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Corona und Katastrophenschutz: Das große Impfen beginnt

CoVid in einer Bearbeitung von K. Gercek

Seit dem 15. März 2020 unterhalten sich die Ruhrbarone mit Magnus Memmeler.  Bis heute sind 37 Interviews entstanden, die auf den Katastrophenschutz blicken und auch die Corona-Krise nachzeichnen. Im 38. Interview geht es u.a. um den Ausnahmezustand in den Heimen und Kliniken, um den Einsatz von Katastrophenschutzkräften vor den Heimen, um das Impfmanagement, um die Triage und ein Kleeblatt  u.v.m.

Ruhrbarone: Das RKI meldet an den Weihnachtstagen niedrigere Infektionszahlen als in der Vorwoche. Hatten wir die erhofften ruhigen Weihnachten?

Memmeler: Ich befürchte nicht. Zur Wahrheit gehört, dass an den Feiertagen auch deutlich weniger getestet wurde und es wohl vorwiegend deshalb zu den niedrigeren Zahlen bei den Neuinfektionen gekommen ist. Außerdem melden die Gesundheitsämter über die Feiertage nicht in der Zuverlässigkeit, wie dies an Wochentagen der Fall ist.

Welche Bescherung Weihnachten für uns bereithalten wird, werden wir wohl erst nach dem Jahreswechsel erkennen. Bilder von Flughäfen, an denen zahlreiche Mitbürger in den Winterurlaub aufgebrochen sind und Mitteilungen von vielen Menschen, die meinten die Kontaktbeschränkungen durch Schnelltests aushebeln zu können, stimmen mich nicht wirklich optimistisch.

Die Bezirksregierung Köln hat in dieser Woche vor bundesweit illegal in den Handel gelangten Corona-Schnelltests gewarnt. Sie könnten, wenn sie nicht von Fachkräften angewendet würden, „katastrophale Infektionsfolgen“ haben. Wie die Behörde mitteilte, sind solche Schnelltests unter anderem an Tankstellen, in Supermärkten, Tierarztpraxen, Brauereien und vielen anderen Stellen illegal in den Verkehr gebracht worden. Außerdem bieten diese Schnelltests nur eine Momentaufnahme. Haben sich die Anwender also nicht fünf Tage vor dem Test an eine selbstauferlegte Quarantäne gehalten, kann der Test beim Besuch am ersten Feiertag schon wertlos gewesen sein.

Zusätzlich kann es bei nicht korrekt ausgeführten Tests zu falsch negativen Ergebnissen gekommen sein, die fälschlicherweise Sicherheit suggeriert haben.

Außerdem finden wir auf der vom BfArM (Bundesamt für Arzneimittelsicherheit) veröffentlichten Liste mit zugelassenen Tests auch zahlreiche Kuriositäten. Auf der Liste fallen neben Herstellern und Importeuren mit langjähriger Erfahrung mit Medizinprodukten auch neue sowie viele fachfremde Firmen auf. Ein Unternehmen, gegründet in der vergangenen Woche, firmiert in München. Ein anderes bietet sonst Tankwagen- und Containerreinigung an, ein weiteres vertreibt Werbeprodukte wie Glückskekse oder bedruckte Badeschuhe. Sie sehen, die Angabe, dass ein Test beim BfArM gelistet ist, sagt zunächst wenig über dessen Qualität aus.

Entscheidend dafür, ob ein Test auf die Liste des BfArM kommt, ist nur ein kurzer Katalog von Anforderungen, erstellt vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) mit dem Robert Koch-Institut (RKI). Darin stehen Mindestkriterien an die Antigen-Schnelltests, die Anforderungen an die technischen Standards festlegen, etwa zu Sensitivität oder Spezifität. Hersteller, die angeben, diese Anforderungen zu erfüllen, können ihren Test auf die Liste setzen lassen. Das BfArM gleicht die Herstellerangaben lediglich mit diesen Mindestkriterien ab. Die Hersteller zertifizieren sich derzeit also selbst.

