Die Initiative Nachrichtenaufklärung holt vergessene Themen ans Licht

Medien lieben Kriege. Von A wie Afghanistan bis Z wie Zagreb – militärische Intervention sind immer ein dankbares Thema, schließlich lassen Tote, Trümmer und Traumata die Einschaltquoten und Auflagenzahlen in die Höhe schnellen. Dass es alternativ auch erfolgreiche zivile Konfliktlösungen gibt – wie beispielsweise beim Nepal-Konflikt und bei der Loslösung der baltischen Staaten von der Sowjetunion – wird in den Medien gerne klein gehalten. Friedliche Lösungen verkaufen sich nicht gut. Von unserer Gastautorin Malina Opitz

Eine solch einseitige oder lückenhafte Berichterstattung kann ein Fall für die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) sein, die auch das Thema „zivile Friedensstrategien“ publik machte. Die Initiative wurde 1997 vom Medienwissenschaftler Peter Ludes nach dem US-amerikanischen Vorbild „Project Censored“ gegründet und ermittelt jedes Frühjahr eine Top-Ten, der in den Medien am meisten vernachlässigten Themen. Auf die Liste schafften es dieses Jahr auch: „Die rechtswidrige Anwendung von Polizeigewalt“, „Lücken bei der Finanzaufsicht bei Kirchen“, „Patente auf menschliche Gene und Gensequenzen“ und an erster Stelle „Notstand im Krankenhaus: Pflegebedürftige allein gelassen.“

Zuvor waren rund 150 Vorschläge aus der Bevölkerung eingegangen. In Uni-Seminaren wurden sie auf Relevanz und Vernachlässigung geprüft und anschließend einer Jury aus Wissenschaftler und Journalisten vorgelegt. „Unsere Top Ten sind fast immer komplexe und rechercheintensive Themen ohne aktuellen Anlass“, sagt Miriam Bunjes, die das Rechercheseminar an der TU Dortmund leitet. Im journalistischen Alltag fehle schließlich oft die Zeit für aufwendige Recherchen neben dem Tagesgeschäft. „Wir machen das bekannt, was nicht laut aufschreit. Der aktuellen Top 1 – zur widrigen Situation von Pflegebedürftigen in Krankenhäuser – fehlte offenbar eine Lobby mit Einfluss: Obwohl es ein halbe Million Menschen betrifft, haben die deutschen Medienvertreter das Thema übersehen.“ Nach der Veröffentlichung habe es viele Journalistenanfragen gegeben. Das sei enorm wichtig, damit die Themen nicht sogleich wieder in der Versenkung verschwänden.

Jeder kann Themen einreichen…Hier

TV ohne Fußball – der Tagestipp (IV)

Liebe Fußballdesinteressierte, da es Sie ja nicht interessiert hat, hier zunächst die schlechte Nachricht: die WM könnte hierzulande doch länger dauern. Die DFB-Elf hat gestern 4:0 gewonnen. Bereiten Sie sich also mental auf das Schlimmste vor. Das wäre das Endspiel: es ist erst am 11.7. um 20.30 h.
Wenn Sie in der Zeit nicht verreisen können, obwohl, ich wüsste auch nicht wohin, will ich Ihnen weiter mit Hinweisen für das Zuhausebleiben vor der heimischen Glotze weiterhelfen.
Die Damen, die Jürgen Klinsmann und Jürgen Klopp irgendwie gut finden und die beiden heute abend bei der RTL-Übertragung von Italien-Paraguay (20.30 h, ebenfalls viele attraktive Männer zu erwarten) suchen sollten, seien gewarnt: Sie werden die beiden in der ganzen Werbung in der Pause und nach dem Spiel kaum finden. Schade eigentlich, denn sie könnten bei dieser WM die besten Gastkommentatoren sein.
Im fußballfreien Angebot ist heute ein Woody-Allen-Film im Match Point (UK 2005, 22.15 h, ZDF) mit einem Thriller im Tennislehrermilieu Londons. Weibliche Hauptrolle: Scarlett Johansson.
Noch ein Rückgriff auf 3 Engel für Charlie: die Ursprungsserie aus den 70er Jahren, u.a. mit Farrah Fawcett-Majors, die seinerzeit als „schönste Frau der Welt“ bezeichnet wurde, läuft derzeit auf EinsFestival, heute um 17.10 h.
Mein persönliche Tipp ist haute allerdings Boston Legal (USA 2004, 22.55 h, Vox). Die letzte Folge ist gerade abgesendet und heute startet Vox das Ganze noch mal von vorn. In der allerletzten Folge war die Staranwaltskanzlei von Chinesen übernommen worden, der Sieg des „Kommunismus“ war vollzogen. Wie es dazu kommen konnte, kann also ab heute nochmal von vorn betrachtet werden. Wer die USA bis heute nicht versteht, aber verstehen lernen will, sollte heute endlich einsteigen. Man lernt viel, hat vor allem aber einen Riesenspass dabei, und imgrunde geht es doch nur um die Sache zwischen Männern und Frauen 😉 Einst habe ich William Shatner als Kommandant des Raumschiff Enterprise gehasst, weil ich meine kleineren Geschwister immer unterdrücken musste, indem ich die Sportschau (ARD) gegen das Raumschiff (ZDF) durchsetzte. Heute liebe ich ihn als genialen selbstironischen Schauspielstar. Ganz am Schluss heiratet er übrigens einen Mann, obwohl er Hetero ist – also …., jetzt in der Serie, nicht im wahren Leben.

