Ägypten ist nicht Tunesien. Und egal, was sich viele der Demonstranten wünschen: Nach Mubarak kommt keine offene Gesellschaft sondern die Herrschaft der Muslimbrüder.
Im Oktober war ich mit der Deutschen Welle in Ägypten auf einer deutsch-arabischen Bloggerkonferenz. Zu denen die uns betreuten gehörte ein deutscher Journalist, der perfekt arabisch sprach und seit vielen Jahre in Ägypten lebte. Er sagte, dass das Regime von Mubarak nichts anderes als eine üble Diktatur wäre. Immer wieder würden politische Gegner im Knast verschwinden oder nach üblen Prozessen hingerichtet. Ich fragte ihn, wer seiner Einschätzung nach Ägypten regieren würde, wenn es freie Wahlen gäbe. Seine Antwort: Die Muslimbrüder.
Ägypten ist nicht Tunesien. Ägypten ist die Heimat des modernen islamischen Fundamentalismus. Und für den stehen die Muslimbrüder und ihr Vordenker Sayyid Qutb. Kommen die Muslimbrüder an die Macht, wird nicht nur Israel in seiner Existenz bedroht sein. Auch vielen der jungen, uns sympathischen Demonstranten wird es an den Kragen gehen. Dem Westen wird ein neuer Feind erwachsen. Die Muslimbrüder werden ihr Chance nutzen und in Ägypten ein repressives, islamistisches Regime aufbauen.
Der Sturz Mubaraks wird ein Fanal sein. Andere arabische Regime werden vielleicht folgen. Am Ende der nächsten Monate werden wir aber nur wenige neue, offene Gesellschaften in der Region erleben, sondern neue autoritäre Regime. Und es werden sehr religiöse autoritäre Regime sein.
Für offene, demokratische Gesellschaften braucht es mehr als Wahlen. Grundlage der Demokratie sind die Aufklärung, Säkularisierung, die breite Akzeptanz der Menschenrechte. Viele träumen im Moment die Traum von selbstbewussten, offenen arabischen Gesellschaften. Es ist ein schöner Traum. Leider glaube ich nicht, dass er wahr wird.
Wir haben verpasst, im Nahen Osten Demokratien aufzubauen. Den vom Westen protegierten Verbrechern werden einfach nur andere Verbrecher folgen.
Letzte Woche wurde an dieser Stelle einmal mehr einiges an Antipathie gegenüber diesem ganzen Medienwust und Informationsterror zum Ausdruck gegeben. Etwas paradox, oder? Jedenfalls hat der Autor dieser Zeilen dann mal nicht weiter Žižek, Diederichsen, Theweleit oder sonst eines LSD-Beatniks Buch gelesen, sondern mal ganz einfach „Exploding“, die Geschichte der Warner Music Group, erzählt von Stan Cornyn. Ab Sinatra und bis zu The Doors zumindest war das dann übrigens auch ganz interessant. Das waren noch Booms damals in den 50ern und 60ern! Da gab es noch dolle Produkte zu konsumieren und nicht nur einfach Strom schluckende New Economy!
Und irgendwie hatte sich meiner das Thema „New Labour“ bemächtigt. Begonnen hatte das wohl schon nach einem Treffen mit u.a. Dieter Gorny und als ich hinterher zu Kollege Hillenbach sagte: „Der klang, als hätte er damals bei Blair und Schröder permanent mit am Tisch gesessen.“ Aus der beliebten Reihe „Ideologien fix und verständlich erklärt“ also in dieser Woche: „Wer und was ist eigentlich die Neue Mitte nochmal?“
Begriffstrennung: New Labour, altes Proletariat, Prekariat, Mittelstand. Dann: Wer dienstleistet und sich dabei eher am Mittelstand orientiert, ist Neue Mitte. Wer beständig für ein und dieselben schuftet und sich auch ansonsten am alten Proletariat orientiert, darf sich wenigstens noch dem Prekariat überlegen fühlen. (Wer nicht nach oben will oder sich gern „unten“ fühlt, darf NPD oder Linke wählen.) Das Gros „dienstleistet“ (teils schuftend) – und bekommt z.B. als Freiberufler natürlich meist weniger Geld als die Festangestellten, darf sich aber unabhängiger fühlen und sich sogar selbstständig nennen. Man hat ja eine „Existenz gegründet“. Permanent Angestellte identifizieren sich halt mit „ihrer“ kleinen Firma und freuen sich, in einer Nussschale zu schippern und nicht auf einem Konzerndampfer – wobei sie diesen natürlich zuarbeiten, aber das fühlt sich halt nicht wirklich so an. Gute Miene, böses Spiel. Die Neue Mitte ist also die neue Dienstleistungsarbeiterklasse. Und speziell im Ruhrgebiet haben besonders die trotz Arbeiterklassenherkunft Studierten dann immer so ein erleuchtetes Funkeln in den Augen, ganz besonders wenn sie „noch wo untergekommen“ sind. War ja auch wirklich wild, die Jugend. Und jetzt, also heute: New labour, ja wow! „Verschwende Deine Jugend!“ bzw. „Wasted german youth“ war schon immer ein SPD-Slogan! Da freuen wir uns doch diese Woche mal ganz besonders drüber!
