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Corona: „Die finanziellen Auswirkungen der Krise werden die Städte noch lange spüren“

Köln Foto: Thomas Wolf Lizenz: CC BY-SA 3.0 de

In den vergangenen Jahren sprudelten die Steuereinnahmen der Städte. Mit der Coronapandemie ist es damit vorbei. Droht den Kommunen in Nordrhein-Westfalen der Ruin?

Düsseldorf ist reich und erfolgreich: Die Bevölkerung wächst, Unternehmen siedeln sich an und in den Einkaufsstraßen finden sich die Ladenlokale internationaler Edelmarken. Die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt boomt. Aber auch das wohlhabende Düsseldorf ist von den finanziellen Auswirkungen der Coronapandemie überlastet. Zusätzliche Leistungen durch Bund und Land seien unerlässlich, teilt die Stadt auf Anfrage der mit und nennt erschreckende Zahlen: In diesem Jahr rechnet Düsseldorf mit einem Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen um 341,5 Millionen Euro. Um die Zahlungsfähigkeit zu sichern, wurden die Liquiditätskredite für das laufende Jahr um 500 Millionen Euro auf eine Milliarde Euro verdoppelt.

Auch in der größten Stadt des Landes blickt man sorgenvoll in die Zukunft: Für dieses Jahr rechnet Köln mit rund 200 Millionen Euro weniger Gewerbesteuer. Aber das ist erst der Anfang. Bis 2024 rechnet Köln bei den wichtigsten Steuern mit Ausfällen von insgesamt bis zu einer Milliarde Euro.

Martin Junkernheinrich ist Professor für Stadtökonomie an der TU Kaiserslautern. Seit Jahren beschäftigt sich der gebürtige Essener mit der Finanzlage der Städte in Nordrhein-Westfalen: „Die finanziellen Auswirkungen der Krise werden die Städte noch lange spüren. Wie lange, sei unklar: „Es gibt viele Unbekannte: Wie wird sich das Wirtschaftswachstum in Deutschland entwickeln, wenn wichtige Exportländer wie Italien, Spanien, Frankreich oder die USA von der Pandemie hart getroffen sind? Bekommen wir einen ein dritten Lockdown? Wann ist ein Impfstoff da? Das ist alles seriös zurzeit nicht absehbar.“

Zurzeit würden Land und der Bund die Städte massiv unterstützen: „Für 2020 werden die Verluste der Gewerbesteuer übernommen, es gibt Zuschüsse zum Nahverkehr und der Bund übernimmt künftig drei Viertel statt derzeit knapp die Hälfte der Miet- und Heizkosten von Hartz-IV-Empfängern.“ Das alles entlaste die Städte. Aber wie geht es 2021 weiter? Die kommunalen Spitzenverbände erwarten in ihren neuesten Berechnungen eine Finanzierungslücke von 10 Milliarde Euro. Auch dann werden die Städte noch Hilfe brauchen,, sagt Junkernheinrich:  „Die Maßnahmen für 2021 stehen noch aus. Bund und Länder fahren hier auf Sicht fahren. Angesichts der aktuellen Infektionsentwicklung wird aber deutlich, dass auch für das nächste Jahr erhebliche Hilfe für die Kommunen notwendig sein werden. Ansonsten würden die Städte massiv in die Verschuldung gehen oder – was gesamtwirtschaftlich nicht sinnvoll ist – ausgabenseitig stark kürzen.“

Immerhin habe das viele Geld von Land und Bund 2020 dafür gesorgt, dass auch arme Städte bislang nicht zahlungsunfähig wurden: „Einige Kommunen hatten im Frühjahr Probleme, neue Kredite auf dem Finanzmarkt zu bekommen. Das Geld von Bund und Land sicherte am Ende ihre Liquidität. Damals wurde sehr schnell und erfolgreich gehandelt.“ Auch in der ersten Coronaphase ging keine Stadt pleite.

