Kreative Zerstörung statt Nachhaltigkeit

Hippie Foto: Eikkazii Lizenz: CC BY-SA 4.0


Deutschland gibt sich gerne innovativ. Mit echtem Fortschritt haben Energie-, Verkehrs- und Agrarwende jedoch wenig zu tun. Von unserem Gastautor Thilo Spahl

Gesellschaftlicher, technologischer und wirtschaftlicher Fortschritt hängen eng zusammen. Je umfassender die Naturbeherrschung durch Technik, je produktiver die Wirtschaft, desto besser das Leben der Menschen. Unser Wohlstand ist auf Fortschritt und Wachstum angewiesen. Aber der Motor läuft schon ziemlich lange nicht mehr rund.

„In Europa grassiert eine chronische Wachstumsmüdigkeit. Nach dem Nachkriegsboom hat das Wirtschaftswachstum in den Industrieländern seit 1960 stetig abgenommen. Im Euro-Raum kaschiert die EZB mit immer neuen Hilfspaketen ein Problem, das sie mit ihrem billigen Geld eigentlich kaum beeinflussen kann – die schwächelnde Produktivität der

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Nazi-Wikinger feiern in Polen

Am Wochenende haben wir uns wieder einmal das Event in Wolin (Polen) angeschaut. Das ist ja für große Teile der Szene die bedeutendste Frühmittelalterveranstaltung überhaupt, eine Art Wikinger-Wacken. Diesmal waren es leider nur anderthalb Stunden, an denen wir über die Anlage gehen konnten. Als wir nach langen Staus endlich ankamen, war die Schlacht beinahe vorbei und ein Großteil der uns interessierenden Besucherschaft aus der extremen Rechten war schon auf dem Heimweg. Denn die Wolin-Schlacht geht lange und ist unübersichtlich, was die Konzentration von so manchem Haudraufundschluss überfordert. Trotz dieser ungünstigen Umstände konnten wir Eindrücke im ungeahnten Ausmaß festhalten. Dabei haben wir sicher nur einen Teil der in dieser kurzen Zeit auftretenden Phänomene erfasst. Davon möchten wir unseren Leserinnen und Lesern einen kleinen Ausschnitt nicht vorenthalten. Man sollte sich dabei immer wieder vergegenwärtigen, dass wir eine Veranstaltung mit musealem Anspruch und kein Rechtsrockkonzert besucht haben. Ein Bericht in Fotos von Karl Banghard.

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Hakenkreuze im Zeitalter der Entschleunigung

Deutscher Kanzler vor und nach dem 9.8.2018 (v.r.n.l.) (Grafik: Wolfgang Walk)

Am 9.8.2018 wurde in Deutschland Kulturgeschichte geschrieben – und so gut wie niemand der Feuilleton-Leser dieses Landes hat es mitbekommen. Wie auch, wenn so gut wie jede Kulturseite dieses Landes die Meldung erst gar nicht brachte.  Die fand man nämlich wahlweise unter „Netzwelt“, „Digitales“, „Panorama“ oder – besonders albern: „Deutschland und die Welt“. Wolfgang Walk mit Ausführungen zum Hakenkreuz-Beschluss und der Ignoranz vieler Medienkollegen.

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Grieger-Langers Scheitern geht weiter

Kennt sich selbst mit Ethikverletzungen gut aus, doziert vielleicht deswegen darüber: Suzanne Grieger-Langer (Foto: Screenshot eines Vortrages)

Suzanne Grieger-Langer ist mit ihrer Klage gegen Bärbel Schwertfeger in vollem Umfang gescheitert. Die Journalistin hatte mehrfach über die zahlreichen Lügen und falschen Darstellungen der selbsternannten „Profilerin“ berichtet. Nun liegt das Urteil vor und das ist mehr als eindeutig.

Bärbel Schwertfeger hatte in mehreren Artikeln (auch bei uns Ruhrbaronenhier, hier und hier) über die Selbstdarstellung von „Europas unangefochtener Profilingexpertin“ (Werbung bei den Social Recruiting Days) berichtet.

Dabei ging es um zahlreiche Lügen und Falschdarstellungen:

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Die Okkupation, von der keiner spricht

Russischer Panzer in Georgien 2008 Foto: Yana Amelina Lizenz: CC BY-SA 3.0

Von unserer Gastautorin Anastasia Iosseliani

Meine Damen und Herren!

