterdrückung der Ukrainer markierte.

45 Jahre später war die Lehre aus dem gewonnen kalten Krieg, dass einzig das konstante Bedrohungsmoment die Sowjetunion an einem Überfall auf den Westen gehindert und schließlich diese zu Fall gebracht hat. Putin ist es in den letzten Jahren gelungen, Russland wirtschaftlich vorübergehend zu stabilisieren. Der Versuch, wirtschaftlichen Druck auszuüben, hat daher wenig Aussicht auf Erfolg. Vielmehr ist es Deutschland, das sich im Zuge der übereilten Energiewende von russischem Gas abhängig gemacht hat. Jedoch auch im Kreml wird man wissen, dass ein Krieg, aus dem der Großteil der Soldaten in Särgen nach Hause kommt, einen politischen Flächenbrand verursachen und sämtliche Zustimmung implodieren lassen kann.

Niemand möchte das. Ein Waffengang mit Russland wäre die größte Katastrophe seit dem zweiten Weltkrieg und Gregor Gysi trifft mit seiner heutigen Aussage in der Welt, dass „ein Krieg gegen Russland zur Vernichtung der Menschheit führen [kann]“, sehr genau.

Aber es sind eben keine NATO-Truppen, die mit einem Angriff auf Moskau drohen oder auch nur in Erwägung ziehen, die russische Grenze zu überqueren. Es ist der Machthaber im Kreml, der ganze Staaten in Geiselhaft nimmt und Millionen von Menschen als politisches Faustpfand missbraucht. Es ist peinlich, dass selbst das Baltikum und Tschechien der Ukraine Waffen liefern, während die deutsche Außenministerin erzählt, sie wolle ein Zentrum für Wasserstoff-Diplomatie in der Ukraine aufbauen. Natürlich kann Wasserstoff die Ukraine wirtschaftlich stabilisieren, dafür muss es die Ukraine aber noch geben. Es passt ins Bild, dass Großbritannien, die der Ukraine selbstverständlich ebenfalls Waffen liefern, Deutschland auf dem Weg dorthin umfliegt. Wegen bürokratischer Hürden.

US-Präsident Biden hatte Bundeskanzler Scholz in der vergangenen Woche ein Notfalltreffen in Washington vorgeschlagen, um über den Ukrainekonflikt zu beraten. Der Kanzler lehnte ab, er habe dafür keine Zeit. Wohl selten stellte ein Kanzler deutlicher zur Schau, wie egal ihm Deutschlands außenpolitische Wirkung ist. Unterstützung bekommt Scholz von SPD-Granden wie „Ralle“ Stegner, der sich seit Wochen bei Twitter in pro-russischer Agitation übt und dabei immer wieder unter Beweis stellt, wie wenig er und andere SPDler die Idee „Wandel durch Annäherung“ des häufig zitierten, jedoch unlängst größeren SPDlers Willy Brandt verstanden haben. Kuscheln mit Diktatoren und pseudo-pazifistische Ignoranz waren damit nie gemeint. Bei der politischen Linken, die in Russland häufig noch immer Deutschlands einzig wahren Bruderstaat verortet, kommt das gut an.

Am Wochenende sorgte die Aussage des Vizeadmirals a.D. Schönbach, „die Halbinsel Krim ist weg, sie wird nicht zurückkommen, das ist eine Tatsache“ für einen medialen Sturm der Entrüstung, der schließlich zum erzwungenen Rücktritt des Inspekteurs der Marine führte. Vor dem Hintergrund des Verhaltens der Bundesregierung und insbesondere des deutschen Kanzlers muss man das als absolute Heuchelei beurteilen. Vielmehr kommuniziert das Verhalten der Bundesregierung, dass Schönbach mit seiner Aussage die offizielle Position Deutschlands vertrat.

Für Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko ist dieses Verhalten unterlassene Hilfeleistung und Verrat an Freunden. Auch innerhalb der NATO sorgt das Verhalten Deutschlands für Irritationen und nährt Zweifel an der Zuverlässigkeit und Positionierung.

