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Biotech: Auch das grüne Wirtschaftsministerium in NRW setzt auf Genome Editing

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, Die Grünen (Foto: Roland W. Waniek)


NRW gehört zu den wichtigsten Biotech-Standorten in Deutschland. Selbst das grüne Wirtschaftsministerium setzt im Kampf gegen den Klimawandel auf die HighTech-Unternehmen. Doch fehlendes Kapital und strenge Regeln bremsen das Wachstum.

Stolz überreicht Bochum Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) den symbolischen Schlüssel für die neuen Büroräume an Klaus Gerwert. Gerwerts Unternehmen Betasense hat seinen Hauptsitz nach von Münster nach Bochum verlegt. In direkter Nachbarschaft der Ruhr Universität will das Unternehmen nun Diagnosegeräte zur Marktreife bringen, die es ermöglichen, Alzheimer schon 16 Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit festzustellen. „Unsere Vision ist es,“ sagt Gerwert, „dass die Betroffenen so früh behandelt werden können, dass die Krankheit nie ausbricht.“ Betasense, heute noch ein kleines Unternehmen mit 16 festen Mitarbeitern, hat den Weltmarkt im Blick. Klappt alles, steht es vor einem großen Wachstum. Die Biotech-Branche, zu der Betasense gehört boomt und das auch in Nordrhein-Westfalen.

Die Zahlen sind beeindruckend: 130 Unternehmen sind nach Angaben des Wirtschaftsministeriums in Nordrhein-Westfalen im Bereich Biotech aktiv. Mehr als doppelt so viele wie 2008. Mit 5400 Beschäftigten arbeitet jeder Fünfte in der Biotech-Branche in NRW. Sie nutzen Enzyme, Zellen oder Gene um neue Medikamente, Impfstoffe oder Industrieprodukte zu entwickeln. Für die Landesregierung ist Biotechnologie neben der Digitalisierung eine Schlüsseltechnologie und „leistet einen ganz entscheidenden Beitrag auf dem Weg zur Transformation Nordrhein-Westfalens zum klimaneutralen Industrieland“, teilt das Wirtschaftsministerium auf Anfrage mit.

„Nordrhein-Westfalen“, sagt Dennis Herzberg, der Geschäftsstellenleiter des Vereins Cluster Industrielle Biotechnologie (CLIB) in Düsseldorf, in dem sich zahlreiche dieser Unternehmen zusammengeschlossen haben „hat mehrere Standortvorteile.“ Es gäbe zahlreiche Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen, die sich mit Biotechnologie beschäftigen würden.  Im medizinischen Sektor sei Biotechnologie heute Alltag. Auch im Bereich der chemischen Industrie, wo es in der Produktion geschlossene Kreisläufe gäbe, sei die Technologie etabliert. Ob Evonik, Lanxess, Bayer und Covestro – die Großen der Branche würden ihre Biotech-Bereiche ausbauen.

Eine große Herausforderung sei der rechtliche Rahmen: „Was als genetisch veränderter Organismus gilt, wird in Europa noch sehr eng gesehen. Das könnte sich allerdings im kommenden Jahr ändern. Die Kommission der Europäischen Union will die Regeln modernisieren.“ Ein weiteres Problem sei, dass vor allem die Bevölkerung in Deutschland bei allem, was Biotechnologie und genetisch veränderte Organismen auch im europäischen Vergleich betrifft, sehr kritisch sei: „Die Begeisterung für neue Technologien ist in Deutschland schon etwas begrenzt.“

Daran hätte auch die Pandemie nichts geändert: „Die meisten waren bereit, sich mit mRNA-impfstoffen gegen Covid impfen zu lassen, obwohl deren Herstellung ja auch auf biotechnologischen Verfahren beruht. Leider hat sich diese Offenheit nicht auf andere Bereiche der Biotechnologie übertragen“

Gentechnisch veränderte Lebensmittel, weltweit längst Alltag, sind in Europa ein Tabu und das hat Folgen: „Unsere gesamte Pflanzen-Forschung mit Biotechnologie findet in den USA statt. Das liegt zum einen am regulativen Umfeld in Deutschland und Europa, das bislang biotechnologischen Methoden in der Landwirtschaft nicht offen genug gegenübersteht,“ sagt Alexander Hennig, der Sprecher von Bayer Crop Science. Im Jahr 2050 müssen zehn Milliarden Menschen ernährt, gleichzeitig der Klimawandel bekämpft und die Biodiversität geschützt werden. „Das bedeutet für die Landwirtschaft, dass sie produktiver und nachhaltiger werden muss. Wir müssen mehr Nahrungsmittel mit weniger Ressourcen produzieren, das heißt weniger Fläche, weniger Wasser, weniger Pflanzenschutzmittel, weniger Treibhausgas-Emissionen.“ An diesem Punkt käme die Biotechnologie ins Spiel, „Hier helfen die Biotechnologie, die Gentechnik und auch neue Technologien der Gen-Editierung wie die Genschere Crispr-Cas, da sie uns einen viel präziseren und schnelleren Eingriff ins Erbgut der Pflanze ermöglicht als die traditionelle Züchtung.“