Wissen Sie was? Ich mache diesmal keine Vorhersagen zu dieser Woche. Die von letzter Woche sind mir nämlich allzu sehr eingetroffen.
Foto: Jens Kobler (feat. „Different Class“ von Pulp. Auch gut von denen: „Cocaine Socialism“ und „Party Hard!“)
Am vergangenen Mittwoch stellte ExxonMobil in Münster seine Pläne zur Erdgasförderung in NRW vor. Das Unternehmen hofft auf Milliardenumsätze. Die zahlreichen Kritiker konnte das Unternehmen nicht überzeugen.
Jeder der fünf Regierungsbezirke in NRW hat einen Regionalrat und gemeinhin wirken diese politischen Gremien im Verborgenen. Weder Medien noch Bürger interessieren sich für die Arbeit der dort engagierten Politiker. Das war am vergangenen Mittwoch in Münster auf einer Sondersitzung des Regionalrates anders. Dort stelle das Energieunternehmen ExxonMobil seine Pläne zur Erdgasförderung vor. Im Sitzungssaal herrschte drangvolle Enge. Gekommen waren vor allem Gegner der Erdgasförderung im Münsterland.
In NRW lagern bis zu 2200 Kubikkilometer Erdgas. Neue Fördermethoden und gestiegene Gaspreise haben das Interesse der Industrie geweckt, sich die schwierig zu fördernden Gasvorkommen näher anzuschauen. Bekannt sind sie seit Jahrzehnten.
Kurz nach bekannt werden der Pläne mehrerer Energieunternehmen, mit Probebohrungen die in den Kohleschichten gebundenen Erdgasvorkommen zu erkunden, hatten sich bereits zahlreiche Bürgerinitiativen gebildet. Ihre große Sorge sind mögliche Umweltschäden bei den Probebohrungen und der späteren Ergasförderung. Denn im Gegensatz zu herkömmlichen Gasvorkommen werden die Lagerstädten im Münsterland durch den Einsatz von Chemikalien erst förderfähig gemacht werden. Sowohl in Niedersachsen als auch in den USA kam es dabei zu teilweise schweren Belastungen des Grundwassers.
Gernot Kalkoffen, Vorstandsvorsitzender von ExxonMobil, gab sich gemeinsam mit seinen Mitarbeitern alle Mühe, die Sorgen zu zerstreuen. Eine Probebohrung in Nordwalde hat das Unternehmen beantragt. Detailliert wurde die Anlage erläutert und versprochen, die Kritiker in jeder Phase einzubeziehen.
Die stört schon, dass die Erdgasförderung in Deutschland dem Bergrecht unterliegt. Das aus dem 19. Jahrhundert stammende Bergrecht kennt beispielsweise keine Umweltverträglichkeitsprüfung und auch Bürgerbeteiligung galt nicht viel im alten Preußen.
Ein Grund, warum Gerd Bollermann, der für Bergbau in ganz NRW zuständige Regierungspräsident aus Arnsberg, auch eine Initiative auf den Weg gebracht hat, das Bergrecht zu überarbeiten. Seine Behörde versprach zudem die Pläne ExxonMobils von einem Experten wissenschaftlich begleiten zu lassen, der auch von den Kritikern akzeptiert wird. Auch die Landesregierung kam den Gas-Gegnern entgegen und verlangt nun eine Wasserrechtliche Prüfung auch bei den Probebohrungen. Bislang war das nicht nötig.
