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Was will die neue griechische SYRIZA-Regierung? (Teil 1)

Wie seht ihr Europa? Eine Antwort eines irischen Schülers Foto: Privat
Wie seht ihr Europa? Eine Antwort eines irischen Schülers
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Für deutsche Verhältnisse hat die neue griechische Regierung unter Alexis Tsipras ungewöhnlich schnell ihre Arbeit aufgenommen und gleich damit begonnen, Wahlverspechen auch umzusetzen. In deutschen Medien hat das ein weitgehend negatives Echo gefunden bis hin zu der schroffen Behauptung, die Regierung Tsipras habe einen Fehlstart hingelegt. So David Böcking in seinem Kommentar vom 30. Januar auf Spiegel online. Skepsis gegen die ausgesprochen monotone Berichterstattung über die ersten Tage der Regierung Tsipras hast lediglich Georg Diez (Immer voll auf Merkel-Linie) auf Spiegel online geäußert.
Die Rasanz und Konsequenz, mit der die Tsipras Regierung ihre Arbeit aufgenommen hat, kann man allerdings auch anders interpretieren: Anders als ihrer Vorgängerregierungen meint die Regierung Tsipras es ernst mit den im Wahlkampf angekündigten Reformen.
Von Parteitagen abgesegnete Partei-Programme sind in Griechenland nicht üblich. Gleichwohl ist Syriza mit klar umrissenen und detaillierten Zielen in den Wahlkampf gezogen. Alexis Tsipras hat diese Ziele am 13. September 2014 in einer Rede auf der internationalen Messe in Thessaloniki vorgestellt und erläutert.
Das von Tsipras beschriebene politische Alternativkonzept von SYRIZA besteht aus vier Säulen: Die erste Säule umfasst ein Programm zur Bewältigung der humanitären Krise in Griechenland. Die zweite Säule besteht aus Sofortmaßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft. Die dritte Säule ist ein nationaler Plan zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Und die vierte und letzte Säule hat die institutionelle und demokratische Umgestaltung des politischen Systems zum Inhalt.
Im Mittelpunkt dieses politischen Programms steht also die soziale und wirtschaftliche Situation in Griechenland. Die Zerstörung der griechischen Wirtschaft und des griechischen Sozialsystems durch die von Deutschland dominierte Troika-Politik hat in Griechenland den Boden bereitet für eine Erstarkung rechter Parteien und für die Zunahme von Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Wer Ausländerfeindlichkeit und Rassismus und rechte Parteien bekämpfen will, der kommt nicht darum herum, ihnen den Nährboden zu entziehen. Und das gelingt nur mit einer spürbaren und nachhaltigen Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage, die allen zugute kommt. Aus dieser Perspektive setzt das Programm von SYRIZA am richtigen Punkt an. Wenn SYRIZA mit dieser Strategie erfolgreich ist, dann dürfte auch die politische Bedeutung des mehr als irritierenden Koalitionspartners ANEL deutlich zurückgehen. Das hängt allerdings ohne Wenn und Aber vom Erfolg der politischen Strategie von SYRIZA ab. Erfolgreich kann SYRIZA aber nur sein, wenn die anderen EU-Mitgliedsstaaten im EU-Rat, die EU-Kommission und das Europäische Parlament zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit SYRIZA bereit sind.  Das Europäische Parlament sollte damit keine allzu großen Probleme haben. Es hat ja in seinem Bericht zur Politik der Troika vom 13. März 2014 selbst die Methode der Troika und die Folgen der Troika-Politik deutlich kritisiert.
Gegenwärtig konzentrieren sich die EU-Institutionen allerdings darauf, die neue griechische Regierung scharf für ihr selbstbewusstes Auftreten, für ihr schnelles Handeln und für die Abkehr von der wirtschaftlich und sozial desaströsen Troika-Politik zu kritisieren.
