Heine, Börne und Kerr – und Israel?

Marcel Reich-Ranicki Interview in der FAS

Vorgestern habe ich für die „Jüdische Allgemeine von der Verleihung der Ludwig-Börne-Medaille an Marcel Reich-Ranicki berichtet. Es war eine außerordentlich unterhaltsame und – wie so oft, wenn jemand für sein Lebenswerk geehrt wird – bewegende Veranstaltung.

Harald Schmidt sang ein Gedicht von Brecht, Tommy Gottschalk sprach über seine Freundschaft zu Reich-Ranicki und Frank Schirrmacher gab Anekdoten aus jener Zeit zum Besten, als Schirrmacher gerade bei der FAZ anfing und dem Literaturkritiker mit vor Angst zitternden Händen Rezensionen zur Begutachtung vorlegte („„Mein Lieber, das können wir auf der Seite 2 eventuell drucken, wenn Sie den Anfang komplett umschreiben und alle Fremdworte streichen; aber für Sie, merken Sie sich das, gilt das Sprichwort: ,Er hört die Glocken, aber er weiß nicht, wo sie hängen.‘““).

Dann betrat Henryk M. Broder das Podium und hielt eine ebenso herzliche (»Bleiben Sie gesund. Bleiben Sie stark, bleiben Sie böse. Vor allem aber: Bleiben Sie!«) wie kritische Rede. Er forderte von Reich-Ranicki, sich auch jenseits der Bücherwelt einzumischen, wenn etwa der Gaza-Streifen wie dieser Tage wieder einmal unzulässig mit dem Warschauer Ghetto verglichen werde, das er mit seiner Frau Tosia überlebt hatte. Broder fragte: „Bekommen Sie nicht eine Gänsehaut, wenn im Zusammenhang mit den Lebensbedingungen in Gaza von ›Zuständen wie im Warschauer Ghetto‘ geredet wird? Packt Sie da nicht die Wut und das Verlangen, Ihr Zuhause in der deutschen Literatur für einen Moment zu verlassen und sich draußen auf der Straße umzusehen, wo nicht die Freunde von Heine und Hölderlin unter den Linden flanieren, sondern die Anhänger von Hamas und Hisbollah‚ Zionisten raus aus Palästina!‹ rufen?“

Er wünsche sich von Reich-Ranicki, seinen Status als populärer Literaturkritiker dazu zu nutzen, sich für Israel auszusprechen. Denn: »Man kann in der deutschen Literatur zu Hause sein, aber man kann nicht so tun, als würde man in der deutschen Literatur leben.«
Nachdem Broder die Bühne verlassen hatte, um dem Jubilar zu gratulieren, stand Reich-Ranicki auf und umarmte den Festredner – eine Geste, die an diesem Tag wohlgemerkt nur Broder zuteil wurde.

Und dass dieser mit seiner Rede ins Schwarze getroffen hatte, folgte auf dem Fuße. Der Umstand, dass gerade einmal die Hälfte des Publikums nach Broders Rede applaudierte, belegte eindrücklich, wie unerlässlich es nach wie vor ist, einen Kontrapunkt zum populären und undifferenzierten Israel-Bashing zu setzen. Die ablehnende Reaktion des ehrenwerten Frankfurter Publikums zeigte darüber hinaus, dass Reich-Ranicki nie der zeitweise bedeutendste Intellektuelle der Bundesrepublik geworden wäre, wenn er sich regelmäßig zu politischen Themen oder gar zu Israel und dem Nahost-Konflikt geäußert hätte.

