Bierbecher voller Urin, Spuckattacken und Buhrufe – Die Tour de France lieferte das ‚volle Programm‘

Chris Froome. Quelle: Wikipedia, Foto: Christophe Badoux, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Chris Froome. Quelle: Wikipedia, Foto: Christophe Badoux, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Und schon sind auch diese drei Wochen Spitzensport bereits fast vorbei! Am heutigen Sonntag geht die 102. Tour de France dann auch bereits wieder (gewohnt spektakulär) in Paris zu Ende. Und es waren dann am Ende erneut wahrlich ereignisreiche 21 Etappen, egal wie die heutige letzte Episode der Geschichte dann auch noch genau ausgehen mag, wer den traditionellen letzten Sprint mitten in Paris gegen 17.30 Uhr schlussendlich für sich siegreich beenden können wird.
Der Gesamt-Sieger der großen Rundfahrt steht seit gestern ohnehin faktisch schon fest. Der Brite Christopher Froome wird heute zum zweiten Mal nach 2013 von seinem Team und vielen Fans gefeiert werden. Denn der Kapitän der Sky-Mannschaft ließ sich auch beim gestrigen Anstieg zum traditionsreichen L’Alpe d’Huez, der Königsetappe der diesjährigen Tour, seinen vorher erarbeiteten Zeit-Vorsprung nicht mehr nehmen. Und auf der heutigen letzten Etappe wird das Gelbe Trikot des Führenden traditionell dann schon nicht mehr angegriffen.
Den Sieg auf der letzten Tagesetappe, über heute noch einmal relativ kurze 109 km, dürften die Sprinter auf den Champs-Élysées mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder unter sich ausmachen. Dem Slowaken Peter Sagan ist dabei allerdings auch das Grüne Trikot des Punktbesten wohl schon nicht mehr zu nehmen. Denn daran, dass er zumindest auch das Ziel erreichen wird gibt es natürlich keine realistischen Zweifel mehr. Somit bleibt heute sportlich wohl tatsächlich nur noch der letzte Etappensieger zu ermitteln, auf den letzten Kilometern zudem ein Stück weit auch die Skyline von Paris zu bestaunen.
Und was bleibt dann letztendlich beim interessierten Betrachter hängen von der diesjährigen Tour? Nach etlichen Jahren der Krise zuletzt kämpft sich die Frankreichrundfahrt so langsam wieder heraus aus den permanenten Negativschlagzeilen. Die ganz großen Turbulenzen blieben dem größten Radrennen der Welt in diesem Jahr zum Glück erspart. Trotzdem gab es auch in den letzten Wochen durchaus einige Dinge, die einen bedenklich stimmen können.

 

Neben einigen erneut aufgetretenen Dopingfällen, zum Glück eher im sportlichen Hintergrund, waren das in diesem Jahr vor allem Dinge, die mit ‚Fairplay‘ seitens der Zuschauer an der Strecke zu tun hatten. Da wird der Gesamtführende doch tatsächlich während des Rennens mit einem Becher voller Urin überschüttet, von Zuschauern am Wegesrand angespuckt und fast permanent mit ‚Buhrufen‘ konfrontiert. Bei aller vielleicht auch grundsätzlich gebotenen Skepsis gegen über dem Radsport im Grundsätzlichen und Froome im Speziellen sind das natürlich Dinge, die so überhaupt nicht gehen.

 
Man mag die Leistungen von Froome, seine maschinenähnliche Fahrweise, auch ohne den ganz großen Glanz, durchaus kritisch sehen, sie vielleicht sogar auch anzweifeln. Doch solange gegen den Mann nichts Konkretes vorliegt gehört sich so etwas schlicht nicht. Das ist ganz übler Stil!
Erstaunlich wie stoisch Froome das Geschehen in den letzten Tagen durchgängig ertragen hat, wie gut er seine strapazierten Nerven in dieser Beziehung im Griff zu haben scheint.
Aus deutscher Sicht war die Tour sportlich ein voller Erfolg. Tolle Geschichten vor allem rund um Tony Martin, Andre Greipel, Simon Geschke, aber auch John Degenkolb. Mal triumphal, mal tragisch. Ganz großes Kino, was die Fahrer aus diesem Lande da produziert haben.