In diesen Tagen ist das zehnjährige Jubiläum des Kaukasuskrieges plus der dazugehörigen Okkupation, durch russische Proxies, von Süd-Ossetien und Abchasien. Vielen auch, gebildeten Menschen, wird das jetzt nicht viel sagen, denn obwohl der Kaukasuskrieg der erste Krieg auf europäischem Boden im 21. Jahrhundert war, wurde er am Rande Europas geführt und ist deshalb für den Mainstream nicht interessant.

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Ruhrtriennale: Blast dieses Podium ab

Thomas Wessel


Stand der Dinge: Stefanie Carp, Intendantin der Ruhrtriennale, hatte dem Landtag im Juli angekündigt, sie bereite anstelle des Auftritts einer BDS-Band eine Veranstaltung mit Norbert Lammert vor. Dieser Tage hat sie das Ergebnis ihrer Planung vorgestellt: Lässt sich eine politische Vernunft darin erkennen und eine politische Ethik? Das Setting einmal durch dekliniert. Unser Gastautor Thomas Wessel ist Pfarrer der Christuskirche in Bochum.

Thema des Podiums sei, so der offizielle Text, „das Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Freiheit der Kunst mit persönlicher und gesellschaftlicher Verantwortung im Kontext der deutschen Geschichte“. Ein weit gespanntes Panorama, man würde  –  schon weil Lammert moderiert, neben ihm Kulturministerin und Ex-Kulturminister  –  einen renommierten

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Älteste Bibliothek Deutschlands ist auch unsichtbar

Antikes römisches Gemäuer in Kölner Tiefgarage.
„Stilvolle“ Integration römischer Überreste in die Tiefgarage unter dem Kölner Dom. Wird älteste Bibliothek Deutschlands bald auch so präsentiert?

Die älteste Bibliothek Deutschlands gefunden und trotzdem kein Grund zu jubeln: Köln schafft es seit Jahrzehnten nicht, sein Potential auszuschöpfen. Während die historischen Schundwerke bestens sichtbar sind, bleiben die Schmuckstücke ebenso gut versteckt. Es ist ein Trauerspiel. Ein Gastbeitrag von Christopher Kohl.

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Die populistische Zwickmühle

Die populistische Zwickmühle (Foto: Thomas Unger)

Zum gegebenen Zeitpunkt sind in zehn europäischen Ländern Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten an den Regierungen beteiligt. Damit nehmen diese gleichzeitig und zwangsweise auch eine Rolle ein, die eigentlich nicht zu ihrem Selbstverständnis passt.

Am 5. Juli 2018 hielt der Politikwissenschafter Dr. Stijn van Kessel an der Universität Wien einen Vortrag mit dem Titel „Populist Parties in Europe: Supply and Demand“. Der Vortrag war für mich als „fachfremde“ Person in vielerlei Hinsicht aufschlussreich, unter anderem deshalb, da es meine erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik sein sollte. Ein Gastbeitrag von Thomas Unger.

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Irgendwo zwischen Schnitzelantideutschland und Schawarmaantideutschland – ein Reisebericht

Demobeginn vor dem Rostocker Hauptbahnhof 2007 Foto: Alex1011 Lizenz:
CC BY-SA 3.0

Ein Beitrag unserer Gastautorin Britt Stadler

2007, die G8 treffen sich in Heiligendamm. Ich war 17 und absolvierte ein Praktikum bei einem lokalen Radiosender. Es war DAS Event für Linke jener Zeit. Das „Ums Ganze“ Bündnis gründete sich. Sie traten an, Kritik an der verkürzten Kapitalismuskritik des  Anti G8 Bündnisses zu üben. Justus Wertmüller, Chefredakteur der Zeitschrift Ba’hamas, gab Radio Corax ein Interview, in dem er den regressiven Kern dieser Bewegung in Grund und Boden kritisierte.

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75 Jahre Operation Gomorrha

Ausgebrannte Häuserzeilen in Hamburg, 1944/1945 Foto: Dowd J (Fg Off), Royal Air Force official photographe Lizenz: Gemeinfrei


Heute vor 75 Jahren kam der Feuersturm der Operation Gomorrha über Hamburg nieder. Die Strategie dies britischen Luftwaffenchefs Arthur Harris fand ihren Höhepunkt. Ein Gastbeitrag von Manfred Barnekow.

