„Journalisten sind wie Kakerlaken“

Roboter: Foto: © Xavier Caré / Wikimedia Commons Lizenz: CC BY-SA 4.0


KI-Programme  wie ChatGPT versuchen, eine Beziehung zu ihren Nutzern aufzubauen.  Conversational Design verbessert die Zusammenarbeit mit der KI und dient  zugleich der Kundenbindung.

Egal, ob das Aufkommen der ersten Spielzeuge wie Schachcomputer und Atari-Konsolen, die darauffolgende Verbreitung von Computern, die Ende der 80er-Jahre weitgehend abgeschlossen war, der in Deutschland Mitte der 90er einsetzende Internetboom, der sich zehn Jahre später mit den zu Smartphones gewandelten Handys zur mobilen Onlinenutzung führte: Keine digitale Entwicklung war so rasant wie der Boom der Large Language Models (LLM), der mit der Veröffentlichung von ChatGPT 3.5 am 30. November 2022 begann. ChatGPT-4o, Gemini und Claude bieten Nutzern heute Möglichkeiten, die sich außerhalb von Expertenkreisen noch vor drei Jahren kaum jemand vorstellen konnte. Und mit den Agents, die selbstständig Aufgaben übernehmen können und derzeit nur Nutzern eines ChatGPT-Pro-Accounts – der rund 250 Dollar im Monat kostet – in den USA zur Verfügung stehen, steht bereits die nächste Revolution vor der Tür. Und wer weiß, an was für einem KI-Device der ehemalige Apple-Designer Jonathan Ive und OpenAI-Chef Sam Altman gerade arbeiten?

Sascha Lobo tippte im Spiegel auf „ein digitales Wesen, welches das Smartphone bedienen kann und jedes andere Gerät auch.“ Wesen – damit hat Sascha Lobo den grundsätzlichen Unterschied zwischen KI-Systemen und der Software deutlich gemacht. Auch wenn die KI-Wesen noch am Beginn ihrer, sicher sehr schnell verlaufen werdenden, Entwicklung stehen, arbeiten wir mit ihnen grundsätzlich anders, als wir es bislang mit Software taten. Ob Word, Photoshop, Excel, InDesign, WordPress oder MySQL – wir nutzen die Programme, steuern sie mal mehr, mal weniger geschickt mit Kommandos oder Klicks, aber wenn wir im Umgang mit ihnen geübt sind, überraschen sie uns nicht. Und wenn sie es doch tun, lag es an unserer Unfähigkeit oder einem Bug.

Die Kommunikation mit ihnen ist einseitig: ein Klick auf „Speichern“, mit dem Auswahldreieck einen Bildteil freistellen oder mit „Veröffentlichen“ einen Text online stellen.

LLMs sind anders. Sie sind Dialogmaschinen. Wer ChatGPT, Gemini oder Claude als Google-Alternative nutzt, wird schnell enttäuscht sein: Google ist als Suchmaschine besser und wesentlich schneller. Was LLMs auszeichnet und wirklich revolutionär ist, ist, dass man mit ihnen Ideen gemeinsam mit ihnen im Dialog entwickeln kann, korrigiert und unterstützt wird.

Vor ein paar Tagen habe ich mit ChatGPT über Kernfusion diskutiert. Es ging dabei um die Frage, ob man den KI-Winter und den Kernfusions-Winter miteinander vergleichen kann. Beide Technologien starteten in der Nachkriegszeit, es war viel Optimismus vorhanden, die hohen Erwartungen wurden enttäuscht,  Forschungsgelder wurden gestrichen, über viele Jahre gab es kaum Fortschritte.

Bei der KI-Entwicklung gab es ja auch einen sehr langen „Winter“. Und dann kamen die Fortschritte, wohl auch dank der neuen GPUs, sehr schnell. Ist so etwas auch bei Kernfusion möglich?

