Thorium-Reaktoren könnten helfen, Versorgung und Unabhängigkeit zu sichern

Stromtrasse Foto: H.A. Lizenz: Public Domain


Europa und Deutschland brauchen  Versorgungssicherheit, klimaneutralen Strom und Unabhängigkeit. Mit Thorium betriebenen Flüssigsalzreaktoren könnten in einem zukünftigen Energiemix eine wichtige Rolle spielen.

Deutschland hat ein Energieproblem – und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Nach Angaben des Bundesamtes für Statistik war der Preis für eine Kilowattstunde Strom hierzulande mit 40 Cent der höchste in ganz Europa. Im EU-Durchschnitt lag der Preis mit 29 Cent deutlich darunter. Doch trotz des seit Jahrzehnten andauernden Ausbaus der erneuerbaren Energien lag auch der deutsche CO₂-Abdruck mit 381 g/kWh im Jahr 2024 deutlich über dem der meisten Nachbarländer. Wie viel Geld es gekostet hat, Deutschlands Stromversorgung zugleich teurer als auch schmutziger als in den meisten europäischen Staaten zu machen, kann niemand genau sagen. Aber der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat im vergangenen Jahr die auf das Land zukommenden Kosten geschätzt, wenn an dem bisherigen Ziel der Klimaneutralität durch den Einsatz erneuerbarer Energien bis zum Jahr 2045 festgehalten wird, und hat sich verschiedene Studien näher angeschaut: „Je nach Betrachtungszeitraum werden die Kosten auf Beträge zwischen 500 Milliarden Euro pro Jahr bzw. 13,3 Billionen Euro insgesamt bis zum Jahr 2045 beziffert.“

Deutschlands Energiepolitik hat das Land in eine Sackgasse manövriert. Steigende Kosten für die Verbraucher und eine sich beschleunigende Deindustrialisierung sind die Folge. Die Hoffnung, die Kosten zumindest zum Teil durch den Aufbau einer exportstarken Solar- und Windanlagenindustrie aufzufangen, hat sich nicht erfüllt. Mit ihrem Vorschlag, zumindest zu überprüfen, ob die sechs letzten, seit Ende 2021 abgeschalteten Kernkraftwerke wieder ans Netz gehen könnten, scheiterte die Union in den Koalitionsverhandlungen – obwohl diese technisch einwandfreien und abgeschriebenen Meiler eventuell günstig und zuverlässig Strom hätten liefern können. Immerhin hat sich die neue Bundesregierung vorgenommen, dass der erste kommerzielle Fusionsreaktor in Deutschland gebaut werden soll. Schon durch die Formulierung dieses Anspruchs haben Union und SPD mit einer jahrzehntelangen Technologiefeindlichkeit gebrochen, die Deutschlands Energiepolitik bestimmte. Kommerziell betriebene Kernfusionsreaktoren wären das, was Amerikaner einen „Moonshot“ nennen: eine Technologie, die alles verändert. Und tatsächlich stehen die Chancen, dass in Deutschland in absehbarer Zeit ein Fusionsreaktor gebaut wird, gut: Focused Energy baut ein Fusionskraftwerk auf dem ehemaligen AKW-Gelände von RWE in Biblis.

So begeisternd und mittlerweile auch realistisch die Idee wirtschaftlich laufender Fusionsreaktoren auch ist, sollte eine in die Zukunft gerichtete Kerntechnikpolitik sich nicht nur auf eine Technologie ausrichten, sondern offen sein. Auch Thorium-Reaktoren könnten ein wichtiger Bestandteil einer zukünftigen Energieversorgung werden. Es gibt keinen Grund, sich zwischen diesen Technologien zu entscheiden, aber gute Gründe, beide Innovationspfade zu verfolgen. Seit den 1950er-Jahren wird an Thorium-Reaktoren geforscht; in Deutschland war mit dem THTR ein solcher Meiler sogar einmal in Betrieb. Doch es war eine Großanlage, und es kam zu technischen Problemen mit den Graphitkugeln, in denen der Brennstoff war.

In den vergangenen Jahren wurden bei der Entwicklung von mit Thorium betriebenen Flüssigsalzreaktoren große Fortschritte erzielt – bei denen das Thorium in Form geschmolzenen Salzes vorliegt. Bei diesem Reaktortyp ist der Kernbrennstoff in flüssiger Form gleichmäßig im Primärkreislauf des Reaktors verteilt; eine Kernschmelze im klassischen Sinne ist damit ausgeschlossen.

