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Hört bitte auf, über das biologische Geschlecht zu streiten!

Ein männlicher und ein weiblicher Flamingo. Oder umgekehrt? Foto: R. v. Cube

Mit der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz ist auch der Streit um das „biologische Geschlecht“ erneut entbrannt. An ihm kann man schön beobachten, wie Menschen sich anfeinden und bei ihrem Stellungskrieg in feinste Verzweigungen wissenschaftlicher Spezialgebiete vordringen, ohne überhaupt verstanden zu haben, was die jeweils andere Seite eigentlich will. Oder auch die eigene. Denn oft ist ebenso unklar, was die Verteidiger des biologischen Geschlechts eigentlich verteidigen, wie was die Skeptiker eigentlich bezweifeln.

Der typische Verlauf eines solchen Streitgesprächs geht, verkürzt und paraphrasiert, so:

  • Transfrauen sind Frauen! Transmänner sind Männer!
  • Nein, ob jemand eine Frau ist, ist biologisch festgelegt.
  • Quatsch, frag mal einen Wissenschaftler, es gibt überhaupt keine biologischen Geschlechter!
  • Natürlich, jedes Lebewesen hat ein Geschlecht!
  • Quatsch, Anemonenfische können ihr Geschlecht verändern!!!
  • Sogar Apfelbäume haben zwei Geschlechter!! Gameten!!!
  • Swyer-Syndrom!!
  • Postmoderne Realitätsleugnung!
  • Nazi!

Um den Streit zu entflechten, muss man zunächst fragen, was die jeweiligen Seiten mit ihren Argumenten überhaupt begründen wollen. Es geht um die Bedeutung von Worten und um die Deutungshoheit über diese Worte. Es geht gar nicht um Biologie.

Sprache prägt Denken und umgekehrt

Wenn man sich die Sprache ansieht, ist es durchaus sinnvoll, sich zu fragen, welche Vorurteile, Traditionen und Scheuklappen dazu beitragen, dass wir bestimmten Worten bestimmte Bedeutungen beimessen oder auch nur meinen, bestimmte Worte überhaupt zu benötigen. Vor diesem Hintergrund darf man durchaus fragen, ob die biologische Ausstattung einer Person von so eminenter Bedeutung ist, dass wir sie bis in die basale grammatische Grundstruktur jeder unserer Äußerungen hineintragen müssen.

„Er existiert.“/„Sie existiert.“ Diese Sätze enthalten so wenig Informationen wie überhaupt möglich. Sie sagen (fast) nur aus, dass da überhaupt eine Person ist. Und dennoch bräuchte es zusätzlichen sprachlichen Aufwand, um die Information nicht zu geben, ob das ein Mann oder eine Frau ist, der oder die da existiert. (Etwa: “Eine Person existiert” – gleich ein Wort mehr.)

Das ist schon seltsam. Ob man es ändern muss, ist eine andere Frage. Aber es ist legitim festzuhalten, dass unsere Sprache uns geradezu zwingt, eine Aussage über das Geschlecht zu machen. Dies kann gar nicht anders, als unser Denken zu prägen. Es ist daher auch legitim, wenn Menschen diese Sprache in Frage stellen, die mit der Geschlechterrolle, die sie von ihr zugeschrieben bekommen, nicht einverstanden sind. Es ist mindestens diskussionswürdig, ob der Begriff „Frau“ nicht auch automatisch Transfrauen beinhalten sollte. Oder ob man nicht eine Sprache finden sollte, die gar keine Geschlechter bezeichnet, damit sich auch Leute wiederfinden, die sich mit gar keinem Geschlecht identifizieren.

Stereotype, sprachlich codiert

Es geht, neben der Wortbedeutung, auch um Stereotype, um die Frage, wie viele Eigenschaften wir automatisch mit dem Geschlecht verbinden. Die Transgenderthematik konfrontiert die Gesellschaft mit kritischen Fragen zu Vorurteilen und automatischen Annahmen. Auch wenn wir bei einem nackten Menschen in nahezu allen Fällen sofort erkennen können, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, so endet diese Eindeutigkeit doch sehr viel schneller, als viele das bisher vielleicht meinten.