Bochumer Spaßbremsen

Die Stadt zwischen Essen und Dortmund sieht sich selbst gerne als „Swinging Bochum“. Ein Mythos: Unter Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD) und Ordnungsdezernentin  Diana Jägers (CDU) schwingt nichts mehr.

Gut, dass es das Bermudadreieck schon gibt. Wenn heute, wie in den 70ern und frühen 80ern, ein paar Leute Kneipen aufmachen und Stühle nach draußen stellen würden, könnten sie es gleich vergessen. Die Bedenkenträger im Bochumer Rathaus würden so etwas sofort unterbinden. Es könnte sich ja jemand gestört fühlen.

Auch Bochum Total hätte wohl keine Chance mehr. Zu viele Leute und zu viel Krach.

Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD) und Ordnungsdezernentin Diane Jäger (CDU) bilden eine große Koalition der Spaßbremsen. Ihr Motto: Unser Dorf soll ruhiger werden. Private Initiativen? Stören nur.

Drei Beispiele für das unschwingende Bochum: Der Veranstalter Heinz-Peter Keller wollte auf dem Kirmesplatz an der Castroper Straße während der WM Public Viewing veranstalten. Bier, Würstchenbuden und Fußball. Die Kombination geht immer. Solche Veranstaltungen gibt es zu Hunderten in der Republik. In Bochum nicht. Die Auflagen in Bochum waren so hoch, das Keller hinwarf. Auch weitere Veranstaltungen die er in Bochum plante, hat er aufgegeben. Keller in der WAZ über das Bochumer Ordnungsamt: „Ich will die Leute nicht mehr sehen.“

Besonders lächerlich machte sich Bochum im vergangenem Jahr als die Loveparade scheiterte. Scholz und Jäger stellten sich damals vor die Presse und erklärten, die Loveparade sei behandelt worden wie jede andere Veranstaltung auch. Und es habe nun einmal nicht gepasst. Provinz? Wer im Beisein von Scholz das „böse Wort“ (Scholz) in den Mund nahm erntete böse Blicke. Dabei hat das Loveparade-Aus nichts anderes gezeigt als das: Die Bochumer Stadtverwaltung kann solche Veranstaltungen nicht durchführen. Bocholt übrigens auch nicht. Provinz eben.

Und dann ist da das Trauerspiel um das Goosen-Theater: Der Bermudadreieck-Gründer Leo Bauer und der Kabarettist Frank Goosen wollen ein Kleinkunst Theater eröffnen. Und sie wollen es selbst finanzieren. Da kann die Stadt kaum etwas falsch machen. Denkt man. Ist aber nicht so. Bei einer Präsentation des Konzepts plus Goosen-Auftritt in den künftigen Kleinkunst-Räumen zeigt sich das Ordnungsamt von seiner besten Seite und bringt die Veranstaltung fast zum kippen. Bauer und Goosen müssen eine Menge Geld für Sondergenehmigungen zahlen, um die Veranstaltung durchführen zu können. Als die Stadt dann im vergangenem Jahr noch  Zusagen über die Nutzung eines Abwasserkanals zurückzieht droht das Projekt zu kippen. Man einigte sich später, aber das Goosen Theater wird 2010 nicht eröffnet. Erst 2011 geht es los. Egal. 2010? War da was?

