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Schon wach?

Die Sonnenblume, das Symbol einer tristen Zukunft Foto: Shahzaib Damn Cruze Lizenz: CC BY-SA 4.0


Lange Zeit erweckten Unternehmen, Gewerkschaften und Verbände den Eindruck, als ginge es ihnen nur noch darum, bei einem Greta Thunberg Lookalike-Wettbewerb zu punkten. Das ändert sich gerade. Es könnte zu spät sein.

Herbert Diess stellte sich auf Twitter als begeisterter Radfahrer dar, forderte die Erhöhung der CO2-Steuer und bei Reisen zu Tochterunternehmen nutzte er gerne den ICE. Die Umwelt, vor allem der Klimaschutz, das war die Botschaft, lagen ihm am Herzen. Was dabei in Vergessenheit geraten sollte, war der Kern seiner beruflichen Tätigkeit: Als Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns, zu dem auch Marken wie Porsche und Bentley gehören, war es seine Hauptaufgabe, Autos zu entwickeln und zu verkaufen. Sie schien ihm zeitweise etwas unangenehm zu sein. Ende August 2022 trat er zurück. Die Kritik an seiner Arbeit war immer lauter geworden.

Es gab und gibt viele wie Diess in der deutschen Wirtschaft, aber auch in den Industriegewerkschaften und Verbänden: Alle wollen sie grün sein. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, die Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit hätten die Führung übernommen: Das Öko-Image war alles, das Kerngeschäft eine lästige Nebensache.

Doch im Jahr zwei der Ampel wird immer mehr von ihnen klar, was ein fundamentalistischer und technologiefeindlicher Ökokurs bedeutet: Das Ende des Wachstums, Einbrüche beim Wohlstand und immer mehr Bürokratie. Spät, vielleicht zu spät, werden Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften wach: Auf einmal taucht die Forderung auf, Klimamaßnahmen beim Bau auszusetzen. „Wir müssen ohne Tabus über Standardsenkungen sprechen“, zitiert die Welt den Vertreter eines Bündnisses aus Mieterbund und Baugewerkschaft sowie Sozial- und Branchenverbänden.

Häuser zu bauen ist in Deutschland mittlerweile so teuer, dass sich das immer weniger Menschen erlauben können. Was auch für die Mieten in den Neubauten gilt, denn die nähern sich der 20 Euro Marke. Für die meisten Mieter ist das unbezahlbar. „Die im Ampel-Koalitionsvertrag vereinbarten strengeren Standards für Neubauten erlauben kein günstiges Bauen mehr“ stellt Hans Martin Esser im Cicero fest.

Verbandsvertreter wie Gunther Kegel, der Präsident des Elektrotechnik-Verbandes ZVE, warnt vor einer schleichenden Deindustrialisierung und Eon-Aufsichtsratschef Karl-Ludwig Kley sagt dauerhaft hohe Energiepreise voraus und stellt fest, dass die chemische Industrie schon seit 15 Jahren vor allem im Ausland investiert.

Panik macht sich breit. Für sie gibt es gute Gründe. Deutschlands Wohlstand hängt nach wie vor am Export. Und exportiert werden vor allem Autos, chemische Produkte und Industriegüter. Die Tätigkeiten von Öko-Aktivisten, Inhaber von Gender-Lehrstühlen und Betroffenheitswissenschaftlern mögen in vielen Medien mehr Aufmerksamkeit erhalten als die Industrie. Wirtschaftlich sind sie jedoch schlicht Kostenfaktoren, die sich nur eine reiche Gesellschaft leisten kann.

Doch die Industrie spielt in Politik der Ampel nur eine Nebenrolle. Für Patrick Graichen, Staatssekretär in Habecks grünem Wirtschaftsministerium, sind 500.000 Arbeitsplätze in der Industrie ein Opfer, das er schulterzuckend auf dem Altar der Klimapolitik zu bringen bereit ist. „Im Grunde seines Herzens“, zitiert das Handelsblatt Industrievertreter, „freue sich Graichen so sehr über jede eingesparte Tonne CO2, dass er dafür auch den Niedergang ganzer Branchen gern in Kauf nehme.“

Ob dieser Niedergang noch aufgehalten werden kann, ist fraglich: Technologisch wurden Deutschland und Europa in immer mehr Bereichen von den USA und China längst abgehängt. Die hohen Energiepreise werden ebenso wie eine immer brutalere Bürokratie zu einer Belastung. Ob die Ampel in Berlin oder die EU in Brüssel: Grüne Ideologie bestimmt die Agenda der Politik. Ihr Nutzen wird eben so wenig nachgefragt wie ihr Preis. Das wäre aber der Job von Gewerkschaften, Industrievertretern und Verbänden gewesen. Man biederte sich jedoch lieber dem Zeitgeist an, als mit offenem Visier für Wohlstand, Technologieoffenheit und eine starke Industrie zu streiten. „Wer zu spät aufwacht, den bestraft das Leben“. Leicht abgewandelt hat das Gorbatschow-Zitat aus dem Jahr 1989 nichts von seiner Aktualität verloren.

 

 

 

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