
Seit Wochen wird über den Donnepp Media Award der Freunde des Grimme-Preises diskutiert. Ein Ehrenpreis wurde erst der Aktivistin Judith Scheytt verliehen, ihr dann wieder wegen glühender Israelkritik aberkannt. Preise wurden daraufhin zurückgegeben, die Organisatoren stehen unter Druck. Im Interview redet der Journalist Jörg Schieb darüber, wie es zu der Preisverleihung kam, warum Scheytt der Ehrenpreis entzogen wurde und über seine Kritik am Antisemitismus in der deutschen Kultur- und Medienszene.
Du bist Vorsitzender des Vereins Freunde des Grimme-Preises und ihr vergebt den Donnepp Media Award, mit dem Medienjournalisten ausgezeichnet werden. In diesem Jahr hat Judith Scheytt einen Preis bekommen, den der Verein ihr wieder entzogen hat. Schaut man sich die Instagram-Seite von Judith Scheytt an – und für die dort von ihr veröffentlichte Medienkritik wurde sie ja ausgezeichnet –, fragt man sich: Wieso hat die Frau dafür einen Preis bekommen? Das ist doch reiner Aktivismus.
Jörg Schieb: Judith Scheytt hat nicht den Hauptpreis bekommen. Der ging in diesem Jahr an Annika Schneider von Übermedien, und das vollkommen zu Recht. Leider hat sie ihn zurückgegeben. Judith Scheytt hat einen Ehrenpreis bekommen, der nicht dotiert war. Wir wollten sie als junges Talent auszeichnen, aber deine Frage ist absolut berechtigt. Eine Aktivistin, vor allem eine so unverhohlene Aktivistin, hätten wir niemals auszeichnen dürfen. Das war auf jeden Fall ein großer Fehler, und er lässt sich aus der Dynamik der Jurysitzung erklären. In der hat Nadia Zaboura, die als Vorjahrespreisträgerin Vorsitzende der Jury in diesem Jahr war, Judith Scheytt wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert. Eigentlich war dieser Vorschlag statutenwidrig, weil Vorschläge rechtzeitig vorliegen müssen, damit man sich mit ihnen auseinandersetzen kann.
Sie hat uns die Arbeit von Scheytt als erfrischende Medienkritik präsentiert und uns zwei Videos gezeigt, in denen sich Scheytt mit der Tagesschau-Berichterstattung über den Nahen Osten auseinandersetzt, und ihre Hand dafür ins Feuer gelegt, dass sie ein wunderbares Talent sei. Wir haben dann – wie das in der Jury üblich ist, man kann das hinterfragen – die Karten hin und her geschoben. Wir hatten schon Oliver Kalkofe als Preisträger, einen bekannten, reiferen Mann, und dachten, dass es doch gut wäre, ein junges, weibliches Talent auszuzeichnen. So etwas bedenkt man bei Preisverleihungen. Leider haben wir die Arbeit von Judith Scheytt zu diesem Zeitpunkt nicht mit der nötigen Sorgfalt geprüft. Das muss sich jedes einzelne Mitglied der Jury, also auch ich, vorwerfen lassen.
Ihre Arbeit hatte schon bei der Preisvergabe aktivistische Züge, mittlerweile ist sie ausschließlich aktivistisch geprägt. Aktivismus hat seine Berechtigung, entspricht aber nicht den Kriterien eines journalistischen Medienpreises. Seit Januar hat sich Scheytts Ausrichtung auf Instagram weiter radikalisiert. Was Anfang des Jahres noch ambivalent war, ist mittlerweile eindeutig: Ihre Beiträge sind rein aktivistisch. Das war auch der entscheidende Grund für die Aberkennung. Ihre Teilnahme an der Global Sumud Flotilla unterstreicht diese Entwicklung.

Auf das Problem mit Judith Scheytt hat euch die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit aufmerksam gemacht?