Allerdings seien damit nicht alle Probleme gelöst worden: „Die Städte in Nordrhein-Westfalen sitzen auf einem Berg von Altschulden.“

Doch eine solche Entschuldung planen weder Land noch Bund. Ein entsprechender Vorschlag von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) scheiterte am Veto der Union. Dafür werden die Schulden der Städte weiter wachsen.

Eine Regelung des Landes erlaubt es den Kommunen nun, ihre durch die Coronapandemie bedingten Ausgaben ab 2025 über 50 Jahre abzutragen. So sollen die Städte weiterhin Geld für Investitionen haben. Junkernheinrich sieht diese neuen Schulden kritisch: „Wenn in den nächsten 50 Jahren keine weitere Krise kommt, die Wirtschaft wächst und die Steuereinnahmen steigen, kann man so etwas machen. Aber alle zehn bis fünfzehn Jahre gibt es eine Krise und geraten die Haushalte unter Druck.“ Irgendwann, sagte Junkernheinrich, käme immer ein neuer Teufel durch die Tür, man wisse nur nicht wann.

Auch die Opposition kritisiert die Coronapolitik des Landes. Die Unterstützung der Kommunen durch das Land sei vollkommen unzureichend, sagt Stefan Zimkeit, der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag. „Beim Umgang mit den Einnahmeausfällen der Jahre 2021 und 2022 lässt das Land die Kommunen im Stich.“ Zimkeit fordert, dass das Land deren coronabedingten Einnahmeausfälle in den nächsten Jahren komplett erstattet.

Um die 30 Millionen Euro sind im laufenden Jahr die Gewerbesteuereinahmen der Stadt Bochum zurückgegangen. Wenn sich alles so entwickelt, wie in der Steuerschätzung vor dem neuen Lockdown vorhergesagt, werden in den kommenden Jahren Mindereinnahmen von zehn Millionen Euro folgen. Doch ob es dabei bleibt, weiß heute niemand.
2020, das hätte eigentlich ein gutes Jahr für die Ruhrgebietsstadt werden können: Zum ersten Mal seit 30 Jahren konnte ein ausgeglichener Haushalt vorgelegt werden. Erarbeitet wurde er durch einen harten Sparkurs. Es herrscht ein Investitionsstau, den die Stadt endlich abbauen wollte.

Nebenan in Dortmund sieht es nicht besser aus: 40 Millionen Euro weniger Gewerbesteuern wird die Stadt in diesem Jahr einnehmen. In welchem Maße sich diese Entwicklung fortsetzt, mag die Stadt nicht sagen: „Eine Schätzung zu den Ausfällen im kommenden Jahr ist nicht seriös.“ Dies hänge von mehreren zurzeit unbekannten Faktoren wie der Entwicklung der Pandemie, weiteren wirtschaftlichen Einschränkungen und  den Auswirkungen des Auslaufens des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz mit einer sich dann abzeichnenden größeren Anzahl an, zeitlich verzögerten, Insolvenzen ab. „Die Auswirkungen in der Gewerbesteuer wirken durch ihre Erhebungstechnik mit einem Verzug von 2-3 Jahren fort. Es ist davon auszugehen, dass ab 2021 zudem keine Milderung der Ausfälle durch Festsetzungen für die vergangenen Jahre 2020 und älter eintreten wird.“ Auch Dortmund fordert weitere Hilfen von Land und Bund. Wann werden die Bürger die schwächer gewordene Finanzkraft der Stadt spüren? Das wird man im kommenden Jahr wissen: „Ob und inwieweit die Folgen der Pandemie ohne Einschränkungen der städtischen Leistungen oder Einnahmeerhöhungen abgefedert werden können, wird sich voraussichtlich erst im Laufe des Jahres 2021 zeigen.“

Nun sind Bochum und Dortmund, wie in allen Ruhrgebietsstädte, wieder die Kassen leer. Wenn Bund und Land bei den Finanzhilfen nicht nachlegen, sieht es in Bochum bald düster aus. Und Bochum ist nur eine von vielen hochverschuldeten Städten im Land „Die Kommunen“, sagt die Stadt „dürfen nicht schon wieder unverschuldet in eine neue Verschuldungsspirale hereinlaufen.“ Die Mühe von Jahrzehnten wäre zerstört.