Die Gegner konnte das nicht überzeugen. Adolf Denner aus Hiltrup, Mitglied einer Anti-Erdgasinitiative aus Steinfurt: „Viele Detailfragen, wie die genauen Chemikalien, die zum Einsatz kommen werden, blieben offen. Ich habe meine Meinung nicht geändert.“
Vor ExxonMobil liegt noch viel Überzeugungsarbeit.
Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version in der Welt am Sonntag
Letzte Woche ist mir aufgefallen, dass ich in dieser Kolumne schon wieder diesen marktschreierischen Ton angeschlagen habe. Vielleicht dachte ich, das macht man hier so. Vielleicht wollte ich auch nur darauf aufmerksam machen, dass ich „wieder da bin“. Jedenfalls ging und geht mir permanent das Thema nicht aus dem Kopf, wie speziell im Ruhrgebiet eng miteinander verknüpft ist, dass Menschen vor allem fremder Herkunft hier Fronarbeit geleistet haben und dass ein gewisses Maß an Verwirrung und Entfremdung dem über viele Jahrzehnte zugespielt hat. Und dann fragte ich mich: Was ist heutzutage anders? Die Antwort ist: wenig.
Ich habe dann einmal in einem Klassiker der Cultural Studies nachgelesen, namentlich bei Stuart Hall. Sein Aufsatz „Kulturelle Identität und Globalisierung“ enthält die schöne Fragestellung: „Werden nationale Identitäten homogenisiert? Kulturelle Homogenisierung lautet der angstvolle Schrei derjenigen, die davon überzeugt sind, dass die Globalisierung unsere nationalen Identitäten und die ‚Einheit‘ der Nationalkultur zu unterminieren droht. Dieses Bild ist jedoch als eine Sichtweise der Identitäten in einer spätmodernen Welt so zu einfach, vergröbert und einseitig.“ Genau. Wobei „nationale Identitäten“ ja wohl nur für Leute interessant sind, die bestimmte Probleme haben. Ich hab dann direkt das Buch weggelegt und mir „Auf verlorenem Posten“ von Slavoj Žižek zugelegt.
Ein alter Studienfreund von mir hat mal bei Žižek gearbeitet. Ich muss den mal fragen, ob dieser Mann vielleicht Marxist, aber kein Kommunist ist. Vielleicht sieht er sich ja als Sozialist oder so etwas. Er schreibt sogar an einer Stelle etwas, das man so auslegen könnte, dass er unter bestimmten Umständen auch einem national orientierten Sozialismus nicht abgeneigt ist – natürlich nur als eine „historische Übergangsphase“. Und er sagt auch (indirekt) etwas über Tunesien und all die anderen Staaten, um die es letzte Woche und diese Woche geht. Nämlich: „Wenn Schwellenländer ‚vorzeitig demokratisiert‘ werden, kommt es zu einem Populismus, der in die wirtschaftliche Katastrophe und zu einem politischen Despotismus führt – kein Wunder, dass die derzeit wirtschaftlich erfolgreichsten Länder der Dritten Welt (Taiwan, Südkorea, Chile) die Demokratie erst nach einer Zeit der autoritären Herrschaft ganz angenommen haben.“ Und dann erklärt er uns noch ein wenig, was China da eigentlich gerade macht. Diese distanzierten marxistischen Analysen helfen ihm anscheinend gut dabei, mit der Jetztzeit klarzukommen. Und ich weiß jetzt auch, was die immer alle mit „Neo-Liberalismus“ meinen.
