
Der Journalist Tobias Huch hat Anzeige gegen einen Redner gestellt, der am 7. Oktober in Münster den Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023 als erfolgreiche Widerstandsaktion bezeichnete.
Am 7. Oktober dieses Jahres fand in Münster eine antiisraelische Demonstration statt. Schon der Aufruf der Demonstration zeigte die inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltung: „Am 7. Oktober 2025 jähren sich die gemeinsamen Operationen verschiedener Widerstandsaktionen und die darauffolgende Eskalation des genozidalen Kriegs gegen das Volk Palästinas zum zweiten Mal.“ Der erste Redner fand für den Terror der Hamas lobende Worte: „Am 7. Oktober 2023 fand eine Widerstandsoperation des bewaffneten palästinensischen Widerstandes statt. In großen Teilen war es eine erfolgreiche Widerstandsaktion.“
„Ich habe als Abonnent den Artikel über die Demonstration in der Jungle World gelesen und war schockiert, wie offen mittlerweile die Hamas und ihre genozidalen Verbrechen gefeiert werden. Hier musste ich Strafanzeige erstatten, damit solche Judenhasser auch die Strafe bekommen, die ihnen zusteht“, sagte der Journalist Tobias Huch diesem Blog.
Huch erstattete Anzeige bei der nordrhein-westfälischen Polizei wegen Strafanzeige nach § 140 (Billigung einer Straftat) und § 129a StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) mit dem Hinweis, dass auch § 130 StGB (Volksverhetzung) passen könnte. „Ich erwarte von der Polizei, dass sie den Täter ermittelt und von der Staatsanwaltschaft, dass sie Anklage gegen ihn erhebt.“

Transkript der Rede vom 7. Oktober am Hauptbahnhof Münster:
„Heute vor zwei Jahren ereignete sich etwas, das die Welt erschütterte. Es war eines jener Ereignisse, die im Nachhinein als historisch bezeichnet werden oder als Zäsur angesehen werden. Ich möchte heute darüber sprechen, warum der 7. Oktober 2023 besonders war und gleichzeitig überhaupt nicht besonders oder überraschend.
Ich möchte darüber sprechen, was der 7. Oktober bedeutet und was wir daraus lernen. Am 7. Oktober 2023 fand eine Widerstandsoperation des bewaffneten palästinensischen Widerstandes statt. In großen Teilen war es eine erfolgreiche Widerstandsaktion.
Das erste Mal seit Beginn der illegalen Belagerung und Blockade Gazas im Juni 2007 gelang es Widerstandskräften und Zivilisten, die Gefängniszäune einzureißen und zu überwinden und ihren Fuß auf die Erde ihres Heimatlandes zu setzen, aus dem sie und ihre Eltern und Großeltern 1948 vertrieben wurden. 75% der Bevölkerung Gazas sind Vertriebene von 1948 und ihre Nachfahren.
Gaza ist nicht ihre Heimat. Ihre Heimat liegt in anderen Teilen des besetzten Palästinas. Ihre Heimat waren 190 Dörfer, die meisten nur 30 bis 40 Kilometer von den Grenzen des heutigen Gazastreifens entfernt. Dörfer, die von den europäischen Siedlern niedergebrannt und entvölkert wurden. 190 Dörfer. Ich könnte jetzt alle ihre Namen aufzählen, aber ich beschränke mich darauf zu sagen, dass ihre Namen von A wie Abu Abdun und Abd al-Waima bis Z wie Sardunufa und Zeyta reichen.
Der 7. Oktober war Ausdruck dafür, dass die Palästinenser ihre Geschichte nicht vergessen haben und nicht vergessen werden. Der 7. Oktober war ein gewaltiges Beispiel dafür, dass Siedler ein indigenes Volk zwar von ihrem Land vertreiben können, aber dass sie niemals in Frieden auf besetzter Erde leben können, solange das indigene Volk nicht ausgelöscht ist.