Wenn Städte weniger Geld haben, müssen sie ihre Ausgaben kürzen. Nur in Bochum weiß man nicht, wo man noch sparen kann, ohne „dadurch nicht wieder eine Abwärtsspirale zu generieren, die nachhaltige negative wirtschaftliche Folgen für die Stadt hat.“

Torsten Schmidt, beim Wirtschaftsforschungsinstitut RWI Leiter des Kompetenzbereichs Wachstum, Konjunktur und Öffentliche Finanzen, ahnt, wo Städte sparen werden und die möglichen Sparmaßnahmen klingen nicht angenehm: „Traditionell können Städte bei Investitionen und der Kultur sparen.“ Die Renovierung von Schulen und Straßen würde dann aufgeschoben, Theater und Kulturinitiativen bekämen weniger Geld. Stefan Zimkeit sieht die Zukunft der Kommunen sogar noch düsterer: Den Bürgern drohe die Schließung von städtischen Einrichtungen, die Streichung kommunaler Maßnahmen in den Bereiche Bildung und Soziales sowie Steuererhöhungen.“ Wenn die Städte kein Geld mehr haben, sagt Zimkeit, könnten sie nicht mehr investieren. Gerade kleinen, lokalen Unternehmen würden die Aufträge wegbrechen.  Gift für die Wirtschaft vor Ort.

Auch Torsten Schmidt fordert einen Schuldenschnitt bei den Städten und sieht Schulden, die für Jahrzehnte gemacht werden, kritisch: „Auch wenn es im Moment unwahrscheinlich ist, können die Zinsen irgendwann wieder steigen und damit auch die Kosten der Kredite.“ Klar sei, dass die aktuellen Einnahmeverluste auch nicht wieder eingeholt werden können, wenn Deutschland bald wieder auf den alten Wachstumspfad zurückkehrt. Doch ob Wirtschaftswachstum dauerhaft überhaupt gewollt ist, ist zunehmend zweifelhalt. Das Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie stellt in einer Begleitenden Präsentation zu einer Studie zur Erreichung der Klimaziele auch das „Green Supreme Szenario“ des Umweltbundesamtes vor. Nachdem soll es in Deutschland ab 2030 kein Wirtschaftswachstum mehr geben. Und damit auch keine Chance, jemals Schulden abzubauen

Kompakt:

Für die Kommunen in NRW rechnete Finanzexperte Martin Junkernheinrich im laufenden Jahr mit wegbrechenden Gewerbesteuern in Höhe von vier Milliarden Euro. Doch das ist nicht das einzige Problem der Städte: Die Kommunen haben Altschulden in Höhe 25 Milliarden Euro.

Auch die Unternehmen, an denen die Städte beteiligt sind, stehen durch Corona unter Druck: Der Kölner Flughafen macht 2020 voraussichtlich 130 Millionen Euro weniger Umsatz.  Derzeit wird zwischen den Gesellschaftern, zu denen neben der Stadt auch der auch Bund und Land gehören, über Eigenkapitalmaßnahmen verhandelt. Bei der Kölner Messe droht ein Verlust von 125 Millionen Euro. Geplante Investitionen werden wohlmöglich verschoben. Düsseldorf rechnet bei seinen Tochtergesellschaften mit Mindereinnahmen und Zuschüssen allein für 2020 in Höhe von 103,6 Millionen Euro.  Die Kölner Verkehrsbetriebe erwarten zudem in diesem Jahr Finanzschäden von etwas über 50 Millionen. Bei der Bochumer Nahverkehrstochter Bogestra machen die wohl 30 Millionen Euro aus, von denen 20 Millionen durch den Corona-Rettungsschirm für den Nahverkehr gedeckt sind.

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag

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