Kurzfilmtage Oberhausen 2008, ein Ausschnitt: Die 68er, die 89er und das geneigte Publikum

Die 54. Oberhausener Kurzfilmtage bringen auch in diesem Jahr durch ihre Panels, Wettbewerbe und kuratierten Filmreihen wieder Fragen aller Art auf den Tisch: Wohin geht es mit dem Kurzfilm? Wie erreicht man ein Publikum? Wozu eigentlich Kritiken? Und: Was sind eigentlich Musikvideos? Ein Erlebnisbericht.

Heraus zum 2. Mai! Freundlicher Empfang am Meldebüro, studentisches Viertelstündchen genau eingehalten zum Podium am Morgen: „Ist Kritik noch zeitgemäß?“ fragt Michael Girke Teilnehmer und Gäste und bringt damit bereits ein Thema des Tages auf den Tisch. Die Old School Vertreter der Kritischen Theorie auf dem Podium (Heide Schlüpmann und Klaus Kreimeier) geben bei diesem Generationentreffen daraufhin immer wieder gerne den Rahmen vor, an dem sich die „Poplinke“ (Kerstin Grether und Jörg Heiser) dann abarbeiten darf. Fast wie im richtigen Leben. Die jüngere Generation vermisst an der Frankfurter Schule Empathie und Affirmation, die ältere vermisst an der „Hamburger Schule“ offensichtlich … Erfolge. Ist der Marsch durch die Institutionen also auch in den Medien gelungen? Das Feuilleton in Deutschland gar eine Bastion der Aufklärung? „Warum verdient man dann nur bei den rechts-konservativen gut?“ fragt die Digitale Boheme. Der Berufsrevolutionär von damals schweigt wissend, fast mitleidig.

Und? Ist Kritik (als Kritik) jetzt nicht mehr zeitgemäß? Später am Abend wird das Thema noch einmal aufgerollt, dann international gehalten unter dem Titel „Embedded Criticism“ und unter Berücksichtigung verschiedenster Formen von Presseunfreiheit in Europa und Amerika. But: Does the audience care? Die eigentlichen Akteure der diesjährigen Kurzfilmtage, die Kurateure und Programmchefs, muten dem Publikum im Wissen um die großartigen kreativen Möglichkeiten des Festivals jedenfalls einiges zu – auch wissend dass immer jemand mithört und zweckentfremden wird, was vielleicht einmal emanzipatorisch und aufklärerisch war (und weiterhin hier und da auch noch ist).

Ungleichzeitigkeit, auch ein Thema bei der Reihe „Wessen Geschichte?“, die z.B. Alexander Kluge mit minimalistischem Dekonstruktivismus der letzten Jahre koppelt und den Kampf gegen das Mainstreamkino zum Kampf um die Köpfe der Menschen macht. „Warum gibt es kaum eine vernünftige Geschichtstheorie?“ fragt Ian White in seinem Katalogsessay und zeigt Instrumentalisierungen von Darstellern, Filmmaterial und natürlich jedes Mal auch realen Personen im Wandel der Zeiten. Ein Diskutant kritisiert, man könne die heutige Generation nicht mehr mit Anti-Atomkraft-Idylle und Black Power füttern, da diese Codes inzwischen entwertet seien und nur weiter diskreditiert würden. (Tatsächlich hatte es viele zynische Lacher im Publikum gegeben.) Der Kurator verweist sinngemäß darauf, dass sozusagen ein wenig Empathie und Affirmation … usw. Natürlich geht es aber bei weitem nicht nur um Formen von Dokumentation und Inszenierung, sondern auch um Montage, (Selbst-)Entlarvung, Reduzierung, Annektion und andere Techniken, die das Publikum nicht nur als Konsumenten zu behandeln suchen. Und das gelingt Ian White tatsächlich hervorragend in seiner Reihe, einer Fortsetzung des „Kinomuseums“ vom letzten Jahr.