Die Hydra aus Düsseldorf

Verblühende rotgelbgrüne Tulpe
Die neueste Hyra ist rot wie Kraft, grün wie Löhrmann und gelb wie Pinkwart

In der Landeshauptstadt wächst das vielköpfige Ungeheuer: So wie der griechischen Sagengestalt ein abgeschlagener Kopf zwei neue Häupter beschert, erhält die SPD nach jeder gescheiterten Sondierungsrunde neue Angebote. Heute probieren FDP, Grüne und SPD die Ampel. Sollte das inhaltlich völlig konträre Trio scheitern, steht wieder die Groß-Koalition auf dem Plan. Oder die Tolerierung durch die Linkspartei. Das wäre die inhaltlich und demokratisch beste Option – für jedes Gesetz müsste eine Mehrheit im Landtag erkämpft werden. Und angeblich geht es ja allen um „die Inhalte“

Unrealistisch scheint diese Option nicht. Zwar sind SPD. Grüne und Linke vor knapp zwei Wochen persönlich zerstritten auseinander gegangen. Aber bei inhaltlichen Ziele wie der Abschaffung der Studiengebühren, dem längeren gemeinsamen Lernen und finanzielle Hilfen für die Kommunen ist das Trio sich einig. Und Kraft könnte sich in geheimer Wahl mit den Stimmen der Linken wählen lassen – sie benötigt nur eine Stimme des fremden Lagers. Das ist vielversprechender als die Große Koalition mit der CDU, die auf ihren Vorzeige-Verlierer MP Jürgen Rüttgers nicht verzichten will.

Das weiß auch die SPD. Und könnte sich tolerieren lassen. „Als letzte Option vor Neuwahlen würden wir natürlich auch diese Karte ziehen“, heißt es aus dem SPD-Landesvorstand. Zwar hat Hannelore Kraft immer gesagt, dieses „große Land kann auf Dauer nicht so geführt“ werden. Aber nach dem politischen Wechselbad kalkulieren die Genossen langfristig: „Sollte es zu keinen Koalitionsverhandlungen kommen und CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers geschäftsführend weiter regieren, wird sich Kraft zur Wahl stellen.“ Dies sei auch mit Blick auf die dann gewonnene Bundesratsmehrheit für die unbeliebten Berliner Regierungsbeschlüsse notwendig.

Auch die Grünen wären dafür offen. So könnte das Wunschbündnis „Rot-Grün plus X“ doch noch Wirklichkeit werden. Der grüne Landeschef Arndt Klocke formuliert vorsichtig: „Eine Minderheitsregierung ist jetzt aktuell kein Thema.“ Es herrsche aber auch nach den gescheiterten rot-rot-grünen Gesprächen „keine Vereisung in der Atmosphäre“ mit den Linken. Somit hat SPD-Landeschefin Hannelore Kraft wieder eine Option mehr. „Jede Variante hat ihre Schwächen. Aber mit der CDU wäre es sicherlich nach den Erfahrungen in Berlin schwierig“, so der zum linken Flügel zählende Landesvize Jochen Ott. Er halte die „Ampel-Sondierungen für aussichtsreich“. In der Landespolitik gebe es große Berührungspunkte mit der FDP. Zum Beispiel seien die Liberalen in der Schulpolitik veränderungsbereit, auch in der Innenpolitik sind wir eher beieinander. Und in der Kinder- und Jugendpolitik gebe es viele Übereinstimmungen. Auch Klocke sagt, von den eingetragenen Partnerschaften bis zu den Bürgerrechten sähe er Übereinstimmungen.

Heute wird sich zeigen, wie groß die Ampelchancen tatsächlich sind. Das achtköpfige liberale Team für die Gespräche in einem Düsseldorfer Hotel ist paritätisch besetzt: Befürworter wie der Landesvorsitzende Andreas Pinkwart oder der Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff halten sich mit ausgewiesenen Gegnern in etwa die Waage. Die Bundespolitik spielt der Ampel aber in die Hände: Je unzufriedener die Bürger mit dem schwarz-gelben Berliner Bündnis sind, umso größer ist die Not der FDP, nach neuen Partnern zu suchen. „Die Berliner Führung möchte deshalb gerne eine Ampel“, heißt es in Düsseldorfer Fraktionskreisen. Und gerade ältere Abgeordnete distanzieren sich zunehmend von den jungen neoliberalen Wadenbeißern aus Düsseldorf. „Es gab gute sozial-liberale Zeiten in Nordrhein-Westfalen“, sagt Detlef Parr, Mitglied des Landesvorstandes und präventionspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Daran sollte angeknüpft werden. „Wir sollten uns tolerant prüfen“, sagt er. Wie dies ausgeht scheint in Düsseldorf niemand zu ahnen. Der Parteilinke Ott sagt: „Die vergangenen Wochen haben auch gezeigt: „Im Findungsprozess passieren viele unvorhergesehene Dinge.“

Als ich in der Fortbildung arbeitete…

Die Bundesregierung kürzt bei den Fortbildungsmaßnahmen. In den 90ern habe ich mal in der Branche gearbeitet.

