Premiere in Dortmund: Die Blume von Hawaii

„Die Blume von Hawaii“ am Theater Dortmund (Foto: Björn Hickmann / Stage Picture)

Ein Geständnis: So sehr ich mich stets redliche mühe, unvoreingenommen an jeden Theaterabend heranzugehen und persönliche Vorlieben zunächst auszublenden, gibt es doch im Positiven wie im Negativen Schlüsselreize gegen die ich kaum ankomme. Ich denke, dass ich mit diesem Problem unter meinen Kollegen allerdings auch nicht alleine bin. Einer dieser Schlüsselreize ist für mich Glitter. Wenn es auf der Bühne ordentlich funkelt und glitzert, bin ich zumindest schon einmal milde gestimmt. Bei der Premiere von Paul Abrahams Jazz-Operette „Die Blume von Hawaii“ am Theater Dortmund am 21.1. glitzerte es schon bevor der Vorhang überhaupt aufging. Mark Weigel steht

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Moderne Musikproduktion und mittelalterliche Kasteiung

Für Komponisten kann es inzwischen zum Alltag gehören, auch Audios ihrer Kompositionen anzubieten, Demos, manchmal sogar Alben, wenn sie nicht für bestimmte Ensembles schreiben, ob frei oder im Auftrag. Helge Bol, ein Duisburger Komponist, der gleichsam zwischen zwei Stühlen Platz gefunden hat, zwischen zeitgenössischer Klassik und zeitgenössischem Jazz, hat sich nicht nur eine individuelle musikalische Sicht erarbeitet, sondern auch ein Projektstudio aufgebaut. Entstanden sind bislang vier digitale Alben. Im folgenden Text erläutert er, dass für ihn auch der Aufbau eines Projektstudios primär eine individuelle Sache war. Besondere Berücksichtigung erfährt die populär gewordene Audio-Kompression, die erlaubt, die durchschnittlich wahrnehmbare Lautstärke zu erhöhen, ein Vorgang, der z.B. in der modernen Tanzmusik ausgiebig genutzt wird und der bis zu einer mittelalterlich anmutenden Kasteiung reichen kann.

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44. Moers Festival: Vom Chaos zur Kammermusik

Das pfingstliche Moers Festival wird eines der leisen Töne sein, zum zweiten Mal findet es in einer aufwendig umgebauten Tennishalle statt.

Vorbei sind die Zeiten der improvisierten Sessions mit Katzenmusik bis zum Morgengrauen im Freizeitpark der kleinsten Großstadt Deutschlands. Vorbei sind die Zeiten der Jugend der Welt und des Niederrheines, die jahrzehntelang nur um ihrer Ausschweifungen willen vor Ort gingen – ohne für den Eintritt in das seinerzeit grösste Festivalzelt Europas zu zahlen.

Pfingsten viermal in Moers: Colin Stetson
Pfingsten 2015 viermal in Moers – Colin Stetson. Bild: Markus Meiser

Forever Punk? Nein Danke! Der aktuelle Jazzfan leistet sich höchstens einen ergrauten Pferdeschwanz, er kann prototypisch als Öko aus Freiburg-Vauban beschrieben werden.

Der prototypische Jazzaficinado improvisiert nicht gern. Er rechnet scharf, und er rechnet mit Berechenbarkeit, Sicherheit und Sitzplatzkonzerten. In Sachen Infrastruktur kriegt er genau das in Moers geboten:

Den bewachten Campingplatz umhegen Zäune. Und die neue Halle hat eine unverschämt gute Akustik. Für jeden ist ein Sitzplatz garantiert. Im letzten Jahr, im ersten Jahr der neuen Halle, liess so mancher als Platzhalter für sich auf seinem Hallenstuhl ein Handtuch zurück. Wie ein anständiger Deutscher auf der Sonnenliege am Hotelpool auf Malle.

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Jasmin Tabatabai live im Konzerthaus in Dortmund

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Der Samstagabend im Dortmunder Konzerthaus versetzte sein Publikum bisweilen zurück in die goldenen Zwanziger und eine große Frage stand im Raum : „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?“

Die schauspielernde Sängerin Jasmin Tabatabai (ECHO Jazz Preisträgerin 2012 in der Kategorie “Sängerin des Jahres National” für ihr aktuelles Album „Eine Frau“ und Hauptdarstellerin in der ZDF Erfolgskrimiserie “Die letzte Spur”) konnte auf jeden Fall mit ihrem überzeugen.

Vor über 20 Jahren hat sie sich auf eine großartige Liebe mit der Musik eingelassen und sich mit ihr verändert.

Schrieb sie einst für den Film „Bandits“ (1997) von Katja von Garniers den Großteil der Filmmusik – rockig, wild und ungestüm, die mit einer goldenen Schauplatte ausgezeichnet wurde – präsentierte sie uns am Samstagabend auf eine sehr feinfühlige und weibliche, aber auch wagemutige und souveräne Art und Weise, ein ausgezeichnetes an den Jazz angelehntes Chansonprogramm.

