Die FDP fehlt – und das Land spürt es schon jetzt

Archiv des Liberalismus in Gummersbach Foto: Olaf Kosinsky Lizenz: CC BY-SA 3.0 de


Der Liberalismus stellt den Einzelnen in den Mittelpunkt. Er setzt darauf, dass Menschen ihr Leben selbst gestalten können und sollen, und dass der Staat, der lediglich die Verwaltung übernehmen soll und kein Potentat ist, ihnen vor allem die Freiheit dafür lässt. Er steht für Eigenverantwortung, Wettbewerb, Selbstbestimmung. Für den Mut, Vielfalt auszuhalten und Fehler zu riskieren. Er war in Deutschland immer unbequem – aber unverzichtbar.

Von unserem Gastautor Till Oliver Becker.

Heute ist die einzige dezidiert liberale Partei aus dem Bundestag verschwunden. Schon jetzt zeigt sich, was das bedeutet: Es fehlt das Korrektiv gegen den Reflex, alles staatlich regeln und mit fremdem Geld zuschütten zu wollen. Die schwarz-rote Bundesregierung verteilt und verschuldet sich in einem Maß, das sich selbst durch etwaige Rekordsteuereinnahmen nicht decken lassen wird. Apropos Steuern: Versprochen wurde den Bürgern eine Senkung der Stromsteuer, um die immensen Energiekosten abzufedern – doch dieses Versprechen wird nun gebrochen. Das Geld, das dafür notwendig wäre, wurde längst an anderer Stelle ausgegeben. Ohne liberale Stimme gibt es niemanden mehr, der unermüdlich fragt: „Wer bezahlt das? Braucht es das wirklich? Wo bleibt der Respekt vor dem, was die Menschen selbst schaffen?“

In den letzten Jahren war die FDP oft der unbequeme Mahner in der Regierung, der sich weigerte, einfach alles mitzutragen, was SPD und Grüne forderten. Viele bezeichneten sie damals spöttisch als „Opposition in der Regierung“. Man war geradezu beleidigt darüber, dass die FDP so selbstsüchtig war, ein eigenes Profil zu zeigen, anstatt wie ein braver Koalitionspartner den rot-grünen Kurs kritiklos mitzufinanzieren. Sie blockierte überzogene Corona-Regeln, bremste das überkomplexe EU-Lieferkettengesetz, verhinderte einen noch rigideren Heizungszwang, pochte auf Entlastungen für Bürger und Unternehmen. All das war nicht destruktiv, sondern genau das, was eine liberale Partei tun muss: unbequem sein, aber das Gleichgewicht wahren.

Dass sie sich überhaupt in die Ampel wagte, war nicht aus Überzeugung, sondern aus Notwendigkeit. 2017 war sie mit dem Satz „Besser nicht regieren als schlecht regieren“ aus den Jamaika-Verhandlungen ausgestiegen – damals zu Recht. Die von Angela Merkel geführte Union wollte ihr keine liberalen Akzente zugestehen, den Grünen wurde dagegen mancher Wunsch erfüllt. Diese Verweigerung war ehrlich und konsequent. Doch nach einem zweiten Nein im Jahr 2021 hätte ihr niemand mehr geglaubt, dass sie überhaupt gestalten will. Also trat sie in eine Koalition ein, deren Partner programmatisch immer weiter nach links gerückt waren. Die FDP wusste, dass sie zwischen SPD und Grünen aufgerieben würde. Aber sie tat es, weil die Alternative ein Verlust an Glaubwürdigkeit gewesen wäre. Und Glaubwürdigkeit ist letztlich die einzige gültige Währung in einem Klima der Austauschbarkeit.

Heute, ohne Liberale, spürt man erst, wie viel sie bewirkt haben – und was ihr Fehlen bedeutet. Denn Deutschland hat schon fast traditionell ein schwieriges Verhältnis zur Freiheit. Statt Freiheit als Chance zu sehen, sehen viele sie nur als Risiko. Statt Eigenverantwortung zu bejahen, wünschen sich viele eine Politik der Absicherung und Bevormundung. Der Nanny-Staat, die Vollkasko-Gesellschaft – für Deutsche offensichtlich eher ein Wunschziel als etwas, das man meiden sollte. Anderswo ist diese Haltung unvorstellbar. In den Niederlanden etwa prägt der Liberalismus seit Jahrhunderten das politische Selbstverständnis. Dort vertraut man den Menschen mehr, dort regiert immer wieder ein Liberaler das Land, dort funktioniert das Zusammenspiel von Eigenverantwortung und Solidarität deutlich besser.