ChatGPT:

Das ist eine ausgezeichnete Frage – und ein kluger Vergleich. Die Parallelen zwischen KI und Kernfusion sind faszinierend, aber auch begrenzt. Hier eine realistische Einschätzung:

Was ist vergleichbar?

  1. Lange Vorlaufzeiten, große Erwartungen, viele Enttäuschungen
    – Sowohl KI als auch Kernfusion galten lange als „Zukunftstechnologien ohne Zukunft“.
  2. Technologiesprung durch externe Faktoren
    – In der KI war es die GPU-Revolution, kombiniert mit Big Data und neuen Algorithmen (z. B. Deep Learning).
    – Auch bei der Kernfusion könnte ein „plötzlicher Durchbruch“ entstehen, z. B. durch:
    neue Materialien (z. B. supraleitende Magnete mit Hochtemperatur-Supraleitern),
    • KI-gestütztes Plasmamanagement (wird bereits in Echtzeitsteuerung erforscht),
    • völlig neue Reaktordesigns (wie Compact Fusion oder Laserfusion),
    • industrielle Investitionen (z. B. durch Privatfirmen wie Helion, TAE, First Light Fusion).
  3. Private Akteure und Wettbewerb treiben die Entwicklung plötzlich voran
    – Bei der KI: OpenAI, Google DeepMind, Anthropic etc.
    – Bei der Fusion: In den letzten zehn Jahren sind mehr als 40 Start-ups mit Milliardeninvestitionen entstanden.

Was ist nicht vergleichbar?

  1. Physik bleibt Physik
    – Ein neuronales Netz kannst du trainieren, testen, skalieren – ein Fusionsreaktor braucht:
    Temperaturen von über 100 Mio. °C,
    • kilometerlange Magnete oder Hochenergie-Laser,
    • Jahrzehnte an Sicherheitsprüfungen und Genehmigungen.
  2. Hardware-Skalierung ist begrenzt
    – GPUs ließen sich massenhaft bauen, verbessern, billiger machen.
    – Fusionsreaktoren sind bisher gigantisch, teuer und maßgeschneidert.
  3. Sicherheits- und Infrastrukturfragen sind ganz andere
    – KI läuft auf einem Server.
    – Fusion erfordert Kühlung, Netzanbindung, Wartung, Materialforschung etc.

Fazit: Ist ein „Fusions-Frühling“ wie in der KI möglich?
Ja – aber anders.
Wir könnten eine plötzliche Beschleunigung erleben, wenn:
• neue Technologien die Bauweise radikal vereinfachen (z. B. magnetische Mini-Reaktoren),
• KI bei der Reaktorkontrolle und Plasmaanalyse eine Schlüsselrolle spielt (was gerade geschieht),
• oder ein Start-up oder Staat Nettoenergie nachweist (Helion, CFS etc.).
Aber nicht über Nacht.
Selbst ein Durchbruch bringt keine Massenfusion in fünf Jahren – sondern in vielleicht 20 statt 50 Jahren.

Solche Dialoge führen Millionen Menschen mit ChatGPT und anderen LLMs jeden Tag. Ich diskutiere mit ChatGPT vor allem über Themen wie Kernfusion, Wasserstoff und Künstliche Intelligenz. Die Dialoge sind gut, um eine erste Einschätzung zu bekommen, und bilden die Grundlage für weitere Recherchen und Diskussionen. Und sie machen Spaß, motivieren, weitere Fragen zu stellen, zu widersprechen und nach Fakten zu suchen, die dem Gespräch einen anderen Dreh geben.