“Es war der Tag, an dem es nicht hell wurde”, meine Mutter hat diesen Satz immer gesagt, wenn ich sie nach den Julitagen im Jahre 1943 fragte. Sie wohnte weit davon entfernt, in einem Randbezirk im Nordosten Hamburgs, auf den nie eine Bombe fiel, aber unauslöschlich blieb der Morgen im Gedächtnis. Der Hamburger kann überall auf die Vernichtung seiner Stadt treffen, wer in einem der vielen Quartiere lebt, die vollkommen ausgelöscht wurden, stößt darauf selbst im Alltag, zum Beispiel wenn er in der aus Trümmersteinen errichteten Wohnung einen Dübel in die Wand bringen will und entweder schon beim Ansetzen des Bohrers einen Krater hervorruft oder kaum drei Millimeter hineinkommt, wenn das W-LAN des Spitzenrouters nach zwei Wänden einen Repeater braucht und sich die Frage stellt, was in diesen Mauern eigentlich enthalten ist.

Legitimation einer Strategie

„There are a lot of people, who say that bombing can never win a war. Well, my answer to that is, that it has never been tried yet and we shall see.” sagt Arthur Harris. Das war sein Auftrag, es wurde seine Mission und am Ende seine Obsession. Um den Luftkrieg zu verstehen, muss man mit Douhet anfangen. Giulio Douhet war ein italienischer Luftwaffengeneral der Zwischenkriegszeit, beeindruckt von den deutschen Luftangriffen auf London im ersten Weltkrieg und den alliierten Gegenideen, postulierte er, künftige Kriege würden aus der Luft entschieden, allein damit, dass riesige Bomberflotten die feindlichen Städte auslöschten und den Gegner damit zur Kapitulation zwängen. Ein Visionär des Schreckens, der bereits 1930 starb und seine Verwirklichung nie erlebte.

Alle Seiten des Krieges verstanden sich als seine Schüler. Die Deutschen begannen den Krieg auf diese Weise, um 04:30 Uhr am 01. September 1939 auf eine polnische Kleinstadt namens Wieluń, militärisch wertlos auf eine schlafende Zivilbevölkerung mit weit über 1000 Toten. Ein bis dahin beispielloses Kriegsverbrechen, es geschah im Frieden ohne Kriegserklärung. Über Warschau lässt sich streiten, Rotterdam war ein zwar ein irrtümlicher, schon abgesagter Angriff, aber im Ursprungsbefehl exakt als „moral bombing“ geplant, “kapituliert ihr Niederländer nicht, dann äschern wir die Stadt ein”. Mit den ersten Angriffen auf London hatte die deutsche Seite sich für den Versuch entschieden, im Westen Douhet zu realisieren. Ein ganzes Land sang den überaus populären Schlager von den Bomben auf Engelland. Es misslang, weil die Ressourcen große Flotten viermotoriger Bomber nicht zuließen, scheiterte vor allem aber, weil die englische Zivilbevölkerung sich nicht demoralisieren ließ. 50.000 zivile Tote kostete der nur neunmonatige Versuch, England durch vernichtende, rein auf zivile Ziele gerichtete Luftangriffe mit unzureichenden Flugzeugen zum Frieden zu zwingen. Danach wurden die deutschen Bomber im Osten gebraucht. Die Umsetzung der Theorie vom alles entscheidenden Bombenkrieg wurde von der deutschen Seite als Mittel der Kriegsführung eingeführt. Am Vorabend der Schlacht, ohne jede taktische Bedeutung, wegen der die Eroberung behindernden Trümmer sogar kontraproduktiv, war der Terrorangriff auf Stalingrad am 23.08.1942 mit wahrscheinlich 50.000 Toten der verheerendste in Europa. Der Versuch von Arthur Harris, zu beweisen, dass Douhet funktioniert, war schon deshalb legitim.