Nochmal Stichwort „Publikum“: Als Magnet für dieses gelten bei den Kurzfilmtagen die Musikvideos beim MUVI Award. Doch was ist ein Musikvideo? Ergibt es sich, wenn man zu einer vorher bestehenden Filmidee verfügbares Musikmaterial einer halbwegs bekannten Band hinzufügt? Oder spielt gutes Handwerk eine Rolle? Eher, denn das reicht für Platz drei. Das Infragestellen der Kategorie „Bestes Deutsches Musikvideo“ durch einen Film gleichen Namens mit hinzugefügter Musik und etwas Performance? Immerhin Platz zwei. Das im Grunde einzige originäre Musikvideo von Simone Gilges für „Ich bin der Stricherjunge“ von Stereo Total gewinnt nach heftigeren Diskussionen als je zuvor. Auch hier sehr wichtig: Empathie für die Band, das Sujet, den Song.

Welchen Sinn haben also Kategorien? Kann man in jedem Fortschritt den Fortschritt auch sehen? Und wie politisch kann der Film von heute sein und Fehler von gestern und morgen verhindern? Diese Fragen werden ständig und auf viele Arten auch in diesem Jahr neu gestellt, so noch bis Dienstag in weiteren empfehlenswerten Reihen und Diskussionen. Eine umfangreiche Materialsammlung findet sich auf kurzfilmtage.de, der Blogger Ihres Vertrauens wird seine Eindrücke am Mittwoch in einem zweiten Teil noch einmal zusammenfassen.

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 5 (2)

?: Man ist ja heutzutage auch immer sofort im Markt und es gibt direkt Konkurrenz in der sogenannten Off-Szene. Da ist man dann selten noch im Clinch mit der Stadtverwaltung,  dafür hat man jetzt die Kulturhauptstadt, zu der man sich verhalten muss…

!:
Ich versuche eher meine eigenen Sachen zu machen mit ein paar weiteren Leuten, dann ist auch klar dass das inhaltlich in Ordnung ist. Ich arbeite gerne mit vielen Leuten zusammen, aber nicht zwingend mit Institutionen. Ich weiß selbst recht gut wie ich meine Bereiche abdecken kann, aufgrund meiner Erfahrungen, dafür brauche ich nicht unbedingt Hilfe von der Kommune oder anderen. Schön wäre es, aber es muss eben auch ohne gehen. Ich hatte z.B. für Ruhr.2010 kein Projekt abgegeben, weil ich da einfach zuviel zu tun hatte. Ich fand damals die Idee ja sehr gut, dass mal klar wird dass in der Region viel Potenzial steckt, bis ich gemerkt habe, dass bei der Idee „Kulturhauptstadt“ ein bisschen etwas anderes angesteuert wird. Auf einmal kamen dann Leute in meine Stadt, fragten alle möglichen kulturell Aktiven aus, und sonst passierte nicht viel. Man erzählte denen also was hier passiert, das auch gerne, aber ich bin ehrlich gesagt froh, dass ich denen keine Ideen geschenkt habe – und das geht ja im Grunde auch gar nicht. Ohne Hintergrund-Infos sind gewisse Arbeiten schon von vornherein zum Scheitern verurteilt. Irgendwie nervt es mittlerweile auch, dass alle über Kultur quatschen aber inhaltlich viel zu wenig passiert. Und da habe ich dann in letzter Zeit eher mal überlegt, aus dieser Situation und dieser Stadt weg und dahin zu gehen, wo wirklich etwas passiert und nicht mehr nur plötzlich alle darüber reden.

?: Das hat natürlich auch mit der speziellen Struktur zu tun, dass das hier im Grunde eine große alte Arbeitersiedlung ist, die eben keine gewachsene Stadt ist, strukturell wie historisch.

!: Ja, denn es gibt hier etwas sehr Eigenes, was ich auch sehr mag. Die Leute hier haben halt eine große Schnauze und sind wie sie sind. Und darin ist eine ganze Menge an eigener Vielfalt zu finden. Das hat auch was ehrliches. Nichts gegen gut aufgezogene Kampagnen und Großprojekte, aber es geht halt um Inhalte. Ich kenne das aus Holland, dass da gute Leute ihr eigenes Konzept verwirklichen, und dann kommt die Stadt und fragt, ob man das nicht in einer ihrer leeren Hallen durchführen kann. Oder dass Freunden von mir leer stehende Ladenlokale angeboten werden. Ein Gebäude wurde dann auch irgendwann angemietet. Das ist so ziemlich das Gegenteil von Ausschreibungen und Wettbewerben. So etwas mache ich im Grunde grundsätzlich nicht. Wie gesagt, da laufen auch gerade Klagen wegen Ideenklau.

