Asyl: Noch mehr Kritik an der „Das Boot ist voll“-Rhetorik des Brandbriefs der Oberbürgermeister

"Refugees welcome!" Demo 2015, Foto: Ulrike Märkel
„Refugees welcome!“ Demo 2015, Foto: Ulrike Märkel

Der so genannte „Brandbrief“ der OberbürgermeisterInnen von Dortmund bis Duisburg  zum Thema Asyl an Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, hat in Dortmund für Unruhe gesorgt. Kritische Statements kamen von den Jusos, dem Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) und den Schülerinnenbezirksvetretern, die offene Briefe an Oberbürgermeister Ullrich Sierau schrieben. Sie seien erschüttert, erschrocken und entsetzt. heisst es in den Stellungsnahmen. Die Kritiker wünschen sich ein verantwortungsvolles Handeln im Umgang mit Flüchtlingen in Dortmund. Dazu gehört das Beibehalten des NRW-Erlasses zur sorgfältigen Einzelfallprüfungen bei Abschiebungen von Roma in den Westbalkan, den die OBs allerdings für „kontraproduktiv“ halten. Der Erlass soll jedoch dafür sorgen, dass Abschiebungen gründlich überprüft werden, wenn individuelle Gründe gegen die Zwangsrückführung in die Heimat sprechen. Für viele ist das eine Frage der Humanität.

Es ist nicht der erste Brandbrief in Sachen Asyl. Bereits 2013 unterzeichneten sieben der Oberbürgermeister aus dem Ruhrgebiet, darunter auch der Dortmunder OB, einen Brief zum Thema Asyl an Kanzlerin Merkel. Doch zeigte man damals noch Verständnis für die Situation der Flüchtlinge vom Balkan. „Sie gehören sozialen und ethnischen Gruppen an, die in ihren Herkunftsländern benachteiligt, ausgegrenzt und i. T. Opfer rassistischer Diskriminierung sind. Ihre Motivation, nach Deutschland zu kommen und längerfristig bleiben zu wollen, ist vor diesem Hintergrund verständlich.“, heisst es in dem Schreiben.

Von diesem Verständnis scheint nicht mehr viel übrig zu sein und das erweckt breiten Unmut. Neben dem Protest der Dortmunder Jusos hat die BezirksschülerInnenvertretung Dortmund an Oberbürgermeister Ulrich Sierau einen Brief geschrieben, der den Namen „Brandbrief“ wirklich verdient hat: „Mit großem Entsetzen haben wir aus der Presse erfahren, dass Sie zu den Unterzeichner*innen des Schreibens an Frau Kraft gehören.“ Und weiter heisst es: „Diese Menschen haben die Chance verdient in Deutschland ein menschenwürdiges Leben zu führen und sind eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Wir alle haben eine Verantwortung für Menschen, die in unser Land kommen und hier Asyl suchen. (…) Denn das Recht auf ein Leben in Sicherheit und Frieden ist ein universelles Menschenrecht. “

Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend Dortmund fordert in einem Brief Ullrich Sierau dazu auf, seine Unterschrift zurücknehmen und fragt; „Ist Ihnen klar, dass Sie damit der Losung der Nazis „Das Boot ist voll“ Rückenwind verleihen?“ Der Verband ist erschrocken, dass  Flüchtlinge nach dem Wunsch der Oberbürgermeister schneller, d.h. ohne diese konkrete Überprüfung in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden können. Sie schreiben. „Es scheint Ihnen gleichgültig, in welcher Lage sich diese Menschen befinden, dass Familien auseinander gerissen werden, Alte und Kranke den Heimweg mit unzureichender medizinischer Versorgung überstehen müssen und das Menschen, die vor Rassismus, Diskriminierung und Verfolgung geflohen sind, dorthin zurückgeschickt werden. Spielen sie den Nazis nicht in die Hände.“

Was wollen die Oberbürgermeister: Mehr Geld oder mehr Abschiebungen?