Schieb: Die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit hat sich beschwert – aber gar nicht mal zuerst bei uns, sondern zuerst beim Grimme-Institut, weil alle, auch Judith Scheytt, eigentlich nicht unterscheiden können zwischen dem Institut und den Freunden des Grimme-Preises. Das sind ja beides eigenständige Organisationen. Die Geschäftsführerin des Instituts, Çiğdem Uzunoğlu, hat das dann an uns weitergeleitet.
Und dann habt ihr angefangen, euch intensiv mit der Arbeit von Scheytt auseinanderzusetzen?
Schieb: Das war der Punkt, an dem ich mich – an dem wir uns – intensiver mit den Inhalten beschäftigt haben. Vorher gab es ja sogar schon die Preisverleihung. Da hatte ich persönlich schon sehr starke Magenschmerzen. Scheytt hat da eine Rede gehalten, die ihren aktivistischen Anspruch wirklich zementierte. Sie hat sich bei ihren „palästinensischen Freunden“ bedankt und hat da agitiert, was mir überhaupt nicht gefallen hat. Andere waren da vielleicht ein wenig entspannter, aber man hat mir gespiegelt, dass es auch im Forum und im Publikum viele gab, die mit dieser Rede nicht einverstanden waren. Da hätte man auch eingreifen und zum Beispiel ihre Aussagen moderativ einordnen müssen.
Ich hatte mir daraufhin mehr der Inhalte angesehen und dachte mir: Das ist wirklich keine gute Preisträgerin. Dann kam die Beschwerde. Damit war der Punkt erreicht, an dem ich mir wirklich jedes einzelne Video, das sie jemals veröffentlicht hat, genau angeschaut habe. Ich habe sie im nächsten Schritt analysiert, habe sie alle transkribiert und wirklich ausführlich untersucht. Ich konnte die Beschwerde weitgehend nachvollziehen.
Scheytt hat die Hamas-Terroristen als Kämpfer bezeichnet, als ob sie Freiheitskämpfer wären. Die Gräueltaten des 7. Oktober ließ sie komplett unerwähnt. Die Geiseln hat sie mal erwähnt, aber regelrecht verhöhnt. Nach der Analyse der vielen Videos war ganz eindeutig zu erkennen, dass sie voller Doppelstandards waren: Die einen – also die israelische Armee und die Regierung – werden für alles verurteilt, die anderen – die Hamas – werden überhaupt nicht verurteilt. Sie werden ebenso wie die Gräueltaten nicht mal erwähnt. Das muss nach offiziellen Kriterien (3D-Test für Antisemitismus d.Red) als erste Stufe von Antisemitismus verstanden werden. Das ist unerträglich und auf gar keinen Fall preiswürdig.
Ihr wurdet also nicht von der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit unter Druck gesetzt?
Schieb: Man kann natürlich sagen, dass jede Beschwerde eine Form von Druck ist. Es stand auch im Raum, dass sie sich an die Öffentlichkeit wenden würden. Aber es wurde jetzt kein unmenschlicher Druck ausgeübt. Wir haben auch miteinander in einer Zoom-Sitzung eine Stunde gesprochen – das war eigentlich eine sehr angenehme Auseinandersetzung. Ich habe das im Nachhinein nicht als Druck empfunden, sondern als vollkommen berechtigte Kritik.
Bevor wir den Preis aberkannt haben, gab es ein Gespräch mit der Jury. Mit „wir“ meine ich jetzt den Vorstand der Freunde des Grimme-Preises. Wir haben uns mit Lucia Eskes, Steffen Grimberg und Nadia Zaboura unterhalten. Die drei waren dagegen, Scheytt den Preis abzuerkennen. Sie haben gesagt, alles müsse geheim bleiben, keine Absprache dürfe nach außen dringen, und wir müssten Judith Scheytt von jeder Kritik freisprechen. Wenn es also den Vorwurf des Antisemitismus gäbe, müssten wir ihn abwehren.