Interessanter als die aktuellen Zahlen erscheint mir die Meldung, dass die Positivquote bei PCR-Tests sich noch immer auf einem extrem hohen Niveau befindet. Die medizinischen Labore in Deutschland haben für die Woche vom 14. bis 20. Dezember weiterhin Höchstwerte bei der Positivrate der PCR-Tests auf SARS-CoV-2 verzeichnet. Das berichtete der Verband „Akkreditierten Labore in der Medizin“ (ALM) vor den Feiertagen.174.009 oder 11,8 Prozent der 1.472.985 in den Laboren durchgeführten SARS-CoV-2-PCR-Untersuchungen zeigten danach einen positiven Befund. In der Woche zuvor hatte die Positivrate 11,7 Prozent betragen. Die SARS-CoV-2-PCR-Kapazität an den Feiertagen hat nach einer bundesweiten Umfrage unter den Laboren etwa 60 Prozent der an Wochenarbeitstagen verfügbaren Testkapazität betragen.

Wir müssen also davon ausgehen, dass sich „die Durchseuchung“ innerhalb der Bundesrepublik auf einem sehr hohen Niveau befindet und die gemeldeten Infektionszahlen an den Weihnachtstagen keine Bewertung der aktuellen Infektionsdynamik zulassen. Umso wichtiger wäre es gewesen, dass möglichst niemand quer durch die Republik gereist wäre, um Verwandte oder Bekannte zu besuchen. Leider berichten zahlreiche Posts in den sozialen Medien von einer anderen Realität, die uns wahrscheinlich noch eine üble Bescherung bringen wird.


Magnus Memmeler mit Maske Foto: Privat

Magnus Memmeler (53 Jahre) lebt in Kamen. Seit über 31 Jahren arbeitet er im Rettungsdienst und Katastrophenschutz. 25 Jahre davon hat er diverse Leitungsfunktionen eingenommen. Er war beauftragt zur Organisation des Sanitätsdienstes beim DEKT in Dortmund und Verantwortlicher einer großen Hilfsorganisation bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten in den Jahren 2013 – 2018. Er war zudem Mitglied bei der Stabsarbeit von Bezirksregierungen und in Arbeitskreisen des Innenministeriums bei der Konzeption von Katastrophenschutz-konzepten.

 

 


Positiv ist jedoch zu vermelden, dass Mitarbeitende des Rettungsdienstes pünktlich vorm Fest erfahren haben, dass sie in der Impfpriorisierung jetzt deutlich nach oben gerutscht sind. In der vom Bundesministerium für Gesundheit veröffentlichten Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 sind in der Kategorie mit höchster Impfpriorität – neben den hochgefährdeten sehr alten und pflegebedürftigen Patienten und ihren Pflegekräften – auch Personengruppen aufgeführt, “die in Bereichen medizinischer Einrichtungen mit einem sehr hohen Expositionsrisiko in Bezug auf das Coronavirus SARS-CoV-2 tätig sind”.

Dazu gehören ausdrücklich auch die Mitarbeiter im Rettungsdienst, gemeinsam mit Beschäftigten auf Intensivstationen, in Notaufnahmen, in der Palliativversorgung und in Impfzentren.

Ruhrbarone: Letzte Woche zitierten Sie einige bedenkliche Meldungen über die Lage in den Kliniken und Seniorenheimen, die nichts Gutes erahnen lassen. Wie sieht es da heute aus?

Memmeler: Die Situation in Senioreneinrichtungen und Kliniken muss tatsächlich als grenzwertige Belastung eingestuft werden.

Um den Dienstbetrieb in einem Weimarer Seniorenheim aufrechtzuerhalten, ist der Sanitäts-Betreuungszug des Katastrophenschutzes mit DLRG, Johannitern und DRK unter Beteiligung der Feuerwehr und des Oberbürgermeisters kurzfristig zusammengekommen, um schnelle Hilfe vor Ort zu ermöglichen.