Zusammen mit dem “David Klein Quartett“ aus der Schweiz bringt Jasmin Tabatabai deutschsprachige Klassiker und Schlager aus den 20er jahren in einer neuen Bearbeitung, vertonte Gedichte und Poesie,  sowie von David Klein, dem Produzenten des Albums, eigens für sie auf den Leib komponierte eigene Songs auf die Bühne. Mit einem starken Gefühl für Rhythmus swingt und jazzt sie durch den Abend, überzeugt mit einem Mix aus Leichtigkeit und Tiefe und gibt ihren Liedern, in denen uns Frauen begegnen, in denen wir uns widerspiegeln können, einen jeweils speziellen Charakter.  Hier sind die Fotos des Abends :

 

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[KulturLife – die nächsten Termine der clubbigen Konzertreihe stehen fest]

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Es ist ein Konzept, das gleich zwei mal aufgeht.

Zum einen punktet die Location, in der die Konzerte präsentiert werden.

Das ehemalige Dampfgebläsehaus im Bochumer Westpark, direkt hinter der Jahrhunderhalle, bietet eine aussergewöhnliche Industriekulisse und schafft damit eine Clubatmosphäre der etwas anderen Art.

Und auch das angebotene Musikprogramm ist oftmals etwas spezieller, aber dadurch nicht weniger qualitativ hochwertig und abwechslungsreich.

Es stellt Künstler verschiedener Genres vor, wobei der Musikrichtigung da keine Grenzen gesetzt sind.

Am kommenden Samstag, also morgen, stehen Nighthawks auf dem Programm der KulturLife Konzertreihe.

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Der Musiker Paul Kuhn ist tot



Am gestrigen Montag verstarb der Musiker und Bandleader Paul Kuhn im Alter von 85 Jahren.

Der gebürtige Wiesbadener, der im Laufe seiner langen Karriere einige Ausflüge in den Bereich Schlager hinter sich gebracht hatte, verbrachte auch lange und erfolgreiche Jahre im Bereich der Jazzmusik. Kuhn verstarb am Montag während eines Kuraufenthaltes in Bad Wildungen.

R.I.P.

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Keiner schreibt mehr über Jazz

Moerser Jazzfestival: Auf dem Kulturpolitischen Forum herrschte weitgehend Einigkeit zwischen den Experten. Das Thema: Keiner redet über Jazz – liegt es an den Medien? Auf dem Podium: Ralf Dombrowski (Spiegel Online), Stefan Hentz (Die Zeit), Wolf Kampmann (Jazz thing), Wolfgang Rauscher (Jazzzeit) und Martin Woltersdorf (Kölner Stadtanzeiger). Die Ruhrbarone dokumentieren die Ergebnisse der Debatte:

  • Es gibt unglaublich viele gute Jazzmusiker. Es gibt auch immer jüngere Jazzmusiker auf hohem Niveau, aber ein überaltertes Jazzpublikum. Der Jazz hat im Verborgenen eine spannende Szene entwickelt, die auf zu wenig Resonanz trifft. Das Problem dabei: Die gesellschaftliche Relevanz ist spätestens seit der Jahrtausendwende verloren gegangen. Es blüht aber ein Nachwuchs, der mit dem Begriff Jazz nicht mehr adäquat abgedeckt ist. Viele Musikrichtungen, die selbst kein Jazz sind, bedienen sich bei Mutter Jazz.
  • Der Jazz erneuert sich so von den musikalischen Rändern her. Vom Hiphop oder den Ethnomusiken kommen neue Impulse in den Jazz. Die Vermittlung der Tradition des Jazz alleine hilft da nicht weiter. Wichtig sind gleichermaßen die Weiterentwicklung des Jazz als auch die Vermittlung seiner Geschichte. Hier sind die Medien gefragt.
  • Die drei bis vier professionellen deutschsprachigen Jazzmagazine, wie zum Beispiel "jazzthetik" führen den Diskurs und kämpfen für die Sache. In der Tagespresse wird der Jazz zunehmend marginalisiert. Jazz ist einfach zu schwierig, nicht populär genug. Der Platz in dem Feuilletons ist zurückgegangen. Immer öfter betreuen dort Klassik- oder Pop-Redakteure die Jazz-Berichterstattung mit. Kurz: Dem Jazz sind die Hörer weggelaufen, den Zeitungen die Leser. Beides bedingt sich.
  • Es gibt keine gesellschaftliche Diskursfreudigkeit bezüglich des Jazz. Der Jazz ist einfach nicht mehr provokant, er führt nicht mehr zu Diskussionen wie zum Beispiel in den Sechziger Jahren, als Freejazz und Black Power in einem Atemzug genannt werden.
  • Musik, auch Jazz, ist zunehmend austauschbar geworden. In der Flut der Musik ragt das Besondere nicht mehr sehr hervor. Und: Improvisation ist nicht mehr ein Monopol des Jazz. Wie weit geht der Jazzbegriff zur Zeit? Ralf Dombrowski redet nicht mehr nur von "Jazz", sondern von "freier improvisierter Musik" oder "ethnischer Musik". Es entstehen Spannungen in der Begegnung verschiedener Musiken und Musiker, die aufeinander treffen. Es wird einen neuen Jazzbegriff geben müssen.
  • Liefert der Jazz überhaupt noch zeitrelevante Themen? Im letzten Jahrhundert war er so wichtig wie Architektur oder Bildende Kunst. Heute versinkt er innerhalb der kulturellen Wahrnehmung in der Bedeutungslosigkeit. Bis in die 90er Jahre war Jazz ein Lebensgefühl, inzwischen hat die Atomisierung der Musikstile sowie die Demokratisierung der Musikproduktion zu einer abnehmenden Signifikanz – Musik, auch Jazz, ist zunehmend austauschbar geworden. In der Flut der Musik
    ragt das Besondere nicht mehr sehr hervor. Und: Improvisation ist nicht mehr ein Monopol des Jazz.
  • Wie weit geht der Jazzbegriff zur Zeit? Ralf Dombrowski redet nicht mehr nur von "Jazz", sondern von "freier improvisierter Musik" oder "ethnischer Musik". Es entstehen Spannungen in der Begegnung verschiedener Musiken und Musiker, die aufeinander treffen. Es wird einen neuen Jazzbegriff geben müssen.