Es war für einen Studenten in den 90ern ein Traumjob: 40 Mark die Stunde. Und wenn man wollte, konnte man viele Stunden arbeiten. Auf bis zu 2000 Mark kam ich so bei meinem Job in der Fortbildungsbranche im Monat. Mein Arbeitgeber war eine privates Fortbildungsinstitut, meine Schüler waren vor allem Langzeitarbeitslose, die nach der Ausbildung zum Altenpfleger und Familienpfleger wieder einen Job finden sollten. Dann gab es auch noch Selbstzahler: Sie wollten Ergotherapeuten werden oder Stationsleiter.
Als ich den Job begann, hatte ich jede Menge hochqualifizierte Kollegen: Ärzte, Pflegedienstleiter, Juristen oder erfahrene Ergotherapeuten unterrichteten die Schüler. Ich lehrte was übrig blieb: Staatsbürgerunterricht und ein Fach das Kommunikation hieß. Da ich Kommunikationswissenschaft studierte (Ja, laut lachen ist an dieser Stelle erlaubt!) kam ich gut zu recht. Über eine pädagogische Qualifikation verfügte ich nicht, das lernte ich im Laufe der Jahre nebenbei.
Irgendwann mal fiel mir auf, dass immer häufiger die Kollegen wechselten. All die Ärzte und Juristen waren weg und immer mehr der eher preiswerten Studenten unterrichteten die Schüler. Ich habe schließlich in einem Ergotherapeutenkurs Fachkunde unterrichtet. Etwas blöd war, dass ich damals glaubte, Ergotherapeuten wären so etwas wie Masseure. Entsprechend fiel der Unterricht aus.
Die Besitzerin der Schule holte jede Menge Aufträge ran. Sie spendete der Gewerkschaft große Summen, denn die saß in den Gremien des Arbeitsamtes, dass die Kurse genehmigte. Besonders gut lief es 98 vor der Bundestagswahl. Die Arbeitslosenzahlen sollten sinken und die Zahl der Kurse explodierte. Jeder Schüler war ein Arbeitsloser weniger. Ob er für den Job, den er erlernte geeignet war oder nicht interessierte so wenig wie die Qualifikation der Ausbilder. Bei vielen Schülern hoffte ich nur, dass sie niemals einen alten Menschen pflegen würden. Die meisten waren allerdings hochmotiviert und wirklich nett.
Wenn ich jetzt lese, die Bundesregierung will Fortbildungskurse streichen, kann ich die Empörung nicht ganz verstehen. Viele der Kurse bringen den Arbeitslosen nichts. Allerdings ist um die Kurse herum eine ganze Industrie entstanden. Zahlreiche Weiterbildungsinstitute profitieren von diesen Kursen. Sie gehören häufig den Gewerkschaften und oder sind Arbeitgebernah.
Ich weiß natürlich nicht, wie die Qualität in diesen Instituten heute ist.  Was man von Leuten hört, die heute solche Kurse besuchen, lässt vermuten, dass sich wenig verbessert hat. Ich glaube, man sollte Geld in die Qualifikation von Arbeitslosen investieren. Allerdings gezielt und mit einer ordentlichen Qualitätskontrolle. Die Kurse die an meiner Schule liefen, haben nur wenigen meiner Schüler etwas gebracht.
Werbung

Deutschland ist besser als Argentinien, oder so

Bald geht es endlich los.  Das Runde rollt wieder ins Eckige. Am Sonntag, den 13. Juni, greift dann auch endlich unsere Nationalmannschaft ins Rennen um den Weltmeistertitel in Südafrika ein. Und nach dem grandios herausgespielten Sieg über Bosnien-Herzegowina kann eigentlich kaum noch ein Zweifel daran herrschen, dass Jogis Buben den Pokal holen und sich den vierten Stern an die Brust heften können.

