
In diesen Tagen bestimmt sie wieder die Schlagzeilen der Sportberichterstattung: die Darts-Weltmeisterschaft in England. Kaum ein Sportformat wird zwischen Weihnachten und Neujahr so penetrant beworben, kaum ein Ereignis so zuverlässig zum vermeintlichen „Kult“ verklärt.
Selbst für einen relativ toleranten Sportfan wie mich stellt sich dabei regelmäßig die gleiche Frage: Warum ist das Ganze eigentlich so erfolgreich?
Von der Stammkneipe ins Scheinwerferlicht
Ich habe als Jugendlicher selbst Darts gespielt. Nicht im Vereinsheim, nicht unter Flutlicht, sondern in der damaligen Stammkneipe. Die Pfeile flogen, die Gläser auch, und der sportliche Ehrgeiz hielt sich in sehr überschaubaren Grenzen. Niemand wäre damals auch nur ansatzweise auf die Idee gekommen, sich selbst ernsthaft als Sportler zu bezeichnen. Zugeschaut hat uns, wenn überhaupt, der Wirt – und ein paar befreundete Saufkumpane, die eher zufällig unseren Weg kreuzten. Es ging um Zeitvertreib, um Geselligkeit, um Bierdeckel und dumme Sprüche. Nicht um Titel, Rankings oder Preisgelder.
Vom Zeitvertreib zum Millionengeschäft
Dass dieses Kneipenspiel gut 30 Jahre später ein umsatzstarkes Mega-Event mit Millionen von TV-Zuschauern, ausverkauften Hallen und medialer Dauerbeschallung sein würde, wäre damals schlicht unvorstellbar gewesen. Und ehrlich gesagt: Eine wirklich logische Erklärung für dieses Phänomen kann ich auch im Jahr 2025 nicht erkennen.
Ja, Darts ist leicht verständlich. Drei Pfeile, eine Scheibe, runterzählen bis Null. Keine Abseitsregel, keine Taktiktafeln, keine komplizierten Wertungssysteme. Doch reicht diese Niedrigschwelligkeit wirklich aus, um einen Sport derart zu überhöhen?
Karneval statt Konkurrenzkampf
Wenn man ehrlich ist, lebt die Darts-WM auch sehr viel weniger vom sportlichen Wettkampf als von der Inszenierung drumherum: Kostümierte Fans, Dauerbierduschen, Schlachtgesänge und ein Lärmpegel, der eher an Karneval als an Hochleistungssport erinnert. Die Halle gleicht einer Event-Arena, nicht einer Wettkampfstätte. Je lauter, je greller, je bierseliger, desto besser – zumindest aus Sicht der Veranstalter und Fernsehsender.
Die Spieler selbst werden dabei zunehmend zu Nebendarstellern eines Event-Zirkus, der vor allem eines verkaufen will: Stimmung. Präzision, mentale Stärke und Konzentration – zweifellos vorhanden – verschwinden hinter einer Dauerparty, die von den Medien nur allzu gerne als „einzigartig“ gefeiert wird.
Wenn Mittelmaß zu Mythos wird
Kritische Einordnung? Fehlanzeige. Stattdessen werden Pfeilwürfe zu Heldentaten und Durchschnittswerte zu sporthistorischen Meilensteinen aufgeblasen. Jeder High Finish wird zum „magischen Moment“, jede WM zur angeblich besten aller Zeiten. Die Grenze zwischen sportlicher Leistung und reiner Unterhaltung verschwimmt dabei komplett.
Dabei ist es gerade diese Maßlosigkeit, die irritiert. Während andere Sportarten um Nachwuchs, Aufmerksamkeit und finanzielle Stabilität kämpfen, wird ein Kneipenspiel zum Premiumprodukt erhoben – inklusive Pathos, Hymnen und Heldenverehrung.
Symptom unserer Zeit
Vielleicht liegt der Erfolg der Darts-WM weniger im Sport selbst als in der Sehnsucht nach Einfachheit, nach Eskapismus, nach einer Welt, in der drei Pfeile und ein Bier reichen, um den Alltag auszublenden. Doch muss wirklich alles, was sich gut vermarkten lässt, automatisch als großer Sport gelten? Muss jede Form von Unterhaltung zwanghaft mit Superlativen überzogen werden?
Für mich bleibt die Darts-WM vor allem eines: ein Symptom unserer Zeit. Laut, grell, überinszeniert – und erstaunlich erfolgreich, ohne dass der sportliche Kern dieses Hypes wirklich überzeugt.
Irre Zeiten.