Inzwischen ist nach Angaben der Stadtverwaltung ein Dienstplan aufgestellt worden, um die Betreuung im Heim zu sichern. Mindestens vom 26. bis 28. Dezember unterstützen die zusätzlichen Kräfte das Heim in drei Schichten mit insgesamt sieben Funktionen in Form von Stationshilfen. Solche und ähnliche Meldungen erreichen uns derzeit aus zahlreichen Hotspots im Bundesgebiet.

Der Katastrophenschutz ist inzwischen bundesweit gefordert, um die Versorgungssicherheit in vielen Senioreneinrichtungen aufrecht zu erhalten. Leider ist dies bisweilen auch katastrophal organisiert. In Duisburg wurden die Helfer des Katastrophenschutzes gemäß BHKG ( Katastrophenschutzgesetz NRW) alarmiert, um die lokalen Seniorenheime bei der Durchführung von Schnelltests zu unterstützen.

Leider geschah dies zeitgleich mit der Initiative des Landes, die Hilfsorganisationen über privatrechtliche Verträge einbinden sollte, um Schnelltests für die Weihnachtsbesuche in Senioreneinrichtungen bis zum 02. Januar 2021 zu ermöglichen.

An solchen Beispielen erkennen wir, dass es nach 10 Monaten Pandemie noch immer nicht gelungen ist, die Kommunikationsstruktur aufzubauen, die ein strukturiertes Vorgehen zum Beherrschen der Lage ermöglicht.

Am besten kann dies derzeit wohl mit einem Beispiel aus NRW verdeutlicht werden. Unserem Ministerpräsidenten war es wichtig, dass zu Weihnachten Besuche in Senioreneinrichtungen durch Schnelltests ermöglicht werden. Da zahlreiche Seniorenheime meldeten, die zusätzliche Testbelastung nicht stemmen zu können, weil die aktuellen Anforderungen bereits eine große Belastung darstellen, sollten die Hilfsorganisationen hier unterstützen.

Kein Ende des chaotischen Handelns

In der Testverordnung des Landes wurde zunächst festgelegt, dass Tests für Besucher von Senioren- und Behinderteneinrichtungen ermöglicht werden sollten, Besucher jedoch nicht am Besuch gehindert werden dürfen, wenn diese den Test verweigern.

Durch diese Regelung wurde den Einrichtungen quasi das Hausrecht entzogen, durch das man Besuchern ohne Test den Zutritt hätte verweigern können. Ein Heimbetreiber aus Würselen hat dagegen erfolgreich geklagt und das Verwaltungsgericht Aachen hat mit seinem Urteil dafür gesorgt, dass die Landesregierung die Testverordnung tatsächlich zu einer Schutzverordnung korrigieren musste. Die Helferinnen des Katastrophenschutzes sollten nun also alle Besucher testen und die Heimbetreiber konnten den Zutritt verweigern, wenn sich Besucher nicht testen lassen wollten.

Damit ist die Geschichte des chaotischen Handelns für die Katastrophenschützer aber noch nicht zu Ende. Das Land hat allen Betreibern von Senioren- und Behinderteneinrichtungen eine sehr lange Liste von möglichen Ansprechpartnern bei den Hilfsorganisationen zur Verfügung gestellt, um vor Ort eine Einigung mit den Organisationen zu treffen, die deren Einsatz bei Testungen betrifft.

Durch die individuellen Vereinbarungen, die vor Ort getroffen werden, ist nun vermutlich bis zur Rechnungslegung an das Land nicht klar, welche Ressourcen des Katastrophenschutzes in welcher Region in welchem Umfang gebunden sein werden. In der vom Land mit den Katastrophenschutzorganisationen vereinbarten Hilfe für Senioreneinrichtungen sind nämlich keine Meldepflichten ersichtlich, die eine Rückmeldung an den Landkreis, die kreisfreie Stadt oder die zuständige Bezirksregierung vorsehen.