Neo-Liberalismus ist nämlich, wenn alle sich so frei fühlen, dass sie das den anderen auf jeden Fall auch aufzwängen müssen. Und das kommt natürlich, seit das Private politisch ist und umgekehrt, nicht nur in den besten Familien, sondern auch in anderen kleinen Systemen vor. Und deshalb können sich die ganzen „befreiten“ Individuen, ob jetzt Ruhr-Migranten zur Industrialisierung, die post-faschistische deutsche Nachkriegsjugend ff., die Ex-DDR-Bürger, Sie und ich permanent mit total vielen Idiosynkrasien und Vorlieben beschäftigen, solange das doch bitte nur unter der Prämisse passiert, dass bloß jedem und jeder das Seine und Ihre zu gewähren sei. So sieht nämlich in Europa die spezielle Mischung aus Faschismus-und-Folgen und einer gewissen Marktradikalität bzw. Liberalisierung aus. Und weil da kaum jemand noch andere Maßstäbe hat als diesen diffusen Freiheitsbegriff, der eineN aber nicht rauslässt aus bestimmten Gewohnheiten, deshalb sind alle beständig so verwirrt und müssen total viel kaufen, Fernsehen oder Internet gucken und anderes komisches Zeug in sich (und andere) rein stopfen. Kein Wunder, dass das manchen merkwürdig vorkommt, die noch nicht so lange in der Gegend sind.
Ach ja: Und als ich dann aus einer Ausstellung zu Migration kam, letzte Woche, wollte ich bescheuerterweise zuhause noch einmal einen Blick in vergangene Zeiten werfen und kramte meine Roberto Rossellini Box hervor: „Paisà“, „Deutschland im Jahre Null“, „Stromboli“, „Reise in Italien“. Und mir fiel auf, dass mein Vater gesagt hatte: „Dass Du diese Zeit nur über Filme …“ Und mir fiel ein, dass all das eine Ästhetisierung des Grauens ist. (Kurz vorher ging es in einem Gespräch auch darum, wie Musealisierung auch eine Ästhetisierung von Schicksalen und Gräueln sein kann.) Und ich war froh, dass ich mich all dem nicht nur über Filme nähern kann, sondern dass ich mich täglich damit auseinander setzen kann, wie wer heutzutage wieder in irgendwelche Kästen gestellt wird, damit andere ihre eigene, verwirrte Art von Freiheit leben können, zum Beispiel durch die „Erschließung“ von Märkten und Arbeitskräften. Diese Woche wird wieder voll sein von diesbezüglichen Nachrichten.
Fotos: Jens Kobler (Oberes feat. „Manscape“ von Wire – am 28.02. wieder in Köln! Unteres nach „A Design for Life“ von den Manic Street Preachers. Auch gut: Deren Cover von „We are all bourgeois now“ von McCarthy)
Dieser Tage einen „Tatort“ nachgeholt, der im Milieu der Unternehmensberater spielte. Sobald da jemand sein Smartphone zückte und in geläufigem („verhandlungssicherem“) Englisch parlierte, war dies ein Zeichen des Bösen und hieß ungefähr: Seht her, so sind und so reden sie, die eiskalten Jobvernichter im Namen der Globalisierung.
Da dachte ich mir, es sei vielleicht an der Zeit für eine Tirade gegen die Allgegenwart der englischen Sprache. Am besten unter einem ruhrbaronisch regional kompatiblen Motto wie „Geh mich wech mit Englisch!“ oder gleich frei nach Frank Goosen: „Englisch is‘ auch Scheiße.“
Ich dachte beispielsweise an den Groll über diverse Handelswaren, die zuweilen nur noch mit englischsprachigen Bedienungsanleitungen daherkommen (welche man zudem nicht fertig gedruckt erhält, sondern erst mal downloaden muss).
Ich dachte missvergnügt an Journalisten-Kollegen, die bei Kinoterminen die Nase rümpfen, wenn die deutsche Fassung und nicht das dialektal vernuschelte US-Original vorgeführt wird. Dabei rezensieren sie fürs heimische Publikum, das die deutsche Version sieht. Doch was schert sie der gemeine Leser?
Ich dachte an dämliche, erbärmliche Anglizismen. Und überhaupt.
Schon wollte ich in irrer Schadensgier ausrufen: Es komme endlich der Tag, an dem auch die anglophone Welt unter der Knute der Wirtschaftszwänge Chinesisch lernen muss – mit allen Tonhöhen und Schriftzeichen! Und zwar bittschön kalligraphisch makellos hingetuscht!