Junge Leute, die der non-binären Mode folgen, lassen sich tatsächlich oft nicht mehr so einfach geschlechtlich einschätzen. (Ein Einschub an dieser Stelle: Es mag herabwürdigend sein, die Transidentität einer Person als Modeerscheinung abzutun. Aber egal, wie man zur tatsächlichen “Diagnose” steht – egal, ob man meint, dass die schon immer vorhandenen transsexuellen Menschen jetzt einfach sichtbarer werden oder dass sich Leute von einer Strömung anstecken lassen – es gibt definitiv derzeit eine transgender/enby-inspirierte Mode im Sinne eines Bekleidungstrends.)

Eindeutig Frauen! Oder Gespenster oder so. Foto: R. v. Cube

Daniela Craig

Auch die vor einiger Zeit virale “Face-App”, mit der jeder sich oder den Promi der Wahl per Tipp ins gegenteilige Geschlecht verwandeln konnte, hat eindrücklich gezeigt, dass es keine “männlichen” oder “weiblichen” Gesichter gibt. Bartschatten, vielleicht eine gewisse Hautbeschaffenheit, aber in aller erster Linie das Styling entscheiden darüber, ob wir ein Gesicht als männlich oder weiblich lesen.

Das ändert nichts an der biologischen Grundausstattung. Aber es stützt die These, dass vieles, was wir unwillkürlich mit dem Geschlecht assoziieren, nicht biologisch vorherbestimmt, sondern gesellschaftlich geprägt ist. Das Bedürfnis, eine Person ganz rasch einem Geschlecht zuzuordnen, wird schon dadurch befeuert, dass wir sonst in grammatische Not kommen, wenn wir über sie sprechen wollen. Das ist nicht biologisch begründet, sondern sprachlich-gesellschaftlich.

Den falschen Geschmack haben

Absurd ist natürlich in diesem Zusammenhang, dass ausgerechnet Transgender-Aktivisten solche gesellschaftlich geprägten Merkmale heranziehen, um zu begründen, warum jemand sich dem vermeintlich anderen Geschlecht zugehörig fühlt. Es ist dann nämlich gerade nicht das Gefühl “im falschen Körper” zu stecken, sondern die falschen gesellschaftlichen Konventionen auszuleben.

Statt gerade zu fordern, dass das alles ein bisschen egaler wird und wir uns zukünftig einfach nicht mehr so sehr dafür interessieren, was jemand in seiner Unterhose hat, wird um die Zugehörigkeit zu einer Kategorie gekämpft, die man ihrer simplen Definition berauben muss (Jungen Penis, Mädchen Scheide), um sie verfügbarer zu machen. Mit dem Ergebnis, sie stattdessen mit sehr viel schwammigeren und eigentlich überkommenen Definitionen (schminkt sich gern, spielt mit Puppen …) einzuhegen.

Jungen- oder Mädchenspielzeug? Foto: R. v. Cube

Es geht niemanden etwas an, ob und warum ein Mensch geschlechtsangleichende Maßnahmen ergreift. Niemand sollte sich, wenn er das Bedürfnis hat, dem stereotypen Bild einer Frau zu entsprechen, gedrängt fühlen, dann bitte auch eine OP vorzunehmen. Solche Forderungen entsprechen, vielleicht kontraintuitiv, nämlich genau dem patriarchalisch-transphoben Bedürfnis, man solle sich gefälligst in seine Rolle fügen und die Grenzen nicht aufweichen. “Wenn schon, denn schon!”

Grenzen aufweichen

Aber wenn man die Grenzen aufweichen will, dann müsste dazu die Forderung gehören, biologisch ein Mann sein zu dürfen und dennoch sein Erscheinungsbild unbehelligt zu wählen.
Die Forderung hingegen, “Mann” solle nicht biologisch definiert sein (oberflächlich mit Anemonenfischen etc. begründet), bedeutet in Wahrheit eine Verengung. Sie impliziert Aussagen über Frauen, die keinem weiblichen Klischee entsprechen wollen. Sie impliziert Aussagen über Transpersonen, die keinem Klischee entsprechen wollen, sondern nur den für sie passenden biologischen Körper haben wollen. Wer das biologische Geschlecht in Frage stellt, aber dennoch möchte, dass überhaupt noch die Wörter “Mann und Frau” existieren, tappt in die Falle, nur noch gesellschaftliche Rollenklischees für die Definition übrig zu haben. Oder das “Gefühl”, aber das ist nur ein Umweg zu der Frage: warum fühlst du dich so?

