Alle gegen Klöckner

Julia Klöckner in der WDR-Sendung „Hart aber fair“. © Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)


Die Bundestagspräsidentin ist zur beliebten Zielscheibe geworden. Durch manche Äußerungen trägt die CDU-Politikerin dazu bei. Dahinter verbirgt sich aber anderes: ein linker Kulturkampf um die politische Meinungshoheit – ausgerechnet an einer Frau.

Man stelle sich für einen Moment vor, Julia Klöckner hieße Claudia Roth, gehörte zu den Grünen, wäre früher Managerin einer Anarchoband gewesen, hätte sich als Bundestagsvizepräsidentin mit allerlei schrillen Verlautbarungen den Zorn Andersdenkender zugezogen und würde dafür von politischen Gegnern und in den Medien ständig gedisst und zum Rücktritt aufgefordert. Was wäre da los! Von misogynen Angriffen wäre die Rede, von einer üblen Kampagne gegen die höchste Frau im Staat, der man sich entschieden entgegenstellen müsse.

Klöckner hat das Pech, wenn man so will, dass sie in der CDU ist und deshalb nicht zu jenem linksliberalen Milieu gehört, das sich anheischt, weiterhin Ton und Inhalt des politischen Diskurs zu bestimmen, obwohl die es tragenden Parteien im Februar krachend abgewählt wurden. Und sie schon vorher die gesellschaftliche Unterstützung verloren haben.

Um davon abzulenken, wird nun jeder vermeintliche Fehltritt der Rheinland-Pfälzerin zu einer Staatsaffäre hochgejazzt. Ob sie das Hissen der Regenbogenfahne auf dem Bundestag nur noch an einem statt zwei Tagen im Jahr erlaubt; ob sie das Tragen politischer Kleidung im Plenarsaal untersagt oder die linke taz mit dem rechten Portal Nius gleichsetzt, bei einem Event mit dessen Financier. Stets heißt es mit gewaltiger Inbrunst: „Was erlauben Klöckner!“

Die Parlamentsleiterin ist nicht politisch kastriert

Dabei erlaubt sie sich nichts anderes, als was auch frühere Vorsteher des Parlaments gemacht haben, wie Wolfgang Thierse (SPD), Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble (beide CDU), um nur einige zu nennen: abseits ihres Amts, aber mit dessen Insignien weiterhin zu politischen Fragen Stellung zu beziehen.

Schließlich ist sie wie ihre Vorgänger und Vorgängerinnen ja auch Abgeordnete und Politikerin. Und zwar der Mehrheitspartei. Sonst wäre sie nicht in das Amt gewählt worden. Warum sollte sie also den politischen Gegnern auch in der Koalition zu Gefallen sein oder betulich schweigen, wie es ihre direkte SPD-Vorgängerin Bärbel Bas meist getan hat?

Neutralität verlangen die ungeschriebenen Regeln von ihr wie von allen Angehörigen des Bundestagspräsidiums nur in der Amtsführung im Parlament. Dass sie die strikt einhält, daran können nicht einmal ihre schärftsten Kritiker deuteln. Die AfD hat sie immer wieder scharf gemahnt, sich eines gemäßigten Tons zu bedienen und ihren Abgeordneten schon eine Reihe von Ordnungsrufen erteilt. Allerdings drückt sie auch bei linken Parlamentariern kein Auge zu, wenn die genauso wie die von der ganz rechts den Bundestag mit einem politischen Agitationstheater verwechseln, z.B. durch Parolen, Mützen oder politische Symbole auf ihrer Kleidung.

Aufhängen an Äußerlichkeiten

Weil Klöckner im Kern nichts vorzuwerfen ist, verlegen sich ihre Gegner auch in Medien neben ihnen ungenehmen Positionen auf Äußerlichkeiten wie ihre bunte Kleidung (was sie mit Roth gemeinsam hat), ihre blonde Mähne oder ihr lockeres Mundwerk. Und vergessen nicht stets zu erwähnen, dass sie in ihrem früheren Leben mal Weinkönigin war. Na und? Allesamt klare Anzeichen, dass es auch um Frauenfeindlichkeit geht – von Leuten, die sonst stets dagegen kämpfen. Nur halt nicht gegen eine grüne, sozialdemokratische, linke oder migrantische Frau, sondern eine etabliert-konservative.

Besonders übel genommen wird ihr genau das: Dass sie für konservative Werte eintritt, und zwar in einem nicht wie bei anderen Bürgerlichen zurückhaltenden Ton, sondern laut und vernehmlich. Und dass sie damit auch noch populär ist. Wovon ihre Gegner im Moment nur träumen können.