Doch da hielt ich ein, dachte an Shakespeare, Poe & Co., an unsterbliche Zeilen der Rockmusik, andererseits an die ekelhaft nationalistisch getönten Phrasen gewisser deutscher Sprachwahrer…
Euroweb ist nicht erst seit dem Nerdcore-Skandal im Gespräch. Das Unternehmen aus Düsseldorf steht im Ruf, ein „Abzockunternehmen“ zu sein. Kunden erheben in einem Beitrag des mdr schwere Vorwürfe gegen Euroweb. Stimmen die Vorwürfe? Keine Ahnung. Interessant sind sie allemal. Es gibt also viele Gründe, im Umgang mit diesem Unternehmen vorsichtig zu sein.
Es gibt viele Wege zum Kommunismus, „sehr viele unterschiedliche Wege“ sogar, ließ uns die Parteivorsitzende der Linken, Gesine Lötzsch wissen, und zwar in der Tageszeitung „Junge Welt„. Dies ist auch – marxistisch gesprochen – eine soziale Gesetzmäßigkeit, gewissermaßen eine historische Notwendigkeit. Die „Junge Welt“, das ehemalige „Zentralorgan der FDJ“, ist – so ihr Selbstverständnis – marxistisch orientiert, Frau Lötzsch ist gewiss auch irgendwie orientiert, und selbst wenn man rein bewusstseinsmäßig noch nicht das Level der allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit erreicht haben sollte, muss diese Tatsache auch jedem nicht ganz marxistisch Orientierten unmittelbar einleuchten: die vielen Wege zum Kommunismus können gar nicht alle gleich sein. Sie müssen verschieden sein.
Überlegen Sie doch nur einmal: wenn für alle das Ziel gleich ist, nämlich der Kommunismus, alle aber von einem anderen Ort aus starten, dann können die doch gar nicht alle den gleichen Weg nehmen. Es sei denn, man ginge himmelweite Umwege. Obwohl es, wie die Genossin Vorsitzende schon ganz richtig festgestellt hatte, sehr viele unterschiedliche Wege gibt, sollen hier zwei Beispiele genügen, um diese Tatsache zu verdeutlichen. Wenn Sie zum Beispiel von einer sozialistischen Einheitswohnung in einer Ostberliner Plattenbausiedlung aus starten, wie sie Gesine Lötzsch zu belegen beliebt (Beispiel Eins), verläuft der Weg zum Kommunismus freilich ganz anders, als wenn Sie sich in der Islamischen Republik Iran (Beispiel Zwei) auf den Weg machen.
Während Lötzschs Plattenbauwohnung so eine Art sozialistischer Insel inmitten einer imperialistischen Metropole darstellt, haben wir es beim Iran – wie der Name schon sagt – mit einer Islamischen Republik zu tun. Noch kein Kommunismus im engeren Sinne – aber da bekanntlich Islam nichts weiter ist als ein anderes Wort für Frieden, der u.a. auch deswegen der „Jungen Welt“ so sehr am Herzen liegt, weil er gleichsam eine Art Vorstufe zum Sozialismus ist, versteht es sich fast von selbst, dass der Weg zum Kommunismus von Teheran aus beschritten nicht nur anders, sondern auch ein ganzes Stück kürzer ist als von Berlin. Jedenfalls in der realen Welt. Etwas anders mag die ganze Sache aussehen in der virtuellen Welt.
„Am Sonnabend veröffentlichte die New York Times einen sehr ausführlichen Artikel, der sich mit dem »Computerwurm« Stuxnet beschäftigte. Angeblich“, so formuliert es die marxistisch orientierte Tageszeitung „Junge Welt“. „Angeblich hatte dieser im vorigen Jahr einen großen Teil der Zentrifugen beschädigt oder zerstört, die in Natanz das Urangas anreichern.“ Natanz, oder auch: Natans, liegt, wie Sie sich denken können, in der Islamischen Republik Iran. „Das angebliche iranische Atomwaffenprogramm“, so zitiert die „Junge Welt“ die „NYT“ weiter, wobei sich das „angeblich“ freilich aus der marxistisch orientierten Sicht der Dinge ergibt, „sei dadurch stark verzögert worden“.
