
Regime-Change im Iran? Schwierige Frage. Entscheidend die, wie mit der IRGC umzugehen sei, der „revolutionären Garde“: Folgt sie einem rationalen Kalkül oder ihrem Vernichtungswahn? Der sich gegen wen richtet? Bochum spielt eine fatal prominente Rolle in diesem politischen Konflikt, hier hat die Garde schon einmal zugeschlagen. Fragen an die Bundespolitiker aus Bochum, Serdar Yüksel (SPD) und Max Lucks (Grüne).
Vergangene Woche wurde Ali S. in Aarhus festgenommen, der 53jährige Däne ist dringend verdächtigt, im Auftrag des iranischen Geheimdienstes „jüdische Örtlichkeiten und bestimmte jüdische Personen“ ausgespäht zu haben, um „geheimdienstliche Operationen in Deutschland“ vorzubereiten „bis hin zu Anschlägen gegen jüdische Ziele“. Das Szenario ist vertraut, im Herbst 2022 wurden im Auftrag staatlich-iranischer Stellen die Synagogen in Bochum und Essen attackiert. Nicht die Synagogen selber, die Häuser nebenan, auf der Zielliste der Agenten stehen iranische Oppositionelle ebenso wie „Akteure, die erkennbare und insbesondere auch symbolische Bezüge zu Israel und/oder dem Judentum aufweisen“, sagt der Verfassungsschutz NRW. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, spricht von „Vernichtungsfantasien des Mullah-Regimes“, die Nahost-Expertin Ulrike Becker von einer „systematischen Vernichtungsagenda“, Hans-Jakob Schindler von einem „Geflecht, das staatlich gestützten Terrorismus, organisierte Kriminalität, islamistische Ideologie und antiisraelische Milieus verbindet“: Besonders beunruhigend, so der Terrorismus-Forscher, sei die Ende 2024 in Berlin ausgehobene Hamas-Zelle, deren Mitglieder über ein Jahrzehnt hinweg „völlig unauffällig“ lebten, „professionell ausgebildete Operateure“.
Anderes Wort für Terror
Wie sie die Bedrohung durch iranisch beauftragten Terror im Ruhrgebiet einschätzen, haben wir die Bochumer Bundestagsabgeordneten gefragt. „Real“, sagt Serdar Yüksel, im Februar ist der Sozialdemokrat direkt in den Bundestag gewählt worden. „Im Ruhrgebiet mit seiner großen iranischen Diaspora“ – die sich als Gegner des iranischen Regimes organisiert – „besteht ein erhöhtes Risiko.“
„Real“, sagt auch Max Lucks, der seit September 2021 für die Grünen im Bundestag sitzt, „das iranische Regime ist offenbar bereit, seine Repression und seinen Terror bis ins Herz unserer Gesellschaft zu tragen.“ Der Terror des Iran bedrohe „unsere gesamte Demokratie“.
Auftraggeber dieses Terrors ist der staatlich-iranische Geheimdienst MOIS sowie das semi-staatliche IRGC – Islamisch-Revolutionäres Guard Corps – , es bildet die eigentliche Machtbasis des Regimes. „Eine hybride Organisation“, sagt Serdar Yüksel, „sie verbindet ideologische Härte mit pragmatischem Machtkalkül. Einerseits verteidigt sie das Regime mit militärischer Gewalt, andererseits verfolgt sie wirtschaftliche und politische Interessen innerhalb des Iran. Ihre Strategie umfasst die Sicherung der eigenen Machtbasis und die Projektion von Einfluss in der Region durch Proxy-Gruppen und asymmetrische Kriegsführung“ – ein anderes Wort für Terror.