Swinging Bochum? Ja, aber nur ohne die Stadtverwaltung. Die pflegt lieber ihre Baulückensammlung und träumt von Konzerthäusern, die niemand braucht und die nie gebaut werden.  Und wenn es richtig gut läuft, wird auch noch die Innenstadt durch ein neues Einkaufszentrum ruiniert. Avanti Dilletanti!

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Der Ruhrpilot

NRW: Nichts geht mehr…Welt

NRW II: Rüttgers hofft auf Verfassungsspielräume…FAZ

NRW III: Gabriel liebäugelt mit Neuwahlen…Tagesspiegel

NRW IV: Alle gegen Kraft…Spiegel

NRW V: Verfassungslektüre…Dirk Schmidt

Ruhrgebiet: „Afro-Ruhr-Festiva“ bot anderen Blick auf Afrika…Ruhr Nachrichten

Ruhrgebiet II: Alles, was das schwarze Herz begehrt…Der Westen

Essen: Kneipen, Kicker & Kunst…Pottblog

WM: Bestechung des Schiris durch Sixt hat sich gelohnt…Pottblog

WM II: Sudden death im Endspiel…Frontbumpersticker

WM III: der “innere Reichsparteitag” des ZDF…F!XMBR

Bund: Die Zombie-Regierung…Sprengsatz

Krise: Diese Krise ist unsere Krise!…Querblog

GEZ: Staatsfernsehen wird zur Pflicht!…Hometown Glory

Mobil: Wir iPhone 4 teurer?…Pottblog

Zufällige Treffen von SPD-Mitgliedern unterstützen den Kurs von Hannelore Kraft

Hannelore Kraft beim SPD-Landesparteitag im Februar 2010
Hannelore Kraft beim SPD-Landesparteitag im Februar 2010
Gestern und heute traf sich die nordrhein-westfälische Basis der SPD gleich viermal:

Vorab tagte jedoch am Vorabend der Landesvorstand der SPD und beschloss, was erstmal alles nicht geht. Keine große Koalition mit der CDU, keine Minderheitsregierung mit den Grünen zusammen, FDP und Linke hatten sich selber schon aus dem Rennen genommen und auch die Möglichkeit der Neuwahl lehnte die SPD ab.

Da fragt man sich, was dann noch die Alternative ist und erfährt die überraschende Antwort, dass man jetzt aus der Opposition heraus regieren möchte.

Natürlich könnte jetzt auch mal die nordrhein-westfälische CDU, die ja immer wieder darauf pocht, dass sie die Wahlen mit rund 6000 Stimmen gewonnen hat, das Heft des Handelns ergreifen, aber davon ist wohl eher nicht auszugehen. Es ist ja auch einfacher zu beobachten, was die SPD so macht und auf ein Scheitern zu hoffen.

Doch zurück zur Basis der SPD: In Bielefeld, Dortmund, Köln und Oberhausen fanden Regionalversammlungen der SPD NRW statt. Der Kurs des Landesvorstandes fand dort Berichten zufolge eine breite Zustimmung. Aussagen der SPD zufolge gab es dazu aber keine Abstimmungen. Das ist aber auch kein Wunder, denn die Regionalversammlungen gibt es eigentlich gar nicht:

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Jürgen Rüttgers und Hannelore Kraft sind doch im Einklang

Sing! Day of Song in der Arena auf Schalke
Sing! Day of Song in der Arena auf Schalke
Die Behauptungen, dass Jürgen Rüttgers (CDU) und Hannelore Kraft (SPD) ein disharmonisches Verhältnis untereinander haben ist bereits vor einigen Tagen eindrucksvoll widerlegt worden.

Bei Sing! Day of Song, dem gemeinsamen Singen in der Arena auf Schalke sangen sowohl der nur noch geschäftsführende Ministerpräsident als auch seine Herausforderin einträchtig gemeinsam die Lieder wie beispielsweise „Glückauf“. So ganz dem Braten trauen wollten die Organisatoren der Ruhr 2010 GmbH jedoch nicht und platzierten daher unter anderem Fritz Pleitgen zwischen den beiden Politikern, die momentan um die Macht in Nordrhein-Westfalen kämpfen.