Wem gehören diese Schuhe? Foto: R. v. Cube

Erst reden, dann streiten

Dass also die Bedeutung der Wörter Mann und Frau diskussionswürdig ist, bedeutet nicht, dass das Ergebnis der Diskussion feststeht. Es handelt sich immerhin um sehr spezielle Partikularinteressen und man kann auch zum Schluss kommen, dass andere Maßnahmen, die nicht die Grundfesten unserer Kommunikation erschüttern, besser geeignet sind, diesen Interessen gerecht zu werden. Immerhin gibt es auch gute Argumente von Frauen, die erläutern, weswegen es für sie wichtig ist, dass ihr biologisches Schicksal, welches mit tausenden Jahren von Unterdrückung einhergeht, sprachlich auch repräsentiert wird.
Diese Stimmen müssten wir doch erst einmal alle zu Wort kommen lassen, ernst nehmen, betrachten (mit „wir“ meine ich in diesem Fall jene Menschen, die sich nicht in dem kleinen Milieu bewegen, in dem bereits so geredet wird und das meint, es wäre eigentlich schon entschieden, dass alle so reden sollten).

Die Betrachtungen werden aber als Forderungen formuliert und wer dem Imperativ „Transfrauen sind Frauen“ widerspricht, wird als transphob beschuldigt. Das macht es sehr unwahrscheinlich, dass jemand, der noch nicht überzeugt ist, sich überhaupt die Mühe macht zu verstehen, was da gefordert wird.

Der Widerspruch erfolgt aber üblicherweise auch gar nicht erst verständnisvoll oder interessiert, sondern mit einem pauschalen „Nein, ob jemand eine Frau ist, ist biologisch festgelegt“. Fehlt nur: „Du Dummi“. Und dass das biologisch festgelegt ist, stimmt und stimmt nicht gleichermaßen.

Will Gott gendern?

Es stimmt insofern nicht, als es kein göttliches Gesetz gibt, nachdem wir gezwungen wären, dieses Wort an biologische Tatsachen zu knüpfen. Wir wären als Sprachgemeinschaft frei, uns auf eine andere Definition zu einigen. Wir könnten die Definition festlegen, dass eine „Frau“ nur eine Person ist, die sich selbst als „Frau“ identifiziert. Personen mit weiblichen Geschlechtsorganen, die sich als Männer identifizieren, wären dann z.B. „Männer mit Uterus“ oder was auch immer.

Stellen wir uns vor, die Sprache würde aus irgendeinem Grunde immer die Haarfarbe nennen, man würde gewohnheitsmäßig immer „der Blonde“ oder „die Braunhaarige“ sagen. „Ich habe mich gestern verlaufen, da habe ich einen Blonden nach dem Weg gefragt.“ Klingt vielleicht unsinnig, aber ist es nicht ebenso unsinnig, dass wir typischerweise sagen: “Da habe ich einen Mann/eine Frau nach dem Weg gefragt”? Wir sagen das nicht, weil wir ausgerechnet das Geschlecht für eine unabdingbare Information halten, die unser Gegenüber in diesem Fall braucht. Wir sagen es, weil unsere Sprache es so vorgibt und man sich unnötig gestelzt ausdrücken müsste, wenn man das Geschlecht auslassen will.

Es wäre durchaus denkbar, dass man mit “der Blonde” die sichtbare Haarfarbe meint und wenn der Mensch blondiert ist, ist er ja trotzdem blond. Es wäre auch vorstellbar, dass sich der Sprachgebrauch ändert und dass man vor Erfindung der Haarbleiche standardmäßig davon ausgeht, es mit biologisch Blonden zu tun zu haben, ohne dem viel Bedeutung beizumessen, und es später aber normal findet, das Blonde entweder naturblond oder blondiert sind.