Dabei lohnt es sich, sich das wirtschafts-, arbeits- und sozialpolitische Programm von SYRIZA, dass Tsipras im September letzten Jahres vorgestellt hat, etwas genauer anzuschauen. Dazu soll hier das Vier-Säulen-Programm dargestellt werden. Die vier Säulen sind zwar untereinander eng verknüpft. Ihre Maßnahmen lassen sich aber gut von einander abgrenzen. Das macht es einfacher, die verschiedenen Element in mehreren Folgen in den nächsten Tagen darzustellen und erspart so einen schwer lesbaren überlangen Artikel.
Der Hauptvorwurf gegen die neue griechische Regierung heißt, sich stoppe alle Reformen, die die Vorgängerregierung unter Samaras auf den Weg gebracht habe. Deshalb beginne ich meine Darstellung des Vier-Säulen-Programms von SYRIZA mit der letzten der vier Säulen, der geplanten institutionellen und demokratischen Umgestaltung des politischen Systems.
Auch Tsipras und seine Mitstreiter wissen, dass das politische System korrupt und ineffizient ist. Und sie machen keinen Hehl daraus. Im Gespräch mit den führenden Köpfen von SYRIZA hört man immer wieder, dass die Mehrheit der griechischen Bürgerinnen und Bürger nicht in die Zeit vor der Krise zurück will. Die Mehrheit will eine moderne, transparente, demokratische, an den Interessen und Bedarfen der Bürger und Bürger ausgerichtete Politik und Verwaltung. SYRIZA hat dieses Anliegen aufgenommen und eine ganze Reihe von entsprechenden Maßnahmen vorgeschlagen. Dieses Vorhaben kann man ohne zu übertreiben als ein zivilgesellschaftliches Reformprojekt bezeichnen.
Einfach wird dieses Projekt nicht, denn es greift tief ins Alltagsleben ein. Aber Tsipras hat mit der Regierungsbildung bereits einen ersten Reformschritt vollzogen: Statt der bisher 19 Ministerien gibt es jetzt nur noch 11. Dieser Schritt ist ein erster Schritt, um das Regierungshandeln transparenter und effizienter zu machen. Als weitere Schritte sollen eine Neuordnung der Regierungsgremien und eine klare Festlegung ihrer Aufgaben und Kompetenzen folgen. Dazu gehört auch, die Zahl der Regierungsberater auf ein sachlich begründbares Maß zu reduzieren.
Die bisherigen Regierungen haben eine überbordende Zahl von Gesetzten und Verordnungen erlassen. Laut SYRIZA sind viele Gesetze unklar und schlecht formuliert, viele sind ausufernd lang und schwer verständlich und frei von Widersprüchen, so SYRIZA, sei eine solche Art von Gesetzgebung eben auch nicht. Folglich ist die Befolgung der Gesetze sowie die Durchsetzung geltender Gesetze ein schwieriges Unterfangen. Denn einerseits gibt es aufgrund dieser Situation viele und große Schlupflöcher. Andererseits fördert eine solche unklare, widersprüchliche und überbordende Gesetzeslage Korruption. Die Tsipras-Regierung hat sich vorgenommen, die griechische Gesetzgebung grundlegend zu überarbeiten mit dem Ziel, sie überschaubar, transparent und verständlich zu machen und bestehen Widersprüche auszumerzen. Die Verringerung der Zahl der Ministerien deutet darauf hin, dass Tsipras es ernst mit diesen Reformen meint. Im Vergleich zu den bisherigen Regierungen in Griechenland ist das ein Novum, das Anerkennung und Unterstützung verdient – vor allem von denen, die in den letzten Jahren so regelmäßig wie erfolglos Reformen von den griechischen Vorgängerregierungen eingefordert haben.
Ein zweiter lautstark in deutschen Medien vorgetragener Kritikpunkt ist die Ankündigung der Tsipras-Regierung, die von den Vorgängerregierungen entlassenen Staatsbeamten wieder einzustellen. Das wird ausschließlich als soziale Wohltat dargestellt, für die es angeblich kein griechisches Geld gäbe. Sicher hat die Einstellung auch eine sozialpolitische Seite und auch eine volkswirtschaftliche. Für die wiedereingestellten Beamten und ihre Familien verbessert sich natürlich die soziale Situation. Und ihrer erhöhte Kaufkraft trägt zur Stärkung der Wirtschaft bei. Das alles ist beabsichtigt. Aber das ist keineswegs das vorrangige Ziel dieser Wiedereinstellungen.
Lautstark wird auch in deutschen Medien über die Unzulänglichkeit der griechischen Steuerbehörden geklagt, da dem griechischen Staat durch die ineffiziente Steuerverwaltung erhebliche Steuereinnahmen entgehen.
