Hetze gegen Flüchtlinge: Ein echtes 90er Revival?

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Wenig überraschend versuchen NPD und andere Neonazis von den Debatten über die Flüchtlingspolitik in Europa zu profitieren. Alles also wie gehabt? Die Nazis morden, der Bürgermob klatscht, der Staat schiebt ab? Nicht ganz. Von unserem Gastautor Patrick Gensing/Publikative

Da die Neonazis in Deutschland selbst nicht kampagnenfähig sind, hängen sie sich stets an aktuelle Debatten ran. So zu beobachten bei der “Integrations-” (treffender Exklusions-) Debatte nach der Buchveröffentlichung von SPD-Mitglied Thilo Sarrazin oder im Zuge der israelfeindlichen Diskussionen, ausgelöst durch Verse des deutschesten aller deutschen Nobelpreisträger, Günter Grass.

In Berlin-Hellersdorf marschierten Neonazis mehrmals auf, um von der feindseligen Stimmung in Teilen der Bevölkerung zu profitieren. Der Lohn: Bis zu 10,2 Prozent für die NPD bei der Bundestagswahl in einzelnen Wahllokalen in Marzahn-Hellersdorf, im gesamten Wahlkreis deutlich mehr als vier Prozent. Auch in Greiz wollten Neonazis marschieren, weiter gegen Flüchtlinge hetzen und zum Hass aufstacheln. Gestern solidarisierten sich Gegendemonstranten mit den Flüchtlingen, die Neonazis sagten ihre Demo ab – vorerst. Die Drohungen gehen aber weiter. Und Anfang Oktober konnten Neonazis bereits ungestört bzw. unter Zustimmung von Anwohnern mit Fackeln durch die Stadt ziehen. Auch in Chemnitz gingen Neonazis und andere Rechtsradikale auf die Straße, ebenso in Brandenburg und weiteren Bundesländern.

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Köln: Bürgerbegehren gegen das Jüdische Museum?

dom_koelnDer schier unendliche, lähmende  Streit um ein jüdisches Museum in Köln schien entschieden. Vor sieben Jahren, im Mai 2006, hatte eine breite Koalition aus SPD, Grünen, FDP und Linken den Bau eines Jüdischen Museums grundsätzlich beschlossen, ein Jahr später war mit der Errichtung einer archäologischen Zone begonnen worden. Von unserem Gastautor von Roland Kaufhold.

Seit Monaten werden auf dem unmittelbar vor dem Rathaus gelegen Ausgrabungsgelände für Interessierte kostenlose, gut besuchte Führungen angeboten. Geschichte, insbesondere Kölns jüdische Geschichte, wird zu einem öffentlichen Anliegen. Erinnert sei daran: Köln gilt als die älteste jüdische Stadt Deutschlands. Diese deutsch-jüdische Geschichte soll bis ins Jahr 321 zurück reichen.  Eigentlich könnte man in Köln darauf stolz sein.

Am 18. Juli dieses Jahres einigten sich der Kölner Stadtrat – erneut mit den Stimmen von SPD, Grünen, FDP und Linken – und der Landschaftsverband (LVR) auf einen Kooperationsvertrag zum Bau des jüdischen Museums und der archäologischen Zone. Die Stadt übernimmt die mit 52 Millionen Euro berechneten Baukosten, der LVR den späteren Betrieb. Die Stadt Köln baut das Projekt, der LVR entwickelt ein – in der Diskussion der letzten Monate offenkundig nicht ausreichend kommuniziertes – Ausstellungskonzept. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Barbara Moritz, eine entschiedene Befürworterin des Jüdischen Museums, war erleichtert: „Wir sind begeistert und dankbar, dass mit dem LVR erstmals eine solche Kooperation zustande gekommen ist.“

Insbesondere die Kölner Grünen hatten sich in den letzten Jahren konsequent für die Realisierung des jüdischen Museums eingesetzt – durch fachlich-historische Diskussionsbeiträge ihrer kulturpolitischen Sprecherin Brigitta von Bülow und Frieder Wolf[1]  wie auch durch thematisch konsequente politische Stellungnahmen:

Brigitta von Bülow betont in einem Videobeitrag: „Kein Kölner Museum wird so am richtigen Ort sein wie die Archäologische Zone und das Jüdische Museum. Denn dort, wo das Museum stehen wird, liegen Kölns Spuren kultureller Vielfalt. Es ist keine Rekonstruktion, kein beliebiger Sammelort, sondern selbst unmittelbares 2.000 Jahre altes geschichtliches Zeugnis.“