?: Klingt ja fast als würde genau die Situation ausgenutzt, dass die Kommune sich nicht kümmert…

!: Ich habe dann mal nachgefragt, was daraus wurde dass ich mal bei Ruhr.2010 vorbei bin um denen ein paar Infos zu unseren Arbeiten und Vorgehensweisen zu geben. Im Nachhinein  hieß es „Das habe ich dem Dieter ganz genau erzählt.“ Und ich sagte: „Das kann ich mir gut vorstellen, dass Du das dem Dieter ganz genau erzählt hast. Und sonst?“ Da fragt man sich schon, was da mit den Ideen und Namen passiert, die man denen anvertraut hat. Wobei die das eh nicht so hinbekommen würden, wie wenn etwas aus einer Subkultur heraus passiert. Bei meiner derzeitigen Arbeit für „Crayfish“ von Sami Akika am Rheinischen Landestheater in Neuss hat der Regisseur zumindest Leute aus den einzelnen Sub-Szenen heraus geholt und arbeitet mit denen gemeinsam an der Produktion. Auf dem Level klappt das dann wieder. Lustig war auch als einer vom Theater angerufen hat und sich darüber beschwerte, dass nur Wahrzeichen aus dem Ruhrgebiet und nichts aus der Stadt Neuss im Bühnenbild vorkommt – obwohl es in einer Szene des Stücks um einen HipHopper aus Wanne-Eickel geht. Nach ein paar Erklärungen hat er das dann auch eingesehen und hat auch nichts mehr gegen meine Zechen- und Industrielandschaft (Illustration) gesagt.

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 4: Bahnhof Langendreer (2)

?: Kommt eigentlich irgendwann das Feindbild abhanden? Man sendet ja nach ganz weit draußen plötzlich und kann plötzlich mit der Stadt. Man repräsentiert etwas. Und im Tagesgeschäft stellt sich ja auch nicht zwingend die Frage nach dem politischen System in Deutschland. Wie bleibt man den Inhalten treu in einer irgendwann vielleicht doch etwas anderen Zeit? Oder wird das dann irgendwann corporate identity, so á la: „Wenn wir das täten, das wäre dann nicht mehr der Bahnhof“?

!: Es gibt ständige Reflektion. Wir diskutieren teilweise heute noch im kompletten Team Grundsatzentscheidungen, Personaldinge, auch einzelne Veranstaltungen. Ansonsten läuft vieles schlicht in der Praxis, in den Schwerpunkten Kabarett, Weltmusik, Neue Musik, Jazz, Kindertheater, Kino, Politik. Und das dritte ist, dass sich hier immer noch ganz viele Initiativen treffen. Die Gastronomie im Kneipenbereich ist verpachtet an Leute, die früher hier am Tresen gearbeitet haben, die anderen Bereiche machen wir selbst, wofür es insgesamt 14 Stellen gibt. Konsens ist, dass der Bahnhof ohne einen dieser Bereiche nicht der Bahnhof wäre. Und dann gibt es eine Jahresplanung, jetzt zum Beispiel mit der Reihe „60 Jahre DDR“. Falls da jemand dagegen aufstehen würde, dann wäre z.B. die Autonomie des Bearbeiters „Politik“ aufgehoben.

?: Und das Feedback von außen?

!: Die Szene kritisiert uns – wenn überhaupt – derzeit eher auf einem Niveau von „Kommerz“, „unpolitisch“, „nicht mehr der Revolution verpflichtet“. Oder Fragen wie: „Wie kann man hier Die Kassierer spielen lassen?“ Das Kino ist da meist außen vor, und man ist generell einer größeren Breite verpflichtet. Da kommen die Themen, die wir hier intern für konstitutionell halten, aber auch vor, wie der Nord-Süd-Konflikt und hiesige Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.