Die Voraussetzungen sind doch alle da. Im Tor mit Manuel Neuer ein Schalker Jung, der sich voll auf seine Vorderleute verlassen kann: Arne Friedrich vom Zweitligisten Hertha BSC, der den Abstieg des Hauptstadtklubs zwar nicht verhindern konnte, aber wegen seiner konstant herausragenden Leistungen dennoch für die WM nominiert wurde. Mit ihm und Holger Badstuber, Per Mertesacker, Philipp Lahm, Dennis Aogo, Jerome Boateng sowie Serdar Tasci steht unsere Abwehr. Felsenfest. Und dann unser Mittelfeld! Bastian Schweinsteiger, ein Spieler, der vor allem dann zur Hochform aufläuft, wenn auch die ganze Mannschaft einen Lauf hat. Dazu noch die Ausnahmekicker Piotr Trochowski und Marcell Jansen, die in diesen Tagen sicher zur Superform auflaufen werden.  Potenzial haben vor allem aber unsere Jungstars Toni Kroos, Mesut Özil, Marko Marin und Sami Khedira – und das werden sie bestimmt auch auf Anhieb abrufen können. Da verblassen doch Schönwetterfußballer wie Mascherano, Veron, Fabregas, Xabi Alonso, Xavi und Iniesta sowie Kaka.

Und schließlich unser Sturm. Eine Augenweide. Eine Tormaschine. Lukas „Prinzchen“ Podolski und Miroslav „Einatmen-Ausatmen-Nicht-Vergessen“ Klose.  Ich sehe die gegnerischen Abwehrreihen um Demichelis, Heinze, Puyol, Ramos, Arbeloa, Alves, Lucio oder Maicon bereits erbeben.  Wer sind da die argentinischen Randfiguren Messi, Milito, Higuain, Aguero oder Tevez? Oder Villa und Torres aus Spanien? Oder gar die Samba-Kicker Luis Fabiano, Grafite und Robinho? Lächerlich. Wir können uns sogar den Luxus leisten, Kießling, Müller, Gomez und Cacau zu Ergänzungsspielern zu machen.

Deutschland wird aus all diesen Gründen Weltmeister, ganz sicher. Allerdings nicht  bei dieser Weltmeisterschaft. Vielleicht 2014 oder 2018. Aber in diesem Jahr werden Argentinien, Spanien oder Brasilien den Sieg unter sich ausmachen. Wahrscheinlich werden die Gauchos am 11. Juli den Pokal in den Nachthimmel Johannesburgs recken. Denn neben den ordentlichen Balltretern haben sie mit Diego Maradona einen Trainer, dessen Taktik und Spielweise schon in der Vergangenheit in den entscheidenden Momenten Hand und Fuß hatte…