Der Krieg der Alliierten aber war ein Krieg gegen einen bis dahin nicht gekannten Feind der Menschheit, der ihn als Vernichtungskrieg zur Versklavung der Völker Osteuropas führte, mit Massenerschießungen an der polnischen Führungsschicht begann, im Entwurf des Russlandkrieges die Ermordung vom 30 Millionen Einwohnern vorsah, was nur an der Niederlage vor Moskau scheiterte, der die 11 Millionen Juden Europas, die mit dem Krieg überhaupt nichts zu tun hatten, systematisch zu ermorden trachtete und 6 Millionen hinschlachtete. Mord, Versklavung und Raub war deutsches Kriegsziel und deutsche Kriegsmethode. Nicht nur Adolf Hitler führte diesen Krieg, es war das gesamte deutsche Volk, von den Möbeln der Deportierten, den Jobs als Herrenmenschen bei der Verwaltung Osteuropas, der Ausplünderung der besetzten Gebiete, bis zur aktiven Mordteilnahme. Deutschland hatte jedes vorstellbare und unvorstellbare Kriegsverbrechen bis 1942 begangen, sich außerhalb eines zivilisatorischen Minimums bewusst begeben, jedes Anrecht darauf verloren, sich auf irgendein Kriegsrecht zu berufen.

Windows oder Perfektion einer Vorbereitung

Arthur Harris wurde im Februar 1942 mit dem Kommando über die Bomber betraut, gleichzeitig mit der Area Bombing Directive, der Anweisung zum Flächenbombardement. Eine neue Strategie hatte den dafür besten Mann an die Spitze gesetzt, der sogleich damit begann, die Ziele in die Praxis umzusetzen. Die ersten Experimente trafen Lübeck und Rostock. Schon für den ersten sogenannten 1000 Bomber Angriff war als Ziel Hamburg vorgesehen, das schlechtes Wetter führte zur Änderung. Die Großangriffe begannen über Köln.

Das Bomber Command lernte, verfeinerte das Vorgehen. Um den Besatzungen die Orientierung am Ziel zu ermöglichen, wurden die Pfadfinderverbände geschaffen. Besonders erfahrene Piloten flogen den Verbänden voraus, sie warfen Leuchtbomben ab, im Volksmund bald Christbäume genannt, markierten das Ziel weithin sichtbar. Bereits die Experimentalangriffe auf Lübeck und Rostock hatten gezeigt, dass keine Angriffswirkung so durchschlagend wie das Feuer ist. Um dies auch auf Städte ohne historische Stadtkerne zu übertragen, wurde eine spezielle Bombenmischung entwickelt. Es begann mit den Luftminen, gewaltigen Sprengbomben, die Häuserblöcke zerstören konnten, vor allem in ganzen Straßenzügen die Dächer von den Gebäuden fegen, damit dann die Stabbrandbomben hineinregneten. Diese kleinen, kaum einen halben Meter langen Stäbe enthielten ein Benzolgemisch, das eine 15 Minuten brennende Stichflamme zu entzünden vermochte, sie waren vergleichsweise einfach zu löschen, selbst eine Patsche genügte. Ihr Geheimnis bestand im hunderttausendfachen Abwurf in die offenen Dächer, dazu Phosphorbomben und zwischendurch Sprengbomben, um die Feuerwehr in den Bunkern zu halten.

In Casablanca beschlossen Churchill, Roosevelt und ihre Spitzenmilitärs die Point Blanc genannte Gesamtkonzeption der amerikanischen Tagesangriffe auf Punktziele und der britischen nächtlichen Bombardierungen. Da eine Invasion vorerst nicht möglich war, sollte die Sowjetunion mit einer Offensive aus der Luft entlastet werden. Tatsächlich bestand die Einigung mehr in der Theorie, weiterhin waren beide Verbündeten von der Richtigkeit ihrer jeweiligen Idee überzeugt und beschränkten die Gemeinsamkeiten auf das unbedingt Notwendige, zumal die 8. USAAF erst im Aufbau war, während das Bomber Command seinen Höhepunkt erreichte, dazu stand jetzt ein Flugzeug zur Verfügung, das wie kein anderes das Folgende repräsentieren sollte – die Avro Lancaster.

