Tja, die Auslandspresse …

Martin Gehlen

Tja, die Auslandspresse. Ihr Vorteil liegt auf der Hand: sie ist direkt international. Ihr Nachteil allerdings auch: häufig ist sie schwer lesbar, da in Fremdsprachen abgefasst. Der Königsweg:  die deutschsprachige Auslandspresse. Zum Beispiel in Österreich, die bürgerliche Presse. Die Presse ist eine überregionale, österreichische Tageszeitung, die, so Wikipedia, gemäß ihrer Blattlinie eine „bürgerlich-liberale Auffassung“ vertritt – „laut Eigendefinition eine bürgerliche-konservative, jedoch wirtschaftsliberale Grundlinie“. Die Zeitung belegt Platz 5 in Austrias Blätterwald und bedient das konservative, bildungsbürgerliche und besserverdienende Publikum. Ideal: wenn man einmal begriffen hat, dass der Januar in Österreich Jänner heißt, liest sich das Blatt wie eine deutsche Zeitung. Es ist aber keine deutsche Zeitung; wie gesagt: Auslandspresse.

Dabei, auf den ersten Blick laufen viele Dinge in der Alpenrepublik ganz ähnlich wie hierzulande. Auch dort treibt die Leute eine Plagiatsaffäre um, ein konservativer Politiker soll in seiner Dissertation „seitenweise unzitiert abgeschrieben“ haben. Johannes Hahn, der derzeitige EU-Kommissar für Regionalpolitik, hält sich jedoch schon eine Weile und vor allem: tapfer. Der Presse hat er jetzt ein Interview gegeben. Dissertation: Hahn „sehr gelassen“, aber: „Nobody is perfect“. Klar erkennbar: die Parallelen und die Unterschiede zur Affäre wenige Kilometer nördlich. Die Parallele: konservativer Sunnyboy ergaunert sich seinen Doktortitel. Der Unterschied: ausgerechnet in dem Land, wo noch mehr Zirkus um den akademischen Grad gemacht wird als in Deutschland, scheint man mit Hochstaplern gnädiger zu verfahren als hierzulande. Auch interessant.

Viel interessanter ist aber etwas ganz Anderes. Offenbar unterscheidet sich die Auslandsberichterstattung in der österreichischen Presse nicht ganz unerheblich von derjenigen in Deutschland. Am Beispiel der schweren Zusammenstöße am Mittwoch in Kairo stellt sich die Angelegenheit wie folgt dar: sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der Bundesrepublik Österreich wird über das Blutbad in Ägypten berichtet. Selbstverständlich. Sowohl „Die Presse“ aus Wien als auch „Der Tagesspiegel“ aus Berlin als auch die WAZ-Gruppe aus Essen bringen hierzu den Bericht des renommierten Korrespondenten aus Kairo, Martin Gehlen. Folglich lesen wir in allen drei Zeitungen, dass mindestens 13 Menschen getötet und über 150 verletzt worden (sind), fast alle durch Schüsse“.

Gehlen weiter: „Nach Angaben von Augenzeugen wollten etwa tausend Christen der Siedlung am Dienstagabend gegen die Brandstiftung einer koptischen Kirche in Helwan demonstrieren. Dabei wurden sie von einem Mob muslimischer Männer angegriffen, die in das Viertel eindrangen, wo viele der Müllsammler von Kairo wohnen. Sie lieferten sich blutige Schlachten mit den Bewohnern und setzen Autos, Häuser und recycelten Abfall mit Molotow-Cocktails in Brand.“ Viel mehr dürfen wir hier aus Martin Gehlens Bericht nicht zitieren; es sei aber noch erwähnt, dass auch in den deutschen Zeitungen der Hinweis auf Al Qaida gebracht wurde, die der koptischen Kirchenführung ein Ultimatum gestellt hatte, dessen Nichtbeachtung alle Kopten zu „legitimen Ziele“ mache.

Die Einzelheiten dazu entnehmen Sie bei Interesse Gehlens Bericht, den sie in den drei verlinkten Zeitungen finden. Soweit zu den Parallelen in der Berichterstattung hier und dort. Auffällig ist ein kleiner Unterschied. Die Einleitung Gehlens, die in der bürgerlichen Presse aus Wien zu finden ist, fehlt sowohl im Tagesspiegel als auch in der WAZ. Sie lautet: „Ägyptens Christen geraten zunehmend unter Druck: Erstmals seit der Revolution im nordafrikanischen Staat attackierten Gruppen bewaffneter muslimischer Männer Christen in der Hauptstadt Kairo.“ Zufall? Platzmangel? Irgendwelche anderen, nicht weiter bekannten redaktionellen Erwägungen?

Das ist freilich gut möglich. Ich weiß es doch auch nicht. Sehen wir uns einfach einmal die Überschriften an, die die Redaktionen für Gehlens Artikel gewählt haben: „Kämpfe zwischen Christen und Muslimen“ (Der Tagesspiegel), „Kairo – 13 Tote bei Kämpfen zwischen Muslimen und Christen in Ägypten“ (der Westen), „Ägypten: Mob macht Jagd auf Kairos Christen“ (Die Presse). Gewiss, die Verarbeitung des Gehlen-Artikels muss nicht repräsentativ sein für die Ägypten-Berichterstattung in Österreich und hierzulande. Vielleicht reiner Zufall, vielleicht liegt es daran, dass in Österreich ein eher rechtes Blatt betrachtet wurde, in Deutschland aber Zeitungen aus dem gemäßigt-linken Spektrum?

Für letztere Annahme spricht nicht allzu viel. Der Standard, eine liberale Zeitung mit Gastkommentaren aus verschiedenen politischen Richtungen, schreibt von „mindestens sechs Toten – Protest von 1.000 Christen in Kairo gegen Anschlag auf Kirche – Mindestens 45 weitere Kopten verletzt“. Die „halb-amtliche“ Wiener Zeitung titelt:Kopten erneut Ziel von Anschlägen – Kurzer Religionsfriede in Ägypten – Zehn Tote bei Attacke auf christliche Demonstration“. Und wie wird in Deutschland über das Blutbad berichtet?

„Religiöse Unruhen in Kairo: „Elf Tote nach Gewalt zwischen Muslimen und Christen“ (stern.de), „Elf Menschen bei religiösen Unruhen in Kairo getötet“ (dpa-Meldung im Focus, ausführlicher in der Süddeutschen), „Religionskampf in Ägypten – Kopten und Muslime sterben bei Krawallen in Kairo“ (Spiegel Online). Die Reihe ließe sich weit fortsetzen. Alles Zufall? Ich könnte – mit Links auf ältere Kolumnen – belegen, dass ich die Republik Österreich nicht für das politische Paradies auf Erden halte. Wirklich nicht. Ich stelle nur fest, dass es selbst in der Alpenrepublik möglich ist, über Tatsachen zu berichten, die hierzulande in diesen Tagen tabuisiert werden.

In Österreich weist die etablierte, „bürgerliche“ Presse von halb-rechts über die politische Mitte bis halb-links darauf hin, dass ein von Al Qaida gesteuerter islamistischer Mob in mörderischer Absicht auf Kopten losgeht und auch etliche Christen tötet bzw. schwer verletzt. Hierzulande könnte dies das Bild von der friedlichen Revolution für die Freiheit trüben, weshalb die entscheidenden Passagen des Berichts selbst eines gemeinhin angesehen Korrespondenten weg retouchiert werden. Immerhin ist kein weißer Fleck zu sehen auf dem Foto, wo dereinst Trotzki zu sehen war.

Und wissen Sie, wer die Auslandspresse macht? Na klar: das Ausland.

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