Da habe ich gesagt: Das kann ich nicht. Dazu bin ich nicht bereit, und ich werde das nicht tun. Wir haben uns dann als Vorstand des Vereins entschieden, dass wir Scheytt den Preis gegen den Willen der Jury aberkennen, weil wir das für angemessen halten, wenn sich eine Preisträgerin nachträglich als unwürdig erweist. Wir haben dann bis Ende Mai gewartet und es ihr erst nach dem Abiturstress mitgeteilt. Sie hat den Preis demoliert zurückgeschickt, und dann war Ruhe – bis September. Dann erst hat sie dieses „Rant“-video veröffentlicht.
Nachdem ihr den Ehrenpreis Scheytt aberkannt habt, haben mittlerweile andere ihre Preise zurückgegeben – auch einen Grimme-Preis, obwohl das Grimme-Institut ja mit euch nichts zu tun hat?
Schieb: Als Scheytt das Video veröffentlicht hat, gab Annika Schneider – was wir sehr bedauert haben – ihren Preis zurück. Ich habe das natürlich akzeptiert: Sie hat den Preis zurückgegeben und das Preisgeld erstattet. Dann kam Alice Hasters – das war die Preisträgerin 2023 – und wollte auch aus Protest den Preis zurückgeben, aber nicht das Geld. Also habe ich ihr gesagt, dass das nicht geht.
Nadia Zaboura hat übrigens ihren Preis nicht zurückgegeben. Und dass dann Bilal Bahadır und Çağdaş Eren Yüksel, die Macher der ZDF-Serie Uncivilized, ihren Grimme-Preis zurückgegeben haben, kann ich dann überhaupt gar nicht mehr nachvollziehen. Auch die Attacken auf Çiğdem Uzunoğlu, die Geschäftsführerin des Instituts, verstehe ich nicht. Sie hatte mit alldem nichts zu tun.
Jeder, der jetzt seinen Preis zurückgibt – egal ob Grimme-Preis oder Grimme Online Award –, macht das aus denselben Gründen, wegen derer diese Leute mit der Flottille gefahren sind: Sie wollen sich selbst als gute Menschen inszenieren. Lucia Eskes, die Leiterin des Grimme-Preises, war Mitglied der Jury, aber sie hat gegen die Aberkennung gestimmt.
Was du schilderst, ist im Augenblick nicht außergewöhnlich in der deutschen Kulturszene, die sich immer im Zweifelsfall gegen Israel stellt. Das war ja zuletzt bei Böhmermann nicht anders. Dazu gab es die ganzen Gaza-Aufrufe der letzten Jahre.
Schieb: Die Menschen, die immer gesagt haben, man dürfe Muslime nicht unter Generalverdacht stellen, machen das jetzt mit jüdischen Menschen. Ich halte das für latenten Antisemitismus. Selbstverständlich kann man Israel kritisieren – seine Kriegsführung, die Siedlungspolitik –, aber niemals darf man das tun, ohne den Kontext zu sehen und ohne zu erwähnen, warum es diesen Krieg überhaupt gibt. Und das war der Angriff der Hamas am 7. Oktober.
Israel ist das einzige demokratische Land im Nahen Osten. Von Genozid und Apartheid zu faseln, ist die absolut größte Verrücktheit, die man machen kann. In Israel leben zwei Millionen Araber – kein Israeli würde in Gaza länger als eine halbe Stunde überleben. Das hat mit Rationalität nichts zu tun. Es hat nicht mal etwas damit zu tun, dass man die Schwächeren verteidigen möchte. Wenn das der Grund wäre, gäbe es genügend andere Konflikte auf der Welt, bei denen man das tun könnte. Die einzige Motivation, etwas gegen Israel – und damit gegen Juden – zu tun, ist Antisemitismus. Es kann sein, dass das nicht allen bewusst ist, aber nur so kann ich mir das als nachdenkender Mensch erklären.
Mit Jörg Schieb sprach Stefan Laurin