Warum hat es die Freiheit ausgerechnet in Deutschland so schwer? Der Liberalismus verlangt etwas, das vielen Menschen nicht leichtfällt: Verantwortung zu übernehmen. Er verspricht keine paradiesische Gleichheit, keinen Rundum-Schutz durch den Staat, keine moralische Überlegenheit. Er verspricht nur eines: Freiheit – und die Last, mit ihr umzugehen. Gerade diese Haltung hat die großen deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts überstanden. Liberal gesinnte Menschen waren es, die der Versuchung von Nationalsozialismus und Kommunismus widerstanden, weil sie nicht bereit waren, ihre Freiheit gegen ein trügerisches Gefühl von Sicherheit, Zugehörigkeit oder Gleichheit einzutauschen. Und doch: Genau diese Sehnsucht nach Ordnung und Schutz ist in Deutschland tief verwurzelt. Sie hat die Verbrechen der NS-Zeit und der DDR mitermöglicht – und sie bestimmt auch heute noch den Zeitgeist. Je weiter der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus zurückliegt, desto stärker wird der Reflex zur Staatsgläubigkeit und desto lauter ist der Ruf nach Verboten und Regeln zu hören.

Genau das machte die FDP so wichtig – nicht, weil sie bequem war, sondern weil sie unbequem sein musste. Sie verkörperte das Vertrauen in den Einzelnen gegen das Misstrauen des Staates. Sie forderte, dass die Bürger mündig bleiben, statt Untertan zu werden. Sie störte den Konsens derer, die lieber verteilen als ermöglichen. Ohne diese Stimme verstummt nun der Gedanke, dass der Staat vor allem Hüter der Freiheit sein sollte, nicht ihr Dirigent.

Die FDP war nie ein Garant dafür, dass alles perfekt läuft. Aber sie war das Korrektiv, das verhindert, dass der Staat völlig übergriffig wird. Ihr Ausscheiden – und dieses Mal vielleicht für länger als „nur“ eine Legislaturperiode – macht den Weg frei für eine Politik, die mit immer neuen Schulden, immer neuen Regeln und immer weniger Vertrauen in den Einzelnen voranschreitet. Das Land wirkt schon jetzt staatsgläubiger, technokratischer, moralisch belehrender – und ärmer an Freiheit.

Der Liberalismus war noch nie bequem. Aber seine Abwesenheit ist noch unbequemer.

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hase12
hase12
3 Tage zuvor

Der Liberalismus in Deutschland is besonders für die lutherisch-protestantischen Fundamentalisten unbequem. Wie hat Martin Luther es formuliert? „Der gute Christ begibt sich willigst unter das Schwert der Obrigkeit, zahlt willig seine Steuern und unternimmt alles was der Gewalt förderlich is.“ “ Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat, denn es is keine Obrigkeit ohne von Gott.“ Anders ausgedrückt: Für Freiheit is hier kein Platz.

paule t.
paule t.
2 Tage zuvor

Die FDP fehlt ungefähr so wie Kaugummi am Schuh. Für tatsächliche Freiheitsrechte – d.h. die, die auch für Leute ohne Privilegien und Geld gelten – gibt es Bündnis 90 (!)/ Die Grünen, für „Gebt den Reichen noch mehr Geld“ gibt es die CDU, und für „Freiheit ist, dass der Stärkere und Reichere keine Rücksicht nehmen muss“ (= „mehr Musk und Milei wagen“) gibt es die AfD.

Und ob dieser fehlenden Daseinsberechtigung hat sich die FDP in der Regierung dann auch noch als politikunfähige Clownstruppe erwiesen, die Verhandlungsergebnisse regelmäßig am nächsten Tag in Frage gestellt hat, um Dinge in Beschlüsse reinzuverhandeln, die schon drin waren (zB die endlosen Kaspereien um die „Technologieoffenheit“ im Heizungsgesetz).

Ein bisschen frech finde ich es, ausgerechnet die Liberalen als Bollwerk gegen den NS darzustellen. Mal eben das Stichwort „Ermächtigungsgesetz“ bei Wikipedia nachschlagen? Da war die SPD aber um Längen stabiler.

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