Der Nibelungenstream

Foto: Charlene Markow

Das Theater als Autor. Anlässlich der 24stündigen Nibelungenmarathon-Lesung im Rottstr5Theater vom 21. bis zum 22. Mai richtete der Dramaturg Carsten Marc Pfeffer einen Blogstream ein. Im Ergebnis entstand ein Gemeinschaftstext der Beteiligten. Eine spannende Chronologie, die anhand von Erlebnisberichten den Marathon Revue passieren lässt. Am 23. Mai ging der Rough-Mix online. Doch der Text wuchs weiter. Bis zum 31. Mai wurde der Blogstream mit nachgereichten Beiträgen ergänzt. Hier der Gesamttext.

Mit Beiträgen von Hans Dreher, Carsten Marc Pfeffer, Honke Rambow, Rasmus Rehn, Lydia Schindler, Chantal Stauder, Werner Streletz, Markus Tillmann.

 

 

Auftritt: die Kaffeemaschine

um 11.30 Uhr schreibt Chantal Stauder:

 

Ankunft in der Rottstraße. Hans, Felix, Oli, Arne und Charleen kümmerten sich bereits um die Bühne. Carsten begann sofort nach seinem Eintreffen, fleißig Brötchen zu schmieren. Käse und Mett. Kann man machen. Aus der Garderobe schleppte jemand eine Kaffeemaschine hervor. Großer Jubel. Noch ahnte die silberne Retterin der Nacht nicht, was ihr bevorstand. Sie sollte (wie die Crew der Rottstraße) den ganzen Tag und die ganze Nacht im Dauerbetrieb bleiben.

 

„Wo soll die Kaffeemaschine hin?“

„Zur Madonna.“

„Alles klar. “

„Auf `nen Tisch?“

„Nein, auf den Boden.“

„Alles klar…“

 

Hagen von Rott klickt sich durch

um 12 Uhr schreibt Carsten Marc Pfeffer:

 

Durchbloggen. Foto: Charlene Markow

Es ist jetzt Punkt 12. Es kann beginnen: 24 Stunden die Nibelungen als Nonstop-Lesung. Wieder so eine Wahnsinnstat im Rahmen des Bochumer-Ring-Projektes, der Großbaustelle des Rottstr5Theaters im Jahre 2011. „Viele Geschichten gibt es über die sagenumwobenen Nibelungen zu erzählen“, so hatte ich im Pressetext geschrieben eher verharmlosend gegenüber der irrsinnigen Textflut, die in den folgenden 24 Stunden über uns hereinbrechen wird. Das bisher gesichtete Material füllt zwei Billy-Bücherregale von Ikea. Wer soll das aushalten? Was wird dieses Kompendium mit uns machen? Wir werden sehen. Zumindest für das leibliche Wohl ist gesorgt. Dank der Kooperation mit der Literarischen Gesellschaft konnten wir ein kleines kostenfreies Burgunnen-Buffet anrichten, und so schmierte ich im Vorfeld gefühlte 1000 Käse- und Mettbrötchen, richtete appetitliche Obstkörbe an und schnitzte zu dekorativen Zwecken aus gewaltigen Eisbrocken sagenhafte Phantasiefiguren. Eine Sisyphusarbeit bei den hochsommerlichen Temperaturen. Nicht gerade Theaterwetter, dachte ich. Zweifelhaft, ob überhaupt Publikum erscheinen würde. Doch es gibt Projekte, bei denen kommt es nicht unbedingt auf Resonanz an, sondern darauf, dass man sie durchzieht. Und so schnitze ich weiter Zwerge, Elfen und Drachen in das schmelzende Eis. Doch nicht nur ich war fleißig. Während die Dramaturgie in der Brötchenküche beschäftigt war, richteten die leitenden Regisseure die Bühne ein. Arne Nobel zitierte Baudrillard und probte den Aufstand der Zeichen: einmal Heimtrainer samt Discokugel, zweimal Sofa und natürlich die orangeangestrahlte Madonna-Statue, der zu Füßen ein jungfräuliches Rugby-Ei liegt. Dazu ein paar Flaggen diverser Nationen, zerfetzt versteht sich. Im Grunde ist die Formel ganz einfach: Wer die Postmoderne inszeniert, sollte gleichsam die Chuzpe aufbringen, sie beenden zu wollen. Dann klappt es auch mit dem Bühnenbild. Natürlich darf der Spaßfaktor dabei nicht vergessen werden. Und so spannte Hans Dreher über die linke Bühnenseite eine gewaltige Leinwand, auf die alsbald via Beamer die Xbox projiziert wurde. Mit „The Elder Scrolls IV: Oblivion“ hatte der Regisseur ein gewaltiges Nibelungen-Panorama gefunden: digitale Finsterlinge, die sich durch ein mystisch aufgeladenes Mittelalter metzeln. Schon programmierte er die Avatare: Gunther, Siegfried und natürlich Hagen von Rott. Oliver Thomas kümmerte sich derweil um die Einlassmusik. „In The Light“ von Led Zepplin? „Nee, lieber Manowar“, insistierte Nobel: „The Crown and the Ring!” – Also gut. Dann kann es ja losgehen.

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