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Erdogan-Wahl: Der Westen ist nur attraktiv, wenn er wirtschaftlich erfolgreich und militärisch und politisch stark ist

Erdogan-Anhänger demonstrieren Foto (Archiv): Sebastian Weiermann

Gestern diskutierten bei der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) in Berlin deren Vizepräsidentin Cemile Giousouf mit dem ehemaligen NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU), den Bundestagsabgeorneten Canan Bayram (Grüne) und Macit Karaahmetoğlu (SPD),  Günter Seufert, der Leiter Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS) und Anastasia Vishnevskaya-Mann vom FDP Landesvorstand Berlin über den Ausgang der Präsidentschaftswahl in der Türkei. Wie Bayram, die als Wahlbeobachterin in der Türkei vor Ort war, sagten alle, die Wahl sei am Wahltag selbst korrekt gewesen. Fair war sie indes nicht: Erdogan nutzte den Staatsapparat und die von ihm beeinflussten Medien, stellte den Kandidaten der Opposition, Kemal Kılıçdaroğlu (CHP), als Unterstützer der PKK da und verhaftete zum Teil seine politischen Gegner. Einig waren sich auch alle darin, dass Deutschland und Europa weiter mit Erdogan zusammenarbeiten müssten. Vishnevskaya-Mann sprach sich allerdings dafür aus, den EU-Beitrittsprozess einzufrieren. Niemand aus dem Kreis hielt Erdogan für lupenreinen Demokraten und Giousouf wies darauf hin, dass von den in der Türkei Wahlberechtigten in Deutschland nur die Hälfte von ihrem Wahlrecht Gebrauch machte und nur ein Drittel der hier lebenden türkischen Staatsbürger Erdogan gewählt hätte.

Seufert bezeichnete das Land zutreffend als Elektorale Autokratie. Seufert merkte aber noch etwas an, was in den meisten Betrachtungen der Wahl wohl etwas zu kurz gekommen ist: Das Erdogan und die AKP sich von Europa abwendet, weil es sich ihrer Ansicht nach technologisch und politisch im Niedergang befindet. Die Türkei würde sich künftig mehr an China, Russland und den Golfstaaten orientieren. Nun ist Russland weder politisch noch wirtschaftlich ein Schwergewicht und wenn es um die Zukunft geht, fällt einem dieses Land sicher nicht als erstes ein, aber der Gedanke ist trotzdem treffend: Der Westen ist nur attraktiv, wenn er wirtschaftlich erfolgreich, militärisch und politisch stark ist. Ein schwaches Europa ist kein Modell, an dem sich andere Länder orientieren. Das dürften auch Zuwanderer so sehen, die sich in westlichen Staaten wie Deutschland angesiedelt haben.

Die Idee des Westens, diese einzigartige Mischung aus individueller und wirtschaftlicher Freiheit, Rechtsstaat und Menschenrechten ist nach wie vor ein Erfolgsmodell, schreibt, Francis Fukuyama in seinem Buch „Der Liberalismus und seine Feinde“: „Der liberale Individualismus mag zwar ein historisch bedingtes Nebenprodukt der westlichen Zivilisation sein, hat sich aber für Menschen ganz verschiedener Kulturen als höchst attraktiv erwiesen, sobald sie erst einmal die Freiheiten kennengelernt hatten, die er mit sich bringt. Außerdem hängt auch das moderne Wirtschaftsleben davon ab, dass sich der Einzelne von den restriktiven Fesseln befreien kann, die traditionelle Gesellschaften prägen. In jüngster Zeit versuchen Millionen Menschen, aus solchen Orten in Länder zu fliehen, die ihnen nicht nur bessere wirtschaftliche Möglichkeiten, sondern auch größere persönliche Freiheit verheißen.“

Damit das auch so bleibt – oder wieder so wird – müssen die westlichen Gesellschaften zu ihren eigenen Werten stehen und klar machen, dass sie die Grundlage von Wohlstand und Freiheit sind. Und dass diese Werte vollkommen zurecht universell sind: Jeder Mensch auf der Welt hat das Recht, nach Freiheit und Wohlstand zu streben. Kein Staat, keine Religion oder Familie hat sich ihm dabei in den Weg zu stellen. Niemand findet eine Gesellschaft attraktiv, deren eigenen Angehörigen sie so unangenehm ist, dass sie davon träumen, sie in mit apokalyptischem Furor zu ruinieren und sich bereitwillig vor ihren Gegnern in den Staub werfen anstatt die eigenen Werte und Überzeugungen zu verteidigen. Kein Wunder, wenn viele in Deutschland lebenden Türken Erdogan glauben, dass der Westen keine Zukunft hat. Sie erleben ihn zurzeit in einer selbstverschuldeten Schwäche.

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