Rödder und R21: Sirenengesang in den Untergang

Andreas Rödder Foto: Amrei-Marie Lizenz: CC BY-SA 4.0

Schon viele wollten den Konservatismus retten und rutschten dabei selbst an den rechten Rand. Mittlerweile versucht sich auch Andreas Rödder mit seiner Denkfabrik R21 an diesem gefährlichen Balanceakt.

 

„Ohne uns gäbe es die Gefahr, dass enttäuschte Wähler, die eigentlich gar nicht rechts sind, aus Protest extremistische Parteien wählen“, sagte drei Monate nach Gründung der AfD ihr Gründer, der Professor Bernd Lucke, der vor Gründung der Partei 33 Jahre Mitglied der CDU war, im Interview mit dem Handelsblatt. Er selbst sah die AfD als bürgerliche Sammlungsbewegung für enttäuschte Konservative und Liberale, fand es aber „grundsätzlich gut“, wenn jemand die AfD statt der NPD wählen würde. Als er den parteiinternen Machtkampf mit den noch rechteren Kräften um Frauke Petry zwei Jahre später verlor, gründete er dann auch alsbald seine neue Partei LKR – Liberal-Konservative Reformer. Als Frauke Petry 2017 den parteiinternen Machtkampf mit den noch rechteren Kräften um Alexander Gauland und Alice Weidel verlor, gründete auch sie dann alsbald eine neue Partei – Die blaue Partei – die ebenfalls eine neue „Heimat für Konservative und Liberale“ werden solle, wie sie im Interview mit dem Tagesspiegel damals sagte.

Werteunion 2.0

Im selben Jahr wurde auch von einigen CDU- und CSU-Mitgliedern die Werteunion gegründet, die sich ursprünglich mal „Freiheitlich-Konservativer Aufbruch“ nannte und Stimme der „heimatlos“ gewordenen konservativen CDU-Mitglieder sein wollte. Der Verein lehnte die Flüchtlingspolitik der Parteifreundin Angela Merkel ab. Jens Spahn äußerte in einem Grußwort an den Verein damals die Hoffnung, die Besinnung auf einen „klugen liberalen Konservatismus“ könne „die AfD überflüssig machen“. Der heutige Bundeskanzler Friedrich Merz adelte die Werteunion in einem Interview mit dem RND im Jahr 2019 noch als „Hilferuf von unten an die Parteiführung“. Schon damals wurde ihr allzu große Nähe zur rechtsextremen AfD vorgeworfen. Ihr Vorsitzender Max Otte war Kandidat der AfD bei der Wahl zum deutschen Bundespräsidenten im Jahr 2022. Mittlerweile ist die Werteunion kein Verein mehr, sondern eine „konservativ-liberale Partei“, deren Vorsitzender, der Ex-Verfassungsschutzchef Maaßen, von seiner ehemaligen Behörde mittlerweile als Beobachtungsobjekt im Bereich Rechtsextremismus geführt wird. Immerhin geriet er kurz zuvor ins Visier von Ermittlern, weil er gemeinsame Bekannte mit Rechtsterroristen hatte.

Schlittenfahren auf der schiefen Ebene

Aber wie das nun mal so ist mit Erosion, steht immer ein neuer Teil von dem, was man mal die Mitte nannte, bereit, um die schiefe Ebene hinunter in den Abgrund des Rechtspopulismus zu rutschen. Seit einer Weile wagen der Mainzer Geschichtsprofessor Andreas Rödder (CDU) und die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder mit ihrer „Denkfabrik R21“ einen neuen Anlauf. Ihr Ziel – wie soll es auch anders sein – ist natürlich: „Wir versuchen, die Sehnsucht nach einem […] liberalen Konservatismus zu bedienen.“ Und mittlerweile kann es einem ja durchaus mulmig werden, wenn enttäuschte Liberale und Konservative sich aufmachen, um ihre Sehnsüchte zu erfüllen.

Dieses Pferd hat zwar schon so manchen Reiter vom Sattel geworfen, aber vielleicht wird ja unter Andreas Rödder alles anders? Der Mann ist immerhin eine Hausnummer des intellektuellen Konservatismus in Deutschland. Wann immer konservative Politiker wie Julia Klöckner, die ihn zwei Mal in ihr Schattenkabinett berief, oder Friedrich Merz, der ihn zum Vorsitzenden der Grundwertekommission machte, nicht genau wussten, was eigentlich ihre bürgerlichen Werte sind, konnten sie mit ihrer leeren Flasche zu Andreas Rödder bummeln, der sie Ihnen gern befüllte und als intellektuelle Wegzehrung mit in den Wahlkampf gab.

