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Pop schlägt Kunst, schlägt Claudia Roth den antisemitischen BDS?

Friends Of Gas 2017 bei urban urtyp in der Christuskirche Bochum, 2022 auf der Pop-Kultur Berlin. Foto by Michael Schwettmann (c)

120 Acts, 4 Absagen: BDS hat wieder einmal eine Kampagne gestartet, um Israelhass zu promoten, Erfolg sieht anders aus. Offenbar macht die Pop-Kultur Berlin das Gegenteil von dem, was die Documenta Kassel macht, nämlich alles richtig. Der Soli-Effekt, auf den BDS setzen konnte, solange die Hetzkampagne auf Claudia Roth hoffen durfte, ist perdu, 2022 scheinen die Abraham Accords aus 2020 anzukommen. Nicht auf der Documenta, aber im Pop.

2017 wurde die Pop-Kultur Berlin, internationales Festival für Pop-Musik mit pop-politischem Anspruch, erstmals von BDS ins Visier genommen. Begründung der anti-israelischen Hetzkampagne damals: Das Logo der Botschaft Israels habe auf der Website des Pop-Festivals gestanden. Acht Acts zogen ihre Auftritte zurück, Boykott-Headliner waren die schottischen Triphopper Young Fathers, die daraufhin von Stefanie Carp eingeladen wurden, wenn nicht die Pop-Kultur Berlin, dann die Ruhrtriennale zu schreddern, deren Intendantin Carp 2018 war. Im selben Sommer waren es in Berlin nur noch fünf von 150 Acts, die sich BDS unterwarfen, 2019 lief die BDS-Kampagne gegen die Pop-Kultur Berlin vollends ins Leere, und jetzt  –  nach den stillen Corona-Jahren  –  sind es vier Acts, die ihre Musik für sich behalten wollen, um sich mit einer Hasskappe zu schmücken.

Dabei ist Pop in Berlin  –  das dreitägige Festival endet heute  –  für BDS-Aktivisten ein Muss, es ist ihr Heimspiel, das sie gerade verlieren, die BDS-Supporter-Szene sitzt ja nun eben da, wo diese Musik spielt, in den Berliner Cafes und Redaktionen. Wo sie sie sich erneut die Mühe gemacht haben, Künstler persönlich anzuschreiben und aufzufordern, dass sie sich selber boykottieren und keinesfalls vor Publikum auftreten. Vor heimischer Kulisse verlieren, so etwas kann passieren, es kann 0:7 ausgehen, aber 4:116? Und das mit 1 beflissenem Statement, das eine Absage-Künstlerin abliefert? In dem sie erklärt, dass sie gegen „alle Formen von“ sei, gegen „Apartheid“ und für „Amnesty“, gegen eine „Atmosphäre der Zensur“ und für die Initiative GG 5.3 Weltoffenheit? Die „Initiative“ ist unschlagbar bieder.

„BDS-Aktivist*innen“

Also aufpeppen. Und die Absage zwei Tage vor Festival-Start herausposaunen, maximaler Aufmerksamkeitseffekt. Das Pop-Kultur-Festival reagiert entspannt und weist darauf hin, dass allen, auch den drei BDS-Künstlern, bereits seit Dezember 2021 klar gewesen sein müsse, dass die Pop-Kultur Unterstützung von allen Seiten  –  „wir arbeiten mit allen offiziell von der Bundesrepublik Deutschland anerkannten Ländern zusammen“  –  entgegen nimmt und dass sie auch 2022 Ziel einer BDS-Kampagne werden könnte. Aber was tut man nicht alles, um sich eine Idee abzuheben von den anderen, mit denen man die Bühnen teilt, und was tut’s, wenn die einzige Idee, die man hat, antisemitisch ist, man badet sie im Schaumbad der Empörung, heraus kommt eine politische Moral, die 4 von 120 teilen. Und die exakt so verlottert ist wie BDS antisemitisch. Das festzustellen ist, wenn man in derselben Branche arbeitet, tief beschämend, politisch aber wird es bedrohlich, wenn man es fördert und gedeihen lässt, wie es die Documenta tut, nicht aber, wenn man sich dem entgegenstellt wie die Pop-Kultur Berlin.