Der Ruhrpilot

Haushalt: RWI-Schmidt: „Das Sparpaket ist ausgewogen“…Der Westen

NRW: Der große Ampeltest…Pottblog

Präsi: „Ich lass mich nicht vergauckeln“…F!XMBR

Haushalt: Berliner Luftschlösser…Weissgarnix

Präsi II: Netzgemeinde mobilisiert für Gauck…taz

NRW II: Die NRW-Grünen und ihr fragiler Draht zur FDP…Welt

NRW III: Kraft ganz offen für die FDP…taz

Karstadt: Ein Dandy für Karstadt…Spiegel

Duisburg: Gebag kündigt dem Hundertmeister…Der Westen

Gelsenkirchen: Komm, hol das Lasso raus…Hometown Glory

Gelsenkirchen II: Heißes Pflaster Hassel…Hometown Glory

Dortmund: Flughafenbeschlüsse ohne Rat…Der Westen

Dortmund II: Konzertveranstalter meldet Insolvenz an…Ruhr Nachrichten

Bochum: Opelaner in Bochum stimmen Einschnitten zu…Ruhr Nachrichten

Medien: Der Westen hat Probleme…Journalist

Medien II: Woran krankt der Artikel im “Journalist” über “DerWesten”…Zoom

Kultur: Cologne Commons 2010…Netzpolitik

Gewalt: Islamverbände sehen keinen Grund zur Selbstkritik…Welt

Gaza: Das Geisterschiff…Achse des Guten

Konflikt: Wie man Antifeministen einpeitscht…Isis

Sparen ohne Ideen

Die Bundesregierung will bis 2014 80 Milliarden Euro einsparen. Geld bringen sollen Einsparungen bei der Verwaltung, eine Brennelementesteuer und eine bessere Vermittlung von Langzeitarbeitslosen.

Zu erst die gute Nachricht: Im Wissenschafts- und Bildungsbereich wird nicht gespart. Im Gegenteil: Hier werden die Ausgaben wie geplant steigen. Merkel bezeichnete die Bildungsausgaben als Investitionen in die Zukunft.

13 Milliarden sollen  2011 eingespart werden:  Mit fünf  Milliarden  soll die Wirtschaft belastet werden, weitere  fünf Milliarden werden im Sozialetat eingespart werden und drei Milliarden in den Bundersverwaltung. Steuern sollen kaum erhöht werden – auch die umstrittene Senkung der Umsatzsteuer für Hotels wird nicht zurückgenommen. Eine Nebelkerze ist die Finanzmarkt-Transaktionssteuer. Sie ist international kaum durchsetzbar. Und die Brennelementesteuer ist der Preis der Atomindustrie für die Laufzeitverlängerung.

Und. Bringt es das jetzt? Nein. Seit 1969 wurden Schulden angehäuft – jetzt sind es über  1,7 Billionen Euro. Eine Menge Geld. Der Bund will nun sparen. Das von der Bundesregierung vorgelegte Konzept ist weder ausreichend noch glaubwürdig.

Der Staat mischt sich in zu viel ein, will zu viel ausgleichen. Das kann er  nicht leisten: Kohle zu fördern lohnt nicht mehr – es gibt Geld vom Staat. Milch wird immer billiger – es gibt Geld vom Staat für die Bauern. Man hat einen weiten Weg zur Arbeit – es gibt Geld vom Staat. Man hat eine teure Wohnung in der Stadt – es gibt kein Geld vom Staat. Die Käufer von Tiermedikamente erfreuen sich über eine geringere Mehrwertsteuer. Wer zu Hause auf die Kinder aufpasst bekommt Geld, wenn er nicht Hartz IV bezieht. In den Schulen und Kindergärten fehlen dann die Mittel. Das alles ist weder effizient noch gerecht.

Wir müssen schnell darüber diskutieren, was der Staat noch leisten kann. Vieles was wir auf der einen Seite erhalten, wie die Pendlerpauschale, bezahlen wir an andere Stelle über höhere Steuern selbst. Die Umverteilung läuft nicht nur von oben nach unten oder von unten nach oben sondern vor allem von der linken in die rechte Tasche. Und an diese Strukturprobleme hat sich die Bundesregierung nicht herangewagt.

Übrigens: An den Einnahmen liegen die Probleme des Staates nicht. Bund, Länder und Gemeinden haben 2006  488 Milliarden eingenommen, 2009: 524 und 2010 werden es wohl 511 sein. Das sollte reichen.

Einen Überblick über die Maßnahmen der Bundesregierung gibt es hier

Werbung

Der kretische Pope

Blick auf die Bucht von Matala mit den berühmten Höhlen

Wir waren zum ersten Mal auf Kreta. So ein paar alte Traditionen zu entdecken, hatten wir schon gehofft, schließlich hatten wir ja mal, lang, lang ist`s her, Alexis Sorbas gesehen und dachten, dass sich dort auf der Insel vielleicht doch noch etwas an Tradition erhalten hat. Von unserem Gastautor Helmut Junge

