
Am 10. November 2009 nahm sich der damalige Fußball-Nationaltorhüter Robert Enke, der in Diensten von Hannover 96 stand, das Leben. Als ich kürzlich rund um den Jahrestag über einige alte Beiträge zu dem Thema stolperte, stimmte mich das direkt wieder sehr nachdenklich. Heute will ich daher noch einmal ein paar Zeilen dazu hier im Blog formulieren.
Enke, der jahrelang unter schweren Depressionen litt, nahm sich im Herbst 2009 das Leben. Sein Tod erschütterte die Fußballwelt zutiefst, ließ Vereine, Medien und Fans fassungslos zurück. Viele hier dürften sich noch gut daran erinnern. Für einen kurzen Moment stand der gesamte deutsche Profisport still. Und für einen ebenso kurzen Moment schien es, als könne dieser Schock eine echte Zeitenwende einleiten.
Große Worte, große Erwartungen
Die Trauerfeier im damals noch Niedersachsenstadion in Hannover glich einem kollektiven Bekenntnis: Prominente aus Politik, Sport und Medien forderten eine offenere Auseinandersetzung mit psychischen Erkrankungen, kündigten Enttabuisierung und strukturelle Veränderungen an. Bücher wurden geschrieben, Filme produziert, die Robert-Enke-Stiftung gewann Aufmerksamkeit und Unterstützung. Es wirkte, als habe der Fußball verstanden, wie gefährlich sein System aus Druck, Konkurrenz und medialer Dauerbeobachtung werden kann.
Doch das System blieb das gleiche
Gut 16 Jahre später ist die Bilanz ernüchternd. Ja, einige Vereine experimentier(t)en buw. Arbeiten inzwischen mit Psychologen. Ja, das Thema fand phasenweise Raum in Interviews und Talkshows. Die Hemmschwellen sanken. Aber wirklich verändert hat sich wenig. Die Mechanismen des Profifußballs – totale Leistungsorientierung, permanentes Vergleichen, der schnelle Austausch bei Formschwächen – blieben unangetastet.
Und genau darin lag aus meiner Sicht auch der Fehler der damaligen Erwartungen: Man hoffte auf einen Wandel in einem System, das strukturell gar nicht darauf ausgelegt ist, Schwäche zu akzeptieren. Der Sport lebt von der Idee des Unbezwingbaren. Depressionen und Selbstzweifel passen da nicht hinein.
Gesellschaftliche Illusionen
Auch die gesellschaftliche Hoffnung war offenkundig zu hoch angesetzt. Depressionen waren 2009 längst nicht so entstigmatisiert, wie es die öffentliche Betroffenheit vermuten ließ. Und kollektive Haltungen ändern sich nicht durch ein einziges, wenn auch tragisches Ereignis. Empathie ist oft nur so langlebig wie die nächste Schlagzeile. Schon wenige Monate später verschwanden die Debatten aus dem Fokus. Der Alltag überlagerte den Anspruch.
Warum die Erwartung von Anfang an scheitern musste
Die Vorstellung, ein Schock könne ein ganzes Leistungssystem nachhaltig verändern, war verständlich – aber wohl von Anfang an unrealistisch. Der moderne Profisport funktioniert wie die Gesellschaft, deren Spiegel er ist: Druck ist kein Unfall, sondern Grundprinzip. Austauschbarkeit ist Alltag. Wer Schwäche zeigt, riskiert seinen Platz. Enke war kein Einzelfall im Sinne der Belastung – nur in der Tragik des Ausgangs.
Was dennoch bleiben kann
Eine Revolution im Profifußball bleibt unwahrscheinlich. Aber ein bewussterer Umgang ist möglich. Mehr Offenheit, weniger Schweigen, niedrigere Hürden für Hilfe – das wären Schritte, die nicht das System verändern, aber das Leben Einzelner erleichtern. Wenn das Andenken an Robert Enke dazu beiträgt, dann ist das vielleicht der einzige realistische, aber auch wertvolle Fortschritt.