Es ist völlig richtig, dass im aktuellen Konflikt deeskaliert wird. Es ist eine historische Erfolgsgeschichte, wirtschaftspolitische Entwicklungen an diplomatische Zugeständnisse zu koppeln. Es ist aber auch ein Gebot der Geschichte, klare Positionen zu vertreten: Die Grenzen der Ukraine sind keine Verhandlungsmasse, die territoriale Integrität steht nicht zur Diskussion. Und falls notwendig, muss diese Position mit Verteidigungswaffen bekräftigt werden.

Die Bundesregierung und die furchtlose Außenministerin müssen in den kommenden Tagen die Weichen stellen, ob Deutschland zukünftig außenpolitisch ernst genommen werden und ein verlässlicher Partner der NATO sein oder durch pazifistisch-romantische Wolkenschlösser glänzen möchte.

*Auf Hinweis eines Lesers wurde der Abschnitt nachfolgend überarbeitet, um Missverständnissen vorzubeugen. Die Ukraine in ihren heutigen Grenzen existiert erst seit 1954. Ethnische Ukrainer bewohnten damals Regionen, die zu vier verschiedenen Staaten gehörten und u.a. im Molotow-Ribbentrop Paket aufgeteilt wurden.

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
5 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
yohak
yohak
2 Jahre zuvor

Grundsätzlich Zustimmung. Es ist ja absurd, aus der Geschichte deutscher Verbrechen im 2. Weltkrieg, die sich insbesondere auch gegen Ukrainer richteten, den Schluß zu ziehen, man dürfe "aus historischer Verantwortung" nicht der Ukraine helfen.
Aber: Der Molotow-Ribbentrop-Pakt hat damit nichts zu tun, darin ging es um die Aufteilung Polens, nicht um eine Aufteilung der Ukraine.

thomas.weigle
thomas.weigle
2 Jahre zuvor

Teile des seinerzeitigen Polens waren durch Ukrainer besiedelt. Dass die Ukraine im Zusatzprotokoll erwähnt wird, lese ich zum ersten Mal. Die Ukrainer sollen die Rote Armee als Befreier begrüßt haben. ein schrecklicher Irrtum,der sich knapp zwei Jahre später wiederholen sollte, als die Wehrmacht kam.Die ukrainischen Nationalisten um Bandera hatten sich eine Zusammenarbeit mit den Nazis erhofft. Denen war daran nicht gelegen,da sie an einer unabhängigen Ukraine nicht interessiert waren. Also wurden die ukrainischen Nationalisten ebenso bekämpft wie andere Partisanen im Herrschaftsgebiet der Nazis auch.

Berthold Grabe
Berthold Grabe
2 Jahre zuvor

Festzuhalten bleibt, das der Kanzler und seine Partei jede Regierungsfähigkeit letztlich vermissen lassen und damit die aktuelle Regierung schwer belastet.
Man kann daraus schließen, das die SPD erheblich an der Merkelschen bleiernen Stillstandsschwere Mitverantwortung getragen hat und zu Recht fast bedeutungslos geworden ist.
Man kann nur Wünschen, das die Wähler das erkennen und sie nach diesem Experiment entgültig in die Wüste abstruser Parteien verbannen

Manni
Manni
2 Jahre zuvor

"Putin ist es in den letzten Jahren gelungen, Russland wirtschaftlich vorübergehend zu stabilisieren"

Na, das ist ja wohl eine arg geschönte Sicht auf die russische Realität. Allein im letzten Jahr stieg die Inflationsrate von 5% auf 8,5%. Das hinterlässt Spuren in den Gemütern.
In solch einem Fall hat es in Russland Tradition, die Nationale Karte zu spielen.
D.h. auch ein unzufriedenenes, murrendes russisches Volk wird Russland bis zum letzten Atemzug verteidigen. Putin als Geheimdienstler weiß das und handelt entsprechend.
Zuerst wird die nationale Notsituation gespielt und Stimmung gegen die Aggressoren gemacht. Dann, d.h. jetzt, spielt er das Chicken-Game. Und er spielt es besser als EU oder NATO.
Als nächstes hat er die Wahl. Er presst der NATO alles ab, bis sie auf den Knien liegt. Und dann kann er einfach abwarten und im geeigneten Moment einmarschieren, wenn sich der Westen bereits wieder mit anderen Dingen beschäftigt.

Werbung