Genauso könnten wir uns daran gewöhnen, dass es Personen unterschiedlicher Optik gibt, die schwanger werden können. Das ist die sprachliche Welt, die sich Befürworter gendersensibler Sprache wünschen.
Nur noch mal zum Sortieren, weil viele wirklich nicht mal verstehen, was eigentlich gefordert wird: Der Wunsch ist nicht, das Wort “Frau” zu verbieten. Im Gegenteil, soll jeder so bezeichnet werden, der sich so identifiziert. Andererseits soll nicht automatisch “Frau” oder “Mutter” in Kontexten verwendet werden, wo vielleicht Personen gemeint sind, die sich nicht als solche identifizieren.

Und gehört dieses Fahrrrad einem Mann? Foto: R. v. Cube

Plottwist: Es gibt sehr wohl ein biologisches Geschlecht

Ein solcher Schritt würde aber trotzdem nichts daran ändern, dass es diese Sorte Menschen, die mit weiblichen Geschlechtsorganen geboren werden, weiterhin gibt. Solche Menschen werden nach herkömmlichen Sprachgebrauch „Frauen“ genannt. Die Leute würden, wenn das Wort „Frau“ nicht mehr diese Personengruppe bezeichnet, ein anderes Wort dafür finden. Im Zweifel würden sie so etwas wie “echte Frau” sagen, was der Sache nichts Gutes täte.

Die Umbenennung würde niemals etwas daran ändern, dass ein Transmann eine Besonderheit hat, die andere Männer nicht haben. Ein Transmann auf einer Geburtsstation wird immer eine Ausnahmeerscheinung sein. Ich kann als Nicht-Betroffener nicht beurteilen, wieviel Linderung dieser Tatsache dadurch erreichbar wäre, dass es nicht mehr „Mutter“ sondern „gebärende Person“ heißt. Es wäre schon ein kleines Symbol dafür, dass man auf der Gebärende-Personen-Station sich der Tatsache bewusst ist, dass es nicht völlig ausgeschlossen ist, dort eine schwangere Person mit Schnurrbart anzutreffen. Andererseits dürfte dieser kleine sprachliche Baustein nur wenig daran ändern, dass der Mensch mit dem Schnurrbart im Kreissaal eine Auffälligkeit ist, nicht zwingend ein Außenseiter, aber definitiv ein Kuriosum. Dieser Umstand wird auch durch eine Umbenennung nicht beseitigt.

Die Antwort: „Nein, das ist biologisch festgelegt“ ist also doch wahr, es gibt eine biologische Tatsache, die sich durch veränderten Sprachgebrauch niemals tilgen lassen wird. Und deswegen ist die Antwort „Quatsch, frag mal einen Wissenschaftler, es gibt überhaupt keine biologischen Geschlechter!“ auch Unfug. Sie soll widerlegen, dass es eine Art schöpferisches Grundprinzip gäbe, dass uns zwingt, alles in zwei Geschlechter einzuteilen. Und vielleicht argumentiert auch der ein oder andere biologistisch denkende Gegner so. Aber aus der Tatsache, dass bei genauer Betrachtung doch nicht alles so eindeutig ist, wie es auf den ersten Blick erscheint, folgt eben nicht, dass es keine Geschlechter gäbe. Es lässt sich durchaus gut begründen, dass es in der Biologie auch Grauzonen und Ausnahmen gibt. Das zu leugnen ist müßig. Aber diese Grauzonen und Ausnahmen belegen umgekehrt nicht, dass die herkömmlichen Geschlechter überhaupt nicht existieren.

Schrödingers Geschlecht

Man kann so ziemlich jeden Sachverhalt wissenschaftlich so extrem vergrößert oder detailliert betrachten, dass er seine Schärfe verliert. Irgendwann ist man immer bei Quanten-Unschärfe.
Wenn man fragen wollte, was ein Mensch ist, käme man auch auf keine eindeutige Antwort. Aufrechter Gang, großes Großhirn, opponierbare Daumen? Ein Mensch ohne Beine oder Daumen ist auch ein Mensch. So wie eine Frau ohne Uterus weiterhin eine Frau ist (nach bisheriger Wortbedeutung).

Ich kann die genetische Ähnlichkeit heranziehen. Da sind uns Affen oder Mäuse zum Beispiel auch sehr ähnlich. Schimpansen ähneln uns genetisch zu 98,5%. Menschen untereinander sind sich zu über 99% genetisch ähnlich. Bloß, wer legt das fest, ob es 99,9% oder 99,8% oder mehr oder weniger sein müssen, damit wir sagen können: Das ist ein Mensch?