So bekannt die Idee auch war, so lange scheiterte sie in der Umsetzung an Korrosionsproblemen des Salzes. Legierungen, die Legierungen, die der Belastung durch hochradioaktive, heiße Salze standhalten, wurden erst in den vergangenen Jahren entwickelt. Damit wurde das zentrale Problem gelöst, das den Bau von Flüssigsalzreaktoren blockierte.

In Indien, den USA, China und Dänemark wird intensiv an Flüssigsalzreaktoren geforscht. Am weitesten ist China: Dort wurde bereits ein Versuchsreaktor gebaut. Im Frühjahr gelang es den Forschern dann sogar, ihn im laufenden Betrieb mit neuem Brennstoff zu versorgen. Thorium-Flüssigsalzreaktoren sind aus mehreren Gründen eine interessante Technologie: Thorium findet sich in der Erdkruste dreimal häufiger als Uran. Die größten Vorkommen befinden sich neben China in Indien, Brasilien, Australien und den USA. Es ist weltweit gut verfügbar, kaum waffenfähig, erzeugt nur geringe Mengen an langlebigen Abfall
und sind inhärent sicher durch passive Kühlung.

Fusionsreaktoren sind technisch bedingt Großkraftwerke. Anders ist das bei Flüssigsalzreaktoren: Sie können auch als Small Modular Reactors gebaut und betrieben werden. Wenn Thorium-Flüssigsalzreaktoren serienreif würden, könnten sie – nach heutiger Einschätzung – Strom zu sehr wettbewerbsfähigen Preisen liefern. Die genaue Höhe bleibt spekulativ, da es noch keine kommerziellen Anlagen gibt. Vieles hängt von künftigen Materialkosten, Regulierungsfragen und der Skalierung ab.

In China und Dänemark könnte der kommerzielle Einsatz von Flüssigsalzreaktoren in der ersten Hälfte der 2030er-Jahre erfolgen; Indien geht von ihrem kommerziellen Betrieb in der zweiten Hälfte des kommenden Jahrzehnts aus. Für Deutschland und seine Forschungszentren böte sich eine Zusammenarbeit mit dem dänischen Unternehmen Copenhagen Atomics an. Die Schweiz hat diese Chance ergriffen: Das zur ETH Zürich gehörende Paul Scherrer Institut (PSI) hat 2024 bekannt gegeben, mit Copenhagen Atomics zu kooperieren.

Es wäre klug, wenn entsprechende deutsche Forschungseinrichtungen es dem PSI gleichtun würden – denn der Zugriff auf diese Technologie ist, wie bei der Kernfusion, in mehrfacher Hinsicht strategisch wichtig: Gelänge es, Flüssigsalzreaktoren in Europa zu entwickeln, wäre das ein wichtiges Element technologischer Autonomie. Zum anderen verfügt Deutschland mit Abstand über die leistungsfähigste und innovativste Industrie Europas. Wie die Kernfusion ist auch die Technologie der Flüssigsalzreaktoren eine Chance für die Industrie – denn sie könnte vom Bau solcher Reaktoren als Partner und Zulieferer profitieren und weitere exportfähige Produkte entwickeln. China plant, seine Flüssigsalzreaktoren im Rahmen der Belt and Road Initiative zu exportieren. Es gibt keinen Grund, warum Europa China den Markt alleine überlassen sollte, der sich vor allem in den energiehungrigen Schwellenländern entwickeln könnte.

Forschung im Hightech-Bereich und technologisch komplexe Industrieprodukte gehören zu Deutschlands Stärken. Günstige, sichere und klimaneutrale Energie zu seinen Grundbedürfnissen. Nichts spricht dagegen, dass Deutschland und Europa nicht nur bei der Kernfusion, sondern auch bei Flüssigsalzreaktoren eine führende Rolle spielen.

Der Text erschien bereits auf Pioneer

 

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paule t.
paule t.
8 Tage zuvor

Ich finde ja, dass man außer auf Fusionsreaktoren und Thorium-Flüssigsalzreaktoren auch auf die Warp-Reaktoren setzen sollte, wie sie bei Schiffen der Galaxy-Klasse verwendet werden. Wie man mehrfach sehen konnte, lässt sich die darin produzierte Energie relativ leicht per Energiestrahl in die planetaren Energiesysteme übertragen. Und es ist, was die praktische Bedeutung angeht, auch nicht wesentlich unrealistischer als die beiden anderen genannten Möglichkeiten.

