Deutsche Kinderhilfe dubios

Grafik: Ruhrbarone

Die Deutsche Kinderhilfe ist ein Verein, der in den vergangenen Monaten immer öfter aufgefallen ist. Vor allem dann, wenn es um den öffentlichen Kampf PRO Netzsperren von Zensursula ging. Und diese unsägliche Kampagne pro BKA-Listen. Doch wer ist das überhaupt – die "Deutsche Kinderhilfe"? Der Kollege Kristian Frigelj von der Welt hat sich schon im vergangenen Jahr auf die Suche gemacht, und ein Netzwerk von dubiosen Datenhändlern, Adressensammlern, Firmen und Vereinen aufgetan. Das eigentliche Ziel dieses Netzes ist nicht leicht zu verstehen. Man könnte sagen, es geht darum, aus der Sorge um Kinder Geld zu machen. Der Deutsche Spendenrat hat die Deutsche Kinderhilfe schon vor etlichen Monaten wegen mehrerer Vergehen ausgeschlossen – auch wenn die Kinderhilfe sagt, sie sei einem Ausschluss durch freiwilliges Ausscheiden zuvorgekommen.

Einer der sich noch intensiv mit der Deutschen Kinderhilfe beschäftigt hat, ist Markus Kurth. Der 42-Jährige Sozialpolitiker ist Bundestagsabgeordneter der Grünen. Ich hab mit ihm über den Verein gesprochen.

Ruhrbarone: Haben Sie was gegen Kinder?

Markus Kurth: Ganz und gar nicht. Kinder sind etwas ganz tolles. Ätzend ist der Missbrauch von Kindern für PR-Geschichten und Schein-Politik. Keinem der vielen armen Kinder, die es in Deutschland gibt, geht es durch den Aktionismus von Frau von der Leyen oder der Kinderhilfe besser. Dabei könnte man ganz viel machen, um sofort Abhilfe zu schaffen. Eine kostenlose, gesunde Mahlzeit in der Schule für alle Kinder würde direkt wirken.

Warum sehen sie dann die Rolle der "Deutschen Kinderhilfe" kritisch?

Ich halte nichts von Leuten, die viel Wind machen, aber nichts essentiell bewegen. Dabei gibt es doch ganz konkrete Dinge für Kinder, die man tun kann. Alle Experten wissen, dass die Regelsätze für Kinder z.B. viel zu niedrig sind. Sie müssen endlich an die tatsächlichen Bedarfe angepasst werden. Aber das kostet natürlich Geld. Und das darf nach den neokonservativen Ideologen nicht fließen. Stattdessen soll dann lamoyantes Gequatsche über die Schlechtigkeit der Welt die Probleme lösen.

Wo ist Ihnen die "Deutschen Kinderhilfe" bislang aufgefallen?

Mein Blut hat das Konstrukt zum ersten Mal in Wallung gebracht, als der Kinderhilfe-Chef Ehrmann dem nach seinen Bierzelt-Ausfällen in Bedrängnis geratenen JU-Chef Missfelder Schützenhilfe geleistet hat. In dem Zeitungsartikel, in dem Ehrmann zitiert wurde, war eben von der „Deutschen Kinderhilfe“ die Rede. Suggeriert wurde, da würde sich ein Experte äußern. Da wurde ich stutzig. Ich bin seit 2002 im Bundestag und habe mich eingehend mit Kinderarmut beschäftigt. Die Kinderhilfe als kompetente Organisation war mir da nie untergekommen. Da habe ich dann einfach mal ein wenig recherchiert.

Die "Deutschen Kinderhilfe" sagt, sie wäre transparent. Sehen Sie das auch so?

Transparent ist ein Verein, wenn jeder nach Anerkennung der in der Satzung verankerten Ziele Mitglied mit allen Rechten werden kann und die Aktivitäten und die wesentlichen Geldströme in jeder Hinsicht kontrolliert werden können. Daran habe ich bei der Kinderhilfe meine Zweifel. Daran ändern auch bestimmte Testate nichts. Denn schon in der Kommunalpolitik lernt man, dass es darauf ankommt, was genau testiert wird.