Ähnlich die Einschätzung von Max Lucks, er sieht in der Revolutionsgarde das „ideologische Machtzentrum der Islamischen Republik“. Aus diesem Zentrum heraus habe sie „weitreichenden Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Außenpolitik“ gewonnen. Also keine säkulare Bastion im theokratischen System, die einen Regime-Change möglich machen könnte? Nein, sagt Lucks, die Revolutionsgarde sei „keine reformorientierte Kraft, sondern eine tragende Säule der Repression im Iran. Ihre Rolle ist eindeutig: Sie dient nicht dem Schutz der Bevölkerung, sondern der Sicherung des autoritären Regimes. Die Vorstellung, sie könnte als säkulare Kraft einen Regime-Change herbeiführen, halte ich für realitätsfern.“
Betätigungsverbot
So wie Shirin Ebadi es tut, Menschenrechtsanwältin, 2003 mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Das Ajatollah-Regime, sagt sie seit Jahren, sei „unreformierbar“ und bereit, „bis zur letzten Rakete, bis zum bitteren Ende“ durchzuhalten, „es sei denn, die Iraner erheben sich vorher.“ Thomas von der Osten-Sacken hat auf diesem Blog an die „Faustregel aller abgerockten Tyranneien des Nahen Osten“ erinnert: „Je schwächer sie nach außen sind und je mehr klar wird, dass, wenn es ernst wird, hinter all dem martialischen Getöse nichts steckt, je brutaler rächen sie sich an wehrlosen ‚inneren‘ Feinden.“ Auch an den jüdischen Gemeinden, die es weiterhin im Innern gibt: 1979, dem Jahr der „Islamischen Revolution“, lebten rund 80 000 Juden im Iran, heute wird ihre Zahl auf 9 – 10 000 geschätzt. In Geisel-Diplomatie ist das iranische Regime geübt.

In dieser Situation den Druck von außen erhöhen? Indem die Bundesrepublik ein Betätigungsverbot über das IRGC verhängt, wie es dies 2023 gegen Hamas und zuvor gegen Hisbollah getan hat?
„Das ist nicht nur machbar, sondern sicherheitspolitisch geboten“, sagt Lucks, er ist Obmann seiner Fraktion im Ausschuss für Menschenrechte. „Wir haben es hier mit einer Organisation zu tun, die für Anschläge auf Synagogen in Deutschland verantwortlich ist. Da müssen wir handeln – ohne Zögern.“
„Grundsätzlich denkbar“, sagt Yüksel, „es könnte deren Aktivitäten in Deutschland einschränken. Die Herausforderung liegt darin, die IRGC klar zu definieren und ihre Netzwerke zu identifizieren, da sie oft über Tarnorganisationen agiert. Ein solches Verbot wäre ein wichtiges Signal, muss aber von verstärkter Überwachung begleitet werden.“
Snapback-Mechanismus
Und was ist – der nächstgrößere Kreis – mit dem sog. Snapback-Mechanismus? Er ermöglichte es den E3-Staaten – Deutschland, Frankreich und Großbritannien – die Sanktionen gegen den Iran, die seit dem Atomabkommen mit dem Iran 2015 aufgehoben sind, innerhalb von 30 Tagen wieder in Kraft zu setzen.
Auch das, sagt Yüksel, „wäre ein starkes Signal“. Allerdings sei die Legitimität des Mechanismus umstritten, „außerdem könnte eine Aktivierung die diplomatischen Bemühungen zur Wiederbelebung des Atomabkommens erschweren. Ich halte eine Nutzung als Druckmittel für sinnvoll, wenn andere Wege ausgeschöpft sind.“
Den Snapback-Mechanismus jetzt zu aktivieren, sagt Lucks, „ist nicht nur eine Möglichkeit – ich fordere das seit Jahren. Bereits eine frühere Aktivierung wäre eine sinnvolle politische Maßnahme gewesen, um den berechtigten israelischen Sicherheitsinteressen Rechnung zu tragen und eine militärische Eskalation zu vermeiden. Gerade jetzt sollte die Bundesregierung ernsthaft erwägen, diesen Schritt zu gehen. Denn nach dem Auslaufen seiner Gültigkeit wäre eine Reaktivierung kaum noch möglich.“
Terror als Terror listen
Und die Revolutionsgarde als Terror-Organisation listen? Die USA haben dies bereits 2019 getan, Kanada 2024, auf der Liste der EU findet sich die Terror-Garde bis heute nicht. Wie da der Stand sei, haben wir gefragt, Antwort Yüksel, er arbeitet im Bundestag ua im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
„Das ist politisch sehr komplex. Einige EU-Mitgliedstaaten befürworten das, andere sind zurückhaltender, weil sie eine Eskalation der Beziehungen zum Iran vermeiden wollen. Und wie gesagt, die IRGC ist eine vielschichtige Organisation mit militärischen, wirtschaftlichen und politischen Aufgaben, was die juristische Einstufung erschwert. Deshalb gibt es derzeit noch keine Einigung innerhalb der EU.“
Anders Lucks: „Ich kämpfe seit 2022 für die Aufnahme der iranischen Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste. Auf meine Initiative hin hat sich im Herbst 2024 auch die Parlamentarische Versammlung des Europarats dieser Forderung angeschlossen.“

Kurz erklärt: Der Europarat, nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat der EU, wurde 1949 mit zunächst 10 Staaten gegründet, heute sind es 47; die Ukraine zählt dazu, Russland und Belarus nicht. Ziel: Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Europa fördern. Die Parlamentarische Versammlung des Rates setzt sich aus Vertretern der nationalen Parlamente zusammen, seit 2021 ist Max Lucks einer der bundesdeutschen Delegierten und seit 2023 Berichterstatter für den Iran; Serdar Yüksel ist Delegierter des Europarats in stellvertretender Funktion. Was relevant ist: Mit der Türkei, Jerewan und Aserbaidschan grenzen drei Staaten des Europarats direkt an den Iran.