 
Vor allem die erste Woche des Tony Martin hat dabei die Sportfans hierzulande in Massen fasziniert. Nach einigen vergeblichen Anläufen fährt der Zeitfahrspezialist endlich zwei Tage im Gelben Trikot. Wahnsinnig emotional. Und dann bricht sich der ‚Held‘, in Führung liegend, bei einem Sturz auf der 6. Etappe das Schlüsselbein, scheidet aus. Das ist ja fast schon Stoff für einen Film.

 
Und noch ein Schnellstarter bei der diesjährigen Frankreichrundfahrt: Andre Greipel. Die erste Woche der diesjährigen Tour läuft wahrlich perfekt für den Supersprinter. Neben seinen zwei frühen Etappensiegen direkt in den ersten Tagen schnappt sich der Rostocker vom Lotto-Team zum Tourstart auch rasch das Grüne Trikot. Tagelang führt Greipel die Sprintwertung an, muss sich dann im weiteren Verlauf letztendlich in dieser Wertung aber Peter Sagan beugen, der einfach noch deutlich besser über die Berge kommt.

 
Unvergessen auch der Etappen-Triumph von Simon Geschke vor ein paar Tagen. Der bärtige Profi aus dem sportlichen Schatten des John Degenkolb, eigentlich nur dessen Helfer, macht wahr, was seinem ‚Chef’ über Tage irgendwie nicht gelingt mag. Er holt sich den erträumten Etappensieg. Erst der dritten Profisieg in seinen inzwischen auch schon sechs Jahren als Profi, was Geschke zu Tränen rührt als er die Zieldurchfahrt mit letzter Kraft hinter sich gebracht hat. Das ging ans Herz.

 
Eher tragischer Held aus deutscher Sicht hingegen ist in diesem Jahr eindeutig eben John Degenkolb. Zumindest noch bis heute. Es ist offenbar bisher so gar nicht die Tour des erfolgreichen Klassiker-Spezialisten. Bisher wurde es nichts mit dem erhofften Etappensieg für den Sieger der Klassiker Paris–Roubaix, Mailand–Sanremo, Gent–Wevelgem und Paris–Tours. Stattdessen scheint der Mann bei der Tour de France irgendwie undankbare vierte Plätze zu sammeln. Besonders bitter auch seine Niederlage gegen Andre Greipel bei Etappe 14, als Degekolb mit einer halben Radlänge Rückstand diesmal ‚nur‘ Zweiter wurde. Ganz bitter und irgendwie ‚wie verhext‘ für den so sympathisch daherkommenden Profi!

 
Kurz vor dem Ende der drei Wochen Spitzenradsport bleibt jedenfalls schon einmal ganz deutlich festzuhalten, dass der deutsche Profi-Radsport aktuell insgesamt vom rein sportlichen her aktuell wieder sehr gut aufgestellt ist. Das verdeutlicht nicht nur die große Zahl an Etappensiegen bei der diesjährigen Tour.
Es scheint so, als wäre eine Sportart, welche zuletzt, wohl auch völlig berechtigt, über Jahre hinweg eher eine Art klägliches Schattendasein hierzulande führen musste, nun wieder eindeutig auf dem Wege der Besserung.