Wir betrachten zunächst den Menschen und den Schimpansen und stellen dann fest: 98,5% Ähnlichkeit reichen anscheinend nicht. Es ist zunächst die Beobachtung da, der menschliche Akt des Benennens und wenn ich erstmal einen Begriff habe, kann ich anfangen, den so benannten Gegenstand zu untersuchen. Dabei mag ich feststellen, dass es bei detaillierter Betrachtung Grauzonen und Ausnahmen gibt. Daraus folgt aber nicht, dass es den Gegenstand nicht gibt oder dessen Bezeichnung “falsch” wäre.

Was ist überhaupt ein Bär? Foto: R. v. Cube

Es folgt aber durchaus, dass man mal kräftig in Frage stellen kann, ob der Begriff und alles was damit verknüpft und begründet wird, in jedem Kontext richtig ist und wie weit er unser Denken prägt. Dumme Transgegner schaffen es nicht, dieses Hinterfragen wenigstens nachzuvollziehen. Dumme Transaktivisten interpretieren das Hinterfragen als abgeschlossene Erkenntnis und glauben offenbar wirklich, es gäbe keine biologischen Geschlechter.

Grauzonen widerlegen nicht die Existenz von Schwarz und Weiß

Die Tatsache, dass es intersexuelle Menschen und Mutationen und seltene Tierarten gibt, die ihr Geschlecht wechseln, ändert nichts aber daran, dass es ein biologisches Phänomen gibt, dass bei uns Menschen im Normalfall zu finden ist, das mit Fortpflanzung und Anatomie und Biologie zu tun hat und das bis jetzt mit den Wörtern „Mann“ und „Frau“ beschrieben wird. Und dass dieses Phänomen in der Natur nahezu überall zu finden ist.

Nur weil jemand sich mit seltenen Fischarten nicht auskennt, hat er dennoch nicht Unrecht, wenn er sagt, dass Männer und Frauen biologisch unterschiedlich sind. Nur weil es Intersexuelle gibt und weil es unterschiedliche Ausprägungen von Geschlechtsorganen gibt, heißt das nicht, dass nicht in sehr, sehr vielen Fällen sehr schnell sehr klar erkennbar ist, ob ein Mensch nach herkömmlicher Definition männlich oder weiblich ist.

Wenn es diesen Unterschied nicht gäbe, könnten ja auch gar keine geschlechtsangleichenden Operationen existieren. Der Wunsch, zu einer Frau zu werden, wäre seiner Bedeutung beraubt, wenn es keine anatomisch-biologische Bedeutung von „Frau“ gäbe. Wenn Transfrauen Frauen wären, ohne Diskussion und ohne wenn und aber, dann könnten Sie nichts einfordern, dann könnten Sie keine geschlechtsangleichenden Maßnahmen wünschen, weil die Antwort immer sein müsste: Quatsch, du bist doch schon eine Frau!

Verwirrspiele

Am Ende bestreiten diejenigen, die das biologische Geschlecht in Frage stellen, ja auch gar nicht, dass es diese anatomischen Unterschiede gibt. Sie diskutieren sich daher zellbiologisch und zoologisch und sonstwie die Köpfe heiß, um etwas zu widerlegen, das eigentlich sowieso nicht zur Debatte steht. Sie versuchen zu widerlegen, dass es ein Naturgesetz gäbe, nachdem man alles in männlich und weiblich einteilen müsse. Es gibt aber ohnehin kein Naturgesetz, nach dem man irgendwas einteilen muss. Man muss gar nichts.

Die Gegner fallen aber auf diese verwirrende Taktik herein, wenn sie anfangen zellbiologisch und zoologisch und sonstwie zurück zu diskutieren. Sie versuchen, ein Naturgesetz zu verteidigen, dass es so wirklich nicht gibt. Selbst wenn sie zweifelsfrei beweisen könnten, dass es in der Natur zu 100% nur männlich und weiblich gibt und wenn sie jeden Anemonenfisch und jeden Hermaphrodit als Irrtum entlarven könnten, würden sie damit in der eigentlichen Fragestellung nichts erreichen. Denn die eigentliche Fragestellung lautet ja: Wollen wir dem Wort „Frau“ eine neue Bedeutung geben? Es geht dabei nicht um Naturwissenschaften, sondern um gesellschaftliche, sprachliche Konventionen.