Bürgerliche Presse eben; merke: Bürgerblätter machen dumm. Hier zum Beispiel lag indessen die Sache offenbar ganz anders. Originalton des ehemaligen FDJ-Zentralorgans: „Indessen war der Schaden, der im Iran entstand, offenbar nur sehr gering. Es fiel lediglich für einige Tage die Arbeit aus. Daran gemessen müssen die hohen Entwicklungskosten für Stuxnet eine ganz schlechte Investition gewesen sein.“ Zum Brüllen komisch, wie hier die Imperialisten und Zionisten wieder haufenweise Geld versenkt haben! Da macht sich der Klassenfeind monatelang all die Arbeit, und dann fällt in Natans nur drei Tage lang die Arbeit aus.
Said Dschalali ist Vize-Außenminister des Iran für Europäische und Amerikanische Angelegenheiten. Der promovierte Politologe ist Chefunterhändler über das Teheraner Atomprogramm „gilt als unnachgiebig und überaus konsequent“, so die „Deutsche Welle“, derzufolge er „Ahmadinedschad sehr nah“ stehe. „Der Spiegel“ berichtet in seiner aktuellen Ausgabe (3 / 2011), Dschalili habe vier Jahre lang das Büro des religiösen Führers Ajatollah Ali Chamenei geleitet und gelte deshalb „als enger Vertrauter des mächtigsten Mannes im Gottesstaat“. Wie auch immer: zweifelsohne hat Dr. Dschalali innerhalb des Mullahregimes wirklich etwas zu sagen, und das macht er denn auch. Auch er legt Wert auf die Feststellung, dass „die Cyberattacke nicht so viel Schaden angerichtet (habe), wie die Medien berichtet hätten“ (Tagesspiegel). Dschalili erklärte in einem am Montag gesendeten Interview mit dem US-TV-Sender NBC, iranische Ermittlungen hätten Hinweise darauf ergeben, dass die USA für Stuxnet verantwortlich seien.
Auch dem „Spiegel“ hat Dschalili hierzu ein Interview gegeben. Es ist vorgestern, am Montag, den 17. Januar erschienen – also am gleichen Tag wie das NBC-Interview, am gleichen Tag wie der zitierte „Ätsch“-Kommentar in der „Jungen Welt“. Es steht (noch) nicht online; deshalb sei die entscheidende Passage hier zitiert: Spiegel: „Der in iranische Anlagen eingeschleuste Computerschädling Stuxnet hat offensichtlich einen wesentlichen Teil der Zentrifugen in der Atomanlage Natans lahmgelegt. Wissen Sie, wer dahintersteckt?“
Dschalili: „Unseren verzweifelten, geschwächten Feinden …“
Spiegel: „… Sie meinen damit Israel und die USA …“
Dschalili: „… ist jedes Mittel recht … Aber unsere Experten haben diesen Angriff längst abgewehrt.“
„Längst abgewehrt“ – das schon. Andererseits: wer der Behauptung, die Attacke habe „einen wesentlichen Teil der Zentrifugen in der Atomanlage Natans lahmgelegt“, nicht widerspricht, bestätigt sie. Und wenn es sich dabei um Herrn Dschalili handelt … „Der Spiegel“ hakt nach. Spiegel: Müssen Sie nicht ständig eine neue noch raffiniertere Stuxnet-Attacke fürchten, der Sie letztlich nichts entgegenzusetzen haben?“ Dschalili: „Richtig ist: Wir müssen vorbereitet sein, immer auf der Hut.“
Trotz der solidarischen Unterstützung durch die „Junge Welt“ scheint es einstweilen nichts zu werden mit der iranischen Nuklearwaffe. Der „angeblichen“. Unter diesen Umständen bleibt den Mullahs nichts Anderes, als sich auf ihre ureigenen Stärken zu besinnen. Spiegel: „Werden Ihre Glaubensbrüder von der Hisbollah-Miliz im Libanon an Ihrer Seite stehen und Israel angreifen?“ Dschalili: „Das ist deren Sache. Wir bedanken uns bei jedem, der uns verteidigt.“
Heute feierte sich Düsseldorf selbst: Die Stadt verkündete den Beginn der Lena-Festspiele. Auch der Protest gegen den ESC-Rummel formiert sich. Bei der Feier im Apollo-Variete zeigten sie Flagge.
