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Bochum: Einsam zieht der Planet Schulz seine Bahnen

Oliver Basu Mallick, Martin Schulz, Axel Schäfer


Martin Schulz war heute in Bochum um für die Europawahl zu werben. Das interessierte so gut wie niemanden.

Waffeln 

“Auf eine Waffel mit Martin Schulz” heißt die Veranstaltung? Auf eine Waffel? Waffeln, das muss man wissen, sind in Bochum traditionell CDU-Naschwerk. An CDU-Wahlkampfständen gab es Waffeln von einem gewissen “Gerd”. Die SPD war die Wurst-Partei. Bei ihr gab es Bratwurst, keinen bourgeoisen Süßkram. Als Schulz kam, stand zwar schon der zentrale Parteiwaffelwagen aus Frankfurt, aber Waffeln gab es noch nicht. Selbst dieses Versprechen hat die SPD gebrochen. In Markus Feldenkirchens “Die Schulz-Story“, dem Poträt des 2017-Bundestagswahlkampfes, aß Schulz Currywurst. Immer. In jedem Hotel. In jeder Ratsstätte. Schulz war die Currywurst unter den Kandidaten. Etwas fettig, nicht wirklich scharf, aber von einer sympathischen Beliebigkeit. Natürlich traute ihm jeder zu, das Land ordentlich zu verwalten, aber den Verwalterjob hatte schon Merkel. Warum ohne Not wechseln? 

Schulz 

Martin Schulz führt seinen eigenen Europawahlkampf. Er ist kein Kandidat. Der Kandidat für Bochum heißt Oliver Basu Mallick. Auf der SPD-Wahlliste steht er auf Platz 94. Die SPD müsste über 90 Prozent holen, damit Mallick ins Europaparlament einziehen könnte. Seine Chancen sind also so hoch wie die von Schulz. Der Bochumer Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer steht auch noch vor dem kleinen SPD-Wohnwagen. Lautsprecher,  Mikrofon. Gut 50 Zuschauer sind zu Schulz auf dem Dr.-Ruer-Platz gekommen. Mindestens die Hälfte hat in der SPD irgendeine Funktion. 

Schulz war immer ein guter Redner. Heute ist er es nicht. Lustlos leiert er etwas über die Gefahr, die für das Klima von China und den USA ausgeht, herunter und dass nur ein starkes Europa dagegen halten. Auf der Welt gäbe es einen Kampf. “Und wer genau hinguckt”, sagt Schulz, “kann auch in Bochum diesen Kampf erkennen.” 

Kein Liebling der Massen: Martin Schulz

Wer an diesem Mittag auf dem Dr.-Ruer-Platz genau hinschaut, sieht zufriedene Menschen vor Cafés sitzen, wie sie die Sonne genießen. Ein paar Meter weiter demonstrieren 250 Jugendliche bei Fridays for Future, die Antifa bereitet sich auf einen Kurzauftritt der Neonazis vor. Schulz hat mit alledem nichts zu tun. Er ist auf dem Planet Schulz und der zieht einsam seine Bahnen.  

Schulz II 

Das erste Mal sah ich Schulz irgendwann 2012 oder 2013 live. Es war auf einer Ruhrgebietskonferenz der Regionalverbandes Ruhr, was wichtiger klingt als es war: Kein Oberbürgermeister war gekommen, ein paar Kleinstadtpolitiker waren da und das ganz fand in Lünen statt.  Weil Stargast-Schulz Terminprobleme hatte, wurde die ganze Konferenz einmal verschoben. Als sie dann stattfand lieferte Schulz, der damals noch Präsident des Europaparlaments war, eine solide, ja, gute, aber auch überraschungsfreie Show ab. Schulz sagte, dass die einzelnen Länder in Europa ganz unwichtig wären, wenn sie sich nicht zusammenschließen würden denn China, ja China sei richtig groß. Das leuchtete ein und dass es noch nie so lange Frieden in Europa gab, stimmte ja auch. Dann kam noch irgendwas zur Zusammenarbeit im Ruhrgebiet, die auch gut sein. Danach ging ich und fuhr nach Bochum, weil es Freitagabend war und ich Bier trinken wollte.  