Die deutschen Gegenmaßnahmen hielten technisch mit. Eine Kette Würzburggeräte genannter Radaranlagen entlang der Küsten warnte früh, Deutschland wurde in kleine Regionen unterteilt, in denen jeweils eine Leitstelle einen Nachtjäger an einen Bomber führte, was man Himmelbettverfahren nannte, effektiv, aber starr. Die Nachtjäger waren bestausgebildete Blindflugspezialisten, die der RAF schon zu dieser Zeit große Verluste zuzufügen in der Lage waren. Der gewaltige Schlag, in dem Harris all seine Erfahrungen zusammenzufassen gedachte, bedurfte weiterer besonderer Zutaten.

Der Bomberstrom war die erste Entwicklung. Bisher flogen die Bomber weitläufig auseinander gezogen ihre Ziele an. Die Briten hatten das Verfahren der Nachtjagd durchschaut und konterten es, indem sie nun ihre Bomber zusammengefasst hintereinander fliegen ließen, nicht so eng wie bei Tagesangriffen, das Himmelbettverfahren, auf einsame Bomber ausgerichtet, konnte jedoch nicht mehr funktionieren.

Das große Geheimnis hieß Windows, der Tarnbegriff für Stanniolstreifen, die dem Radar die Bilder von fliegenden Objekten vortäuschen konnten und damit die Abwehr erblinden ließen. Ohne voneinander zu wissen, hatten Deutsche wie Briten das schon zu Kriegsanfang erkannt, Düppelstreifen war die deutsche Bezeichnung. In der Sorge, dem Kriegsgegner das Geheimnis zu verraten wurde beiderseits jede Anwendung verboten. Die Deutschen untersagten sogar jede Forschung an Gegenmaßnahmen, um den Kreis der Wissenden so klein wie möglich zu halten. Bereits am 28. Februar 1942 gelang es einem Kommandounternehmen eine Würzburg Radaranlage an der französischen Küste fast vollständig zu demontieren, ein überzeugter Nazifeind, Oberleutnant Schmitt vom NJG (Nachtjagdgeschwader) 3 flog am 9. Mai 1943 mit seinem Ju 88 Nachtjäger samt Liechtensteingerät, des neuesten Bordradars, nach England. Nun ließ sich das Stanniol genau auf die Radarfrequenzen abgestimmt zuschneiden.

Den dritten entscheidenden Faktor konnte Harris nicht beeinflussen. Einen Sommer, wie er nur selten vorkommt. Der gesamte Juli in Hamburg kannte nur Sonnenschein und Temperaturen zwischen 28° und 34°. Der Boden war aufgeheizt und ausgetrocknet.

Gomorrha nannte der Luftmarschall mit grimmigem Sinn für die biblische Parallele das Unternehmen. Der Ort des unsagbar Bösen, vernichtet durch das Feuer vom Himmel.

Operation Gomorrha

791 Bomber flogen am 24.07. über die Nordsee an, drehten bei Helgoland auf Hamburg. Don Bennet, Gründer und Kommandeur der Pfadfinderverbände führte selbst. Die Nikolaikirche, der höchste Turm Hamburgs, war das Ziel. Als die Stanniolstreifen herausgeworfen wurden, bildeten sie Wolken im Radar, 12.000 Bomber, die sich kaum bewegten, zeigten die Geräte an, die Höhen nicht erkennbar. Die Leitstellen waren hilflos. Die Nachtjäger fanden nicht zu ihren Zielen, Flak und Scheinwerfer bekamen keine Daten, sie schossen blindes Sperrfeuer. Die Pfadfinder trafen dennoch nicht präzise wie geplant. Ihre Markierungen fielen in verschiedene Quartiere des Hamburger Westens, Teile von Altona, St. Pauli, Eimsbüttel und der Innenstadt gingen in Flammen auf. Die Wucht allein aber war derart stark, dass die Feuer den folgenden Morgen verdunkelten und erstmals nicht bis zum Abend zu löschen waren. Aus den glühenden Kellern flüchteten die Menschen auf die brennenden Straßen, ein Angriff wie die vorgehenden auf Köln, nur schätzen kann man die Totenzahlen, sie lagen bei etwa 1500, der Feuersturm wenige Tage danach machte genaue Zählungen unmöglich. 12 Bomber verlor die RAF, Windows hatte sich bewährt. Hamburg war schwer getroffen.

