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Alles außer Pop – The Cure VI – The Top

Vielleicht ist The Top das unterschätzteste aller Cure-Alben. Ich habe es jedenfalls nie in irgendwelchen Besten-Listen gesehen. Die Leute schätzen entweder “die alten Sachen” oder die Disintegration. Oder vielleicht, wenn sie die poppigere Seite mögen, The Head On The Door.
Wenn man der Erzählung folgt, nach der The Cure mit Lovecats und Japanese Whispers poppig und tanzbar geworden sind, wenn man dann noch die Leichtigkeit von The Head On The Door im Kopf hat, dann kann man schnell glauben, The Top wäre nur ein etwas untergegangener Zwischenschritt auf diesem Weg. Ist da nicht The Caterpillar drauf und dann bestimmt noch mehr in der Richtung?

The Caterpillar ist aber gar nicht so harmlos, wie man im ersten Moment meinen möchte und vor allem ist es noch der geistig gesündeste Song auf dieser gestörten Platte.
Ja, The Top ist bunt. Aber es ist die schrille, neon- bis albtraumfarbene Buntheit eines Stechapfel-Tripps, die einem da entgegen schreit.

Schon das allererste “Hahahaha”, mit dem diese Platte beginnt, scheint ja schon mindestens vom Joker zu stammen. Dieser Opener, Shake Dog Shake ist weder tanzbar noch fröhlich noch lustig, das ist ein tonnenschwerer Brecher, der auch auf der Pornography nicht fehl am Platz gewesen wäre. Später wird es süßlicher, aber wenn man sich Lieder wie Bird Mad Girl oder Dressing Up anhört, kann man nicht anders als sich in klebrigem Irrsinn wieder zu finden, in einer surrealen Welt aus Schminke, Fraggels und bodenloser Traurigkeit, einem Ort an dem man durch geschmolzene Bonbon-Masse kriechen muss, wo die Suche nach Nähe und der Ekel vor Anderen nur ein fettiges haarbreit auseinander liegen. Piggy In The Mirror handelt vom Selbsthass, wie Robert Smith beschrieb, und was vielleicht im ersten Moment nach operettenhaftem Schalk klingt, ist in Wirklichkeit nicht lustiger als die Zerstörungskraft der Pornography. Diese Lieder sind ungefähr auf die gleiche Weise „fröhlich“ wie Chucky, die Mörderpuppe, „niedlich“ ist.

Und diese überkandidelten Kandis-Lieder bilden ja auch nur die Hälfte des Platte. Mit Give Me It haben The Cure ihren Grindcore-Hit geschrieben, das ist ein schmerzhaftes, gnadenloses Geballer, wie es von ihnen nie wieder zu hören war. Und auch Stücke wie The Wailing Wall oder eben The Top sind düstere, schleppende Kähne, die man sich ganz wunderbar in einer Cover-Version von Neurosis vorstellen kann. Oder hier, auch sehr passend, in einer Industrial-Variante.

Nein, The Top ist kein Spaß, auch wenn ich bei einigen Stücken auf dieser Platte zuverlässig lachen muss, richtig laut lachen. Lachen heißt schließlich nicht, dass etwas nicht trotzdem traurig, schaurig oder bewegend ist. Diese Platte ist schwer und böse und witzig. Ich schlage vor, Sie hören sie sich jetzt gleich mal an.

Hier gibt es die bisherigen Teile:

Alles außer Pop – The Cure I

Alles außer Pop – The Cure II – Seventeen Seconds

Alles außer Pop – The Cure III – Faith

Alles außer Pop – The Cure IV – Pornography

Alles außer Pop – The Cure V – Japanese Whispers

Der Autor schreibt hier regelmäßig über Musik. Über Musik redet er auch im Podcast Ach & Krach – Gespräche über Lärmmusik.

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