„Was haben wir DüsseldorferInnen vom ESC, die kein Hotel, Restaurant oder Taxi besitzen?“ fragt sich die Gruppe „Recht auf Stadt“ aus Düsseldorf.
Und weiter in der veröffentlichten Erklärung:
Der ESC sei eine großartige Gelegenheit für die Stadt sich international zu präsentieren. Das sei gut für die Wirtschaft. So steht es in der Zeitung. Doch was soll hier präsentiert werden und wer hat etwas davon?
Die meisten DüsseldorferInnen sicher nichts. Der mit öffentlichen Geldern finanzierte Schlagerwettbewerb subventioniert die Hoteliers und GastronomiebesitzerInnen, aber nicht die Menschen, die eh schon wenig haben. Und wenn die kurze Eventhysterie sich wieder gelegt hat, leben wir immer noch hier. In einer Stadt, in der die Mieten bereits bundesweit zu den höchsten gehören – Tendenz steigend. Und in Zukunft droht massive Wohnungsnot. Doch statt preiswertem Wohnraum fördert die Politik den Verkauf ihrer Grundstücke und Gebäude an Investoren, die noch mehr Luxus-Wohnungen bauen. Die Gentrifizierung in den Stadtteilen wird forciert und die Vertreibung von finanziell schwachen DüsseldorferInnen zur Inwertsetzung der Stadt ist politisch gewollt. Auch über 700.000 m² Büroleerstand, während weitere zur Abschreibung vorgesehene gläserne Büropaläste genehmigt werden, sprechen eine deutliche Sprache.
Die Stadt putzt sich raus – doch was steckt hinter der Fassade?
Dahinter steht ein System: Unsere Stadt wird als eine Marke betrachtet, die man bewerben muss, als ein Unternehmen, das Gewinn abwerfen muss. Im Kampf um die stärksten InvestorInnen und die finanzkräftigsten BewohnerInnen verlieren diejenigen, die sich all dies nicht leisten können oder wollen. Und alle die sich ihr Recht auf Stadt trotzdem nehmen und dabei das innerstädtische Konsumparadies stören, werden immer stärker und systematisch vertrieben, kontrolliert und schikaniert. Öffentliche Orte an denen man sich, ohne Geld ausgeben zu müssen, aufhalten kann, werden immer weiter dezimiert, reglementiert und privatisiert.
Und immer mehr schaffen es überhaupt nicht mehr bis in die Innenstadt: Sie verlieren durch die immensen Kosten für Miete und öffentliche Verkehrsmittel oder durch den Absturz in Hartz 4 den Anschluß an das kulturelle und soziale Leben der Stadt. Während für ESC, Wehrhahnlinie, Kö-Bogen u.a. Unsummen verbraten werden, steht z.B. die Finanzierung eines Sozialtickets immer noch in den Sternen. Aber zum Glück wird der ESC ja auch im Fernsehen übertragen.
Uns verwundert nicht, dass Düsseldorf sich bei der Bewerbung um den ESC durchgesetzt hat. Geld, Wirtschaftlichkeit oder demokratische Verfahrensweisen spielen für die Stadtpolitik, wenn es um Prestige geht, keine Rolle. Da werden vom OB eigenständig schon mal Millionen zugesagt, Geheimverträge mit dem NDR unterzeichnet, die tatsächlichen Kosten geheimgehalten oder kleingerechnet, ein fiktiver Werbewert erdacht oder für 3 Fortuna-Spiele ein Wegwerf-Stadion für 20.000 ZuschauerInnen gebaut.
Wenn ab heute medial aufgebauscht und von der Stadt forciert angeblich ganz Düsseldorf ins ESC Fieber fällt, dann wissen wir, dass das nicht stimmt. Denn viele DüsseldorferInnen haben andere Probleme als sich für Schlagerwettbewerbe zu interessieren und berechtigte Kritik an dieser Stadtentwicklung der Gentrifizierung, Städtekonkurrenz, Privatisierung und Prekarisierung. Deswegen sagen wir:
ESCape the Hype! Ein soziales Düsseldorf für alle statt Prestigeprojekte und Trendevents!