Im Sinne der gemeinsamen Strategie beteiligten sich am Folgetag auch die Amerikaner. Es waren nur 110 bis 150, die einen Zielangriff auf den Hafen führten. Der erste Großeinsatz der 8. USAAF unter ihrem Kommandeur Ira Eaker. Die Fliegenden Festungen machten die böse Erfahrung, dass sie keine Festungen waren, dem entschlossenen Angriff der Tagjäger nicht standhalten konnten. Die Kampfgruppe 379 verlor 15 Maschinen, zahllose kamen beschädigt zurück, zum nächsten Angriff mussten andere antreten, die Luftwaffe büßte lediglich 6 Jäger ein. Aber sie zeigten auch die Überlegenheit der amerikanischen Vorgehensweise, die Beschädigungen im Hafen waren trotz der Rauchsäule, die das Zielen behinderte, verheerend. Die Kapazität der Werften, der U-Bootproduktion wurde nachhaltig eingeschränkt.

Harris gab der Stadt Zeit, auch am nächsten Tag gab es eine amerikanische Bombardierung des Hafens, diesmal nur ungefähr 80 Bomber. Der dritte Angriff ein Störangriff, während die Lancaster auf Essen zielten, warfen sechs Mosquito Schnellbomber Sprengbomben in der Nacht zum 27.07. auf Harburg, ohne Menschenverluste.

Es ist die Nacht vor 75 Jahren, vom 27. auf den 28. Juli 1943, die in die Geschichte des 2. Weltkriegs und in die Stadtchronik Hamburgs eingehen wird. Die Folgen der vorhergehenden Bombennächte hatten die Stadt über die Sommerhitze hinaus aufgeheizt. 739 Bomber konnte Harris einsetzen, nur 17 wird er verlieren. Der Zielpunkt war wieder der Nikolaiturm, der Anflug erfolgte über die östlichen Stadtbezirke. Diesmal lagen die Zielmarkierungen enger, die Bombardierung begann um 0:55 mit einer Heftigkeit, die selbst erfahrenen Feuerwehrleuten unbekannt war. Es funktionierte alles, die engen Wohnblocks fingen schnell Feuer, es entzündete sich der Feuersturm. Schon durch die Aufheizung des Wetters stieg die Luft schnell auf, die Wolkenschichten durch die vorherigen Feuer verlangsamten die Abkühlung und ließen den Luftstrom sehr hoch steigen, die Brände am Boden, die sich zügig zu einem einzigen Flammenherd vereinigten, verbrauchten den Sauerstoff, frische Luft wurde in die Brandgebiete eingesogen, wie in einem Kamin auf der einen Seite stieg die heiße Luft nach oben, wie ein Sauger zogen an den Seiten die brennenden Stadtteile den Sauerstoff wieder hinein, wilde Feuerorkane, deren Geschwindigkeiten, die denen von Taifunen geglichen haben sollen, rissen alles mit sich, verbrannten die, die sie trafen, im Nu zu Asche. Feuerwirbel tanzten durch die Straßen, ein niemals gekanntes Inferno, auch für jene, denen das Phänomen des Feuersturms nicht neu war. Die Bewohner hatten die Wahl in den Kellern, deren Mauern zu glühen begannen, gebacken zu werden oder in den Feuersturm hinein zu fliehen. Das Volk des Vernichtungskrieges verbrannte in seinen Kellern, Häusern und Straßen. Die Ambivalenz des Ganzen schildert niemand so eindrucksvoll wie Wolf Biermann, dessen Vater zur selben Zeit in Auschwitz ermordet wurde, der auf den Schultern seiner Mutter durch den Kanal in Hammerbrook getragen wurde, nachdem er gesehen hatte, wie andere im weich gewordenen Asphalt stecken blieben und den Hitzetod starben.

Nichts war mehr wie zuvor, kein Notfallszenario darauf eingerichtet. Die Hilfskräfte und ihre Stäbe waren zum Teil selber tot, die Räumung der Stadt wurde angeordnet. Die Moorweide wurde Sammelpunkt, ein böser Sarkasmus der Geschichte, denn im vorherigen Jahr waren hier die Juden Hamburgs zusammengetrieben worden, um sie zu den Mordplätzen zu verbringen, nach Lodz, nach Minsk, nach Auschwitz. Der Luftkrieg war eine bittere, überlegte und kalkulierte Kriegsstrategie, doch das schlechte Gewissen seiner Opfer ließ diese in großer Anzahl daran denken, dass es die gerechte Vergeltung gewesen sein könnte. Zwischen 30.000 und 35.000 starben in jener Nacht, genauer wird es nicht zu beziffern sein, Hans Brunswig, der als Hauptmann der Feuerwehr dabei war und der lakonische Chronist wurde, schätzte knapp 35.000, gesamt für die Gomorrha-Operation etwa 37.000 bis 38.000.