Die bisherigen Reformen des öffentlichen Dienstes in Griechenland bestanden in Gehaltskürzungen und im Streichen von rund einem Drittel der Stellen im öffentlichen Dienst. Dabei lag die Zahl der Beschäftigten im öffentliche Dienst im engeren Sinne – also in der öffentliche Verwaltung – schon vor der Krise unter dem EU-Durchschnitt. Die außerordentlich hohe Zahl von Beschäftigten im öffentlichen Dienst ergab sich vor allem aus der hohen Zahl öffentlicher bzw. staatlicher Unternehmen. Hier lag die Zahl deutlich über dem EU-Durchschnitt.
Durch die Verringerung der Beamten und Angestellten in der öffentlichen Verwaltung ist diese aber keineswegs effizienter geworden. Ganz im Gegenteil. Die personelle Ausdünnung macht es noch schwieriger, Steuerbetrug und Steuerumgehung und den verbreiteten Schmuggel von Tabak und Diesel wirksam zu unterbinden.
Die Wiedereinstellungen sind also durchaus auch im Interesse einer funktionierenden öffentlichen Verwaltung. Allerdings ist es mit der Wiedereinstellung alleine nicht getan. Das weiß auch SYRIZA. Deshalb soll die Wiedereinstellung ergänzt werden durch Schulungen der Beamten und Angestellten, damit sie ihren Aufgaben zukünftig in zureichender Weise auch gerecht werden können.
Aber auch das reicht nicht aus. Längst sind noch nicht alle Verwaltungen in Griechenland mit moderne EDV ausgestattet und erst recht nicht mit leistungsfähiger und aufeinander abgestimmter Software, die eine wichtige Voraussetzung für eine effiziente Verfolgung von Steuerbetrug und Korruption ist.
Schließlich soll die Organisation der Verwaltung grundlegend reformiert werden. Zu dieser Reform der Verwaltung gehört für SYRIZA vor allem die Einrichtung von internen Kontrollmechanismen zur Verhinderung von Korruption und die Einrichtung von Methoden zu einer effizienten Umsetzung der Verwaltungsvorgaben. Und nicht zuletzt gehört dazu die Einrichtung von Bürgerämtern, also Anlaufstellen in den Behörden für Bürgerinnen und Bürger, die es bisher nicht gibt.
Die neue griechische Regierung hat sich damit ein sehr hohe Ziel gesteckt. Und ohne Zweifel wird sie dieses Ziel nicht innerhalb einer Legislaturperiode erreichen können. Sie kann aber Weichenstellungen vornehmen und die Reformen soweit vorantreiben, dass sie nicht mehr umkehrbar sind.
Deshalb tut gut daran, unverzüglich mit den Reformen anzufangen. Immerhin hat sie die Rückendeckung eines erheblichen Teils der griechischen Bürgerinnen und Bürger. Das macht es etwas leichter. Entscheidend ist, dass die neue Regierung sich Glaubwürdigkeit erarbeitet und die Glaubwürdigkeit nicht verspielt. Auch aus diesem Grund muss sie schnell handeln. Und sie braucht eine Strategie, um die Zustimmung einer großen Mehrheit für diese Reformen dauerhaft zu sichern. Denn die Korruption und Steuertrickserien haben das alltäglich Leben tief durchdrungen. Viele Griechen handeln nach dem Prinzip, wenn der wohlhebende und reiche Teil der Gesellschaft keine Steuern zahlt, dann zahle ich auch nicht. Um diese Denkweise aufzubrechen und eine breite Steuerehrlichkeit durchzusetzen, will die Tsipras-Regierung unter den Wohlhabenden und Reichen damit beginnen, die Steuergesetze durchzusetzen.
Wer angesichts dieser erklärten Ziele von SYRIZA behauptet, durch den Regierungswechsel seien die bisherigen Reformen bedroht, der muss sich fragen lassen, welche Reformen denn real bedroht sein sollen. Die für die griechische Gesellschaft dringend nötigen Reformen werden doch erst durch die neue Regierung auf den Weg gebracht. Oder meinen diejenigen, die über einen vermeintlichen Reformabbruch jammern, mit Reformen die Zerstörung des Sozialstaats? Die hat es in den letzten fünf Jahren allerdings in dramatischer Weise in Griechenland gegeben. Diese vermeintlichen Reformen, die lediglich zu einer unsäglichen humanitären Krise geführt haben, will SYRIZA erklärtermaßen stoppen.