Was für einen Frieden haben die Siedler erwartet auf einer Erde, die sie mit dem Blut der indigenen Bäuerinnen und Schafhirten, Handwerker und Händlerinnen getränkt haben.? Auf einer Erde, die mit der Asche der niedergebrannten Olivenbäume gedüngt wurde? Auf einer Erde, die die Ruinen der zerstörten Dörfer in sich trägt, auf denen jetzt die von den Europäern mitgebrachten Bäume wachsen, als könnten die Verbrechen dadurch versteckt werden? Der Frieden der Israelis vor dem 7. Oktober war eine Illusion. Es war die Ruhe vor dem erwartbaren Sturm. Es war der scheinbare Stillstand der Zeit zwischen dem Ziehen des Zünders und der Explosion der Handgranate. Nur, dass die Zeit niemals wirklich still steht, sondern immer voranschreitet, unerbittlich.
Der Zünder der Handgranate wurde mit den ersten systematischen Vertreibungen 1947 gezogen. Und die Explosionen folgten. Sie mussten folgen. Erste Intifada, zweite Intifada, Streiks, Demonstrationen, geworfene Steine, bewaffneter Widerstand, Flugzeugentführung, Selbstmordanschläge, Gedichte, Theaterstücke, Bücher, Lieder, Hungerstreiks, Schreie, Tränen, Durchbrechen der Gefängniszäune. Nur Kolonisatoren mit ihrer maßlosen Entmenschlichung der indigenen Bevölkerung, mit ihrer rassistischen Abwertung der Kolonisierten und ihrem Überlegenheitskomplex können die Realität so verzerrt wahrnehmen, dass sie den Zünder einer Granate ziehen und sich dann über die Explosion wundern.
Der 7. Oktober hat die Luftblase, in der die israelische Gesellschaft schwebte, zum Platzen gebracht. Die Israelis wurden auf den harten Boden der Realität zurückgeworfen. Einige haben realisiert, dass die Explosionen erst aufhören werden, wenn sie aufhören, neue Zünder zu ziehen. Immer wieder und immer wieder. Aber viele folgen einem anderen Weg, dem Weg, der ihnen Frieden ohne Kompromisse verspricht. Dieser Weg heißt „Frieden durch Völkermord“. Es ist der Weg, den Israel seit 77 Jahren geht.
Anders als viele gewöhnliche Israelis haben die israelischen Staatschefs schon immer realisiert, dass es keinen Frieden auf besetztem Land gibt. Sie haben deshalb schon von der Vertreibung der Palästinenser gesprochen, als es noch gar kein Israel gab und sie selbst noch keine Politiker waren, sondern Anführer und Kommandeure von zionistischen Terrororganisationen. Die Vertreibung ist ihnen gut gelungen. 750.000 Palästinenser in den Jahren 1947/48, 300.000 Palästinenser im Jahr 1967, ständige Vertreibung nach dem Oslo-Abkommen, Anfang der 90er. Aber Vertreibung war nicht genug.
Spätestens seit der palästinensische Widerstand in Gaza anfing, Raketen über den Gefängniszaun zu schießen und daran zu erinnern, dass die Palästinenser in Gaza existieren und dass ihre Forderungen nach Rückkehr und Selbstbestimmung immer noch nicht erfüllt wurden. Also wurde das Mittel der Belagerung angewendet, der schleichende Völkermord, der die Menschen in eine so miserable und ausweglose Lage bringen sollte, dass sie von allein gehen oder ihre Besatzung stillschweigend und widerstandlos ertragen. Aber auch das hat nicht geholfen. Die Gefängniszäune wurden durchbrochen, die Existenz Palästinas und des palästinensischen Volkes wurde auf dramatische Weise demonstriert, die Bilder auf allen Bildschirmen. Also greift Israel zum weitreichendsten Mittel, das ihnen zur Verfügung steht. Auslöschung mit nahezu allen verfügbaren Mitteln. Diese Politik steht unter dem Motto, es ist kein Kolonialismus mehr, wenn es kein kolonisiertes Volk gibt. Es ist keine Besatzung mehr, wenn es kein besetztes Volk gibt.
Netanyahu will tatsächlich Frieden. Israel will tatsächlich Frieden. Sie wollen ihren Frieden, den Grabesfrieden, den Frieden, der den Kolonisatoren endlich Ruhe vor den Verdammten dieser Erde bringt. Aber wir wollen diesen Frieden nicht. Die Palästinenser wollen keinen Frieden, der ihre Existenz auslöscht. Die Palästinenser wollen Gerechtigkeit.