Ernsthaft: Fusionsraktoren gibt es nicht. Punkt. Es gibt nicht einmal einen Versuchsreaktor. Es wurde mW nicht einmal die kleinste Menge elektrischer (!) Energie aus einer Fusionsreaktion erzeugt. Meiner Erinnerung nach war der letzte wissenschaftliche Fortschritt, dass man in einem Experiment mehr Energie freisetzen konnte, als hineingesteckt wurde – aber auch nur in dem Sinne, dass die unmittelbar in der Reaktion verwendete Energie geringer war als die in der Reaktion freigesetzte Energie. Die insgesamt in der Anlage verwendete Energie war aber weit höher, und die in der Reaktion freigesetzte Energie wurde erst gar nicht in elektrische Energie umgewandelt. (Das ist aber alles nur aus dem Gedächtnis, ich überlasse es mal den Fans, die Fortschritte zu belegen.)
Und der Versuchsreaktor (!) ITER ist noch im Bau (!) (geplante Inbetriebnahme 2034-36 [!]) „mit dem Fernziel [!] der Stromerzeugung aus Fusionsenergie“ (lt. Wikipedia).
Es ist also völlig unabsehbar, ob überhaupt und, wenn ja, wann diese Forschungen zu dem erhofften Ziel führen.

Meinungsmacher:innen und Politiker:innen, die uns Fusionsreaktoren als Lösung für die wegen des Klimawandels jetzt notwendige Energiewende weg von fossilen Energieträgern empfehlen, zeigen damit nur, dass ihnen entweder der Kontakt zur Realität fehlt und sie lieber in Science-Fiction-Träumen unterwegs sind. Oder aber sie wollen bewusst die Wählerschaft verarschen und eben diese Energiewende verzögern, indem sie auf solche Scheinlösungen verweisen. (Wenig überraschend sind es tatsächlich z.T. dieselben Politiker:innen von CDU/CSU und FDP, die in der Vergangeheit den Ausbau der Erneuerbaren durch unsinnige Auflagen verzögert haben, und die jetzt diese SF-Technologie vorschlagen.)

Für den in diesem Artikel bejubelten Flüssigsalzreaktor (oder MSR) wird ja oben selbst geschrieben, dass es noch nirgendwo über Forschung hinausgekommen ist. Wikipedia sagt zum Entwicklungstand: „Bislang wurden noch keine Reaktoren in der jetzt konzipierten Leistungsgröße gebaut. Ebenso ist die nötige Wiederaufbereitung noch nicht im größeren Maßstab getestet. Gleiches gilt für den Einsatz von und das Brüten mit Thorium in Flüssigsalzreaktoren. Der insgesamt erforderliche Entwicklungsaufwand wird von britischen Nuklearexperten als so hoch eingeschätzt, dass noch 40 Jahre [!] bis zur Serienreife eines MSR vergehen dürften.“
Also wieder in keiner Weise eine auch nur annähernd realistische Lösung für die jetzt notwendige Energiewende.

Das heißt nicht, dass man nicht weiter daran forschen soll. Forschen ist immer gut. Und wer weiß, vielleicht zeitigt die Forschung ja irgendwann tatsächlich nutzbare Ergebnisse, und vielleicht sind diese dann irgendwann sogar kostengünstiger als Windkraft, Photovoltak & Co. (Glaube ich zwar nicht, weil es für die jetzt zur Verfügung stehende Kernkraft auch nicht gilt, wenn AKWs neu gebaut werden, aber wer weiß.) Und vielleicht wird man dann in ein paar Jahrzehnten nicht mehr funktionstüchtige Windkraft- und PV-Anlagen nicht erneuern, sondern durch Fusions- oder auch MSR-Reaktoren ersetzen. Aber das ist eben keine Lösung für jetzt.

Jetzt brauchen wir moderne, funktionsfähige Technologien, die jetzt schon vorhanden sind. Das wären entweder die erneuerbaren Energien, v.a. Wind und Sonne, oder aber die schon vorhandene AKW-Technologie. Nur dass letztere eben teurer ist, wenn man den gesamten Lebenszyklus betrachtet (so teuer, dass der französische Rechnungshof dringend davon abrät, die Atomträume Macrons weiterzuverfolgen). Bleiben also die Erneuerbaren.

Und ja: Damit diese komplett die Energieversorgung übernehmen, muss noch viel passieren. Außer einem weiteren massiven Ausbau muss auch das Leitungsnetz umgebaut werden, es müssen (mehr) Speicher der verschiedenen Technologien gebaut werden, dito Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen, und es müssen Möglichkeiten zur intelligenten Verbrauchssteuerung installiert werden. Aber all diese Technologien gibt es eben jetzt schon, nicht in unabsehbarer Zukunft, und es ist absehbar (bzw. schon im Gange), dass sie einen genau so deutlichen Ausbau und Preisverfall erleben werden, wie die erneuerbaren Energie selbst.

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