Teil 2 folgt in Kürze.

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Herbert Steeg
9 Jahre zuvor

Was ich bisher zu der neuen griechischen Regierung lese, macht mir keine große Hoffnung. Hauptgrund für die griechische Staatsverschuldung war bisher die von Griechenland betriebene Superrüstung. Da ist die alte Feindschaft zur Türkei wohl Haupttriebfeder. Nun gibt es offenbar keine Versuche die Militärausgaben zu kürzen. Im Gegenteil: der von der ANEL kommende neu Verteidigungsminister kündigte in seiner Antgrittsrede an, Mittel für weiter Rüstungsprogramme besorgen zu wollen.
Da ist das Scheitern vorprogrammiert, oder?

David Schraven
David Schraven
9 Jahre zuvor

Und wo kommt das Geld her? Für all das?

leoluca
leoluca
9 Jahre zuvor

Gefällt mir gut, was Jürgen Klute da schreibt und man muss kein Linker sein, um seine Vorstellung von Reformpolitik und Keynesianismus einleuchtend zu finden.

Ich halte es für ziemlich dreist, wenn jetzt oft behauptet wird, die Hilfsprogramme der EU seien ein Akt reiner EU-Solidarität gewesen, für die man in Athen nun Dankbarkeit erwarten dürfe. Dabei hatten die finanziellen Rettungsakte doch vor allem den Zweck, in Griechenland exponierte Banken und die Eurozone vor den Folgen eines griechischen Staatsbankrotts zu schützen.

Und das war ja nicht alles: Die Regierung wurde gezwungen, Sozialleistungen permanent zu kürzen, Staatseigentum zu privatisieren, den Arbeitsmarkt zu liberalisieren, Löhne und Renten zu kürzen und zwar mehrfach, Einschränkungen im Gesundheitswesen durchzusetzen. Jetzt war der Bogen eben überspannt, weil die meisten Griechen das nicht mehr aushalten wollen. Wer möchte ihnen da widersprechen oder altklug kommen?

Ich halte den Rauswurf der Troika für eine gerechte Aktion. Denn diese Technokraten waren es, die den bisherigen griechischen Regierungen seit 2010 diktierten, gegen das eigene Volk zu handeln.

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
9 Jahre zuvor

Die Kernfrage ist doch, wie wird Griechenland wettbewerbsfähig bzw. wie generiert es Einnahmen. Offen ist hierbei insbesondere, ob die angeblich vorhandenen Bodenschätze und Energievorkommen existieren und wirtschaftlich gefördert werden können.

Aktuell sieht es danach aus, dass nur wenig Fortschritte bei der Besteuerung der Reichen, einer effizienten Verwaltung etc. erzielt wurden. Wenn jetzt direkt die eigenen Wähler mit Jobs und „Geschenken“ versorgt werden, stellt natürlich die Frage, was hier anders laufen soll als vorher. Dass ebenfalls gleich das Thema „Grenze zur Türkei“ in die Medien kam, war ein weiterer Schritt der wenig vielversprechend ist. Vertrauen in den Staat und in die Wirtschaft produzieren die Meldungen der letzten Tage nicht.

