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BDS, die Berlinale und Claudia Roth. Und das Schweigen

Claudia Roth in München 2016 by Harald Bischoff cc 3.0

Am Mittwoch noch hat Claudia Roth ihren „dialogischen Ansatz“ gelobt, mit dem sie Antisemitismus in einem Kulturbetrieb bekämpft, den sie fördert. Samstags wohnte sie der BDS-Gala bei, mit der die Berlinale schloss, sie tat es schweigend oder verschwiegen.

„Guten Abend, ich möchte auch meine Stimme erheben.“ Groteske Szene während der Abschluss-Gala der Berlinale, gerade erst hatte die ukrainische Schriftstellerin Oksana Zabuzhko, Mitglied der Jury, daran erinnert, dass in eben dieser Feierstunde der „größte und schrecklichste Vernichtungskrieg in Europa seit 1945“ in sein drittes Jahr geht und die Ukraine weiterhin „um ihr Leben kämpft“, das Publikum hört schweigend zu, da tritt Jasmine Trinca ans Pult und erklärt: „Ich möchte auch meine Stimme erheben und sagen: Waffenstillstand jetzt!“ Stürmischer Applaus im Saal, ein Johlen und Jauchzen, Trinca, die italienische Schauspielerin, ballt ihre Faust, der Arm rechtwinklig gestreckt, beglückt nimmt sie den Beifall entgegen, dann verkündet sie, wer den nächsten Bären gewonnen hat.

Eine Szene, die zeigt, wie BDS funktioniert, die Denunziationskampagne gegen Israel, in der sich eine Kulturelite verschwistert. An wen Trinca ihre Forderung gerichtet habe, muss gar nicht erst gesagt werden, Putin ist es nicht, Hamas ist es nicht, alle im Saal zeigen, indem sie applaudieren, auf den Juden unter den Staaten. Fraglos das Einvernehmen, es ist impulsiv, vorab gibt es, um Jean-Paul Sartre zu zitieren, „den von Leidenschaft diktierten Schlüssen den Vorrang“. Als Leidenschaft hat Sartre Antisemitismus definiert. Lässt sich anders erklären, dass es eben diese Berlinale gewesen ist, die im vergangenen Jahr Wolodymyr Selenskyj, dem ukrainischen Präsidenten, stehende Ovationen dargebracht hat? Standings damals auch für Golshifteh Farahani, die iranische Schauspielerin hatte ein eindringliches, äußerst würdevolles Plädoyer für Jin, Jiyan, Azadî gehalten, für einen freien Iran, der Frauen nicht massakriert und Israel nicht länger mit Vernichtung droht. Und jetzt  –  Waffenstillstand? Mit wem? Mit der iranisch angeleiteten Hamas, die Frauen auf eine Weise schlachtet, der keine Kamera standhalten kann?

Die groteske Szene mit Frau Trinca zeigt auch: Es ist die Berlinale-Jury selber, die den Vorbeter gibt dafür, die alte Leidenschaft im neuen Berlinale-Jahr zu wecken. So wie es auch Véréna Paravel tat, ebenfalls Mitglied der bundesberufenen Jury, sie hat ihr Gottseibeiuns auf den Rücken geheftet und sich dann sowas von subversiv in die Kameras gedreht. Berufen sind beide, Trinca wie Paravel, von der Berlinale selber, sie wird bekanntlich vom Bund getragen und von der Kulturbeauftragten der Bundesregierung gefördert. Diese wiederum, Claudia Roth (Grüne), hat erst drei Tage zuvor erklärt, wie wichtig es ihr sei, „dass wir unterscheiden, was innerhalb der Kultureinrichtung passiert und was von außen hineingetragen wird“. Für Ersteres trage sie Verantwortung, sagte Roth am vergangenen Mittwoch in öffentlicher Sitzung des Kulturausschusses des Bundestages.