Der sechste Angriff traf Barmbek, 29./30. Juli. Noch enger legten die Pfadfinder die Leuchtmale, die Zerstörung des Feuersturms wiederholte sich nahezu, aber die Zahl der Verluste lag eher bei 1000, die meisten Bewohner waren am Vortag geflohen, was die Feuerentwicklung förderte, weil der Selbstschutz nicht mehr vorhanden war. Im Bunker des völlig zerstörten Kaufhauses Karstadt ersticken 370, die dort Schutz gesucht hatten, weil sich im Kohlenkeller die Vorräte entzündeten. Die unversehrten Leichen, die wie eingeschlafen ausgesehen haben sollen, hinterließen auf die Überlebenden mitten im Chaos einen besonderen Eindruck. Ein kleines Denkmal am Mundsburg erinnert daran.

Das Finale war wie aus der Hexenküche, die Wolken des Feuersturms regneten sich in wilden Gewittern ab, als in der Nacht zum dritten August die RAF zum Abschluss startete. 35 ihrer Flugzeuge gingen verloren, die Orientierung war kaum möglich, die Wolken verdeckten die Zielmarkierungen, vielen Bomben fielen auf die Wiesen im Umland. Fast 10.000t Bomben waren geworfen worden, die errechnete Zielmenge für die Ausschaltung einer Stadt.

Konsequenzen und Scheitern

Hamburg traf das Nazireich in einer erschütternden Gesamtlage. Die Alliierten waren auf Sizilien gelandet, Mussolinis Absetzung lag in diesen Tagen, bei Orel brach die sowjetische Gegenoffensive los. Nie in der Geschichte war bis dahin eine Millionenstadt und Industriezentrum vollständig ausgeschaltet worden. Hamburg kann in der Tat als der größte Erfolg des englischen Luftkrieges bezeichnet werden. Es war die Moral der Naziführung, die das erste und wohl auch einzige Mal ins Wanken geriet. Vom verlorenen Krieg wurde ungeniert gesprochen, Speer erklärte, noch vier oder fünf solcher Städtevernichtungen und die Kapitulation wäre unvermeidlich. Nachdem es nicht einmal drei Wochen danach dem Bomberkommando gelungen war, die Raketenversuchsanlage in Peenemünde zu zerstören, beging der Generalstabschef der Luftwaffe, ein treuer Nazi, Selbstmord. Harris, der glaubte, die Invasion vermeiden zu können und nur aus der Luft den Krieg zu gewinnen, war seinem Ziel niemals so nahe, wie in jenen Monaten.

Aber jedem Höhepunkt folgt der Abstieg. Harris hatte drei Dinge falsch eingeschätzt. Die vernichtenden Schläge demoralisierten die Bevölkerung nicht, sie schweißten auch nicht zusammen. Es war eine dritte Reaktion, die Apathie, das nur auf das nächste Überleben gerichtete Handeln. Zudem waren die Ausgebombten auf die Hilfsorganisationen der Nazipartei auf Gedeih und Verderb angewiesen, abhängig. Es gab kein Potential für eine Auflehnung. Zum anderen vermag ein Regime der absoluten Unmenschlichkeit Kräfte zu entfalten, die der Zivilisation fremd sind. Es trieb die KZ Gefangenen zum Entschärfen der Blindgänger, Räumen der Straßen, Abriss der einsturzgefährdeten Ruinen, Bergen der Brandleichen und Anlegen der Massengräber, zur Reparatur der Fabriken, mehr als 15.000 wurden insgesamt eingesetzt, weit mehr als 3.000 starben. Von den Evakuierten kamen viele wieder, die sich in Ruinen, Kellern und provisorischen Hütten einrichteten. Hammerbrook, der am schlimmsten betroffene Stadtteil wurde Sperrgebiet, mit einer Mauer umgeben. Bis in die 90er Jahre dauerte es, bevor hier wieder ein Stadtbild erkennbar wurde. Am Ende des Jahres 1943 war 80% der Industrieproduktion wieder erreicht.

