Aus Anlass des Endes von Gaddafi

Grafik: TUBS (via Wikipedia)

Ein „junger Anhänger Gadaffis gibt sich auf dem Grünen Platz im Zentrum Tripolis kampfbereit“, steht unter diesem Bild in der „Wiener Zeitung“. Ein Reuters-Bild, offenbar inszeniert von den Gadaffi-Leuten; es zeigt einen kleinen Jungen mit Maschinengewehr, martialischem Kopftuch und bösem Kämpferblick. Sehr jung, der arme Kerl. Die Jungs in Hitlers Volkssturm waren jedenfalls älter. Der Artikel beginnt so: „Das libysche Regime hat die Einschätzung der USA zurückgewiesen, dass Machthaber Muammar al-Gaddafi am Ende sei. ,Sie sagen das seit sechs Monaten und wir sind immer noch da`, erklärte Regierungssprecher Moussa Ibrahim.“

Ja, aber so wie es aussieht, nicht mehr lange. Wenn die Kinder zur letzten Schlacht aufgeboten werden, ist bald Schluss. Auch eine Lehre aus dem Volkssturm. Von seiner Aufstellung bis zur bedingungslosen Kapitulation dauerte es noch gut ein halbes Jahr. So lange wird es sich in Libyen nicht mehr hinziehen. In ein paar Tagen ist Schluss. Manchmal stimmen auch Dinge, die in der Bildzeitung stehen. Egal, ob sich Gaddafi nach Südafrika absetzen wird oder sonst wohin, ob er – wie angekündigt – als „Märtyrer“ zu sterben gedenkt (ausgerechnet der), entscheidend ist, dass es zu Ende ist. Vermutlich noch in dieser Woche.

„Die Hauptstadt Tripolis sei de facto eingeschlossen“, wird der kanadische Oberst Roland Lavoie zitiert. Einige wollen es noch nicht wahrhaben. Ein Blog der NPD dichtet: „Trotz der derzeitigen militärischen Erfolge rückt die Vertreibung Gaddafis in weite Ferne.“ In einem Kommentar regt „Paul“ an, „Solidarität (zu) organisieren“ und setzt einen Link zur Webseite „Nein zum Krieg“, die schöne Fotos von beeindruckenden Friedensdemos auf dem Alexanderplatz zeigt – verschiedene Tage, immer dieselben gut zehn Leute – und rät, sich Hintergrundinformationen zu Libyen scharf links zu holen.

Auch ich war und bin über die NATO-Intervention nicht eben glücklich, und schon gar nicht darüber, in welcher Gesellschaft man sich unter diesen Umständen wiederfindet. Andererseits: mit dem Krieg ist es wie mit einer Schwangerschaft. Es gibt nur ein Ja oder ein Nein. Ein bisschen Krieg ist so ähnlich wie „ein bisschen Frieden“: albern. Und so tröste ich mich damit, dass auch die Befürworter des NATO-Krieges in ihrer Gesellschaft Leute (und Gruppen und Staaten) hatten, mit denen man nicht unbedingt in Zusammenhang gebracht werden möchte.

Will sagen: die unerwünschten Gesellen sind kein Argument. Weder für noch gegen die ein oder andere Seite. Und: in Bezug auf das Gaddafi-Regime haben Argumente allenfalls noch historischen Wert. So wie man über den Mauerbau auch nach fünfzig Jahren trefflich diskutieren kann, so lohnt es sich durchaus, einige Zeit über einen NATO-Krieg ohne deutsche Beteiligung zu reflektieren. Wenn man möchte. Das Gaddafi-Regime jedenfalls ist Geschichte. Libyen ist es nicht. Die Nach-Gaddafi-Zeit dürfte, um es etwas flapsig zu sagen, „spannend“ werden. Es würde mich nicht wundern, wenn im Zuge der absehbaren Konflikte der Dissens, den wir auch hier bei den Ruhrbaronen hatten, nochmal zur Sprache käme.

Gaddafi ist (so gut wie) weg. Gut so. Ob dies ein Grund zur Freude sein wird, entscheidet sich heute und in den nächsten Tagen. Noch wissen wir nicht, ob es zu einer „Endschlacht um Tripolis“ kommen wird, und wenn ja, ob der Junge auf dem Foto und die Zivilisten in der Stadt sie überleben werden. Und wir wissen nicht, ob es Frieden in Libyen geben wird oder ob die diversen Stämme aufeinander losgehen und so die NATO zum Bleiben nötigen werden. Und schon gar nicht wissen wir, wie innerhalb der Rebellen und der Stämme die Kräfteverhältnisse zwischen denen, die eine Idee mehr Freiheit wollen, und denen, die einen Gottesstaat wollen, aussehen.

Heute berichtet die FTD sehr ausführlich, dass in Ägypten die Salafisten deutlich an Einfluss gewinnen. In Konkurrenz zu den Muslimbrüdern, deren „Heimatbasis“ Ägypten ist. Die friedliche Revolution in Ägypten ist offenbar ins Stottern geraten. Was mag dies für den gewonnenen Bürgerkrieg im Nachbarland Libyen bedeuten? Diese Frage zu stellen, hat nichts mit einer Sympathieerklärung für hinweggefegte Diktaturen zu tun. Diese Frage nicht zu stellen, würde bedeuten, einen sich vor unseren Augen vollziehenden Epochenbruch durch die Brille der Revolutionsromantik zu betrachten, also gezielt darauf zu verzichten, verstehen zu wollen, was in unserer Nachbarschaft vor sich geht.

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Mir
Mir
13 Jahre zuvor

Noch ein (Nazi)Vergleich: Auch Gaddafi läuft so wie Hermann Göring einst mit Phantasie Kostüme umher. Erstaunlich.

Helmut Junge
13 Jahre zuvor

Werner, vertstehe ich das richtig, dass der von Dir zitierte „Paul“ in der rechten Nazipresse aufruft, sich „scharf links “ Hintergrundinfos zu holen?
Liegt ja eigentlich auch nahe, wenn man sich das politische Spektrum als geschlossenen Kreis vorstellt. Dann ist nämlich „scharf links“ ziemlich dicht an „scharf rechts“.
Dann kann man sich beim Nachbarn schon mal was abgucken.

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