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Warum wir Avatare spielen

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Es ist schon eine eigenartige Idee, in einem Spiel mit einer ausgedachten Figur in einer ausgedachten Welt nach festen Regeln Abenteuer zu erleben. So zu tun, als sei man wirklich dort, so zu handeln, als wäre man ein anderer. Man denkte selten darüber nach, aber so funktioniert heute die Mehrheit der Computer- und Videospiele. Ein lernfähiger Spielercharakter, eine virtuelle Welt und eine Simulation nach klaren Regeln – das macht „World of Warcraft“, aber auch „Grand Theft Auto V“ aus. Von unserem Gastautor Konrad Lischka.

Dieses Spielkonzept stammt aber nicht aus Computerspielen, es geht auf „Dungeons & Dragons“ (D&D) zurück, ein so genanntes Pen&Paper-Rollenspiel. Es ist höchste Zeit, sich die Geschichte dieser Spiele genauer anzuschauen, denn ohne sie würden Computerspiele und Onlinedienste heute wohl ganz anders aussehen.

D&D erschien 1974 und war der Beginn eines weltweiten Phänomens, einer ganzen Industrie mit hunderten Rollenspielsystemen. Diese heute etwas in Vergessenheit geratenen Spiele verliefen völlig analog: Ein paar Leute saßen an einem Tisch, der Spielleiter war ihr Computer. Er moderierte die Spiel, er wandte die Regeln an. Jeder Spieler verkörperte eine Figur, sprach als er oder sie, sprang, kämpfte oder schwamm durch die Fantasiewelt. Der Spielcharakter existierte auf einem Blatt Papier.  Würfel entschieden, ob ein Spieler mit seinen Handlungen erfolgreich war oder nicht. Schaffte er den

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Freiheit statt Angst – Plädoyer für eine liberale Partei

Marco Buschmann, Generalsekretär der FDP-NRW
Marco Buschmann, Generalsekretär der FDP-NRW

„Wenn etwas schief geht, erzählt man uns, dass wir bessere Technik, mehr Gesetze und aufwändigere Bürokratie brauchen. Ein Punkt fehlt auf dieser Liste: risikokompetente Bürger. Stattdessen hält man Paternalismus für die Lösung“. Das ist kein Auszug aus einem Traktat des 19. Jahrhunderts. Die Sätze stammen von Prof. Dr. Gerd Gigerenza, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Man findet sie in seinem in diesem Jahr bereits in dritter Auflage erschienenen Buch „Risiko“. Darin zeigt er letztlich auf, wie brennend aktuell die Grundfrage des politischen Liberalismus nach wie vor ist: Wie viel Freiheit und Verantwortung für die Menschen und wie viel – durchaus wohlwollende – Beschränkung ihrer Freiheit durch den Staat? Unser Gastautor Marco Buschmann ist Generalsekretär der FDP-NRW. Der Text ist eine Replik auf ein Interview mit Aladin El-Mafaalani auf diesem Blog.

Gigerenza belegt an zahllosen Beispielen, dass all die Begründungen, den Menschen die Verantwortung für ihr Leben und damit auch die eigene Gestaltungsfreiheit – selbst in wohlwollender Absicht – zu nehmen, mit größter Vorsicht zu genießen sind: gerade Fachleute irren, Autoritäten sind Interessenkonflikten ausgesetzt und Institutionen sind durchaus nicht innovativer als Individuen. So bleibt das Plädoyer Immanuel Kants: Sapere aude! Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen! Die Politik sollte die Bürger nicht paternalistisch entmündigen. Sie sollte ihnen nicht vor allen Risiken des Lebens Angst einjagen, um sie zum Tausch von Freiheit gegen Sicherheit zu bewegen. Statt dessen sollte Politik sich der Aufklärung verschreiben oder – wie Gigerenza es kurz schreibt – für risikokompetente Bürger einsetzen.

Soll eine solche liberale Haltung auch in der Politik Gehör und Einfluss finden, benötigt sie eine eigene Partei. Zwar gibt es in fast allen Parteien auch Liberale. Aber in Parteien, in denen liberales Denken nur Beiwerk ist, ist die Versuchung zu groß, paternalistisch zu agieren: Mit Angst lassen sich oft mehr Wählerstimmen mobilisieren als mit

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Österreich rückt zusammen – Wahlkampf als Zeit postnazistischer Zusammenkunft

Foto: GNU-Lizenz
Foto: GNU-Lizenz

Österreich hat gewählt. Auch dort spielt das Flüchtlingsthema eine große Rolle. Eine Einordnung. Von unserem Gastautor David Kirsch.