Lucks weiter: „Ebenfalls ein wichtiger Etappensieg, um die Revolutionsgarde listen zu können, war die Feststellung des Juristischen Dienstes der EU, der – auf Initiative des Auswärtigen Amtes in Berlin – die Rechtsgrundlagen für eine solche Listung geschaffen hat. Doch leider“, so Lucks, „hat die neue Bundesregierung diesen Elfmeter der alten Bundesregierung nicht verwandelt. Sie hat bisher keine substanziellen Schritte in Richtung einer Terrorlistung unternommen.“
Das allerdings hatte auch die vorherige allenfalls widerstrebend getan. Die vormalige Außenministerin, Annalena Baerbock (Grüne), hatte über Monate behauptet, es gäbe ein Gutachten des Juristischen Dienstes der EU, das leider unter Verschluss gehalten werden müsse, darin stünde, dass eine Listung der Terror-Garde rechtlich derzeit nicht möglich sei. Bis die TAZ Ende 2023 herausfand, dass besagtes Gutachten eine solche Deutung nicht ansatzweise hergibt, eher das Gegenteil. Erst daraufhin gab Baerbock jenes Gutachten in Auftrag, auf das sich Lucks bezieht, es kommt zu dem Schluss, dass spätestens das Urteil gegen den Attentäter von Bochum, im Dezember 2023 vom OLG Düsseldorf gefällt, den Weg für eine Terror-Listung des IRGC geebnet hat.
Vertauschte Rollen
Deutlich also, dass sich der politische Riss in der Frage, wie dem Terror des Iran zu begegnen sei, nicht nur durch Europa zieht, sondern gleicherweise durch bundesdeutsche Parteien. Auch dort Blockierer, die namenlos scheinen. In ihren Wahlprogrammen haben CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP unisono – die Linke lassen wir weg, AfD sowieso – eine Listung des IRGC haben. Ebenso einmütig, dass die EU-Sanktionen gegen den Iran parallel zur Terrorlistung des IRGC fortgesetzt und ggf verschärft werden sollen; die entsprechenden Passagen der Wahlprogramme unten[i].
Anders klingt dies, kaum dass es darauf ankommt. Schriftliche Frage von MdB Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) im Mai 2024 an die rotgrüne Bundesregierung: Welche Folgen es für die iranische und für die deutsche Wirtschaft haben würde, stünde das IRGC auf die Terrorliste der EU. Antwort Sven Giegold (Grüne), Staatssekretär im Wirtschaftsministerium:
„Die iranischen Revolutionsgarden sind in der Europäischen Union als Entität bereits seit 2010 vollumfänglich unter dem Sanktionsregime zu Massenvernichtungswaffen im Iran gelistet. Eine Listung der Revolutionsgarden unter dem EU-Antiterror-Sanktionsregime hätte keine zusätzlichen Rechtsfolgen.“
Ein Jahr später dasselbe in vertauschten Rollen, Ende Juni fragt der Grüne Max Lucks, welche Schritte die schwarz-rote Bundesregierung unternommen habe, um das IRGC zu listen. Antwort Bernhard Kotsch (CDU), Staatssekretär im Auswärtigen Amt:
„Die Revolutionsgarden sind bereits als Entität unter dem Sanktionsregime für Massenvernichtungswaffen in Iran EU-gelistet. Alle rechtlichen Folgen, die sich aus einer Listung unter dem EU-Anti-Terror-Sanktionsregime ergeben würden, gelten daher bereits.“

Eigenartiges Argument, beiderseits bemüht: Wenn es keine Rechtsfolgen haben mag, die Revolutionsgarde als Terror-Organisation zu listen, warum es dann nicht tun? Weil die Terror-Garde es selber ist, die mit Folgen gedroht hat, mit Terror? Das hat sie in der Tat, es macht ihre Listung umso dringender.