Zusätzlich war bei den Organisationen nur eine (Johanniter) dazu in der Lage, die Abfrage durch die Senioren- und Behinderteneinrichtungen über eine zentrale Stelle zu organisieren, so das zumindest die Organisation selbst den Überblick über eigene Ressourcen behält. Bei allen anderen Organisationen sind die jeweiligen Landesverbände vom Rückmeldeverhalten der eigenen Ortsverbände abhängig.

Diesen recht spontanen Einsatz, um in den Einrichtungen der Senioren- und Behindertenhilfe Besuche zu ermöglichen, lässt sich das Land NRW bis zu 13,8 Mio. Euro kosten, wie die Presse aktuell meldet. Mit dieser sicherlich gut gemeinten Maßnahme wird, wie eingangs dargestellt, Sicherheit nur bedingt sichergestellt, da Schnelltests eine Momentaufnahme darstellen und in den ersten Tagen einer Infektion nicht die Sicherheit bieten, wie dies bei PCR Tests der Fall wäre.

Die Erfassung der von den Organisationen eingesetzten Ressourcen wird beim andauernden Einsatz wohl vornehmlich durch die Presseabteilungen der Organisationen, denn durch die zuständigen Behörden sichergestellt, da der, der Gutes tut, natürlich auch darüber berichten will.

Auch die Diakonie in Hessen ruft nach dem Katastrophenschutz. Die Diakonie in Hessen fordert, für die Organisation und Nachbetreuung der Impfungen bräuchte es die Unterstützung von Hilfsorganisationen, da die Anordnung von Schnelltests und der erhöhte Hygieneaufwand das Personal bereits jetzt an die Belastungsgrenze führe. Denkbar sei der Einsatz von Katastrophenschutzkräften, heißt es in einem Schreiben an den zuständigen Minister. Die Kräfte sollten so lange die Arbeit in den Heimen unterstützen, bis dort die Impfungen abgeschlossen seien.

Im benachbarten Rheinland-Pfalz schlugen die Altenheime vor den anstehenden Impfungen ebenfalls Alarm. Dort forderte die Landesregierung bereits die Unterstützung von Hilfsorganisationen an. Mitarbeiter der Hilfsorganisationen sollen dort nun bei den Schnelltests sowie bei der Essensausgabe oder Betreuung der Bewohner helfen. Dazu wurde ein Krisenstab eingerichtet, der zunächst den Bedarf aller rund 550 Heime in Rheinland-Pfalz abtelefonieren soll.

Die Stadt Gelsenkirchen meldet mehr als 200 Bewohner in Senioreneinrichtungen sind an Corona erkrankt, dazu werden noch 100 infizierte Pflegerinnen gemeldet. Während es in Gelsenkirchen bis vor einigen Wochen noch hieß, die Hygienekonzepte in diesen sensiblen Bereichen würden greifen und die alten und häufig auch vorerkrankten Bewohner wären bestmöglich geschützt, so überraschend und dramatisch ist das, was die Stadt nun erklären muss: 318 Bewohner und Pflegekräfte sind aktuell mit dem Coronavirus infiziert. (Stand: 23.12.)

Diese Beispiele stellen momentan nur einen kleinen Ausschnitt dessen dar, was wir täglich den Medien entnehmen können, wenn wir relativ aufmerksam hinschauen. Umso erstaunlicher ist dann die Meldung des neuen Amtsleiters im BBK (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe). Der Präsident des BBK, Armin Schuster, hält trotz bereits überlasteter Krankenhäuser eine Triage in Deutschland noch für abwendbar, wie er der Presse am 21.12.2020 in die Stifte diktierte.