Auch im Bereich der Medizin verhindern die strengen Regelungen in Europa schnelle Durchbrüche, sagt Stefan Miltenyi, der Gründer des gleichnamigen Unternehmens das 1989 in Bergisch-Gladbach gegründet wurde und längst weltweit aktiv ist: „Wir führen aktuell klinische Studien zur Behandlung von Patienten mit B-Zell-Lymphom durch. Der

Zelltherapieansatz kann für viele Patienten die Heilung bedeuten.“ Es wird jedoch noch viele Jahre dauern, bis diese Behandlung zugelassen und für Patienten breit verfügbar sei. „In der Zwischenzeit werden Menschen an dieser Krankheit versterben.“ Eine ähnliche Situation hätte das Unternehmen bei der Behandlung von systemischem Lupus Erythematodes (SLE), einer schweren Autoimmunkrankheit, bei der

Kooperationspartner aus Erlangen neue Therapiemöglichkeiten aufgezeigt haben. „Leider dürfen wir heute, bedingt durch das nun 30 Jahre alten Gentechnikgesetz keine gentechnisch veränderten Patientenzellen bei ärztlichen Anfragen abgeben, obwohl dies für viele todkranke Patienten eine Heilung bedeuten würde.“

Das Wirtschaftsministerium sieht es zumindest teilweise so wie der Bayer-Mann Alexander Hennig und der Unternehmer Stefan Miltenyi. Zwar sei die schwarz-grüne Landesregierung gegen klassische Gentechnologie, aber ganz will man sich den neuen Technologien nicht verschließen. Dafür, dass mit Mona Neubaur die Wirtschaftsministerin in NRW ein grünes Parteibuch hat, klingt die Antwort auf die Anfrage dieser Zeitung nahezu revolutionär: „Ohne biotechnologische Verfahren werden wir die großen Herausforderungen der Klimakrise, der Ernährung der Weltbevölkerung und den nachhaltigen Umbau von Industrie und Landwirtschaft nicht bewältigen können. Die innovative Technologie CRISPR/Cas und andere Methoden des Genome Editing können die Entwicklung neuer Prozesse und Produkte an vielen Stellen beschleunigen oder überhaupt erst ermöglichen.“ Der Europäische Gerichtshof habe 2018 in einem Urteil im Jahr mit CRISPR/Cas erzeugte Pflanzen als gentechnisch veränderte Organismen eingestuft. Gleichzeitig können durch genomische Techniken erzeugte Mutationen so präzise eingebracht werden, dass sie nicht von konventionellen und natürlichen Genomveränderungen zu unterscheiden sind. Derzeit bereitet die EU-Kommission eine Gesetzesnovelle vor. Ziel dieser sei es, anstelle der eingesetzten Technologie die Sicherheit der Endprodukte zu bewerten. Wenn es gut läuft und die EU mitspielt, könnten die Unternehmen in NRW zumindest bald die Genschere CRISPR/Cas einsetzen.

Aber nicht nur die rechtlichen Hindernisse sind ein Problem für die Branche. Es fehlt auch an Investoren: „Weil in Deutschland der Zugang zum Kapitalmarkt und die Beteiligung von Mitarbeitern am Unternehmenserfolg schwieriger waren, ist Qiagen 1996 an die US-Technologiebörse NASDAQ gegangen“, sagt Thomas Theuringer, der Sprecher des Unternehmens, das im Sommer 2022 in den DAX aufgenommen wurde. Qiagen ist der Star unter den Biotech-Unternehmen Nordrhein-Westfalens: Technologien von Qiagen ermöglichen es in der Forschung zum Beispiel, DNS, RNS und Proteine zu isolieren. Im Diagnostikbereich gelingt es mithilfe von Produkten von Qiagen, Proben von Patienten zu analysieren, Krankheiten zu bestimmen und die richtigen Therapien zu finden. Qiagen gehört in diesen Bereichen zu den Weltmarktführern und war mit selbstentwickelten PCR-Tests an der Bekämpfung der Corona-Pandemie beteiligt. „NRW ist ein international wettbewerbsfähiger Standort für die Biotechnologie. Aber ist er so groß wie Boston, Kalifornien oder das goldene Dreieck London, Oxford, Cambridge? Nein.“ sagt Thomas Theuringer. Und das läge unter anderem daran, dass es für junge Unternehmen schwieriger wäre, an Kapital zu kommen.

Der Bochumer Gründer Klaus Gerwert und sein Unternehmen hatten das Problem nicht. Nach einem Vortrag in den USA boten ihm Kapitalgeber Geld an, so sehr überzeugte sie seine Idee, ein Gerät zur frühzeitigen Erkennung von Alzheimer auf den Markt zu bringen. Der Betasense Gründer konnte die Angebote allerdings ablehnen: Er hatte da schon einen kapitalstarken Investoren aus Deutschland an Bord.

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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