Die Zeitung Die Welt titelte zum Brandbrief: „Bürgermeister verlangen mehr Abschiebungen“. Doch die SPD-Fraktion im Dortmunder Rat sieht die Sache anders und fühlt sich falsch verstanden. Sie gibt den anderen Parteien einen guten Rat mit auf den Weg: „Wir empfehlen den Grünen, Linken und Piraten den Brief der Oberbürgermeister und Landräte aus März 2015 genau zu lesen“. Die Unterzeichner des Briefes an Ministerpräsidentin Kraft hätten „eine stärkere Unterstützung der Gemeinden bei der Unterbringung von Flüchtlingen“ gefordert. Zudem brauche die Verwaltung in Flüchtlingsfragen „keinen Nachhilfeunterricht von anderen Fraktionen.“

Man kann unterstellen, dass die anderen Parteien lesen können. Offenbar haben sie den OB-Brief sogar gründlich gelesen. Die Kritik entzündete sich nicht an der Forderung der Oberbürgermeister nach Unterstützung bei den Kosten der Versorgung der Flüchtlinge durch den Bund – für die finanziell gebeutelten Ruhrgebietsstädte ein durchaus nachvollziehbarer Wunsch. Das Entsetzen bestand angesichts der Forderung nach der Aufhebung der NRW-Erlasse, die individuelle Härtefälle vor Abschiebung schützen soll und verhindert, dass Familien über Ländergrenzen hinweg auseinander gerissen oder Pflegebedürftige abgeschoben werden.

Lesehilfe: Asyl-Brief der Oberbürgermeister
Lesehilfe: Asyl-Brief der Oberbürgermeister

CDU: Statt Sorgfalt schnelle Rückführung

Andere Stimmen zum Thema kamen von Steffen Kanitz, Bundestagsabgeordneter der CDU, der sich über den Erfolg des Berliner Flüchtlingsgipfels freut. Asylbewerber aus Balkanländern, deren Antrag aller Voraussicht nach abgelehnt wird , dürfen nach seiner Ansicht erst gar nicht auf die Kommunen verteilt werden. Entscheidungen über Asylanträge sollen noch schneller umgesetzt und Flüchtlinge konsequent rückgeführt werden. Um diese Forderung perfekt zu machen, unterstützt Kanitz die CDU-Forderung „auch Albanien, das Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären.“

Doch ist gerade in diesen Ländern die Sicherheit relativ und für bestimmte Volksgruppen nicht gegeben, wie eine der größten Menschenrechtsorganisation, Amnesty International, feststellt: „Amnesty wendet sich gegen die zwangsweisen Rückführungen von Roma in den Kosovo. Diskriminierung von Roma ist im Kosovo so schwerwiegend, dass Roma ein Leben in Sicherheit und Würde dauerhaft im Kosovo nicht möglich ist.“

Protest kommt von Steffen Kanitz (CDU) stattdessen in Blick auf die Forderung nach einem Ausgleich der Belastung der Kommunen auf Bundesebene, wie ihn die Ruhrgebiets-Oberbürgermeister fordern. „Es reicht nicht, die Hauptlast dem Bund zuzuschieben!“ gibt Kanitz ein recht langweiliges Statement zur aktuellen Diskussion ab. Es spiegelt lediglich das übliche „zahlt doch ihr – und nicht wir“ zwischen Land und Bund wider.

Viel interessanter – wie so oft – sind diejenigen, die handeln. In Dortmund hat sich eine christliche Gemeinde entschieden, einer Familie Kirchenasyl aufgrund eines individuellen Härtefalls zu gewähren. Eine mutige Entscheidung, die nicht nur Zivilcourage erfordert, sondern echte Solidarität mit Menschen zeigt, die sich in einer Notlage befinden.

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Stefan Laurin
Admin
8 Jahre zuvor

Die SDAJ war doch früher immer für die Mauer. Seit wann liegt denen die Bewegungsfreiheit der Menschen am Herzen?

Charles
Charles
8 Jahre zuvor

Vielleicht sollte man den Artikel lesen, oder auch den offenen Brief, bevor man hierzu was schreibt. Um Bewegungsfreiheit geht es hier nicht wirklich, außer in deinem vom Thema losgelösten Kommentar.