Bezeichnend ist freilich auch, dass sich aus der Union kaum jemand vor sie stellt. Die frühere Bundesministerin und rheinland-pfälzische Landesvorsitzende, die protokollarisch über dem Kanzler steht, scheint vielen dort peinlich zu sein. Merz habe sie in das Amt abgeschoben, weil er sie für ein Ministeramt ungeeignet halte, raunen sie gegenüber Journalisten. Die das nur zu gerne kolportieren.

Ein Rufmord auch aus den eigenen Reihen: Das ist der Leitung des Parlaments tatsächlich unwürdig. Nicht die Amtsinhaberin. Die mag man mögen oder nicht. Das tut nichts zur Sache. Sollte es jedenfalls.

 

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paule t.
paule t.
3 Monate zuvor

Ach. Dass Klöckner ein reines Lügen- und Hetzportal mit einer seriösen Tageszeitung gleichsetzt und mit dem Finanzier besagten Hetzportals kuschelt, das ist also „nichts“. Das eine ist rechts, das andere ist links, dann kann man das doch wohl auf eine Stufe stellen. Denn Lüge oder Wahrheit, Hetze oder Journalismus – sowas zu unterscheiden, das ist doch völlig unverschämte Beanspruchung der Meinungshoheit, sowas darf man nicht mehr, wenn man die Wahl verloren hat.

Ja, dann kann ich dieses Gebarme über die arme, arme Frau Klöckner, die einfach so kritisiert wird – kritisiert! Wo kommen wir da hin! -, nachvollziehen. Das geht echt nicht. Die arme Frau Klöckner.

paule t.
paule t.
3 Monate zuvor

Wörter wie „Hetze“ und „Lüge“ einerseits und „seriöser Journalismus“ andererseits sind nicht absolut klar umrissen, und ich habe nicht allein darüber zu entscheiden. Soweit richtig, aber – wieder einmal – völlig banal.

Trotzdem sind diese Wörter hinreichend klar und deutlich, dass man sie nicht beliebig nach Standpunkt verteilen oder ignorieren kann, sondern es dafür argumentativ herausarbeitbare Kriterien gibt. Und dann, doch, kann man, wenn man diese Medien untersucht, sehr gut mit Gründen belegen, warum „NIUS“ ein Hetz- und Lügenportal ist und die taz eine seriöse Zeitung. Und das hat nichts damit zu tun, ob man dem einen Medium politisch nahesteht oder nicht.
Es hat einfach damit zu tun, was das erkennbare Haupinteresse des Mediums ist: Die eigene politische Position zu fördern und den Gegner zu schwächen, no matter what, auch mit Angriffen unter der Gürtellinie oder reinen Lügen; oder Menschen wahrheitsgemäß über Themen zu informieren, die man für wichtig hält.

Wer diesen Unterschied leugnet, der leugnet, dass das Streben nach Wahrheit, ehrliche Argumentation, anständiger Umgang miteinander etwas in der Politik zu suchen hätten. Das tut Klöckner, indem sie diese Medien auf eine Stufe stellt. Und damit beschädigt sie das Amt, das von solchen Werten geprägt sein sollte, nicht diejenigen, die sie dafür kritisieren.

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Und: Sie behaupten, Zitat: „Zur Meinungs- und Pressefreiheit gehört, auch Dinge zu verbreiten, die andere für eine Lüge oder Unwahrheit halten.“
Das ist nur begrenzt so. Gegen Lügen, die anderen persönlich schaden, gibt es Gesetze. Und außerdem gibt es den Presserat, der überprüft, ob sich Zeitungen an übliche presseethische Standards halten.
Es ist, wenig überraschend, nicht gleich verteilt, wie oft Medien Rügen des Presserats erhalten. Die taz kriegt sie eher nicht so oft. Die BILD, wo der heutige Chefredakteur von NIUS wegen unethischen Verhaltens rausgeflogen ist (!), bekommt sie eher öfter. Und NIUS ist da gar nicht erst Mitglied geworden und entzieht sich so dieser Selbstkontrolle. Die werden schon wissen, warum.

Und mit der Formulierung „die andere für eine Lüge oder Unwahrheit halten“ tun Sie so, als wären „Lüge“ und „Wahrheit“ rein subjektive Dinge, ausschließlich geprägt vom Standpunkt und ohne Anhalt in der Realität. Sorry, aber mit so einer postmodernen Beliebigkeit kann ich nichts anfangen. Es gibt einfach Aussagen, die sind Lügen, unabhängig davon, wer sie dafür hält.

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