?: Man kümmert sich also mehr. Wie sieht das aus und wie war das eigentlich mit dem Wageni gegenüber?

!: Das war 1986 das Baubüro, in dem man sich traf. Als dann keine Verwendung mehr dafür war, haben wir das weiter gegeben an Leute die gefragt haben und Volxküche und Punkkonzerte und so etwas gemacht haben und machen. Was das Engagement im Stadtteil betrifft findet das nicht im Hause statt, bis auf die Dorfpostille, eine Stadtteilzeitung die hier entstanden ist, eine Spielgruppe und eine Frauengruppe, die einmal in der Woche Frühstück macht. Schwerpunkt ist beispielsweise nicht, hier eine soziale Beratung zu machen. Das ist nicht die Zielsetzung. Wir kümmern uns eher um Themensetzungen. Und da strahlen die Kulturveranstaltungen halt viel weiter als das Kinoprogramm oder erst recht die politischen Veranstaltungen.

?: Der Bahnhof ist ja generell globaler und vielschichtiger aufgestellt als vergleichbare Häuser. Wie beisst sich das mit dem derzeitigen offiziellen Verständnis von Metropolentum und Leuchtturm-Debatten im aktuellen Kulturdiskurs? Man hat ja oft den Eindruck, dass mit der Aura dieser gewachsenen Zentren Werbung gemacht wird für Standorte, in denen sich dann letztlich höchstens Agenturen und Webdesigner ansiedeln.

!: Grundsätzlich gilt: Wenn es denn schon eine „Metropole Ruhr“ gibt, dann auch, weil es Zentren wie den Bahnhof, das GREND oder den Ringlokschuppen gibt! Solche locations gehören zwingend zur Urbanität einer Region wie dem Ruhrgebiet dazu, erhöhen für Einheimische und Externe die Attraktivität und Lebensqualität. Vieles, was heute im Ruhrgebiet als Touristenattraktion gilt, gäbe es nicht mehr, wenn es die freie Szene nicht gegeben hätte. Ein Beispiel: Die Jahrhunderthalle in Bochum, heute der bekannteste Spielort der Triennale, wurde zuerst vom Thealozzi und dem stahlhausen enterprise theatral bespielt. Da haben wir einiges zum Bewusstseinswandel beigetragen!
Dann: Soziokulturelle Arbeitsweisen haben sich auch in den großen Institutionen durchgesetzt. Welches Museum kommt heute noch ohne vermittelnde, kulturpädagogische Angebote aus, oder welches Theater ohne „junges Theater“ oder Jugendclub? Weiter: KünstlerInnen, die in den Zentren groß und bekannt geworden sind, bevölkern heute auch Fernsehsendungen, Konzerthäuser und und und.
Aber: Es gibt immer noch eine sehr hierarchische Wahrnehmung von künstlerischer Qualität durch Medien und auch die Politik. Es hat den Anschein, dass alles was in den großen Theatern, in den Konzerthäusern zur Aufführung kommt, gut und wichtig ist, während die Qualität der Freien und Soziokulturellen eher geringer geschätzt wird. Nicht zuletzt drückt sich das auch in barem Geld aus.

?: Kurz zurück zum System Bahnhof: Man hat ja manchmal den Verdacht, es könnte sich bei solchen ehemals besetzten Häusern und ähnlichem um so etwas wie Ein-Generationen-Projekte handeln…

!: Die Gefahr besteht. Ein großes Problem, das durchgängig viele vergleichbare Zentren haben, ist dass es sehr schwer fällt, Nachwuchs in die Teams zu integrieren. Das hat verschiedene Gründe: Die Gründergeneration waren in der Regel Autodidakten, ohne entsprechende passende Berufsausbildung, ursprünglich also tätigkeitsfremd, was einen Wechsel in andere Arbeitsbereiche schwer macht; wir haben außerdem auch aufgrund der hohen Identifikation der Mitarbeiter mit dem Haus eine sehr geringe Personalfluktuation und natürlich aus Geldmangel wenig Möglichkeiten, neue Stellen zu schaffen. Hier fehlt es eindeutig an tragfähigen Konzepten, um dieses Problem in den Griff zu bekommen. Der Bahnhof versucht z.B. mit der Schaffung von Arbeitsplätzen oder längerfristigen Praktikastellen hier ein wenig entgegenzuwirken. Aber es ist klar, das reicht noch nicht aus.