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
8 Jahre zuvor

Es ist interessant, dass wir in Dortmund auch Bundestags-Abgeordnete der CDU haben. Meistens sind sie ja nicht wahrnehmbar.

Warum aber Kommunen zahlen sollen, wenn der Bund nicht in der Lage ist, Verfahren zeitnah durchzuführen, ist nicht nachvollziehbar. Insbesondere bei der finanziellen Lage in Dortmund hätte ich erwartet, dass diese Forderung unterstützt wird.

Berto
Berto
8 Jahre zuvor

Es wird doch eh kaum noch abgeschoben:

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kaum-noch-abschiebungen-warum-ueberhaupt-noch-ein-asylrecht-13601100.html

Warum überhaupt noch ein Asylrecht?

Die Verteufelung von Abschiebungen setzt durch die Hintertür eine Einwanderungspolitik nach dem Motto durch: Bleiberecht für alle. Wozu dann aber noch ein Asylrecht?

Berto
Berto
8 Jahre zuvor

@Ulrike Maerkel:

Dieses Jahr werden über 400.000 Asylanten erwartet, da sind 10.000 Abschiebungen nicht sonderlich viel.

Und zur demographischen Entwicklung, die kann man nicht man nicht mit Einwanderung und Flüchtlingen aufhalten, dafür müssen andere vernünftigere Konzepte her.

WALTER Stach
WALTER Stach
8 Jahre zuvor

Berto,
1.
Jede Abschiebung betrifft einen Menschen -keine Ware, kein Stück Vieh.
Wenn die Abschiebung trotdem als Akt der Staatsgewalt grundsätzlich der Mehrheitsgesellschaft und dem Staat notwendig erscheint, gebieten es die Menschlichkiet und das Verfassungsgebot von der Verhältnsimäßigkeit staatlicher Zwangsmittel, jeden Einzelfall gründlich zu bedenken, bevor abgeschoben wird.
2.
Es ist wissenschaftlich unbestritten -und parateiübergreifend politisch anerkannt-, daß in Deutschland im Jahre 2o5o nicht mehr rd. 83 Millionen Menschen leben werden, sondern deutlich weniger.

Dazu gibt es seit langer Zeit mit nur graduellen Abweichungen folgende Kernaussage;
Bei jährlich rd. 300.000 Zuwanderern = 8o Mio im Jahre 2o50
Bei jährlich rd. 200.000 Zuwanderern = 75,1 Mio im Jahre 2o50
Bei jährlich rd. 100.000 Zuwanderern = 68,5 Mio im Jahre 2o50
und ohne Zuwanderung rd. 53, 7 Mio.

Der Begriff " Zuwanderer" schließt alle Menschen ein, die nach Deutschland kommen, um hier zu bleiben.

"Vernünftige Konzepte", wie gefordert, um beispielsweise noch mehr als derzeit bereits praktiziert, staatlicherseits zu versuchen, die Zahl der Geburten anzuheben, um so mit Blick auf die o.a.Bevölkerungsprognose auch ohne nennenswerte Zuwanderung die Bevölkerung in Deutschland in etwa auf dem heutigen Stand zu halten, ändern an der o.a. Prognose nichts!!.

Diesen Fakt hat man zur Kenntnis zu nehmen.

Wie man damit politisch umgeht -in den Kommunen, in den Bundesländern, auf Bundesebene-, was die gesellschaftlich relevanten Akteure daraus für sich an Handlungsanleitungen entwickeln, und zwar in allen gesellschaftlichen Bereichen und ob man in diesem Fakt ehe ein großes Risiko für Gesellschaft und Staat sieht oder ehe eine große Chancen für die (Neu-) Gestaltung der Zukunft von Staat und Gesellschaft in Deutschland, ist zu diskutieren. Und das geschieht berkanntermaßen tagtäglich in Deutschland .

