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Der gute Mensch aus Marxloh

Pater Oliver


Der Prämonstratenser-Pater Oliver Potschien arbeitet in Duisburg-Marxloh. Er kümmert sich um Menschen, die nicht mehr weiter wissen. Welche Religion sie haben ist für ihn nicht wichtig.

Es ist der erste Advent und St. Peter fast bis auf den letzten Platz besetzt. Die Gläubigen, die sich an diesem Sonntag in der katholischen Kirche im Duisburger Stadtteil Marxloh zusammen gefunden haben, sind so unterschiedlich wie die Menschen, die in diesem Quartier leben: Alteingesessene Duisburger sind unter ihnen, aber auch Afrikaner, Araber und Roma.

Jugendliche haben vor dem Eingang der gut hundert Jahre alten Kirche Bänke und Zelte aufgebaut, es gibt etwas zu essen und warme Getränke an diesem ebenso sonnigen wie frischen Spätherbsttag, der den nahen Winter erahnen lässt.

Vor der Kirchentür steht Oliver Potschien, den hier alle nur Pater Oliver nennen und begrüßt die Menschen, die in seiner Kirche kommen. Er schüttelt Hände, drückt Kinder und scherzt mit den Besuchern des Adventsgottesdienstes. Kurz darauf wird ein kleines Kind der erste Adventskerze anzünden, jedoch nicht ohne vorher, wie alle anderen Kinder vor der Kanzel, von Pater Oliver mit Weihwasser besprüht zu werden. Das habe noch niemanden geschadet, lässt er die kleinen Katholiken wissen, die zum Teil verhaltend kichernd, zum Teil andächtig das jahrtausendealte Ritual über sich ergehen lassen.

Später dann, zwischen Gebeten und Gesängen, wird Pater Oliver eine libanesische Familie nach vorne holen, deren jüngstes Kind er erst vor wenigen Tagen getauft hat. „Sie konnten im Libanon ihren christlichen Glauben nicht leben“, sagt er der Gemeinde, „und sollen nun abgeschoben werden. Wir werden alles was uns möglich ist tun, um das zu verhindern.“

Da ist sie auf einmal, mitten in der Adventstimmung bricht sich die Realität Bahn, wird jedem in der Kirche deutlich, das Marxloh kein Stadtteil wie jeder andere ist und St. Peter nicht eine Kirche wie die meisten Kirchen in Deutschland.
St. Peter ist Teil des Petershofes, einem sozialpastoralen Zentrum. Es ist mehr als eine Gemeinde, hier wird Stadtteilarbeit geleistet und aufgebaut hat all das Pater Oliver. „Als ich 2012 hierhin kam, wusste ich selbst nicht genau, was ein sozialpastorales Zentrum ist, aber ich habe einfach mit der Arbeit begonnen.“ Arbeiten tun sie alle, die Prämonstratenser, die Brüder des Ordens, zum dem Pater Oliver gehört. Sie leben seit 1136 in der Abtei Hamborn, nicht weit von Marxloh entfernt, 26 Brüder sind es zur Zeit. Sie alle sind Priester, keine Mönche, das unterscheidet sie von vielen anderen katholischen Orden. Mit seinen Brüdern in der Abtei zu leben ist Pater Oliver wichtig, es gibt ihm Kraft: „Im Kreuzgang zu gehen und zu wissen, dass das viele meiner Brüder schon vor Jahrhunderten taten, als sie Probleme und Sorgen hatten, als die Pest wütete oder der 30jährige Krieg, ist ein sehr besonderes Gefühl.“

Dass er Priester werden wollte, war Potschien früh klar, doch der Weg dahin verlief nicht gerade: Nach dem Abitur in Mülheim/Ruhr machte er eine Ausbildung zum Rettungsassistenten und Krankenpfleger und arbeitete bis er 30 Jahre alt war in diesem Beruf. Erst dann studierte er Theologie. Als er 2012 den Petershof übernahm, studierte er weiter: Erst Gesundheitswissenschaft, später dann Sozialarbeit. Pater Oliver erwarb dabei Wissen, dass er im Alltag braucht. Wer nicht mehr weiter weiß in Marxloh, wer Hilfe braucht und wer verzweifelt ist, der kommt zum Petershof und kann sich sicher sein, das ihm geholfen wird. Als die Stadt Duisburg nicht in der Lage war, Roma-Kindern einen Platz in der Schule zu geben, räumte Pater Oliver sein Büro. „Erst als die Kinder da waren, haben wir gemerkt, dass unsere Tische und Stühle zu groß für sie sind und haben die Stadt gebeten, uns alte Schulmöbel zur Verfügung zu stellen.“ Die Stadt sprang ein, aber wie so oft in Duisburg war die Hilfe bestenfalls halbherzig: Für 18 Kinder gab die Stadt gerade einmal 12 Stühle und Tische und einen etwas größeren Stuhl für den Lehrer. In dessen Lehne war gut sichtbar ein Hakenkreuz eingeritzt.

Der Petershof war aber auch eine Krankenstation. Tausende in Marxloh sind nicht krankenversichert, kein Arzt behandelt sie, kein Krankenhaus nahm sie auf. In ganz Duisburg sind es wohl 16.000 Menschen, die sich nicht behandeln lassen können. Bis Ende vergangenen Jahres kümmern sich um sie Pater Oliver, viele Freiwillige und Ärzte, die ihren Urlaub auf dem Petershof verbringen. Nun haben die  Malteser die Versorgung übernommen.