Das hat auch Claudia Roth begriffen, jetzt, wo die Schlachten geschlagen sind. Dass es einen Unterschied gibt zwischen 4 und 116. Zur Eröffnung der Pop-Kultur Berlin erklärt sie, die BDS bis eben noch für „gewaltfrei“ hielt und für „zivilgesellschaftlich“ geerdet und die darum den Beschluss des Bundestages, der BDS als das verurteilt hat, was er ist: als antisemitisch, nicht mitgetragen hat, jetzt also, nach all den Documenta-Monaten, die allen vor Augen gemalt haben, wie BDS tickt, erklärt sie auf der Pop-Kultur Berlin, dass, wer seinen Auftritt wegen BDS abgesagt habe, keinesfalls zu bedauern sei: „Autoritären Druck“, so Roth, „wie ihn BDS-Aktivist*innen immer wieder und jetzt wieder gegen alle richten, die ihre Ansichten nicht teilen, werden wir nicht tolerieren.“ Und dann die Einsicht, die klingt, als sei sie erst jüngst erworben: „Wer den Dialog verweigert, wird nicht dazu gezwungen. Er muss sich dann allerdings damit abfinden, nicht gehört zu werden.“

Claudia Roths Kehrtwende?

Hätte sie derart Tiefsinniges nur mal im Januar gesagt, als öffentlich wurde, was auf der Documenta gebraut werden könnte und dann gebraut worden ist und seitdem Tag für Tag genossen wird: Das „Museum der 100 Tage“ propagiert alle Tage lang Antisemitismus, auf 5 x 7 Meter laufen „Dokumentarfilme“, die, so die taz, „nur so vor Israelhass strotzen“. Auch das ist seit Monaten bekannt.

Wohnen wir gerade Claudia Roths offizieller Kehrtwende bei? Als Frontfrau für Anti-BDS wäre sie mit ihrer Story eine super Besetzung, die Amadeu-Antonio-Stiftung sieht es skeptischer. So oder so ist, was sich polit-ästhetisch abspielt in Kassel einer- und in Berlin andererseits, nicht nichts: Die internationale Kunst-Welt, wie sie Charles Esche’s Documenta repräsentiert, scheitert angestrengt daran, ein Programm in Kunst zu übersetzen, das die Pop-Kultur Berlin lässig in Musik übersetzen kann, eines, in dem es um Internationalismus geht, um Foren und offenen Austausch, um einen undogmatischen Diskurs und  –  so hat die Pop-Kultur ihren Anspruch formuliert  –  um einen „Bindestrich zwischen Perspektiven von Künstler*innen und der Gesellschaft, mit der sie sich auseinandersetzen“.

Sie machen die Pop-Kultur Berlin: Katja Lucker, Pamela Owusu-Brenyah, Christian Morin, Yeşim Duman by Dorothea Tuch (c)

Bei ihr, der Pop-Kultur Berlin, gibt es keinen öffentlich propagierten Judenhass, auch keinen, der den Umweg über Israel nähme, indem er „Boykott“ skandierte und falls doch einmal, wird ihm sofort widersprochen, unterm Strich bleibt BDS draußen vor. Bei der Documenta ist BDS von Anfang an indoor, alle Tage laufen Filme, die den Terror-Mord an Israelis verherrlichen und laufen und laufen und niemand, der das einfachste täte, den Stecker ziehen und die Kunst vor ihren Kuratoren retten.

Inzwischen ist die Frage in Kassel, ob sich die Documenta dort nicht selber den Stecker zieht. Sie wird von BDS zerlegt, sie hat der antisemitischen Hetze nicht das simpelste Stop-Signal gesetzt, eines, das so sinnfällig wäre wie das Logo der israelischen Botschaft oder  –  so machen wir das in der Christuskirche Bochum  –  das Logo israelischer Sponsoren. In Kassel haben sie BDS kleingeredet und darum großgemacht, in Berlin hat BDS einen auf Groß gemacht und muss jetzt nicht mal mehr kleingeredet werden. Ist das der Unterschied zwischen Metropole und Provinz?

Eher der zwischen Pop und Kunst. Die Documenta, Ausstellung für zeitgenössische Kunst, lässt sich von ihren paar BDS-Künstlern mit einer Welt verkleben, die vergangen ist: Taring Padi-Wandgemälde sind Vintage, und wenn die Documenta Filmchen aus den 70ern als „zeitgenössische Kunst“ projiziert, weil darin der Mord an Israels verherrlicht wird, gewinnt sie das Niveau von Opa-erzählt-von-Verdun.

Während die Pop-Kultur Berlin das umsetzt, was die Abraham Abkommen bedeuten, die 2020 zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrein und wenig darauf mit Marokko und dem Sudan geschlossen wurden  –  eine Zeitenwende im Nahen Osten. Popkulturell formuliert bedeuten diese Friedensschlüsse einen „Bindestrich zwischen Perspektiven von Künstler*innen und der Gesellschaft, mit der sie sich auseinandersetzen“. Der Effekt dieser abrahamitischen Wende: Auf der Pop-Kultur Berlin gibt es in diesem Jahr nicht mehr, was es noch 2017 und 2018 gab, den Soli-Effekt. Der immer ein Soli-Sold war, den arabische Künstler entrichten mussten, weil sie genötigt wurden, sich gegenüber BDS  –  einer westlich getragenen Kampagne  –  „solidarisch“ zu zeigen. Beispiel: der jordanisch-palästinensische Rapper Emsallam. Man kann BDS mit einigem Recht als Initiative westlicher, soll man sagen: „weißer“, in jedem Fall privilegierter Künstler begreifen, die ihren Markt vor dem Eindringen nicht-westlicher Kollegen verteidigen: In den „Boykott“, den sie propagieren, zwingen sie vor allem arabische Künstler hinein.