Dass die Schulden nicht finanzierbar sind, ist einleuchtend. Hier müssen die Geldgeber Einbußen erleiden. Dass die soziale Struktur in Griechenland sinkt, ist schlimm. Das gibt es aber auch in anderen wirtschaftlich schwachen Ländern. Warum soll Griechenlands System überproportional stark von anderen finanziert werden? Wer immer vom starken Deutschland redet, muss auch mal an die Besitztümer der Bevölkerungen denken. Deutschland hat bspw. eine sehr geringe Eigentumsquote.

Beamte sind sinnvoll, wenn es darum geht, staatliche Kernaufgaben zu erfüllen. Wenn privatisiert wird, braucht es auch einen Staat, der in der Lage ist, Verträge zu verhandeln.
Dass die Zahl der staatlichen Angestellten erhöht wird, um eine soziale Schieflage zu vermeiden, ist aus meiner Sicht wenig hilfreich. Wer soll das Geld erwirtschaften?

Solidarität mit den EU-Staaten ist kein Thema. Dafür wird es eine Mehrheit geben. Bei Griechenland sieht es aber nach einem Fass ohne Boden aus, das nur noch nervt.

TuxDerPinguin
TuxDerPinguin
9 Jahre zuvor

SYRIZA ist mir bisher äußerst sympatisch.

Sowohl von der Symbolpolitik (Limousinen und Personalschutz weg) als auch von den Zielen. Insbesondere der Finanzminister legt seine Ideen offen, sachlich nachvollziehbar da. Innerhalb des Monats, wo ich den kenne, weiß ich mehr über sein Vorhaben als z.B. nach Jahren über Siggi Pops Ideen, falls er welche hat.

Die bisherige Krisenpolitik hat die Lage Griechenlands eher verschlechtert als verbessert. Der Euro-Raum als ganzes mag vielleicht gewonnen, mag ich mich nicht drauf festlegen. Aber jetzt, wo es drum geht, Griechenland auf die Beine zu helfen, kommt die neue Regierung noch zur richtigen Zeit. Sie muss die korrupte Politik der Vorgänger innerhalb der griechischen Grenzen bekämpfen und unbequem bei der Steuereintreibung sein, und außerhalb halt die unangenehmen Wahrheiten aussprechen, dass es einen Schuldenschnitt (aka bis ins unendliche verschieben) geben muss.
Schade dass die deutsche Regierung nicht ehrlich genug ist, das zuzugeben. Man wird das schon in Worte umhüllen, die das verschleiern, und am Ende kommen sich die Menschen veräppelt vor und die Politikerverdrossenheit steigt weiter.

leoluca
leoluca
9 Jahre zuvor

Ein interessantes und intelligentes Interview hat „Die Zeit“ mit dem griechischen Finanzminister geführt: „Ich bin Finanzminister eines bankrotten Staates“.

Auszug:
„Was ist das für ein Plan? Ein Europa, in dem wir noch mehr Kredite bekommen, die wir nie zurückzahlen können? Die USA haben damals Deutschland den größten Teil der Schulden erlassen. Aus dem laufenden EU-Hilfsprogramm liegen jetzt sieben Milliarden Euro auf dem Tisch, die ich mir einfach so nehmen kann. Ich muss nur schnell ein Dokument unterschreiben. Aber ich könnte schlecht schlafen, wenn ich das täte, weil es das Problem nicht lösen würde.“

http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-02/yanis-varoufakis-griechenland-finanzminister-inhalt-interview

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
9 Jahre zuvor

@leoluca: Scheinbar hat „Jeff! Ich heiße Jeff!!“-Varoufakis bis zu seinem Amtsantritt sehr gut in der griechisch-heimischen Schuldenmaschinerie geschlafen, immer in der Hoffnung, dass irgendein Blödmann dem Land die Schulden schon erlassen würde.

leoluca
leoluca
9 Jahre zuvor

@Klaus Lohmann

Wieso geschlafen und dann noch scheinbar? Wissen Sie mehr? In biografischen Artikeln über ihn, die Hochkonjunktur haben, erzählt man sich von privaten Finanznöten, in die Varoufakis selbst in den letzten Jahren geraten war. Er weiß vermutlich auch hier, wovon er spricht.

Wovon aber sprechen Sie jenseits solcher Kolportagen?