„Wir schaffen es aktuell immer noch, jedem Coronapatienten die bestmögliche Versorgung zu bieten, auch durch regionale Verlegungen. (…) Bund und Länder sind über ein Kleeblattverfahren auch auf weitere überregionale Verlegungen vorbereitet, die bisher noch nicht abgerufen wurden“.

Zugleich betonte Schuster, vorrangigstes Ziel bleibe es, die aktuell sehr hohen Infektionszahlen zu senken und damit eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Dafür müssten die Regeln eingehalten werden, forderte der Behördenchef.

„Wenn sich alle daran halten, wird auch zukünftig eine Priorisierung der Behandlung lebensbedrohlich erkrankter Coronapatienten nicht notwendig sein.“

Eventuell hätte sich Schuster zuvor bei Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) über den Sachstand informieren sollen. Angesichts der knapper werdenden Ressourcen, so betonte Janssens, vor allem im Personalbereich, müsse es nun darum gehen, alle Kräfte zu konzentrieren – vertretbar verschiebbare Eingriffe und Behandlungen sollten laut DIVI Präsident temporär unterbleiben.

Zudem forderte Janssens eine rechtliche Absicherung für Ressourcenumverteilungen bis hin zu etwaigen Triagesituationen. Hier sei die aktuelle Sitation „unbefriedigend“. Es gelte, transparent das „Vertrauen des Staates“ an die Mediziner auszusprechen und die Voraussetzungen für Triagesituationen bundesweit zu regeln.

Nun erklär uns einer, dass der Spezialist der Notfallmedizin hier zu einer anderen Einschätzung kommt, als der von Herrn Seehofer eiligst eingesetzte Chef des BBK.

Christian Karagiannidis, wissenschaftlicher Leiter des DIVI-Intensivregisters, gab zusätzlich an, es sei bis mindestens Mitte Januar mit steigenden COVID-19-Belegzahlen in den Krankenhäusern zu rechnen – selbst wenn die aktuellen Eindämmungsmaßnahmen für ein Absinken der Infektionszahlen sorgten.

Modellrechnungen zur zeitlichen Verzögerung zwischen den Infektionen und den Krankenhausbehandlungen ließen eine Patientenzahl von etwa 6.000 erwarten, so Karagiannidis. Dieses hohe Niveau könne durchaus drei bis vier Monate bestehen bleiben.

Aktuell befinden sich in Deutschland etwa 5.200 COVID-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung.

Das große bundesweite Kleeblatt

Die Einschätzung der Leitung des DIV-Intensivregisters und des DIVI Präsidenten wird durch Berichte gestützt, die von zunehmenden Infektionen beim Klinikpersonal berichten. Nach dem Coronaausbruch in einer Klinik in Tettnang (Bodenseekreis) ist die dortige Situation angespannt.

Nach den Angaben einer Kliniksprecherin galten am 21.12.2020 84 Mitarbeiter der Klinik als infiziert. Auch sei das SARS-CoV-2-Virus bei 26 Patienten nachgewiesen worden, die sich wegen anderer Beschwerden im Krankenhaus befanden. Identische Meldungen kommen bundesweit aus immer mehr Kliniken, was mich, auch wegen unseres letzten Interviews, befürchten lässt, dass der Behördenleiter des BBK nicht immer über die aktuellsten Lageeinschätzungen verfügt oder dazu neigt, diese recht positiv zu deuten.

Gegenwärtig müssen wir davon ausgehen, dass neben Brandenburg noch weitere Regionen Großschadensereignisse ausrufen werden müssen, um die Notfallversorgung aufrecht erhalten zu können, indem auf Kräfte des Katastrophenschutze zurückgegriffen werden kann.