Logisch, dass sich auch hier ein Abraham-Abkommen entwickelt, ein popkulturelles, Künstler aus Israel und den arabischen Staaten brauchen nicht mehr als ihre eigene Musik für einen „Bindestrich“. Die drei BDS-Künstler, die ihren Auftritt auf der Pop-Kultur Berlin abgesagt haben, wurden von niemandem genötigt, es gab keinen Druck vom heimischen Markt, sie haben alles für sich selber getan. BDS hetzt für keinen außer sich selbst.

 

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Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
1 Jahr zuvor

„wenn die Documenta Filmchen aus den 70ern als „zeitgenössische Kunst“ projiziert, weil darin der Mord an Israels verherrlicht wird, gewinnt sie das Niveau von Opa-erzählt-von-Verdun.“

Hier dürfte das Kernproblem zu verorten sein.
Möchtegern Intellektuelle, die ehedem auf dem Niveau realsozialistischer Indoktrination inklusive dessen Antisemitismus politisch geschult wurden, wollen uns ihre seit 50 Jahren immer gleiche politische Einfalt als progressiv aufgeklärte Position verkaufen.

Ironie der Geschichte: Getreu der Devise „traue keinem über 30“ erschien mir bereits als Teenager viel von dem Geschwafel der 68’er (und dann ihrer Nachgeborenen Akolythen) als misanthroper Ausbruch der erst verspätet Pubertierenden, die flugs in den senilen Altersstarrsinn abglitten. (Eine Haltung meinerseits, die ich übrigens für wenig exklusiv und durchaus weit verbreitet hielt und halte, sie wird aber von wenig Geschrei begleitet.)
Wenn heute auch gefragt wird, warum die Theater leer bleiben, dann darum, weil die heute stets bemühten versuchen ihren Papis und Mamis zu gefallen, die die Fördertöpfe verwalten.
Dieser Antisemitismus in der Kulturszene ist ein Marker für den verbreiteten Hirntod vieler Vertreter der deutschen Linken, den die deutsche Linke nicht in der Lage oder Willens ist bei sich selbst zu diagnostizieren.

Für den Fall, das hier noch eine Debatte entsteht will ich zeitsparend vorwegnehmen, die Einfalt der höckelnd hosenscheißernden Zwerggermanen bei AfD und Co steht in anderen Kontexten zur Debatte. Eine Dichtonomie der politischen Verhältnisse vorausetzend zu diskutieren, ist wegen der damit einher gehenden hoffnungslosen Unterkomplexität sinnlos und bringt nicht mehr als eine Selbstverortung innerhalb der Hirntodfraktion.
Auf einen Disput mit lebenden Linken hingegen würde ich mich freuen, da kann man als rechter Sack wie ich immer noch was lernen.

Aimee
Aimee
1 Jahr zuvor

Es sind zwar 4 Absagen, aber Lafawndah wirbt auf ihrer Website immer noch für den Ticketverkauf.
Süß 😜

Ich würde nicht von einer Kehrtwende von Claudia Roth schreiben, sondern dass es an dem Vorsitzender des Aufsichtsrates; Klaus Lederer liegt. Der hatte schon immer ein Auge auf den BDS.
2018 wurde ihm auf der Eingangsveranstaltung „Apartheid“ vorgeworfen.

Roth hatte sich vor der Abstimmung im BT nicht mal über den BDS informiert…die rafft gar nichts und statt „Kehrtwende“ ist es eher „kehrt“ unter den Tisch und „wendet“ sich….

Aimee
Aimee
1 Jahr zuvor

@#3 Thomas Wessel

So steht es auf der Website:

Update vom 23.8.:
Lafawndah hat ihren Auftritt mit Bezug auf die BDS-Kampagne abgesagt.
Alewya hat ihren Auftritt mit Bezug auf die BDS-Kampagne abgesagt.
Franky Gogo hat seinen Auftritt mit Bezug auf die BDS-Kampagne abgesagt.
Update vom 24.8.:
Gigsta hat ihren Auftritt mit Bezug auf die BDS-Kampagne abgesagt.

Ja, Lederer hat auch immer großartig für die Gegendemos beim Al Qudstag mobilisiert. Eine „Claudia“ hat man da nie gesehen (vielleicht war sie aber auch bei der bürgerlichen Gegendemo? 😜

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