Berto
Berto
8 Jahre zuvor

@WALTER Stach:

Wir müssen uns lösen von der irrwitzigen Vorstellung, dass nur Wachstum gesund ist. Auch Stillstand oder gar Rückschritt kann gesund sein.

Martin Neuffer schrieb 1982 in seinem Buch „Die Erde wächst nicht mit“, daß ein Deutschland mit 30 Millionen nicht nur wünschenswert, sondern auch möglich wäre. Deutschland ist sehr dicht besiedelt: Schweden und Finnland sind von der Fläche her größer, haben aber viel weniger Einwohner. So ließe sich auch die Qualität der Umwelt und des Wassers steigern.

Stefan Laurin
Admin
8 Jahre zuvor
Reply to  Berto

@Berto: Viel Spaß beim Verzicht, wie er von Postwachstumspredigern wie Welzer und Paech gepriesen wird. Ich freu mich derweil auf das neuen MacBook Pro mit Retina-Display 🙂

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
8 Jahre zuvor

@7:
Deutschland ist eigentlich sehr dicht besiedelt, d.h. eine geringere Bevölkerung sollte eigentlich für das Land kein Problem sein.

Schwierig wird es,wenn es darum geht das aktuelle Sozialsystem und auch den Wohlstand beizubehalten. Denn viele Kinder zahlen später als Erwachsene ein und unterstützen lt. Theorie die alten und jungen Menschen sowie die Menschen, die Hilfe benötigen. Dies setzt natürlich implizit voraus, dass diese mittlere Gruppe auch ausreichend erwirtschaftet. Dies wird leider oft vergessen. Viele Kinder sind nicht unbedingt viele Einzahler. Bei steigender Globalisierung und weltweiter Konkurrenz wird es schwieriger, massive Gewinne oder höhere Löhne als im Durchschnitt der Welt zu erzielen.

Aus meiner Sicht ist es wenig wahrscheinlich, dass Menschen, die unsere Sprache nicht sprechen und auch keine anerkannte Ausbildung haben, kurzfristig dazu beitragen, dieses System zu erhalten. Ich kenne auch keine nachvollziehbare Argumentation/Statistik., selbst wenn man annimmt, dass alle Menschen wahnsinnig motiviert sind.
Die Menschen, die mit der Dynamik der Zuwanderer etc. argumentieren sind oft dieselben Menschen, die sich beklagen, dass in Deutschland kein Aufstieg möglich ist.
Es gelingt ja auch nicht, die vielen Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Es wird also schwierig, unseren Lebensstandard und unser Sozialsystem zu erhalten.

Wir müssen der Welt zeigen, dass wir ein attraktives Land haben, in dem es sich lohnt zu arbeiten und in dem Solidarität etwas zählt. Die bisher wenig erfolgreiche Einwanderungspolitik in D zeigt, dass unser Denken auf wenig Interesse bei den Menschen stößt, die sich ihren Aufenthaltsort aussuchen können.

Attraktiv sind nach meinen Erfahrungen Länder am Rande von Boom-Ländern/Regionen, wo man bezogen auf die lokale Bevölkerung und niedrigen Lebenshaltungskosten einen hohen individuellen Lebensstandard hat. Unser Sozialsystem wird von den potenziellen Einzahlern als wenig attraktiv betrachtet.

Wir werden sehen, wo wir in 20 Jahren stehen. Die letzten 25 Jahre Globalisierung haben auf jeden Fall für mächtig viel Wirbel gesorgt.

abaraxasrgb
abaraxasrgb
8 Jahre zuvor

Das Problem sollte eher mit einer Kampagne der EU nach dem Vorbild des australischen: "NO WAY!"behoben werden.
Die Kommunen sind das schwächste Glied in der Kette, wenn das politische System die Grenzen der EU nicht wirkungsvoll aufrecht erhalten kann.
Bei der Debatte um "Migration" finde ich die Unterscheidung zwischen Asyl und Immigration elementar.
Mit einer "sozialen" Einwanderungspolitik lösen wir keine Probleme, sondern schaffen systemische neue Probleme. YMMV …

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