Wenn der Gesellschaftsrat demokratisch wäre, würden die Aktivisten ihn nicht unterstützen

Aimée van Baalen Screenshot: Ruhrbarone

Bürgerräte gehören zu den Lieblingsideen der Klimaaktivisten: Per Losverfahren sollen Bürger ausgewählt werden, die dann Beschlüsse fassen, an die sich die Regierung zu halten hat. Aimée van Baalen, die Pressesprecherin der Letzten Generation, forderte gestern Abend in der Talkshow Hart aber Fair ein solches Gremium. Bei ihr hieß er Gesellschaftsrat.

Gesellschaftsrat klingt ungeheuer demokratisch, aber wenn er das wäre, würden die Aktivisten ihn nicht unterstützen. Wie alle Extremisten lassen sie nur die Beschlüsse gelten, die ihnen passen. Verfahren werden danach ausgewählt, ob sie bei der Durchsetzung der Ziele nützlich sind oder nicht. Ihr Verhältnis zur Demokratie ist ein instrumentelles.

Es gibt auch in Deutschland Erfahrungen mit Bürgerräten, zumeist in Städten und Gemeinden. Sie werden von den gewählten Gremien beauftragt, sie zu beraten. Ihre Beschlüsse sind nicht bindend, sie wurden ja nicht gewählt, sondern durch den Zufall ausgewählt. Ihnen fehlt damit die demokratische Legitimation.

Und das ist nicht nur eine Formsache. Das Kalkül der Aktivisten ist offensichtlich: Ihnen nahestehende Vertreter, unterstützt von „Experten“, die auch auf ihrer Seite stehen, setzen die gewünschten Positionen in Diskussionen mit Menschen durch, die sich leicht verunsichern oder beeindrucken lassen, weniger redegewandt sind oder ganz einfach keine Lust haben, viele Stunden das Geschwätz von Aktivisten zu ertragen oder von den vermeintlichen Klugschwätzern anerkannt zu werden.

Ein großer Vorteil an der Demokratie ist, dass man sich nicht ständig engagieren muss. Man kann, auch wenn man sich nicht den ganzen Tag mit Politik beschäftigen will, weil man eine Familie, einen Job, Freunde und Hobbys hat, Menschen in Parlamente schicken, bei denen das anders ist. Die kümmern sich dann darum, wo im Stadtteil ein Kindergarten gebaut, wie die Schulpolitik im eigenen Bundesland gestaltet wird oder ob der Staat den Menschen über die Steuern noch mehr Geld wegnehmen soll. Machen die nicht was man will, wählt man sie wieder ab.

Die Aktivisten verachten die Normalbürger, die sich ihnen nicht anschließen, die ein Leben haben und keine Mission. In den Bürgerräten, so die Hoffnung, lassen sie sich leichter in den Griff bekommen, als wenn sie Vertreter in Parlamente entsenden, die ihre Interessen vertreten. Denn nach Ansicht von Aktivisten wissen sie gar nicht, was ihre wirklichen Interessen sind. Das wissen nur der Erleuchteten.  In einer Demokratie bestimmen allerdings nicht selbsternannte Eliten, sondern die Bürger ab: Jeder mit einer Stimme, die so viel Wert ist wie die jedes anderen. Wer dieses Prinzip hinter sich lassen will, lässt die Demokratie hinter sich. Das ist keine Frage der Form. Wenn van Baalen von „Notfallsitzungen“ spricht, sagt sie nichts anderes, als dass wir uns in einem Ausnahmezustand befinden, in dem die demokratischen Regeln nicht mehr gelten sollen. Die Aktivisten und die ihnen ergebenen Experten sollen nun die Macht übernehmen und an Stelle der Bürger zum Souverän werden. Carl Schmitt, dem rechtsradikalen Juristen und Demokratieverächter, hätte das gefallen. Er schrieb 1922 in seinem Buch Politische Theologie: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Die Machtinstinkte der Aktivsten sind also bestens ausgeprägt. Das haben sie mit all den anderen Feinden von Rechtstaat und Demokratie gemeinsam.

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CTemt
1 Jahr zuvor

Es gibt zumindest 2 Formen der Demokratie:
Einmal die repräsentative Demokratie, besser gesagt Republik im Sinne von Rom und anderseits die direkte Demokratie im Sinne von Athen, wo Losentscheidungen sowohl für die Besetzung der meisten Ämter als auch des Rat der Fünfhundert als sogar demokratisch angesehen wurden als Wahlen, weil so die Entstehung von politischen Eliten hintangehalten werden kann. [Die Volksversammlung, der alle männlichen Athener Bürger angehörten, bestimmte durch Losverfahren für jede der Phylen fünfzig Abgesandte in den „Rat der Fünfhundert“ ….] Also das Los ist demokratisch auch legitim.

Ihre Argumentation ist auch unlogische, denn wie sollen die Klimaaktivisten bei einem Los dafür Sorgetragen, dass „ihre “ Vertreter in den Rat kommen, die Wahrscheinlichkeit, dass Atomenergiebefürworter hinein kommen, ist größer. Auch die Behauptung, dass in einem Rat nur „Experten“ gibt, die auch auf der Seite der Aktivisten stehen, ist einfach falsch und zeigt, dass sie sich leider überhaupt nicht mit Bürgerräten auseinander gesetzt haben, denn sie als Teilnehmer können auch beantragen, dass ein Experte über Atomenergie spricht. Da die Redezeit im Bürgerrat begrenzt ist, muss man auch nicht Stunden das Geschwätz ertragen.

Aber mit der gleichen Argumentation mit der sie gegen Bürgerräte sind,
… Menschen, die sich leicht verunsichern oder beeindrucken lassen, weniger redegewandt sind oder ganz einfach keine Lust haben, viele Stunden Geschwätz zu ertragen oder von den vermeintlichen Klugschätzern anerkannt zu werden…… kann man die Wahlen an sich abschaffen.

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