„Das Alter ist ein Massaker“

Am 2. Juni 1920 wurde Marcel Reich-Ranicki geboren. Wir sprachen mit seinem langjährigen Freund und Wegbegleiter Hellmuth Karasek über Leben, Streit und Freundschaft des einflussreichsten deutschen Literaturkritikers.

Herr Karasek, Marcel Reich-Ranicki ist für seine öffentlich ausgetragenen Fehden mit ehemaligen Freunden von ihm wie Joachim Fest, Martin Walser, Günter Grass oder Elke Heidenreich berühmt und berüchtigt. Sie hingegen sind bereits seit mehreren Jahrzenten mit ihm eng befreundet. Was macht Ihre Freundschaft aus?
Ich müsste von allen guten Geistern verlassen sein, wenn ich nicht erkennen würde, welch wichtige Rolle Marcel Reich-Ranicki für mich gespielt hat und was er mir alles ermöglichte. Zuerst ist er mein Mentor gewesen, dann wurde er mein Partner und schließlich ein hochgeschätzter Freund. Aber ich muss etwas zu den vielzitierten Fehden Reich-Ranickis sagen. Bei seinen Auseinandersetzungen mit Freunden konnte er immer mit mir rechnen. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass das Recht auf seiner Seite war.

Welche Auseinandersetzungen meinen Sie genau?
Zum Beispiel den Bruch mit Joachim Fest, dem früheren Herausgeber der F.A.Z. Das war eine ungeheuerliche Geschichte. Es war Fest, der Reich-Ranicki zur F.A.Z. holte, was eine großartige Idee war. Reich-Ranicki hat bis heute den besten Literaturteil dieser Zeitung produziert. Dann hat Fest im Historikerstreit die Position bezogen, dass die Verbrechen der Nazis an den Juden bloß die Kopie einer russischen Tat gewesen seien.

Hinzu kam, dass Fest auf Albert Speer hereingefallen war.
In Fests Biographie „Albert Speer“ wurde er, wohlgemerkt Hitlers engster Mitarbeiter, als besserer Teil Hitlers beschrieben, der von der Judenvernichtung nichts gewusst hätte. Dabei war Speer Rüstungsminister und in dieser Funktion hatte er die Ausbeutung und die Vernichtung der Juden systematisch betrieben. Doch damit nicht genug. Reich-Ranicki wurde zu einem Empfang Fests eingeladen und fand dort zu seiner Überraschung Speer vor. Reich-Ranicki und seine Frau waren genötigt, ihrem potentiellen Mörder die Hand zu geben. Und Speer hat dabei auch noch sarkastisch-freundlich reagiert. Sie sehen: Reich-Ranickis Fehden entbrannten oftmals an der entscheidenden deutschen Frage, wie Deutschland mit seiner Vergangenheit und dem größten Verbrechen der Geschichte, dem Holocaust, umging, in dessen Vorhölle Reich-Ranicki überlebt hatte.

Dies trifft ebenfalls auf seinen Streit mit Martin Walser zu. Vor kurzem wurden die Tagebücher des Schriftstellers aus den Jahren 1974-1978 veröffentlicht, die nicht weniger als das Zeugnis einer ungeheuren Verletzung sind. Reich-Ranicki hatte 1976 Walsers Roman „Jenseits der Liebe“ verrissen und seine Rezension mit „Jenseits der Literatur“ überschrieben.

Der harte Verriss allein wäre noch im Bereich des möglichen geblieben, wenn Walser seine Situation nicht in seiner Erwiderung mit dem Schicksal Reich-Ranickis im Ghetto verglichen hätte. Walser hat bis heute nicht eingesehen, dass es der verrückteste und maßloseste Vergleich war, den er jemals riskiert hat. Aus diesem Vergleich gingen seine Rede in der Paulskirche und sein antisemitischer Roman „Tod eines Kritikers“ hervor. Walser hatte sich aus einer berechtigten Enttäuschung unberechtigt verrannt – in eine politisch ganz und gar verhängnisvolle Weise.