Gleich zwei Klischees in einem Fenster. Foto: R. v. Cube

Was wollen wir?

Die Befürworter einer neuen Wortbedeutung müssen damit rechnen, dass die Mehrheit die Frage “wollen wir das?” mit “nein” beantwortet. Deswegen versuchen sie, die Deutungshoheit auf diesem Gebiet durch wissenschaftliche Argumente zu gewinnen. Sie versuchen das Argument zu entkräften, man wäre biologisch gezwungen, “Mann” und “Frau” zu sagen und bekämpfen so einen Strohmann.

Die Gegner wiederum gehen gerne auf diese Ablenkung ein. Denn wenn man wirklich über die Frage sprechen würde, um die es eigentlich geht, dann müssten sie sagen: “Wir sind nicht bereit, unseren Sprachgebrauch zu ändern, nur damit sich eine Handvoll Personen wohler fühlt.” Das klingt nämlich wesentlich unsympathischer, als wenn man aus wissenschaftlichen Gründen gar nicht anders kann.

Wie weit sich die Gesellschaft aber anpassen sollte, um Minderheiten das Leben einfacher zu machen, das ist die eigentliche, spannende Frage. Wie wiegt man das Unbehagen einer Person, “Mutter” genannt zu werden, obwohl sie sich als Mann fühlt, gegen das Unbehagen einer Frau, “gebärende Person” genannt zu werden, auf? Zählt das Unbehagen einer diskriminierten Person mehr? Zählt das Unbehagen einer Mehrheit mehr? Sind Frauen nicht auch diskriminierte Personen? Welche Kollateralschäden sind zu erwarten, bei der einen oder anderen Vorgehensweise? Leider sind diese Fragen kaum zu besprechen und jeder, der taktisch argumentiert, statt aufrichtig, trägt dazu bei.

Medizin und Erkenntnis

Gefährlich wird das Infragestellen des biologischen Geschlechts dann, wenn es um wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung geht. So sehr Vorurteile die Erkenntnis trüben können (wenn man etwa Frauen bestimmte Eigenschaften unterstellt, ohne zu hinterfragen wie sehr diese durch gesellschaftliche Erwartungen geprägt werden, eben nicht biologisch begründet sind), so sehr kann es auch umgekehrt zu Fehleinschätzungen kommen, wenn eine Kategorienbildung als politisch unkorrekt geächtet wird.

In der Gendermedizin wird gerade erst aufgearbeitet, wie viele medizinische Annahmen dadurch verfälscht sind, dass man Männer als den Normalfall angesehen hat und übersehen hat, dass weibliche Menschen in vieler Hinsicht anders funktionieren.

Wenn es verpönt wäre, das biologische Geschlecht überhaupt noch zu erfassen oder als Konzept für „wahr“ zu halten, könnten solche Erkenntnisse nicht mehr vorangetrieben werden. Es muss auch weiterhin medizinisch benennbar sein, wenn jemand zwar als Transmann lebt, aber biologisch eine Frau ist. Zum Beispiel kann in Resten von Brustgewebe Brustkrebs entstehen, auch wenn der Mensch transitioniert hat. Auch eine sich als „nicht-binär“ identifizierende Person hat ein biologisches Geschlecht. Sie kann Prostatakrebs oder Gebärmutterhalskrebs bekommen, aber nicht beides.

Was ist Maske, was ist Rolle, was ist Spiegelbild? Foto: R. v. Cube

Wir könnten eine plurale und tolerante Gesellschaft werden, in der es in der einen Situation höflich ist, diese Person nicht mit “Herr” oder “Frau” anzusprechen und in der es in der anderen Situation nicht tabuisiert wird, zu fragen, ob sie (biologisch) ein Mann oder eine Frau ist.

"
Transaktivisten, die diese biologische Frage als Diskriminierung oder als wissenschaftlich veraltet brandmarken stehen einer solchen pluralen und toleranten Welt genauso im Weg wie Konservative, die jede Anerkennung von Transrechten mit Verweis auf die Biologie abkanzeln wollen.

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Arnold Voss
14 Tage zuvor

Große Klasse, Robert. Kluge Differenzierung erhöht die Verständigung.

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