Der Link zum Thema: www.radio-jazz-research.de

Moers 2008 war auch nicht anders: Die Szene lebt

Ein Gast-Kommentar von Stefan Pieper

Ist der Jazz wirklich ein therapiebedürftiger Patient? An diesem sonnigen Ort beim Moers-Festival betreibt ein gewisser Prozentsatz der Festivalbesucher tatsächlich Diskurse – ständig aufs Neue angeregt durch die hier so manigfaltig offerierten Momente von ästhetischer Faszination in den vielen Konzerten und Live-Projekten. Der Jazz als solcher ist dabei zur Minderheiten-Sache geworden – vor allem in seiner historisch strengen Genre-Definition. Entspricht also der vibrierende Kosmos der Moerser Zeltstadt der heutigen kulturellen und gesellschaftichen Realität?

Wo sind die gesellschaftliche Relevanz, der Umsturzgedanke und das visionäre Potenzial geblieben – etwa wenn es norwegische Freejazz-Ensembles oder der legendäre Cecil Taylor freejazzig krachen lassen? Was in den Gründerjahrzehnten verstört, wird heute in unzähligen Nischen und zahllosen ausdifferenzierten Verästelungen gehegt und von einer spezialisierten Minderheit hoch geschätzt. Die Massenmedien stellen die Abschottung gegenüber der Masse zuverlässig sicher.

Musiksendungen, in denen einzelne Autoren bestimmte Künstler präsentierten, werden ins Nachtprogramm abgeschoben und in ihrer Zeitdauer gekürzt.Wenn die Anzeigenredaktion einer Tageszeitung eine halbseitige Anzeige beansprucht, fliegt als erstes das halbe Feuilleton raus. Und dort zuerst alles, was irgendwo zwischen den Stühlen von quotenträchtigerer Pop-Kultur und etabliertem bürgerlichem Kulturbetrieb eingezwängt liegt…

….aber der ist inzwischen wunderbar vielfältig aus den engen Genre-Gleisen ausgebrochen. Die Szene lebt! Musiker, Bands und Projekte befruchten einander, bringen ihren immer größer werdenden Output ans geneigte Hörer-Ohr, ohne noch den Mechanismen der Unterhaltungsindustrie unterworfen zu sein. Hier muss eine engagierte Medienarbeit ansetzen. Bernt Noglik, einer der berufensten Jazz-Autoren im Lande, moderiert dieses Podiumsgespräch.

Er plädiert dafür, dass sich die unterschiedlichen Medienformen zusammenschließen, um sich auf öffentliche rechtliche Kulturaufträge zu besinnen und um den interessierten Musikfans auf ihren Reisen durch den immer weiter wachsenden Dschungel an zeitgenössischen musikalischen Ideenwelten zur Seite zu stehen. Der Rundfunk als Bildungsinstanz: Das klingt – aus Sicht heutiger Sicht der medialen Wirklichkeit – so antiquiert wie etwas utopisch. Aber die Initiativen rund ums Moerser Festival zeigen Wege auf, das Besondere nicht nur ins Rampenlicht zu rücken sondern darüber hinaus auch öffentlich zu machen.

Stefan Pieper ist freier Journalist. Er schreibt
für die Recklinghäuser Zeitung und für die Jazzzeitung