Der größte Fehler des Luftmarschalls war sein unbeirrter Glaube, von nun an Hamburg und die Operation Gomorrha wiederholen zu können. Er übersah dabei die eigene perfekte Vorbereitung, die diesen einen Schlag ermöglichte und unterschätzte die ausgeschaltete deutsche Verteidigung. Sie konnte sich durch ihn aus ihrem starren Denken lösen und reagierte ungeheuer schnell. Waren es erst unter dem Namen Wilde Sau bekannt gewordene Tagjäger, die im Licht der Scheinwerfer während der Bombardierungen trotz Flakfeuer Ziele suchten, wurde zügig ein hochprofessionelles Verfahren entwickelt. Die durch die Stanniolwolken ankündigten Bombergeschwader wurden vom Bodenradar erfasst, die Jäger hingeführt, damit sie mit Bordradar selber die Ziele suchten. Windows ließ sich durch Frequenzänderungen darüber hinaus entschärfen, die Flak hatte wieder Koordinaten. Die britischen Verluste erreichten schwer erträgliche Höhen. Harris, der über Berlin den Krieg beenden wollte, musste erkennen, dass dies bei anderem Wetter, stärker werdender Verteidigung und breiten Alleen unmöglich war. Gewaltige Zerstörungen ja, der Feuersturm aber war nicht zu wiederholen. Am 30. März 1944 verlor er beim Nürnberg Raid 106 Bomber, 545 Mann, mehr als die RAF in der gesamten Luftschlacht um England.

Auch die amerikanischen Verluste steigerten sich, bis sie bei Schweinfurt und Regensburg Größen erreichten, dass eine Pause eingelegt werden musste. Aber die USAAF zog Konsequenzen. Ein Langstreckenjäger, der die Bomber bis an ihre Ziele begleiten konnte, wurde entwickelt, in solchen Massen produziert, dass die Luftwaffe keine Chance hatte. Die deutsche Tagjagd starb zwischen April und Juni 1944. Harris musste sich widerwillig nach Nürnberg bis zum Herbst an der Ausschaltung der französischen Infrastruktur beteiligen, die maßgeblich für den Erfolg der Invasion war.

Harris kannte nichts, als immer wieder dasselbe zu versuchen. Der Bombenkrieg wurde zur Geschichte eines immer verbissener an seiner Idee festhaltenden Mannes und seiner tapferen Flieger, die den ungeheuren Blutzoll von 55.000 Gefallenen zahlten, ohne dass dies nachhaltig die deutsche Kriegsführung schädigte. Der Krieg wurde tatsächlich aus der Luft gewonnen, von den Amerikanern mit ihren gezielten Angriffen auf die Rüstungsindustrie, die Infrastruktur und vor allem die Hydrierwerke, was den Deutschen zeitgleich mit der Eroberung der rumänischen Ölfelder den Treibstoff ausgehen ließ. Alle Versuche Harris darin einzubeziehen, scheiterten. Starr hielt er an seinem Projekt fest, verweigerte sich dem Eingeständnis des Irrtums, der bedeutet hätte, zu realisieren, seine Flieger erfolglos dem einsamen Tod am nächtlichen Himmel ausgeliefert zu haben. Erst bei Kriegsende gelangen wieder Feuerstürme, die Deutschen hatten ihre Radaranlagen an den Küsten verloren, die Nachtjäger kein Benzin mehr. Dresden, Würzburg und vor allem Pforzheim wurden mit voller Berechtigung der Vernichtung anheimgegeben, um den Deutschen, die verbrecherisch den sinnlosen Krieg weiterführten, zu zeigen, dass sie kapitulieren müssen. Sie allein verantworten die Toten, denn sie hörten auch jetzt nicht auf.

Ironie der Geschichte, Douhet behielt doch Recht. Die Amerikaner, deren strategischer Luftkrieg in Europa ihn widerlegte, waren es, die über Japan mit Hilfe der Atombombe den Krieg aus der Luft gegen Städte zum Erfolg führten. Es bedurfte nur ganz anderer Waffen als Harris sie hatte und Douhet sie sich vorstellen konnte.