 
Was die beteiligten Herren nun aus dieser neuen Chance für ihren Sport aber machen, das bleibt vorerst mal noch abzuwarten. Eine von einer breiten Öffentlichkeit auch wieder deutlich anerkanntere Zukunft, auch hierzulande, ist jedenfalls aktuell schon wieder klar zu erkennen.
Die Tour 2015 hat diesbezüglich, bei allen Dingen die es natürlich noch immer zu kritisieren und zu verbessern gibt, schon wieder viele gute Ansätze gezeigt. Es kann also vermutlich bald schon wieder wesentlich weiter aufwärts gehen mit dem Profiradsport in diesem Lande…

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Thorsten Stumm
9 Jahre zuvor

Netter Artikel, habe auch in den schlimmen Jahr Tour geguckt weil ich selber sportlich radfahre….Du hast vergessen zu erwähnen, das die diesjährige Tour einer der schwersten war….die Streckenlänge war zwar nicht die längste aber die Kombination der Berge hatten es echt in sich….und die Durchschnittsgeschwindigkeit trotz der Berge und hoffentlich dopingfrei wieder über 40 kmh liegt….Radfahren auf dem Level geht an die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit… da wird die Dopingdiskussion nie aufhören… auch wenn Froome das nicht verdient hat….

Helmut Junge
9 Jahre zuvor

Weil die Tour die vielleicht körperlich anstrengenste Sportart ist, mag Doping manchmal einem Fahrer helfen durchzuhalten. Aber leider bleibt denjenigen Zuschauern, die immer Doping vermuten, wenn ein Fahrer schneller ist als Andere, vieles an dieser Sportart unverständlich. Denn es gibt so viele taktische und strategische Überlegungen, die der ganzen Sache die Würze geben, die meines Erachtens eine viel wichtigere Rolle spielen, als Körperkraft. Vielleicht ist es sogar die einzige Sportart, bei der konkurrierende Fahrer gelegentlich miteinander kooperieren müssen, um bestimmte Ziele auf einer Strecke zu erreichen. Das macht die Tour dem normalen Leben, vor allem dem Berufsleben sehr ähnlich. Dazu kommt noch das fahrerische Können. Die Tour ist sehr hart, und ich wundere mich immer, daß so viele Fahrer die 21 Tage durchhalten. Mit oder ohne Doping.

Thorsten Stumm
9 Jahre zuvor

@Helmut Junge
Das habe ich auch jahrelang gedacht….bis ich dank der Kommentatoren auf Eurosport das verstanden habe….allerdings gibt es einen gravierenden Nachteil…dazu muss man Stunden vorm Fernseher verbringen während nix passiert….ist mehr so eine Meditation über Landschaftsbilder mit bunten Einsprengseln von Sport….aber ich liebe es…

Helmut Junge
9 Jahre zuvor

@Thorsten Stumm, @Robin, ich habe jahrelang nur die schönen Landschaften bewundert, während meine Frau den sportlichen Aspekt verfolgte. Ich hatte als Couchpotatoe auch keine Ahnung, wie beim schnellen Fahren die Luftreibung bremst. Bei 8-10 km pro Stunde spielt das tatsächlich keine Rolle. Aber wenn man schnell fährt, wird einem klar, daß so ein Fahren im Windschatten enorm viele Kräfte spart. Und genau das ist es nämlich. Deshalb müssen Ausreißer kooperieren, denn sonst sie sie schnell platt.
Und je mehr Fahrer kooperieren, desto schneller geht die Post ab. Auch das Feld kooperiert meist.
Aber es gibt verschiedene Pläne. Letztlich will jede Mannschaft, jeder Fahrer Erfolge haben. Aber wie kann man das erreichen? Da gibt es viele Pokerspieler. Und wenn man das verstanden hat, wird es richtig spannend. Doping wird dabei fast zur Nebensache. Ich hatte mich zwar beim ZDF beschwert, als die damals die Berichterstattung einstellten, aber die Eurosportredakteure sind deutlich besser. Und deshalbbin ich zu Eurosport gewechselt. Und das war ein Glücksfall. Ich bin dem ZDF mittlerweile sogar dankbar, daß die mich auf diesen Sender gelenkt hatten. Unfreiwillig natürlich.

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