Pater Oliver weist niemanden ab. Dass die meisten Menschen, die den Petershof aufsuchen und Hilfe brauchen, keine Christen sind, ist ihm egal: „Hierhin kommen Menschen in Not. Ich versuche nach der christlichen Idee zu leben, dass wir alle im Fremden, in einem Menschen in Not, Gott erkennen sollen. Das ist mein Glaube, ich versuche ihn zu leben.“ Die meisten die hier herkommen sind Muslime. Syrer sind kaum unter ihnen, wenn die Hilfe brauchen, dann nur beim Überwinden bürokratischer Hürden. „Viele der arabischen Asylbewerber in Marxloh stammen aus der Mittelschicht. Sie sind vor Krieg und Verfolgung geflohen und wollen in Duisburg das Leben fortsetzen, dass sie in ihrer Heimat hatten.“ Die Jugendlichen wollen meist studieren, so wie sie es in Syrien oder dem Irak geplant hatten. „Das sie Abitur machen und dann auf die Uni gehen, ist für sie gar keine Frage. Das ist ihr festes Ziel.“ Mehr Probleme haben die Roma. Auch sie sind meist Muslime, aber schon in ihrer Heimat in Bulgarien wurden sie diskriminiert. Kaum einer von ihnen hat eine Ausbildung, viele sind Analphabeten. Das Vertrauen in staatliche oder städtische Institutionen ist bei ihnen gering ausgeprägt und die Stadt Duisburg tut wenig, um das zu ändern. Duisburg fährt einen harten Kurs gegen die Roma. Wenn die Stadt mal wieder einmal von Roma bewohnte Häuser räumt, sind Pater Oliver und seine Helfer zur Stelle. „Es mag ja sein, dass es richtig ist, diese Häuser zu räumen weil das Leben in ihnen menschenunwürdig ist, aber dass wir uns im Petershof im Anschluss an solche eine Aktion darum kümmern müssen, das die Kinder etwas zu essen bekommen, weil in der Notunterkunft, die ihren Eltern zugewiesen wurde, nicht möglich ist zu kochen, ist für mich nicht sozial. So etwas darf es nicht geben.“

Bei der Kritik an der Politik der Stadt und ihrem Oberbürgermeister Sören Link (SPD) hält sich Pater Oliver zurück, auch wenn man spürt, dass dies dem 46jährigen schwer fällt. Aber dass er sich einen menschlicheren Umgang mit den Schwachen in der Stadt wünscht, dass er das Gefühl hat, das Hilfsgelder des Landes und der Europäischen Union in Duisburg zielsicherer eingesetzt werden könnten, das lässt er dann schon durchblicken. Und auch das Marxloh, sein Stadtteil, immer nur schlecht gemacht wird, stört ihn. „Als die Kanzlerin im vergangenen Jahr kam, stand in allen Medien, dass Marxloh eine No-Go-Area sei, in die sich die Polizei nicht mehr hineintrauen würde. Ich habe allen Journalisten die sich mit mir unterhalten habe den Link zur Kriminalitätsstatistik des Bundeskriminalamtes gegeben. Aus dem geht hervor, dass die Kriminalität in Marxloh nicht höher ist als im Durchschnitt der gesamten Stadt Duisburg.“ Und in Duisburg sei es nicht schlimmer als in Stuttgart und Karlsruhe, Städten, die im Allgemeinen nicht als Hochburgen der Kriminalität gelten. „Aber das hat kaum einen Journalisten interessiert.“

Was Pater Oliver und seine Mitstreiter auf dem Petershof machen, ist gelebtes Christentum. Sie weisen niemanden ab, sie helfen ohne Fragen zu stellen. Nächstenliebe bestimmt ihren Alltag und vielleicht wäre es um die Kirchen in Deutschland besser bestellt, wenn mehr Gemeinden so wären wie die in Marxloh, einem Stadtteil, in dem die Christen schon lange in der Minderheit sind, aber dafür das Christentum stärker leben als anderswo.

Missioniert wird auf dem Petershof nicht. Aber dass immer mal wieder Menschen, die hier das Christentum erfahren, beginnen sich, für den Glauben zu interessieren, erfreut Pater Oliver dann doch: „Wer Christ werden will, den begleite ich natürlich sehr gerne auf seinem Weg.“

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag

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KE
KE
7 Jahre zuvor

Ein interessantes Portrait.
Mir fehlen aus der Politik und auch von der Kirche Strategien, die Armutsmigration verhindern. Ebenso eine offensivere Informationspolitik in Sachen Christenverfolgung.

In den Medien ist das Thema Entwicklungspolitik inkl der Rolle der UN kaum vorhanden.
Die Probleme müssen vorort durch die Einheimische Bevölkerung gelöst werden. Hierfür muss die Bevölkerung ausgebildet werden.

Norbert Krambrich
Norbert Krambrich
7 Jahre zuvor

Einer der wenigen Lichtblicke in Duisburg, gradlinig, offen, direkt und immer da, wenn die Stadt mal wieder versagt bzw. Ihre Linie von Ausgrenzung und Vertreibung verfolgt und dabei immer wieder die Arbeit von Oliver boykottiert und sabotiert. Der Don Camillo von Marxloh mit seinen genauso konsequenten Mitstreitern.

trackback

[…] harten Kurs gegen die Roma. Wenn die Stadt mal wieder einmal von Roma bewohnte Häuser räumt, sind Pater Oliver und seine Helfer zur Stelle. „Es mag ja sein, dass es richtig ist, diese Häuser zu räumen weil das Leben in ihnen […]

thomasweigle
thomasweigle
7 Jahre zuvor

"In dessen Lehne war gut sichtbar ein Hakenkreuz eingeritzt." Was ist da eigentlich los in der Duisburger Stadtverwaltung? Unfassbar!!

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