Wie beurteilen Sie das Geschäftsmodell der "Deutschen Kinderhilfe"?

Das ist ein Geschäft auf Kosten Dritter. Im Ergebnis bekommen von der Leyen und Konsorten Aufmerksamkeit und Ehrmann ölt seine Maschinerie mit wertvollen Kontakten. Auf der Strecke bleiben die Kinder, denen es wirklich schlecht geht, denn gute Sozialsysteme lassen sich schlecht bebildern. Weil soziale Sicherung zu sperrig ist, muss dann die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger leiden. Es soll eine Sperrungsinfrastruktur im Netz aufgebaut werden, die prinzipiell gegen jede dort zirkulierende Information eingesetzt werden kann aber gerade Kinderpornoseiten nicht verhindert.

Foto: Präventionsrat Hildesheim

Kennen Sie auch das Modell der Notinseln?

„Modell“ ist nett gesagt. Die Idee ist aber basal und kann von jeder einigermaßen intakten Stadtverwaltung auch ohne fremde Hilfe umgesetzt werden. Da kann sich das Jugendamt einfach mal mit den örtlichen Gewerbetreibenden hinsetzen und so etwas aufziehen. Die städtische Pressestelle flankiert das ganze und dann müssen die örtlichen Geschäfte nur noch mitziehen. Dafür muss man nicht viele hundert Euro zahlen. Eine Stadtverwaltung muss so etwas schon selbst hinbekommen.

Sehen Sie dort ähnliche Strukturen wie bei der "Deutschen Kinderhilfe" erwachsen?

Es gibt auffällige Ähnlichkeiten. Es geht um Kinder. Es geht um emotional aufgeladene Themen. Es geht um „Law and Order“ und nicht um Sozialtransfers. Also ideal für Neokonservative. Außerdem kann man sowohl aus den PR-Auftritten als auch den Notinseln Geld saugen. Wenn man so will geht es um verwandte Geschäftsmodelle ohne Schaffung von Mehrwert.

Was halten Sie von den Notinseln?

Ein Aufkleber, der Hilfe in bestimmten Situationen verheißt, ist prinzipiell nichts schlechtes. Noch besser ist, wenn die Hilfe dann auch kommt. Ähnliche Projekte gibt es ja seit Jahren für Opfer rechtsradikaler Gewalt. Ich will das nicht verurteilen. Aber wer Geld mit so etwas verdient, hat meines Erachtens schon ein moralisches Rechtfertigungsproblem.

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Jens Kobler
14 Jahre zuvor

Gutes Interview, wundert mich dass nicht mehr Reaktionen kommen. Tabuthema Kind?
Denn typisch für hierzulande wird immer weggehört, wenn Deutschland als „nicht sehr kinderfreundlich“ klassifiziert wird, denn es ist ja grundsätzlich immer alles in Ordnung mit den lieben Kleinen, ob konkret oder allgemein, und man ist in der Sache ja auch grundsätzlich ausschließlich optimistisch gestimmt und geht höchstens mal ausgerechnet für eine diffuse „Bildung“ auf die Straße. Und so ist natürlich auch der Verdacht nahe liegend, dass die Deutsche Kinderhilfe vor allem ein Marketinginstrument ist, das positive Bilder á la „man kümmert sich“ produzieren soll, nach innen wie nach außen. Und in der Öffentlichkeit diskutieren kann man das Thema ja auch nicht, denn die Kinder lesen ja mit, oder wie? Okay, dann also Kapitulation: Jedem Kind ein Instrument, und dann klappt’s wenigstens mit dem Himmelreich. P.S.: Bezeichnend fand ich ja eh immer dass aus (Aktion) Sorgenkind inzwischen (Aktion) Mensch geworden ist – denn es wird anscheinend gar nicht mehr davon ausgegangen, dass ein Mensch ohne gewisse Schäden aus der Kindheit und Jugend kommt.

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