Wer sich intensiv mit der parteipolitischen Rezeption fremdenrechtlicher Sachverhalte in der Alpenrepublik beschäftigt hat, der müsste die verwunderte Empörung über den erneuten „Rechtsruck“, die stets pünktlich mit dem Bekanntwerden der Wahlergebnisse kundgetan wird, als vollkommen unverständliche und vor Unkenntnis über die Verfasstheit der österreichischen Gesellschaft nur so strotzende Ansicht begriffen haben. Denn das Bild, dass der Wahlkampf anlässlich der diesjährigen Nationalratswahl zeichnete, war nicht das eines kollektiven Rutschen nach „Rechts“, sondern vielmehr das Abbild eines Österreichs, in dem ehemals als „extrem“ titulierte Parteien

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Duisburg: “Wenn Wahrheit zu Rassismus wird, ist Deutschland verloren.“ – Ein Bericht

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Am Samstag fanden in Duisburg drei Kundgebungen statt, in deren Verlauf rassistische und antiziganistische Äußerungen getätigt wurden, die alle von Duisburger Anwohnern getragen, oder aber offen begrüßt wurden. Zwei dieser Kundgebung wurden von der rechtspopulistischen Kleinpartei “PRO NRW” organisiert, eine weitere unter dem Motto “Wir sind Rheinhausen – Schau nicht weg” von einem Bündnis Rheinhauser Anwohner. Crosspost von der Initiative gegen Duisburger Zustände

Die Kundgebung auf dem Hochemmericher Markt, an der teilweise bis zu 250 Personen teilnahmen, sollte sich laut mehrfacher Aussage des Veranstalterkreises im Vorfeld nicht gegen Zuwanderer, sondern gegen die Duisburger Ordnungsbehörden und ihre vermeintlichen Verfehlungen im Umgang mit dem Wohnblock „In den Peschen 3-5“ richten. Im Ankündigungstext hatten sich die Organisatorenalle größte Mühe gegeben, weltoffen und pluralistisch zu erscheinen. In der Umsetzung am Samstag sah das dann aber ganz anders aus: Es kam auch bei dieser Veranstaltung zu rassistischen Ausfällen.

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Was passiert gerade in Duisburg?

in_den_peschen_duisburgNachdem unterschiedliche Medien über eine Schlägerei nach einer Podiumsdiskussion des Vereins „Bürger für Bürger“ am 23. August in Duisburg-Rheinhausen berichtet hatten, die einen fragwürdigen Polizeieinsatz am, vor allem von Zuwanderern aus Südosteuropa bewohnten Gebäudekomplex „In den Peschen 3-5“ zur Folge hatte, scheint die Duisburger Polizei unter enormen Ermittlungsdruck zu stehen, diesen Polizeieinsatz zu legitimieren. Von unserer Gastautorin Christine Santos 

Dies hatte zur Folge, dass es in den letzten Tagen zu mehreren Besuchen des Duisburger Staatsschutzes bei „vermeintlichen“ Tätern gekommen ist, um diese auf Grundlage von richterlichen Beschlüssen als Tatverdächtige zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen mit auf das Revier zu nehmen. Sollten die Personen zum Zeitraum des Besuches nicht anwesend sein, durfte der Staatsschutz den Wohnraum der verdächtigten Personen samt anliegenden Gebäuden oder Garagen auch auf Grundlage dieses richterlichen Beschlusses direkt nach den entsprechenden Personen durchsuchen. Die „Beweise“, die wohl zum Ausstellen jenes richterlichen Beschlusses führten, sind die ausgewerteten Handydaten der sich zum Tatzeitpunkt in entsprechender Mobilfunkwabe befindlichen Personen am Vereinsheim von „Bürger für Bürger“ bzw. die Tatsache unter Umständen zu Personen in eben jener Funkwabe via Mobiltelefon Kontakt gehabt zu haben.