Schulz III 

2017 war Schulz dann während des Bundestagswahlkampfs in Bochum. Seine Parteifreunde hatten einen abgesperrten Bereich errichtet, in den nur die lokale Genossenprominenz hineinkam. Franz Müntefering, der seine Frau Michelle begleitete, saß etwas Abseits außerhalb des Kreises alleine an einem Tisch, lächelte in sein Bier und schien sehr froh zu sein, mit der ganzen Nummer nichts mehr zu tun zu haben. Als Schulz im August 2017 in Bochum war, war er eigentlich schon kein ernstzunehmender Kanzlerkandidat. Er war das arme Schwein, dass sich für seine Partei quälte und längst keine Chance mehr hatte, zu gewinnen. Die einzig spannende Frage war, ob die SPD über oder unter 20 Prozent erzielen würde. Schulz hielt sie mit 20,5 Prozent knapp über dem, was damals die Todeszone war. Am Sonntag wäre die SPD auch mit einem Ergebnis knapp unter 20 Prozent glücklich. 

Es war wunderbares Wetter, Schulz hielt eine engagierte Rede Bildung? Wichtig. Jobs? Wichtig! Soziale Sicherheit? Ganz wichtig. Irgendwie schien er vergessen zu haben, das fast alles, was er kritisierte von seiner Partei mitgetragen worden war, die damals schon, mit einer kurzen Unterbrechung, fast 20 Jahre regierte. Er gab sich Mühe, er kämpfte, aber man wünschte diesem armen, schwitzenden Mann der längst sein Jackett ausgezogen hatte, dass jemand kommt und ihn erlöst, dass da jemand ist der sagt “Lass gut sein Martin, es ist vorbei.” 

 

Karl V. 

“Und dann will er endlich seine Biografie über Karl V. schreiben. Das hatte er im Wahlkampf auf der Bühne der »Brigitte« bereits angekündigt – wenn auch erst für die Zeit nach seiner Kanzlerschaft. Ein Buch über jenen Kaiser, der über ein riesiges Reich herrschte und dann freiwillig seine Macht abgab – noch freiwilliger als Schulz nun seine Macht abgegeben hat. Die Frage, warum dieser Karl das gemacht hat, fasziniere ihn noch immer.” 

 So endet Markus Feldenkirchens Schulz-Story. Mir gefiel, das Schulz Anfang 2018 mit der Politik aufhören wollte. Er hatte fast, nicht alles, erreicht, was ein Politiker erreichen konnte. Am Ende war er gescheitert, aber das ist nichts Besonderes: Am Ende scheitern sie fast alle. Der ehemalige Buchhändler, belesen, gebildet und vielsprachig, schreibt ein Buch – ein Kreis schließt sich. Mir gefiel die Idee und sie machte mir Schulz sympathisch. Es klang souverän. Aber es kam anders. Schade. 

 

 

 

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k0371
k0371
4 Jahre zuvor

"Ein paar Meter weiter demonstrieren 250 Jugendliche bei Fridays for Future…" Man konnte bestimmt 2.500 (nicht nur Jugendliche) zählen! Martin interessiert hier wirklichen keinen…

Ke
Ke
4 Jahre zuvor

So ist das, wen man die Bodenhaftung verliert.
"Völlig losgelöst von der Erde"

Gab es denn ein Anwesenheitseintrag?

Robert Müser
Robert Müser
4 Jahre zuvor

Andreas Resterampe sucht händeringend nach Aufmerksamkeit …

… da kann man mit den Protagonisten nur noch Mitleid haben. Erschreckend wie die einstige Herzkammer der Sozialdemokratie vor sich hinsiecht. Vor 15-25 Jahren wäre das Interesse der Bürger vermutlich groß gewesen

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