Aber selbst die ländliche Bevölkerung hat sich mittlerweile längst der modernen Zeit angepasst, und so ist uns außer ein paar schwarz gekleideten, sehr alten Frauen, die am Straßenrand Apfelsinen verkauften, zumindest optisch kein traditionelles Element aufgefallen. Die jungen Frauen und die jungen Männer jedenfalls waren nicht anders gekleidet als die, die wir üblicherweise in Deutschland antreffen. Alle sprechen Englisch und viele sogar Deutsch und sind sehr nett, besonders zu uns Deutschen. In den Städten gibt es Internet Cafés, so dass ich dort sogar die Diskussionen bei den Ruhrbaronen verfolgen konnte. Witzigerweise las ich dort sogar den Ruhrbaroneartikel über Südkreta. Es hat also zeitgleich mindestens zwei Ruhrbarone-Leser auf Kreta gegeben. Obwohl also rein äußerlich für einen flüchtigen Besucher nichts von der alten Tradition zu erkennen ist, hat es doch ein Erlebnis gegeben, dass ich in dieser Form nicht erwartet hätte.
Und das war ein kluger religiöser Schachzug.

Als wir eines morgens auf der Treppe in unserem Hotel in Rethrymno standen und Richtung Rezeption gingen, hörten wir die laute Stimme eines Priesters, der eine religiöse Zeremonie abhielt. Die Priester der griechisch orthodoxen Kirche werden allgemein Popen genannt. Sie gehören auf Kreta zum normalen Straßenbild und haben immer einen schwarzen Kittel an und tragen einen Zopf am Hinterkopf, dürfen aber im Gegensatz zur katholischen Priestern heiraten, denn die Trennung der beiden christlichen Kirchen erfolgte schon lange vor der Einführung des Zölibats.

Natürlich wunderten wir uns darüber, dort im Hotel einen Popen zu hören, und als wir näher kamen, konnten wir durch eine halb geöffnete Bürotür sehen, dass dort zwei oder drei Leute standen, und der Stimme dieses Popen lauschten. Den Popen selber konnten wir nicht sehen, hatten auch keine Ahnung, um was es bei dieser Aktion ging. In der Rezeption selbst war niemand anwesend. Wir legten unseren Zimmerschlüssel auf die Theke und machten, wie geplant, unseren Tagesausflug. Nachmittags kamen wir zurück und holten unseren Zimmerschlüssel in der Rezeption ab. Bei solchen Gelegenheiten machten wir mit der Dame an der Rezeption meistens einen kurzen Smalltalk. So auch diesmal. Dabei fiel mir wieder der Pope vom Vormittag ein. Wir fragten sie, ob sie wüsste, was der Priester am Morgen veranstaltet hätte. Ja, sie wusste es, schmunzelte , und erzählte uns, dass dieser Priester wegen ihrer Tochter da gewesen sei. Ihre Tochter hätte vor einigen Tagen ein Baby bekommen, und es wäre Tradition, dass eine Mutter bei so einer Gelegenheit, nach altem orthodoxen Ritus 40 Tage lang bei dem Kind bleiben müsste, und dabei die Öffentlichkeit zu meiden hätte.

Jetzt seien bei ihrer Tochter erst 12 Tage vergangen, aber ihre Tochter fühle sich erholt, und hätte zudem noch das Glück, dass sie ihr Kind bei ihrer Schwiegermutter gut versorgt unterbringen könnte. Außerdem wäre sie für ihren Arbeitgeber wichtig, so dass sie nicht so lange fehlen wollte. Beim Nachdenken über eine Lösung für dieses Problem, sei ihr der Gedanke gekommen, einen Priester zu engagieren, der durch eine religiöse Fürsprache bewirkt, dass ihre Tochter von dieser traditionellen religiösen 40 Tage Regel befreit wird. Der Priester sei praktischerweise in ihr Hotel gekommen, hätte das nun gemacht, und so könnte ihre Tochter unbesorgt in die Öffentlichkeit, und sogar wieder arbeiten gehen. Dabei lächelte sie verschmitzt, und wir hatten das Gefühl, dass sie sich freute, mit diesem Trick dem lieben Gott ein Schnippchen geschlagen zu haben.

Kampf der Religionen – oder doch nur ein Milieu-Problem?