Dieser Finanzminister ist nicht irgendeine Revolutionslederjacke, sondern ein in der keynesianischen Hochburg University of Essex ausgebildeter Ökonomieprofessor, der die politische Rhetorik beherrscht. Das beweist er ziemlich beeindruckend in diesem Zeit-Gespräch. Ich warte auf Gegenargumente.

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
9 Jahre zuvor

#9 K. Lohmann
Sie haben schon recht, aber da haben auch andere prima bei dieser Schuldenmaschinerie gepennt, die Geldgeber, die darauf gewettet haben, daß die Eurozone als Bürge einspringt.

Wenn man Informationen der FAZ vertrauen darf, sind das in herausragender Weise insbesondere französische Banken. Mit den bisherigen Hilfen wurde vor allem deren Bilanz gerettet. Was das für die angeschlagene französische Volkswirtschaft bedeutet kann ich nur vermuten, aber einige Konsequenzen sind 1. naheliegend und 2. ganz schön fürchterlich.

Als Lückenbüßer für die Hasadeure am Finanzmarkt wollen in der Eurozone nicht so viele herhalten, wie das einige glauben machen wollen. Zu den Gegnern dieser Idee zählt nicht nur die Bundesregierung sondern u. a. auch eines der ärmsten Ländern dieser Union, die Slowakei. Für die schräge Sozialromatik deutscher Prägung hat man dort wenig Verständnis. Auch dort ist man der Ansicht, der Ansprechpartner Griechenlands sind nicht die Eurostaaten, sondern die Kreditgeber. Sind diese mit einem Schuldenerlaß (zu welcher Quote?) einverstanden, könnte sich die Eurozone sowieso nicht enhalten (bei welcher Quote?).
Aktuell sieht das angeblich politisch linke Finanzierungskonzept vor, das ein maßloser Schuldner zusammen mit seinen zockenden Kreditgebern ein Geschäft zu Lasten Dritter (Eurozone) abzuschließen versucht. Da muß man weder rechts noch links sein, um das so abzulehnen.

Andererseits kommunizieren die Griechen in einer Lautstärke, die auch der taubste Kreditgeber nicht überhören kann. Die spannende Frage ist, kommt auich dort die Botschaft von „bankrotter Staat“ an?

WALTER Stach
WALTER Stach
9 Jahre zuvor

Was mich in Deutschland bzw. an Deutschland „stört“, ist a.) die ständige Demonstration Deutschlands als die hegemoniale (Wirtschafts-) Macht in Europa gegenüber allen anderen europäischen Staaten -eben auch gegenüber Griechenland- und b.) die damit einhergehenden Selbstverständlichkeit für Politiker und Medien in Deutschland, anderen europäischen Staaten das „deutsche (Wirschafts-)Modell“ vorschreiben zu wollen und c.) die absolute Gleichgültigkeit von Politik und Medien in Deutschland gegegnüber der wachsenden sozialen Verelendung in vielen europäsichen Staaten.

Wenn mich das alles -und noch Einges mehr- „stört“, ist das politisch völlig belanglos.

Wenn das alles jedoch -mit wachsender Tendenz- in vielen euopäischen Staaten -in den Regierungen, in den Parlamenten, vor allem aber in der Bevölkerung mit wachsender Besorgnis, mit wachsendem Unmut wahrgenommen wird, dann müßte das den Deutschen, der Politik, den Medien zu denken geben mit Blick auf ein auch in 20/3o Jahren noch friedlcihes Mitenander der Menschen und der Staaten in Deutschland.

Noch ein Detail zu dem, was mich „stört“:
Wenn ich mich miit der intellektuellen Qualität und mit der wissenschaftlichen Reputation des griechischen Fianzministers, des griechichschen Außenminsiters befasse -auch im Vergleich mit vielen ihrer Kollegen in Europa-, dann frage ich mich, was denn so manchen Politiker, so manchen Journalisten in Deutschland -im übrigen Europa- befähigt, diese beiden Minister als Idioten hinzustellen.
„Am deutschen Wesen…………..????“

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
9 Jahre zuvor

@leoluca: Als „beeindruckender“ Oec-Prof sollte er wissen, dass er nicht einfach eine Kopie der Londoner Schuldenkonferenz fordern kann, ohne sich im Kollegenkreis lächerlich zu machen.