Denn natürlich hätte dies enorme Folgen: Die Sanktionen der EU würden nicht länger nur einzelne Personen und Segmente des IRGC-Imperiums betreffen, die als terroristisch eingestuft werden, hier ein Abteilungsleiter, dort eine Nachrichtenagentur, sondern die zentrale Bastion des Staates, des Terror-Systems. Die Botschaft an die iranische Opposition, so uneins sie ist, wäre eindeutig: Wir setzen auf euch, ein Terror-Regime ist kein Partner für uns. Im immensen Firmengeflecht des IRGC wiederum – von der EU bereits im Rahmen ihres Sanktionsprogramms aufgehellt – stünden Tausende vor der Frage, auf welcher Seite sie spielen wollen. Und keiner wüsste, wer die Seiten bereits gewechselt haben könnte. Während alle wissen, dass es keinen „Partner“ mehr braucht, um ein Abkommen zu treffen über ein atomares Programm, das es nicht mehr gibt.
„Breiter Konsens möglich“
Vor einigen Wochen haben britische Parlamentarier, mehrere Hundert, ihre Regierung aufgefordert, die Terror-Garde des IRGC zu verbieten. Begründung: Die Menschenrechtslage im Iran verschärfe sich zunehmend, auch sei die Garde selber auf der Insel hoch aktiv. Ob eine vergleichbare Initiative von bundesdeutschen Parlamentariern denkbar wäre, haben wir die Bundesparlamentarier aus Bochum gefragt, und ob sie eine solche Initiative anstoßen würden?
Antwort Max Lucks: „Eine solche Initiative“ – er verweist auf den Beschluss des Europarats, von ihm evoziert – jetzt auch „im Bundestag anzustoßen, das wäre für mich selbstverständlich.“
Serdar Yüksel: „Die britische Initiative zeigt, dass ein breiter Konsens möglich ist. Auch in Deutschland wäre eine solche Initiative denkbar, ich würde sie unterstützen, um den politischen Druck zu erhöhen und die Debatte zu stärken.“
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Anmerkung
[i] SPD: „Wir unterstützen die internationalen Sanktionen gegen das Regime und fordern, die Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste zu setzen.“
GRÜNE: „Ziel unserer Sanktionspolitik ist es, den iranischen Machtapparat zu treffen, nicht die Menschen im Iran. Deswegen setzen wir uns weiter für die rechtssichere Terrorlistung der Revolutionsgarden auf EU- Ebene ein und unterstützen die iranische Zivilgesellschaft.“
CDU: „Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um die Islamischen Revolutionsgarden endlich als terroristische Organisation im EU-Rahmen zu listen und zu sanktionieren. (…) Wir drängen darauf, das bestehende Sanktionsregime weiter auszuweiten, es insbesondere auch mit Blick auf Umgehung über Drittstaaten deutlich konsequenter um- und durchzusetzen und Sanktionsumgehung härter und entschlossener zu begegnen.“
FDP: „Wir fordern eine konsequente Ausweitung der EU-Sanktionen auf ‚alle Personen und Organe des iranischen Regimes, die mit der Unterdrückung der Proteste befasst bzw an dieser beteiligt sind‘. Geschäftstätigkeiten in der EU sind ihnen zu untersagen und ihre Vermögenswerte einzufrieren, insbesondere aber die sogenannten ‚Revolutionsgarden‘ auf die Terrorliste der EU zu setzen. Die Atomverhandlungen sind mit dem Mullah-Regime aussichtslos und unverzüglich auszusetzen.“