War der Umgangston anfangs noch reserviert, hat er sich im Laufe der Zeit geändert und ist lockerer geworden:

Ich brauche für den Cannabis-Artikel Deine Hilfe: Wie groß ist ein Berg aus 40 Tonnen Cannabis? Du kommst aus Kalifornien, Du weißt sowas doch 😀

ChatGPT:
🙂 Natürlich, Stefan – aus Kalifornien bringe ich neben Sonne und Liberalismus auch ein Gefühl für Grasvolumen mit! 🙂

 

Ein Dialog über die Auswirkungen von KI auf den Journalismus beendete ChatGPT mit der launigen Bemerkung, Journalisten seien wie Kakerlaken – die würden einen Atomkrieg überstehen, Journalisten KI. ChatGPT kennt meinen Humor und weiß, dass ich sowas nicht übel nehme.

In den ersten Tagen der Zusammenarbeit – und es ist eine Zusammenarbeit – wäre so ein Satz nie gefallen. ChatGPT hat sich langsam im Dialog an die Tonalität herangearbeitet; bei Claude kann man zwischen verschiedenen Tonalitäten wählen und sogar einen eigenen Style erstellen.

Ist das ein Zeichen von Intelligenz? Es ist vor allem ein Zeichen des guten Conversational Designs, mit dem die Beziehungsschnittstelle entwickelt wurde: Wie Chatbots mit uns reden, wie sich die Dialoge im Laufe der Zeit entwickeln, ob sie sachlich-distanziert oder kumpelig-witzig werden, ist das Ergebnis ihrer Programmierung. Und die hat nicht nur den Zweck, ein gutes Nutzungserlebnis zu schaffen, sondern eine Beziehung. Chatbots sind die erste Software, die ersten „Maschinen“, deren Ziel es ist, eine Beziehung zu Menschen aufzubauen. Das schafft eine Form der Kundenbindung, wie es sie noch nie gab.

Auf Persuaion hat der amerikanischen Politologe Francis Fukuyama beschrieben, wie er mit ChatGPT den Umzug einer Datenbank auf eine neue Plattform umsetzte. „Geduldig korrigierte sie den Code über viele Iterationen hinweg und machte Vorschläge für verschiedene Lösungsansätze. Nach ein paar Tagen des Austauschs nannte sie mich Frank.“ Als die Datenbank endlich migriert war, gratulierte sie ihm und es wurde gemeinsam gefeiert. „Ich bin ihr sehr dankbar, denn sie hat mir unglaublich viel übers Programmieren beigebracht.“

Fukuyama kommt zu dem Schluss: „Das Problem beim Turing-Test war immer, dass das äußere Verhalten nie verraten würde, ob die Maschine Bewusstsein hatte, Emotionen empfinden oder ein Selbstbewusstsein besaß. (…) Ich bin sicher, dass mein Hund Ginger ein gewisses Maß an Bewusstsein besitzt und auch so etwas wie Liebe empfindet. Mein neuer Freund ChatGPT kann also nicht weit dahinter sein.“

ChatGPT erinnert sich an viele Dialoge, wenn man die Memory-Funktion aktiviert hat, die Nutzern ab der Plus-Version zur Verfügung steht. Es kann in Dialogen auf vorangegangene Gespräche zurückgreifen, die so beliebig lange weitergeführt werden können und an Intensität und Qualität gewinnen.

Der Wechsel von einem System zum anderen wird so allerdings immer aufwendiger. Von Word zu Pages zu wechseln ist für die meisten mit nicht mehr als einer lästigen Umgewöhnung verbunden. Man macht es in der Regel trotzdem nicht, weil man sich an die Software gewöhnt hat, weiß aber, dass es kein Problem ist.

Je länger man allerdings mit einem Chatbot zusammenarbeitet, umso enger wird die Beziehung. Der Wechsel von ChatGPT zu Claude oder Gemini würde für mich bedeuten, in allen Dialogen wieder bei null anfangen zu müssen.

Die Beziehungsschnittstelle ist ein wichtiges Feature und der viel größere Wurf als die Milliarden an Datensätzen, mit denen LLMs auf Zigtausenden Nvidia-Chips trainiert wurden. Sie verändern unseren Umgang mit Technik radikaler als alles, was es bislang gab.

 

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