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Premiere auf PACT Zollverein: „Unannounced“ von Fieldworks

„Unannounced“ von Fieldworks

Es beginnt bereits im Foyer: Plötzlich sind da Menschen unter den Besuchern, die Postkarten auf den Tischen verteilen. Kleine, mal mehr mal weniger kryptische Zeichnungen sind darauf. Zunächst werden die Karten fast beiläufig auf den Tischen neben den wartenden Besuchern abgelegt, dann mit wachsender Akribie arrangiert, ein Performer kriecht unter einen Tisch, um eine der Karten an ein Stuhlbein zu lehnen, eine andere Performerin nimmt bereits ausgelegte Karten auf und arrangiert sie um. Es ergeben sich Muster zwischen den einzelnen Motiven, Zusammenhänge, Ähnlichkeiten. Dann drängen die Performer einzelne Besucher zu den Aufgängen, jede versammelt eine kleine Gruppe um sich, die Gruppen werden getrennt. 

So beginnt „unannounced“ die neue Performance der belgischen Gruppe Fieldworks um Heine Avdal und Yukiko Shinozaki, die am 8. und 9.6. auf PACT Zollverein zu sehen ist. Die einstündige Arbeit, die Performance, Tanz, Objekttheater vereinigt, könnte getrost als großartig bezeichnet werden, käme sie nicht so herrlich unaufgeregt daher. Schon der ungewöhnliche Auftakt, die Teilung der Zuschauer in Gruppen, das Führen durch die Backstageräume und -gänge hat etwas ganz Selbstverständliches, ist nie sensationelle Theatergeste. Mit Handprojektoren werfen die Performer Textbausteine auf Wände, Gegenstände und Boden. Es entsteht im Weitergehen ein Text über die Wahrnehmung, darüber, wie sie von der Erwartung geprägt wird und darüber, wie Text sich verändert, wenn er auf Dinge trifft und seinerseits die Dinge verändert. Das alles geschieht mit Witz und Charme und kommt niemals groß und gelehrsam daher. Und ein bisschen irre wirkt es auch immer, wie das liebenswert Durchgedrehte den ganzen Abend prägt.

Dann vereinigen sich die Zuschauergruppen auf der Bühne und es wird dunkel. Stockdunkel. Die sechs Performerinnen und Performer bewegen sich durch die Dunkelheit und lassen mit Taschenlampen einzelne Stellen im Raum aufblitzen, die Schatten von Geländern kurz über die Wand tanzen, dann lenkt an einer anderen Ecke des Raumes wieder einer die Aufmerksamkeit auf seinen Arm. Was bleibt von diesem Raum, wenn wir ihn nur sekundenlang in immer neuen Bruchteilen sehen? Aufblitzende Scheinwerfer kommen hinzu, die Raumteile tanzen ein infernalisches Ballett um die Zuschauer.

Etwas später ist der gesamte Raum hell erleuchtet, während die Performer zwischen den Zuschauenden unendlich langsam zu Boden gehen, sind an verschiedenen Orten im Raum unheimliche Geräusche zu hören, es ächzt im Gebälk, etwas klappert. Bricht gleich die Tribüne zusammen? Fällt eine Traverse von der Decke? Die weiße Plane, die eben noch Projektionsfläche für Schatten war, senkt sich langsam und gibt den Blick auf die Brandmauer frei, vor der Kleiderständer, Scheinwerfer und eine Hebebühne stehen. Das Klappern wird lauter und bedrohlich. Die Plane wird wieder hochgezogen und erneut herabgelassen, immer wieder. Ist sie ein Vorhang und dahinter die eigentliche Bühne? Das Klappern ist gar nicht ein Zeichen des bevorstehenden Zusammenbruchs. Es sind Teile eines Schlagzeugsets, das sich jetzt plötzlich zu einem Drum’n’Bass-Track zusammenfindet. Und dann wieder Dunkel, Stille.

Das Licht geht erneut an und vor der weißen Vorhangfläche ist ein Obststilleben arrangiert. Wieder erzählen uns die über die Plane fliegenden Buchstaben und Wörter eine Geschichte von einem sehr kleinen Objekt, das so klein ist, dass das Betrachten schmerzt.

„unannounced“ rummst ganz ordentlich, aber macht nie großes Aufheben darum. Es passiert einfach. Es ist eine Performance die unglaublich klug ist, ständig noch eine Überraschung bereit hält. Fieldworks sparen nicht an Theatermitteln, aber sie gehen so souverän mit ihren Effekten um, dass es nie aufdringlich wird. Und am Ende verlassen die Performer einfach den Raum, kein Schlussapplaus, keine Verbeugung, die Musik klimpert weiter. Es ist noch gar nicht zu Ende. Wenn die Zuschauer die Treppe hinunter ins Foyer gehen, geht „unannounced“ noch weiter. Unsere Wahrnehmung endet ja auch nicht mit dem Verlassen des Theatersaals, sie bleibt auch draußen ein wenig verlässlicher Partner, immer davon abhängig, was wir erwarten, wohin wir sie gerade richten und nicht richten. Seien wir ehrlich: „unannounced“ ist doch einfach großartig.

 

Weitere Vorstellung 9.6., 20 Uhr, PACT Zollverein

 

 

 

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