Der Rettungsdienst ist ausgelegt für Notfalleinsätze bei Verkehrsunfällen, Herzinfarkten oder Schlaganfällen. Die vielen Corona-Erkrankten bringen den Rettungsdienst, unter anderem durch zahlreiche Verlegungstransporte, mancherorts an die Belastungsgrenze. Die vielen Erkrankten lösen zusätzliches Transportaufkommen aus, damit durch Umverlegung von Patienten Betten freigemacht werden, um weiterhin Patienten aufnehmen zu können.

Das sind alles Anforderungen, die jetzt zusätzlich gestemmt werden müssen. Auch wenn das große bundesweite Kleeblatt, welches der BBK Chef erwähnt hat, noch nicht zur Patientenumverteilung genutzt wird, sind bereits jetzt schon größere Umverteilungen zwischen den Kliniken erforderlich, um lokalen Überlastungen vorzubeugen.

Die zu beantwortende Frage muss also lauten, wie viel Kleeblatt ist überhaupt noch vorhanden?

Am 05. Januar 2021, wenn Bund und Länder erneut zusammen kommen, wird wegen der hier nur grob dargestellten Situation in Kliniken und Senioreneinrichtungen wohl beschlossen werden, dass die aktuellen Maßnahmen nicht am 10. Januar 2021 enden werden und die Kolleginnen und Kollegen des Katastrophenschutzes noch häufig unterstützend tätig werden müssen. Schön, dass sie das bereits tun, obwohl es keine Katastrophe gibt.

Ruhrbarone: Kein erfreuliches Lagebild, was Sie uns geben. Umso wichtiger, dass heute bundesweit die Impfkampagne startet. Politik und Medien feiern den Start des großen Impfens. Sind alle Impfzentren bereit?

Memmeler: Ja, die Impfzentren wären bereit, werden aber wohl bis zum 04. Januar oder gar einige Tage länger arbeitslos bleiben. Zunächst werden mobile Impfteams die Einrichtungen der Seniorenhilfe versorgen, was sich etwas hinziehen dürfte, da der Impfstoff nur in kleinen Mengen zur Verfügung steht.

In meinem Heimatkreis werden zum Start nur 3 Einrichtungen versorgt, da für den ganzen Kreis ( knapp 400.000 Einwohner ) 509 Impfdosen zum Start zur Verfügung stehen werden. Wann eine zweite Auslieferung erfolgt, steht aktuell noch nicht fest.

Welcher Landkreis und welche kreisfreie Stadt wie viele Impfdosen erhält, wird nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel berechnet.

Die Kassenärztliche Vereinigung in unserer Region geht momentan sogar davon aus, dass die Terminvergabestelle erst am 04. Januar freigeschaltet wird, um Impftermine vergeben zu können.

Eine Pandemie ist kein Bällchenbad

Aus den gleichen Gründen, die den Start der Impfzentren verzögern, sind derzeit auch tausende Soldatinnen und Soldaten in eine niedrigere Bereitschaftsstufe versetzt worden, denn deren Einsatz in Impfzentren wird, anders als zunächst angenommen, nicht unmittelbar erforderlich werden, weil EU und Bundesrepublik im ersten Anlauf schlicht zu wenig Impfstoff geordert hatten.

Umso wichtiger ist es momentan, alle Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, damit uns nach den Feiertagen keine dritte Welle droht, die Kliniken und Senioreneinrichtungen dann endgültig überfordern würde. In vier Tagen endet dieses Jahr, welches Mitte Januar hoffentlich keine böse Bescherung für uns parat hält, weil zu viele Menschen Weihnachten doch nicht mit Kontakten gegeizt haben oder zum Jahresabschluss doch feiern mussten.

Bis ausreichend Impfstoff von Biontech verabreicht werden kann und die regelhafte Impfung in Arztpraxen möglich wird, indem leichter zu lagernde Impfstoffe eine Zulassung erhalten, werden Schutzmaßnahmen unseren Alltag begleiten. Es liegt nun an uns selbst und der Politik, wie ausgeprägt diese Maßnahmen ausfallen werden.