?: Abschließend: Wie geht es dem Bahnhof 2009, nach größeren Nöten Anfang des Jahrzehnts und dann dem Ausbau letztens mit dem Studio 108?

!: Wir haben teilweise deutliche Kapazitätsprobleme im Rahmen unserer wirtschaftlichen und inhaltlichen Notwendigkeiten und machen daher Veranstaltungen wie Herbert Knebel oder Dieter Nuhr auch in der Jahrhunderthalle, dem RuhrCongress oder auf der Freilichtbühne in Wattenscheid. Damit zollt man auch Tribut an ein verändertes Publikum, das klarer auswählt, ärmer geworden ist und deshalb auch weniger experimentierfreudig.
Ganz allgemein gilt auch, dass die Zahl der Kulturorte enorm angewachsen ist und noch weiter wächst: Allein in der unmittelbaren Nähe des Bahnhofs gibt es in den letzten Jahren neu das domicil und das Konzerthaus in Dortmund, das Zeltfestival Ruhr, demnächst das neue FZW in Dortmund, die Spielstätte der Symphoniker, die Marienkirche und das sogenannte Goosen-Theater in Bochum. Alle bemühen sich fast um das gleiche Publikum, d.h. die Gefahr besteht der Kuchen bleibt gleich groß, die Stücke werden kleiner. Hier gilt es, tatsächlich neue Publikumsschichten zu erschließen. Noch profitiert der Bahnhof von seinem Ruf, seinen Erfahrungen und Kompetenzen, aber wir können uns darauf nicht ausruhen, sondern müssen uns der Tatsache des wachsenden Angebotes stellen.

?: Besten Dank für das ausführliche Gespräch!

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 3: Druckluft in Oberhausen (2)

?: Und wie entscheidet man dann über die Vergabe von Räumen und Zeiten und die Inhalte?

!: Entscheidend sind dazu gar nicht mal die Strukturen, sondern die Tatsache, dass jeder Mitarbeiter verinnerlicht, was Anspruch und Konzept des Ladens ist. Junge Leute werden hier ernst genommen und können hier etwas umsetzen. Punkt. Insofern sehen wir uns auch als Dienstleister, als Ermöglicher. Denn so ein Konstrukt lebt natürlich vom Input, sogar von Reibereien und Konflikten zwischen den unterschiedlichen Nutzern. Das Engagement junger Leute ist aber auch nicht mehr so groß wie es vielleicht einmal vor zehn Jahren war. Da wollte man immer eher Druckluft als gesamtes machen, mittlerweile wird eher gezielt Druckluft aufgesucht, um bestimmte Sachen umzusetzen. Die engagierten Leute mit künstlerischem Ansatz haben ja nicht mehr nur ein Haus, auf dass sie sich konzentrieren. Und gesellschaftlich ist der Druck ja auch gestiegen, ältere Jugendliche sind Karriere orientierter. Da würde ich mir schon mehr Beteiligung und Engagement wünschen.

?: Gerade bei der Integration von einigen Jugendlichen fragt man sich ja oft was zuzulassen ist, von Sexismen über von rechts gefährdete bis hin zur Debatte wer was essen oder sonst wie zu sich nehmen darf.

!: Die Ska Disco der Antifa Duisburg war ein Beispiel. Skinhead-Kultur nicht den rechten überlassen. Dann bekommen die Gäste schon mit, dass dies in einem Laden passiert, der sich als antifaschistisch versteht und das auch deutlich macht. Die Aktiven hier kennen sich ja auch in der Szene aus. Und bei niedrig schwelligen Formaten wie der Open Stage oder im Metal-Bereich muss man dann öfter auch aufpassen, was man da eigentlich macht. Das gehört dazu. Im HipHop kamen beim Open Mic irgendwann nur noch Frauen oder Schwulen feindliche Sprüche von der Bühne – um aufzufallen. Daraufhin haben wir ein Konzept erarbeitet, wie das zu vermeiden ist. Das gefiel der Szene dann nicht, also zieht man letztlich die Konsequenz.