Gab es Phasen, in denen Ihre Freundschaft von der Tatsache überschattet wurde, dass Sie die Napola, die nationalpolitische Lehranstalt, besuchten und somit als Kind nationalsozialistisch sozialisiert wurden?

Es gibt eine belächelte Formulierung von Helmut Kohl, die ich in Wahrheit für großartig halte: „Die Gnade der späten Geburt“. Ich hatte die Gnade der späten Geburt und damit verbunden musste ich mir die erschreckende Frage stellen: „Was wäre gewesen, wenn ich diese Gnade nicht gehabt hätte?“ Belastet hat diese Frage unser Verhältnis indes nie. Wir beide wissen zwar, was früher war, aber wir haben die sehr hilfreiche Neigung, nach vorne blicken zu können.

Wie und wann haben sie sich eigentlich kennengelernt?

Ich habe Reich-Ranicki bei den Tagungen der Gruppe 47 in den 60er-Jahren kennengelernt. Mit fiel sofort auf, wie wortgewandt und wortgewaltig er war. Und dass er sich eine hohe Autorität durch diese Wortgewalt und nicht zuletzt auch durch seine Biographie erworben hatte.

Was bewundern Sie an Ihrem Freund?

Vor zwei Tagen ist Bundespräsident Köhler zurückgetreten. Herr Köhler hatte das höchste Amt in Deutschland inne – auch wenn es gleichzeitig das machtloseste ist. Offenbar hat er es nicht verkraftet, dass er ein Bundespräsident ohne Autorität war. Reich-Ranicki hingegen bekleidet kein Amt, genießt aber dennoch eine ungemein große Autorität.

Gab es in Ihrer Freundschaft nie Gefühle der Konkurrenz zwischen dem Kritiker Karasek und dem Kritiker Reich-Ranicki?

Nein. Ich wurde neulich von Mathias Döpfner als Reich-Ranickis Adjutant bezeichnet und wurde gefragt, ob ich mich nicht mit meiner Rolle, die an Fritz Wepper in der Serie „Der Alte“ erinnerte, zurückgesetzt fühle. Darauf kann ich nur entwaffnend offen sagen: Ich habe nie gegenüber jemanden Neid empfunden, der 16 Jahre älter ist als ich.

In den Interviews, die Marcel Reich-Ranicki zu seinem 90. Geburtstag gegeben hat, wirkte er resigniert und geradezu gelangweilt vom Leben und der Literatur, die ihm zeitlebens ein Zufluchtsort gewesen war. Hat der von ihm hochgeschätzte Schriftsteller Thomas Bernhard Recht, als er schrieb, dass der Mensch nicht das ganze Leben nur in die Dichtung und in die Musik hineinflüchten könne, da am Ende eines Lebens naturgemäß die existentielle Langeweile steht?

Da ist sicher etwas dran. „Das Alter ist ein Massaker“, heißt es in Philip Roths Roman „Jedermann“ ganz treffend. Wenn Sie aber die ganzen Interviews gelesen haben, müssen sie sich vergegenwärtigen, dass da viel Frust darüber auftaucht, dass er sich in diesen Interviews endlos wiederholen muss. Nehmen sie allein das Interview vom Wochenende aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung…

… in dem Marcel Reich-Ranicki die Journalistin Johanna Adorján zum Beispiel wegen Ihrer Frage „Wohnen Sie zur Miete“ auflaufen lässt.

Das Interview ist fast schon ein satirisches Stück. Aber was die Wohnung von Reich-Ranicki betrifft: Auch ich war anfangs überrascht, wie bescheiden er in einer Neubauwohnung zur Miete wohnt. Materielles hat ihm nie etwas bedeutet. Übrigens habe ich immer darauf aufmerksam gemacht, dass die Geschichte seines genauen Wohnorts noch eine sehr ironische Pointe hat.

Sie spielen auf die Gustav-Freytag-Straße im Frankfurter Dichterviertel an, in der er wohnt?

Ja, Reich-Ranicki wohnt er nicht in der Heine- oder Thomas-Mann-Straße, sondern ausgerechnet in der Gustav-Freytag-Straße. Und Freytag ist immerhin der Autor von „Soll und Haben“, der antisemitischste Roman der Nach-Romantik mit seiner dem Antisemitismus entsprungenen Figur des Veitel Itzig.

Das Interview erschien ursprünglich auf Cicero