Harmoniesüchtig statt hungrig – warum Sammer dem BVB die Wahrheit ins Gesicht sagt

Ist BVB-Sportgeschäftsführer Lars Ricken zu harmoniebedürftig? Foto: Robin Patzwaldt

Matthias Sammer hat mit seiner von vielen Medien aufgenommenen Kritik an der Vereinsführung des BVB recht – und genau deshalb trifft seine Kritik einen empfindlichen Nerv, sorgt aktuell für leidenschaftliche Diskussionen im Umfeld des Klubs.

In einem Verein, der sich gern als selbstkritisch und ambitioniert begreift, wird unangenehme Wahrheit zunehmend als Störgeräusch wahrgenommen. Sammer benennt dieses Problem offen – und entlarvt damit eine Führungskultur, die sich zu oft im eigenen Wohlklang verliert.

Schönreden ist kein Spielsystem

Drei Siege aus neun Spielen sind keine statistische Fußnote, sondern ein klares Warnsignal. Doch statt diese Entwicklung nüchtern zu analysieren, wird sie häufig relativiert, kontextualisiert oder emotional abgefedert. Sammer verweigert sich dieser Rhetorik. Sein Appell, die Wahrheit nicht so zu verwischen, dass am Ende diejenigen als die Dummen dastehen, die sie aussprechen, ist ein Frontalangriff auf eine Kultur des Weglächelns. Erfolg entsteht nicht durch positive Sprache, sondern durch klare Analyse und konsequente Schlüsse.

Gute Menschen, zu wenig Führung

Besonders scharf ist Sammers Unterscheidung zwischen Charakter- und Führungseigenschaften. Borussia Dortmund ist zweifellos ein Verein mit vielen integeren, beliebten und loyalen Akteuren in verantwortlichen Positionen. Doch Sympathie ist kein Führungsinstrument. Wer Entscheidungen trifft, muss aushalten, anzuecken. Wer Verantwortung trägt, darf nicht davor zurückschrecken, Konflikte zu provozieren. Dass solche Aussagen „erschrecken“, wie Sammer es formuliert, sagt mehr über die Führungsebene aus als über den Kritiker.

Harmonie als Ausrede

Wenn Sammer den BVB als „harmoniesüchtig“ beschreibt, ist das keine Polemik, sondern eine präzise Diagnose. Harmonie ist ein Wert – aber sie wird zur Gefahr, wenn sie zur höchsten Maxime erhoben wird. Dann ersetzt sie Anspruch, Kontrolle und Konsequenz. Dortmund pflegt die Nähe zu seinen Menschen, zu Fans, Spielern und Verantwortlichen. Doch Nähe darf nicht bedeuten, Probleme zu verniedlichen oder Verantwortung zu verdünnen.

Kritik ist kein Verrat

Dass Sammer keine Namen nennt, ist kein Ausweichen, sondern Ausdruck von Loyalität. Er kritisiert Strukturen, Denkweisen und Wahrnehmungen – nicht einzelne Personen. Gerade dadurch gewinnt seine Analyse an Schärfe. Wer darin Illoyalität erkennt, verkennt den Kern von Beratung. Ein Berater, der nur bestätigt, ist überflüssig. Ein Berater, der widerspricht, ist unbequem – aber wertvoll.

Mehr Anspruch, weniger Wohlfühlzone

Borussia Dortmund war immer dann stark, wenn Reibung zugelassen wurde: unter Klopp, unter Sammer selbst, in Phasen, in denen Anspruch lauter war als Befindlichkeit. Der Klub lebt von Emotion, aber er darf sich nicht von ihr leiten lassen. Sammer fordert kein anderes Dortmund – er fordert ein konsequenteres. Eines, das Leistung klar benennt, Defizite nicht kaschiert und Führung als Verantwortung versteht, nicht als Moderation.

Der BVB braucht keine weiteren Beschwichtigungen und keine wohlklingenden Durchhalteparolen. Er braucht Klarheit, Mut zur Wahrheit und Menschen, die Führung nicht mit Harmonie verwechseln. Sammer spricht genau das aus. Und gerade weil es weh tut, hat er recht.

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