Es ist ein heikles Thema, das immer wieder tabuisiert wurde. Und das aus gutem Grund. Zu schnell haben ewig Gestrige das Thema instrumentalisiert und grenzdebile Parolen geschwungen. Aus Angst vor den Rechten hat die politische Elite daher das Thema vermieden. Nun entpuppt sich diese Strategie als Bumerang: Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen Religionszugehörigkeit und Gewaltbereitschaft.

Konkret lässt sich die Studie, die aus einem Forschungsprojekt des Bundesinnenministeriums und des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) hervorgegangen ist, auf einen Nenner bringen: Je größer die Bindung junger Männer an den Islam ist, desto größer ist ihre Gewaltbereitschaft. Zudem nehme mit der Religiosität auch die Akzeptanz von Machokulturen und die Nutzung gewalthaltiger Medien zu. Es ist inzwischen der zweite Bericht zu diesem Thema – und deckt sich teilweise mit der Kriminalstatistik, derzufolge die Zahl der Straftaten von Tätern mit Migranten-Hintergrund steigt.

Als Erklärungsansatz ziehen die Autoren Befunde des türkischstämmigen Religionswissenschaftlers Rauf Ceylan heran. Dieser hatte festgestellt, dass die Mehrheit der Imame in Deutschland den Rückzug in einen konservativen Islam fördert. Die meisten Geistlichen seien nur zeitweise in Deutschland, könnten kein Deutsch und deshalb keine positive Beziehung zur deutschen Kultur aufbauen. Für sie sei die Dominanz der Männer selbstverständlich. Verantwortlich für die Phänomene sei nicht der Islam selbst, meinte der zuständige Studienleiter Pfeiffer: „Das ist kein Problem des Islam, sondern der Vermittlung des Islam.“ Damit rückt er vorschnelle religiöse Urteil zurecht, die einen Kampf der Religionen sehen, anstatt tiefer zu blicken.

In dem Forschungsprojekt wurden im Zeitraum 2007/2008 bundesweit in 61 Städten und Landkreisen rund 45 000 Schülerinnen und Schüler der neunten Klasse befragt. Ein Schwerpunkt war die Frage, wie sich die Zugehörigkeit zu einer Religion und die persönliche Religiosität auf die Einstellungen und Verhaltensweisen von 14- bis 16-Jährigen und insbesondere auf die Integration junger Migranten auswirken. Das Ergebnis: Während junge Christen mit steigender Religiosität weniger Gewalttaten begehen, ist bei jungen, männlichen Muslimen das Gegenteil der Fall. Junge Migranten ohne Konfession seien am besten in die deutsche Gesellschaft integriert. Sie würden zu 41,2 Prozent das Abitur ansteuern. Bei jungen Muslimen sei dies anders: Sie strebten zu 15,8 Prozent den Abiturabschluss an, hätten zu 28,2 Prozent deutsche Freunde und fühlten sich zu 21,6 Prozent als Deutsche.

Gerade im Ruhrgebiet dürfte diese Studie, auch mit Blick auf die Turbulenzen beim Moschee-Verein in Duisburg, für neue Diskussion sorgen. Die Zahlen sind, das muss ich zugeben, erschreckend. Ob sie wirklich belastbar sind, kann ich nicht beurteilen. Für mich stellt sich aber die Frage, ob es sich hier nicht eher um ein Milieu-Problem handelt – also die sozioökonomischen Faktoren eine Rolle spielen, die ferne vieler Migranten-Haushalte zum Bildungsbürgertum und die geringen Aufstiegsmöglichkeiten, die junge Muslime hier in Deutschland haben, die eben aus einem Elternhaus kommen, das auf Hartz IV angewiesen ist und ein post-modernes Männerbild besitzt.
Bin gespannt, was der Shooting-Star der CDU, Integrationsminister Armin Laschet, der garde fulimant unter die Buchautoren gegangen ist, aus dieser Studie macht. Oder ob er sich wie die letzten fünf Jahre auf verbales tabuisieren des Themas konzentriert und damit weiterhin notwendige Entscheidungen verschleppt. Die Studie zeigt, dass diese Strategie gescheitert ist.