Mit historischen Vergleichen sind die Griechen ja immer flott beieinand, aber diesmal war’s ein selbstüberschätzender Griff ins Klo – es sei denn, Syriza schafft aus dem Stand den Wechsel von einem linken Bürokratiestaat ohne Produktivität zu einer libertären, florierenden Marktwirtschaft. Danach sieht es aber auch wegen der „Segnungen“ des Wahlprogramms und der Rückgängigmachung der Bürokratiemonster-Abspeckung überhaupt nicht aus.

leoluca
leoluca
9 Jahre zuvor

@KLaus Lohmann

Kann in diesem langen, detaillierten Interview über neue Ansätze in der griechischen Wirtschafts- und der EU-Politik nicht erkennen, dass Varoufakis die Debatte über eine Schuldenkonferenz in den Mittelpunkt seiner Argumente stellen würde. Dort, wo er über den Staat seines Landes redet, spricht er über den Kampf gegen staatliche Korruption und für mehr Rechtsstaatlichkeit etwa gegenüber dem Superreichtum. Was ist dagegen einzuwenden?

Ich denke, man sollte dem Mann wirklich erst einmal zuhören, denn eines wird aus seinen Ausführungen klar. Das Schuldenproblem Griechenlands (und anderer EU-Staaten) ist nicht nur ein ökonomisches. Es wird zunehmend zu einer Gefahr für die Demokratie. Wenn Syriza scheitert, kann es passieren, dass als nächstes ein Nazi in Athen den Ministerpräsidenten stellt. In Frankreich könnte 2017 durchaus Marine Le Pen vom Front National Staatspräsidentin werden. Gerade in Berlin sollte man erkennen, dass der Euro nicht die Währung ist, die in Gefahr ist. Die Demokratie ist in Gefahr.

PS: Ihr Satz , dass „die Griechen flott dabei sind“ mit historischen Vergleichen, ist für meinen Geschmack nahe an der Peinlichkeitsgrenze, vorausgesetzt, sie wollten wirklich über die Historie beider Länder reden.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
9 Jahre zuvor

@leoluca: Die Demokratie ist nicht in Gefahr, weil eine frisch gebackene griechische Regierung als allererste Amtshandlung genau mit diesem Schreckensszenario des Rechtsrucks droht, um einen Schuldenschnitt zu erpressen – wohlgemerkt die gleiche Regierung, die sich ohne rot zu werden (hübsch, nicht?:-)) zur Machtergreifung mit den Rechtsaußenpopulisten ins Bett legt.

Und mit den historischen Vergleichen meine ich natürlich die eigene, weit zurückliegende griechische Historie der Philosophen, auf die die Griechen ja nicht zu Unrecht so stolz sind.

Rainer Möller
Rainer Möller
9 Jahre zuvor

Einige Leute denken, mit mehr Marktwirtschaft wird sich in Griechenland alles regeln. Aber das stimmt nicht.
Das Konzept des globalen Markts sieht vor, dass sich jedes Land – so wie jeder Mensch – auf das spezialisiert, was es am besten kann. Dieses System ist auch für den Leistungsschwachen besser als nichts („komparativer Vorteil“) – aber das heißt nicht, dass sich die Lebensverhältnisse angleichen und alle zum mittleren Einkommensniveau hin tendieren. Die Griechen können sich im Sinn dieses Konzepts auf Tourismus spezialisieren und trotzdem arm bleiben.

Alreech
Alreech
9 Jahre zuvor

Wenn durch die von Deutschland dominierte Wirtschaftspolitik die Griechen und andere Südeuropäische Völker ins Unglück gestürzt werden, dann wäre doch die einfachste Lösung das Deutschland aus dem Euro aussteigt… 😉
Bei der Gelegenheit könnte man auch gleich raus aus der NATO, die ja irgendwie Schuld an der Krise in der Ukraine ist.
Und dann ist da noch die EU. Genauso undemokratisch wie TTIP.

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