Auffällig ist dabei, dass die ermittelnden Beamten, scheinbar nach wie vor nur in eine Richtung ermitteln. Denn trotz mehrerer unterschiedlicher Augenzeugenberichte, die in verschiedenen Medien dokumentiert wurden, scheint die Aussage, der Zeugen, die behaupten, dass unschuldige Personen von „linksautonomen Krawalltouristen“ angegriffen wurden, und nicht vielleicht auch nur aus einer Notwehrsituation gehandelt haben, nach wie vor nicht hinterfragt zu werden. Im Gegenteil, die Duisburger Polizei erklärt weiterhin, dass es sich um „ganz normale“

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„Mir vergeht jede Einheitsfeierei“

Sebastian Lucke
Sebastian Lucke

Morgen ist Tag der deutschen Einheit. Die einen feiern, die anderen protestieren. Warum er auch nicht feiern möchte, erklärt unser Gastautor Sebastian Lucke. Er ist aktiv in der Linkspartei, sowie im linken Jugendverband solid.

Unbestritten ist der Tag, der an die Überwindung der deutschen Teilung erinnern soll ein denkwürdiger Tag. Für viele Familien endete am 3. Oktober 1990 mit dem Vollzug der Wiedervereinigung die scheinbar unüberwindliche Trennung voneinander. Gleichzeitig war es das Ende der DDR, deren Versuch, einen Sozialismus mit Mauern und Stacheldraht aufzubauen, scheiterte. Doch ist dieser Tag wirklich für alle Menschen ein Anlass zum Feiern?

Besonders in den östlichen Bundesländern steht dieser Tag für viele Menschen immer noch für den Beginn von Ende ihrer bis dahin gelebten Biographien. Hoffnungen auf Anerkennung der eigenen gemachten Erfahrungen endeten direkt in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung, in der die ehemalige DDR wirtschaftlich und gesellschaftlich abgewickelt wurde. Betriebe wurden geschlossen und die Beschäftigen entlassen, egal ob dieser Betrieb nun wirtschaftlich arbeite oder nicht. Der Generalstempel der allgemeinen Unproduktivität und Unterqualifizierung der dort lebenden Menschen galt als ungeschriebenes Gesetz. Der Blankoaustausch ostdeutscher Führungseliten durch ihre westdeutschen Pendants ist nur ein

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Bundestagswahl: Der menschliche Makel

wahl2013Laut einiger Zeitgenossen versprüht die Bekanntgabe des Ergebnisses der Bundestagswahl den alten Retro-Charme aus DDR-Zeiten. Jedoch gibt es einen gravierenden Unterschied: In der DDR wurde mit System beschissen, in der BRD des Jahres 2013 reicht ganz einfach menschliches und technisches Versagen aus.

Ich bin seit mittlerweile 14 Jahren Wahlhelfer, 12 Jahre davon als Schriftführer. Ich habe schon sehr gute Abende und einen desaströsen gehabt, als wir im kommunalen Wahlbüro das komplette Ergebnis bis 22 Uhr neu ermitteln mussten. Daher einmal eine Beschreibung der Vorbereitung des

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Merkel no tiene mayoría absoluta – Merkel hat keine absolute Mehrheit

Jürgen Klute
Jürgen Klute

In einem Gastbeitrag fordert Jürgen Klute, Sozialpfarrer aus Herne, Mitglied der Linkspartei und Europaabgeordneter,  SPD, Linkspartei und Grüne zur Zusammenarbeit im Bundestag auf.

„Merkel no tiene mayoría absoluta: es posible un gobierno de izquierda para cambiar Europa – Merkel hat keine absolute Mehrheit: eine linke Regierung um Europa zu verändern ist möglich“. So ein Eintrag in dem spanischen Blog „P36 Andalucia“ vom 23. September. Der Autor dieses Blog-Eintrags fordert SPD, Grüne und Die Linke in Deutschland auf, ihre Mehrheit zu nutzen und Merkel abzulösen – und damit die für die südeuropäischen Länder desaströse Austeritätspolitik. Zudem fordert der Autor die europäischen Schwesterparteien der SPD, der Grünen und der Linken auf, ihre deutschen Kollegen zu diesem Schritt zu drängen. Der Blog-Eintrag endet mit der Aufforderung „Háganlo, y presionen, la historia está en sus manos. – Tun Sie es und erzeugen Sie Druck, die Geschichte liegt in Ihren Händen.“

Dieser Blog-Eintrag erreichte mich am Montag nach der Wahl in einer etwas holprigen, maschinell erstellten deutschen Übersetzung über meine Facebook-Seite.

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