Mit ihrer Unterscheidung zwischen Innen und Außen liegt Roth auf jener Linie, die ihr ein Gutachten vorgezeichnet hat, das sie  –  angesichts des Documenta-Skandals 2022  –  bei ihrem Haus- und Hofrechtler in Auftrag gegeben hatte, dem Staatsrechtler Christoph Möllers, der auch die „Initiative Weltoffenheit“ beraten hat. „Politische Handlungsmöglichkeit und politische Verantwortung“, hatte Möllers ihr damals ins Album geschrieben, entstünden vor allem in der „politischen Planung von Kulturpolitik, die sich in Deutschland natürlich in besonderer Art und Weise der Verhinderung von Antisemitismus und Rassismus zu stellen hat.“ Heiße: Im Vorfeld kultureller Events habe Claudia Roth „die Pflicht, Kulturinstitutionen (…) vor Antisemitismus zu warnen“.

Hat sie? Gewarnt? Bei der Documenta 15 war es nicht so, das räumt sie selber ein: „Vielleicht hätte ich bei den Diskussionen im Vorfeld der documenta-Eröffnung lauter und deutlicher sein sollen, sein müssen.“ Ihren neuen, den „dialogischen Ansatz“ hat sie kurz vor dem Berlinale-Eklat dem Kulturausschuss des Bundestages vorgestellt, mit diesem Ansatz trete sie nun dem entgegen, was Felix Klein in derselben Ausschuss-Sitzung „kultiviert verpackten Hass“ genannt hat, das ist jener, der sich als Israelkritik tarnt: „Mein dialogischer Ansatz“, so Roth jetzt, „beinhaltet intensive Gespräche mit den bundesgeführten Einrichtungen“, sie sei mit „über 100 Zuwendungsempfängern“ in einen Austausch getreten, „um die Auswirkungen der Situation in Nahost auf die deutschen Kultureinrichtungen zu diskutieren, um Unterstützung anzubieten. Die Resonanz war sehr, sehr positiv.“

So positiv, wie auf der Berlinale zu studieren war? Das Berlinale-Programm sei „umsichtig kuratiert“, hat Roth im Kulturausschuss gelobt, was Israel angehe, habe man „Gesprächsangebote“ gemacht. Drei Tage später sitzt die Staatsministerin in ihrer bundesgeführten Einrichtung und nimmt jede Denunziation entgegen, mit denen Israel inhouse belegt werden kann. Hat Roth nicht im Vorfeld vor Antisemitismus gewarnt? Habe sie, erklärte sie am Montag darauf, sie habe darauf „hingewiesen“, dass es „schwierige Situationen“ geben könnte. Aber hat sie auch ihre eigene Jury davor gewarnt, Israelhass wachzurufen? Hat sie die Moderatorin des Abends, Hadnet Tesfai, auf codierte Invektiven hingewiesen, auf solche wie „Ceasefire now“ oder „Apartheid“ oder „Genozid“? Gab es vorab keine Überlegungen darüber, wie sich im Rothschen Sinne, also dialogisch reagieren ließe auf kindisches Zeugs wie das, sich eine Keffiyeh umzulegen, als trete man wie ein Priester vor seine Gemeinde oder wie Arafat vor die UN? Kam Roth in keinem Moment dieser BDS-Show auf die Idee, selber das Mikro zu greifen und zu zeigen, was dialogisch meint? Hat ihr niemand  –  auch kein Andreas Görgen, Roths Behördenleiter  –  ein Zettelchen vorbereitet, auf dem gestanden hätte, wie solche Sätze lauten könnten? Kurz darauf hinweisen, dass es  –   „nicht weit, von wo die Befehle erteilt wurden, jüdisches Leben zu vernichten“, um hier einen der wichtigsten Texte der letzten Jahre  zu zitieren, er stammt von Natan Sznaider  –  dass es heute der Iran ist, der den Befehl erteilt zu vollenden, woran die Nazis gehindert worden sind? Mit einem Halbsatz daran erinnern, für was die Berlinale noch letztes Jahr in Gänze stand, für Jin, Jiyan, Azadî?

Es ist nicht der Applaus, der irritiert im Berlinale-Palast, es ist die Stille. In ihr wird klar, Roths dialogischer Ansatz reicht bis zu keiner nächsten Gala.

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Hinweis: Der Beitrag erschien zunächst ohne den Hinweis auf Claudia Roths Stellungnahme vom 26. Februar, er wurde nachträglich eingearbeitet.

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