Ruhrbarone: Kommen wir zum Schluss: Was erwarten Sie aktuell von der Politik?

Memmeler: Vorausschauendes Handeln erwarte ich. Finden Sie es nicht erschreckend, wenn Herr Spahn in einer Pressemeldung in dieser Woche seine Sorge vor Reiserückkehrern äußert?

Die gleiche Situation hatten wir schon im Sommer, doch jetzt sind die Zahlen deutlich besorgniserregender und dennoch ist keine Testpflicht für Reiserückkehrer vorbereitet. Lediglich Quarantäneanordnungen, die nicht zu überwachen sind, wurden hektisch beschlossen.

Ähnlich unvorbereitet planen die Kultusminister einen Schulstart, von dem keiner weiß, wie dieser aussehen soll.

Zwei Wochen vor Weihnachten habe ich mit einer Mutter darüber gesprochen, wie teuer Raumluftfilteranlagen sind. Angesichts von ausgefallenen Klassenfahrten, die in diesem Jahr nicht finanziert werden mussten, sagte mir die Dame, dass sicherlich alle Eltern vor dem Herbst bereit gewesen wären, je Kind die 90,00 € aufzubringen, die es bedarf um einen Klassenraum mit 25 – 30 Schülern mit einer Raumluftfilteranlage auszustatten.

Dass die Deutschen in diesem Jahr in besonders hohem Maße Spendenbereitschaft zeigen, hat unlängst auch die Präsidentin des DRK zu Protokoll gegeben. Mit einem entsprechenden Konzept ausgestattet, hätte eine zielgerichtete Ansprache wohl dazu beigetragen, dass die überwiegende Zahl an Klassenräumen hätte heute über eine Raumluftfilteranlage verfügen können.

Ich erwarte von der Politik, dass diese vorausschauend handeln muss, statt wie bisher der Lage hinterher zu laufen. Ich hätte erwartet, dass die Politik allen Urlaubswilligen sehr deutlich sagt, dass es keine zweite Rückholaktion aus Urlaubsländern geben wird und deshalb jedem klar sein muss, dass es sich um sein persönliches Risiko handelt, wenn er beispielsweise in Südafrika festhängt, weil dort neue Virusmutationen aufgetreten sind.

Eine Pandemie ist kein Bällchenbad, in dem man die Eltern rufen kann, um das unwillige Kind wieder den Erzeugern zuzuführen.

Uns allen wünsche ich nun einen gesunden Jahreswechsel und einen Januar ohne böse Bescherungen.

Ruhrbarone: Lieben Dank für die klaren Worte. Bleiben Sie gesund und wechseln das Jahr mit Umsicht. Wir sprechen uns dann wieder im neuen Jahr.

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Robert Müser
Robert Müser
3 Jahre zuvor

Vielen Dank wieder für diese klaren Worte.

Die benannten Beispiele zeigen wieder gut die ganzen Probleme auf, welche an vielen Ebenen und Orten dieses Landes auftreten und durch das Corona-Brennglas gut sichtbar werden.

Für ein Industrieland wie Deutschland ein großes Armutszeugnis.

Enno
Enno
3 Jahre zuvor

Das Problem ist doch vielmehr, dass niemand etwas über die möglichen Langzeitwirkungen der Impfung im Körper wissen kann, ganz einfach weil die Krankheit selbst erst seit 10 Monaten existiert. Fakt ist, die Impfung basiert auf einer erstmals beim Menschen zugelassenen neuen Technologie. Es ist durchaus denkbar, dass dies im hochkomplexen menschlichen Immunsystem keine langfristig negativen Auswirkungen hat. Und dass dies einfach das Ende von Corona ist und alle glücklich sind.

Nur: Wissen kann dies zum aktuellen Zeitpunkt kein Mensch auf diesem Planeten. Herausfinden werden wir es durch Langzeitbeobachtung der Menschen, die sich jetzt impfen lassen.

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