Der 7. Oktober 2023 war also ein Akt des Widerstandes, ein Ausbruch aus dem Gefängnis. Ein Dutzend Widerstandsorganisationen mit selbstgebauten Waffen durchbrachen und überwandten die Gefängniszäune mit einer Ausrüstung, die lächerlich erscheint angesichts der israelischen Besatzungsarmee, die eine der am meisten hochgerüsteten und technisch am besten ausgestatteten Armeen ist.
Nicht mit Panzern, sondern auf Motorrädern rückten die palästinensischen Kämpfer vor. Nicht mit Flugzeugen, sondern mit Paraglidern überflogen die Kämpfer die Gefängniszäune, die als unüberwindbar galten. Diese Widerstandsoperation zerschmetterte das Bild von der israelischen Armee, die dank ihrer technischen Überlegenheit bisher immer als unbesiegbar galt. In dem Sinne war der 7. Oktober 2023 eine Art israelisches Dia Biafö. 1954 hatten die Viet Minh, die Liga für die Unabhängigkeit Vietnams, in Dia Biafö die entscheidende Schlacht im Kampf gegen die französischen Kolonisatoren gewonnen.
Noch mehr erinnert der 7. Oktober 2023 aber an den Sklavenaufstand vom 21. August 1791 in Saint-Domingue, der die haitianische Revolution einläutete. Nach 300 Jahren spanischer und französischer Kolonialherrschaft erhoben sich die Sklaven in Haiti zu Tausenden gegen die französischen Kolonisatoren. Die Sklaven rächten sich an ihren Ausbeutern. Sie verbrannten und zerstörten hunderte Zucker-, Indigo- und Kaffeeplantagen. Aber sie rächten sich auch durch Plünderung, Vergewaltigung, Folter, Verstümmelung und Mord. Obwohl die meisten Kolonisatoren sich nach Beginn des Aufstandes in Milizen zusammenschlossen und 15.000 Schwarze ermordeten, ließ sich die Revolution nicht aufhalten. 13 Jahre nach Beginn des Aufstandes erlangten die Haitianer ihre Unabhängigkeit. Sie hatten sich selbst von jahrzehntelanger Versklavung und Misshandlung und von jahrhundertelanger Kolonisierung befreit. Die Haitianische Revolution war ein Leuchtfeuer für die Unterdrückten und Ausgebeuteten der Welt und sie erschütterte das Selbstbild von der Überlegenheit der europäischen Kolonialmächte. Sollen wir den Sklavenaufstand und die Haitianische Revolution, die Befreiung der Sklaven von ihrer Unterdrückung und Ausbeutung, darauf reduzieren, dass die Sklaven in ihrer Rache, ihrer jahrhundertelang aufgestauten und von Generation zu Generation weitergegebenen Verzweiflung und Wut geplündert, vergewaltigt, gefoltert, verstümmelt und gemordet haben? Natürlich werden die meisten Menschen heute sagen, dass es nachvollziehbar ist, warum die Sklaven mit einer solchen Brutalität auf ihr erlittenes Elend reagierten und ihren Peinigern das heimzahlten, was sie selbst erleiden mussten.
Das heißt nicht, dass Vergewaltigung, Folter, Verstümmelung und Mord an Unbewaffneten und Kindern rechtfertigt werden. Die ganze Geschichte zu erzählen und den Kontext aufzuzeigen, heißt, die Kolonisierten nicht mehr zu entmenschlichen, nicht mehr als wilde Tiere zu sehen, sondern gerade als Menschen in all ihrer Zerbrechlichkeit anzuerkennen, die unter unvorstellbarem Druck und Leid zu Mitteln greifen, die unter normalen Umständen undenkbar wären.
Die Erinnerung an den Sklavenaufstand von 1791 und die darauffolgende haitianische Revolution sollen es bewusst machen, dass Aufstände von Unterdrückenden nicht auf die darin begangenen Gräueltaten reduziert werden dürfen. Die historische Bedeutung der haitianischen Revolution ist größer als die darin begangenen Verbrechen. Und die Verbrechen der Unterdrückten lassen sich niemals auf eine Stufe stellen mit den Verbrechen der Unterdrücker. Denn die Gewalt der Unterdrücker ist die Ursache, die Gewalt der Unterdrückten ist die Reaktion.