Scharnierräume zwischen Rechtskonservatismus und Neuer Rechten

Thematisch stößt die Denkfabrik des Mannes, der die Leitung der CDU-Grundwertekommission aufgab, weil er die parteiinterne Kritik daran, dass er durch die AFD tolerierte CDU-Minderheitenregierungen ins Spiel brachte, als ehrenrührig empfand, von Beginn an genau in die Scharnierräume zwischen Rechtskonservatismus und Neuer Rechten: Gegen Woke, Covid-Maßnahmenkritik und Klimaskeptizismus, Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Kulturkampf gegen den rot-grünen Mainstream, und natürlich viel Verständnis mit Donald Trump, denn was der macht „ist nicht nur schlecht“.

Auch Rödder selbst bemüht sich immer wieder um Anschlussfähigkeit nach rechts, scheut sich auch nicht davor in den rechtspopulistischen Empörungsmedien seine Botschaft an den Mann zu bringen. Im Interview bei NIUS wirbt er dafür, unter bestimmten Bedingungen der AfD Gesprächsbereitschaft anzubieten und sie stärker in den normalen politischen Betrieb zu integrieren, da er der Ansicht ist, dass die Radikalisierung der AfD auch eine Folge ihrer Marginalisierung sei und man aus dieser „Polarisierungsspirale“ ausbrechen müsse. Auch Trump kann er in diesem Gespräch Positives abgewinnen, so schätzt er zwar nicht unbedingt seine Inhalte, aber durchaus seinen Stil. Von Trump könne man den „Leck-mich-Faktor“ lernen, ein „Ich tue jetzt das, was ich für richtig halte“, sagt Rödder anerkennend. Das ist für jemanden, der vorgibt, die „schneidende Kälte“ Carl Schmitts abstoßend zu finden, dann doch reichlich viel Faszination für die Wucht der souveränen Entscheidung. Wie das zu seinem Bonmot „Die eigenen Ideen einfach zu implementieren, das ist die totalitäre Versuchung der Linken“ passt, weiß vermutlich auch nur Rödder selbst. Vielleicht leidet die totalitäre Versuchung ja auch an einer Rechts-Links-Schwäche – oder betrifft gar am Ende überraschenderweise nicht immer nur die anderen.

Stichwortgeber für den rechten Flügel der CDU

Rödder ist weiterhin Stichwortgeber für den rechten Flügel der CDU, der lieber früher als später zu einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit mit der AfD finden würde. „Das hab ich mich vor einem Jahr noch kaum zu sagen getraut, weil das sofort Hochverrat war und mittlerweile sage ich das nicht nur bei Ihnen hier, jetzt sagt das auch Jens Spahn“, stellt Rödder stolz im NIUS-Interview mit einiger Berechtigung fest, nachdem der Unionsfraktionsvorsitzende Spahn mit der Forderung vorgeprescht war, die AfD stärker in den parlamentarischen Betrieb zu integrieren und dafür parteiintern Unterstützung von Außenminister Johann Wadephul, Staatssekretär Philipp Amthor und Ministerpräsident Michael Kretschmer erhalten hatte. Insbesondere in den ostdeutschen CDU-Verbänden werden Forderungen dieser Art immer lauter.

Rödders inhaltlicher Einfluss auf die unionsgeführte Bundesregierung und die Unionsfraktion bleibt also offenbar groß, auch wenn er mit dem Kurs und den Kompromissen des Kanzlers Friedrich Merz zu hadern scheint, weil dieser den angekündigten Politikwechsel nicht durchzieht, wie er auf einer Diskussionsrunde seiner Denkfabrik mit dem schwungvollen Titel „Wie viel Kettensäge braucht neue bürgerliche Politik?“ im Gespräch mit Ulf Poschardt beklagt: „Es gibt ja keinen Politikwechsel mehr. Wir haben den Politikwechsel angekündigt aber diesen Wechsel gibt es mit der Konstellation, mit einer durch die Brandmauer eliminierten AfD und einer sich selbst so bezeichnenden demokratischen Mitte nicht mehr.“

Sirenengesang in den Untergang

Rödder betört den rechten Rand der Union mit dem Sirenengesang vom „Leck-mich-Faktor“, einfach mal tun, was man für richtig hält, koste es was es wolle. Vielleicht denkt er, dass wenn die Union nicht weiter nach rechts rückt und mit einem echten liberalen Konservatismus die AfD überflüssig macht, enttäuschte Wähler, die eigentlich gar nicht rechts sind, aus Protest die extremistische AfD wählen. Er wäre immerhin nicht der erste, der in diese Falle tappt. Die Geschichte zeigt, dass diejenigen, welche die Brandmauer im Kopf schon eingerissen haben, der Versuchung, für kurzfristige taktische Vorteile im Machtpoker der faustischen Verlockung von rechts zu folgen, nicht lange widerstehen konnten – und samt und sonders daran zugrunde gegangen sind.

Dieser Text erschien in ähnlicher Form zunächst bei der Jungle World

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