Bezahlbaren Wohnraum und lebenswerte Viertel statt Büroleerstand und Gentrifizierung!
Düsseldorf: 0 Punkte!
Bewegung in der Schickimicki-Stadt. Die hämischen Kommentare über das Dorf an der Düssel erspar ich mir mal.
Der Schleswig-Holsteinischer FDP-Chef Wolfgang Kubicki greift mit einem Papier den FDP-Vorsitzenden Westerwelle an. Putschgerüchte machen die Runde und werden dementiert. Was für ein Unfug.
Was ist ein Putsch? Bei einem Putsch kommen die Panzer aus den Kasernen, umstellen den Präsidentenpalast, besetzen die wichtigsten Sender und Soldaten töten politische Gegner. Nach ein paar Stunden sieht man dann einen Typen, der eigentlich auch Zuhälter sein könnte, im Fernsehen und der ist dann der neue Präsident.
Das ist ein Putsch. Ein Putsch ist nicht, wenn innerhalb einer Partei gegen den Vorsitzenden vorgegangen wird um ihn – auf einem Parteitag bei einer freien Wahl – abzulösen. Das ist Wettbewerb. Und den kann man verlieren. Das ging Rudolf Scharping so und könnte auch Westerwelle passieren. Das Spiel heißt Marktwirtschaft und wer eine Partei führt, sollte auf dem Markt der Parteien auch mal Erfolg haben. Niemand braucht Nieten an der Spitze. Westerwelle muss sich also nicht vor einem Putsch fürchten, sondern dem Wettbewerb stellen. Das dürfte, gerade aus der Sicht eines Liberalen, eigentlich kein Problem sein.
Letzte Woche ist anscheinend davon ausgegangen worden, dass in diesem Jahr andere Regeln existieren als im letzten. Oder ich hatte da etwas nicht verstanden an dieser unsäglichen „Tatort“-Diskussion. Manchmal verstehe ich diese Sorte Leute einfach nicht, die permanent rummeckern und sich dabei auch noch vor irgendwelche Karren spannen lassen – ohne Not und ohne etwas davon zu haben meist auch. Um etwas weniger kryptisch zu werden: Die größten Kritiker des Ruhrgebietes scheinen mir gleichzeitig die größten Standortstreber zu sein. Und das geht natürlich nicht einher. Kritik darf sich eben nicht gemein machen oder per definitionem gemein sein, dadurch dass mensch z.B. von der Teilhabe an einem regionalen Medium profitiert, in einer Partei-Ortsgruppe ist oder sonst so etwas. „Tatort“? Ach ja. Der Aufhänger.
Falls Sie diese zugegebenermaßen kurze Zusammenfassung eines Symposums der letzten Woche lesen (würden), bekommämen Sie eine (noch) bessere Vorstellung davon, was ich meine. Ungefähr am Ende des ersten Drittels des dritten Teils geht es um Fernsehserien.
Damit wir uns nicht missverstehen: Es ist gut zu sehen, dass trotz Beteiligung von Staat, Land und Konzernen halbwegs unabhängig geforscht werden bzw. Ergebnisse nicht immer so zurechtgelogen werden können, dass es den Auftraggebern passt. Aber mir wird schummerig, wenn ich daran denke, wie direkt oder indirekt (s.o) abhängige Medien, Institutionen und Wichtigtuer dann solche Forschungen interpretieren – nicht dass ich mich da ausnehmen würde.
Soweit zum kuscheligen Standort-Nazi in uns allen. Diese Woche wollen wir uns also nicht für irgendwelche Wettbewerbe zwischen Städten oder Staaten als Jubelruhries oder Jubeldeutsche benutzen lassen. Diese Woche hinterfragen wir mal wieder etwas tiefer, ob und von wem wir uns da benutzen lassen. Diese Woche fragen wir mal andere Leute als die, die uns die Antworten geben, die wir hören wollen. Und wir lassen das ganze Jahr 2011 über – als Gegenmittel gegen unser Verhalten im letzten Jahr – mal dieses inzestuös-regionalistische gegenseitige Schulterklopfen ganz sein. Ja? Nicht? Ich jetzt aber.
Foto: Jens Kobler (feat. „learning to cope with cowardice“ von mark stewart & maffia)
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