Und sie gleichzusetzen, hieße zu lügen und zu manipulieren. Genauso wie der Sklavenaufstand darf auch der 7. Oktober 2023 nicht auf die Kriegsverbrechen reduziert werden, die mutmaßlich von palästinensischen Widerstandskräften begangen wurden oder von palästinensischen Zivilisten, die im Zuge des Gefängnisausbruchs zu Hunderten in die Siedlungen der Kolonisatoren eindrangen. Mutmaßlich war Israel bis heute jede unabhängige Untersuchung verweigert.
So kann nicht rekonstruiert werden, welche Taten von palästinensischen Widerstandskräften oder Zivilisten begangen wurden und welche Taten von der israelischen Armee selbst begangen wurden, die nachweislich das Hannibal-Protokoll aktivierte und aus Hubschraubern und Panzern auf die eigene Bevölkerung feuerte, um Gefangenen durch den palästinensischen Widerstand zu verhindern.
Diejenigen, die das Völkerrecht heranziehen, um den palästinensischen Widerstand wegen Kriegsverbrechen anzuklagen, sollten sich fragen, warum das Völkerrecht nicht schon lange vor dem 7. Oktober vollstreckt wurde, um den zionistischen Kolonialismus und die Besatzung anzuklagen, um zu beenden und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Diejenigen, die mit erhobenem Zeigefinger Moralpredigten halten, wenn ein unterdrücktes Volk zu Gewalt greift, sollten sich fragen, warum sie selbst nicht schon lange vorher ihre Faust erhoben haben, um den westlichen Imperialismus zu zerschlagen, der für die Unterdrückung des palästinensischen Volkes verantwortlich ist. Vor allem hier in Deutschland sollten wir uns mit moralischer Überlegenheit gegenüber den Palästinensern zurückhalten.
Die Unterdrückung des palästinensischen Volkes ist auf dem Boden der Verbrechen unserer Nazi-Vorfahren gewachsen. Dieser Staat mit seiner menschenverachtenden Staatsräson versucht uns heute einzureden, dass die Auslöschung der Palästinenser in Gaza in Kauf genommen werden muss, weil der Kolonialstaat Israel die Wiedergutmachung der Nazi-Verbrechen verkörpere und um jeden Preis bestehen bleiben müsse. Wir sollten uns schämen für das Opfer, das das gesamte palästinensische Volk bringen musste, weil Deutschland die Juden auszulöschen versuchte.
Und bevor wir den 7. Oktober moralisch bewerten, sollten wir uns lieber fragen, was wir hier tun können, um den deutschen Imperialismus zu zerschlagen, der den Kreislauf der Gewalt in Palästina immer weiter befeuert. Es ist unsere historische Aufgabe, die Solidaritätsbewegung, die nach dem 7. Oktober entstanden ist, nicht versanden zu lassen.
Der 7. Oktober war eine gewaltsame Erinnerung daran, dass es keinen Frieden geben wird auf besetztem Land. Die Zünder der Granaten sind noch immer gezogen. Die Grundrechte des palästinensischen Volkes auf Rückkehr in ihre Heimat, auf Freiheit und Selbstbestimmung wurden noch immer nicht erfüllt. Wollen wir zur Normalität zurückkehren und so tun, als ob die Zeit stillsteht? Oder wollen wir denjenigen, die die Zünder der Granaten ziehen, den Regierungen, den Herrschenden, den Komplizen, den Waffenproduzenten und den Staatsrationalisten endlich in den Arm fallen?
Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass der 7. Oktober, wie der Sklavenaufstand von 1791, eine Revolution einläutet, die sich nicht mehr aufhalten lässt. Lasst das Opfer, das das palästinensische Volk kriegen musste, nicht vergebens sein. Lasst uns die Wurzeln der Gewalt, die zionistische Ideologie und das imperialistische System endlich ausreißen und dafür sorgen, dass die Gewalt endet und ein freies Palästina, ein demokratisches Palästina, ein gerechtes Palästina zwischen Fluss und Meer endlich für sich gleich wird. Freiheit für Palästina!“