?: Im Gegensatz dazu: Erfolgreiche Eigengewächse? Jetzt mal ab von der erfolgreichen Jugendarbeit?

!: Da kann man zum Beispiel die „Textverarbeitung“-Reihe nennen. Eine etwas andere Literaturveranstaltung, mit Musik gekoppelt und eben nicht in einer Buchhandlung, aber auch kein Poetry Slam. So etwas macht inzwischen jedes größere Haus, und wir waren ganz früh dabei und haben das mitentwickelt, bevor es das Genre überhaupt gab. Aber wir lassen halt auch manche Formate dann wieder weg, wenn sie zu groß werden. Um Platz für neues zu schaffen. Denn umso mehr sich ein Thema etabliert, desto weniger kann Druckluft einfach zu einer Abspielstätte werden. Zu nennen ist auch die Beatplantation, die ein bestimmtes Verständnis von Party mit Kunst und Lesungen und Konzerten zusammen bringt. Und natürlich gibt es Proberäume, Werkstätten und Kurse, aus denen viel erwächst. Aber, wie gesagt, im Bereich kultureller Bildung würde ich mir noch mehr wünschen. Dass da Leute kommen und sagen: Ich will Theater spielen, oder etwas ähnliches. Und da sollte Druckluft dann auch jemand dafür bereit haben, um bei der Umsetzung zu helfen. Genau in diesem Bereich zwischen Jugendarbeit und Kulturprogramm. Diese Akzente können wir mit den bisherigen Mitteln leider noch nicht setzen.

?: Nun steht ja auch ein Umbau (Grafik) an, aber die Stadt ist gerade pleite. Wie sieht da die Situation aus, und wie werden sich die Strukturen ändern?

!: Nun, wir sind seit ein paar Jahren in einer ganz schwierigen Situation. Das Gelände drum herum wurde gerodet und hier wird Gewerbe angesiedelt. Wir sind dadurch präsenter, und die Stadt hat ein Interesse an einer Aufwertung dieses Standorts, nicht mehr nur wegen der akzeptierten Inhalte, sondern auch baulicher Art. Also arbeiteten wir mit Jugendamt und Stadtteilbüro ein Konzept aus, das beinhaltet, dass wir unsere Angebotspalette erweitern, zum Beispiel hin auf den Wohnpark Bebelstraße, ehemalige Neue Heimat. Für die Jugendlichen dort gibt es bislang keine Angebote, aber um das zu leisten müssen wir uns inhaltlich, baulich und strukturell etwas anders aufstellen. Die Hauptausrichtung wird also erhalten bleiben, aber von energetischen Fragen bis hin zur Nutzung der verschiedenen Räumlichkeiten wird sich einiges ändern. Es soll verschiedene Anlaufpunkte für verschiedene Gruppen geben, die übrigens auch alle in die Arbeit am Konzept einbezogen wurden – schon um Zielgruppenkonflikte von vornherein zu verhindern.

Der Bewilligungsbescheid hierzu vom Land ist da, aber in Oberhausen gibt es eine Haushaltssperre aufgrund der hohen Verschuldung der Stadt. Der 20%ige Eigenanteil kann daher jetzt nicht aufgebracht werden. Dafür muss es eine Lösung geben. Gerade Städte die unter Haushaltssicherung stehen sind auf die Teilhabe an Förderprogrammen des Landes angewiesen. Die Verbesserung der räumlichen Situation und der Infrastruktur bei Druckluft ist notwendiger denn je. Wir stoßen mittlerweile an unsere Grenzen, den Eigenanteil zur Finanzierung unserer Arbeit selbst zu erwirtschaften. Die Infrastruktur hier muss den aktuellen Ansprüchen genügen, sonst ist genau das mittelfristig nicht mehr möglich. Wir möchten in Kooperation mit der Stadt eine Aufwertung gerade der inhaltlichen Arbeit, und die Grundprinzipien von Druckluft werden bestehen bleiben.

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