Wenn man den Artikel von Westerwelle in der Welt liest, wirkt die ganze Aufregung um den Text arg bemüht. Westerwelle hat nur geschrieben, was er immer sagt. Was mir aber aufgefallen ist: Westerwelle hat ein erstaunlich illusorisches Bild vom Sozialismus. Mit der Praxis der heute zumeist ehemaligen sozialistischen Staaten hat es wenig zu tun.
Allgemein hält sich die Auffassung, Sozialismus wäre vor allem für Arbeiter und Arbeitslose eine prima Sache, ziemlich hartnäckig. Das mag für die Papierform noch zutreffen, für die Praxis nicht – und wir alle wissen ja: Entscheidend ist auf´m Platz.
Außenminister Guido Westerwelle, im Nebenerwerb Chef der FDP, sieht im Sozialismus vor allem eine große Umverteilungsmaschinerie, von der vor allem diejenigen profitieren, die nicht arbeiten. Dabei war es Lenin, der schrieb „Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen“. Ursprünglich wohl gemünzt auf die Klasse der Großgrundbesitzer wurde er zum Credo aller sozialistischen Staaten. Aus dem Recht auf Arbeit wurde in der Praxis die Pflicht zur Arbeit.
Mit der Umverteilung zugunsten derjenigen die, aus welchem Grund auch immer, nicht arbeiteten, hatte es keines der sozialistischen Länder. In der DDR bestand eine Arbeitspflicht: „‚Das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden eine Einheit.‘ (Verfassung der DDR) Die Arbeitspflicht wurde z.B. in Form eines ‚Dienstes für Deutschland‘ 1952/1953 als Jugendarbeitsdienst umgesetzt, oder sie konnte darin bestehen, dass Arbeitnehmer bis zu 6 Monate verpflichtet wurden, in einem anderen Betrieb am gleichen Ort zu arbeiten.“
Arbeit hatte einen hohen Wert für die sozialistischen Diktaturen: Vor allem Gefangene in Lagern sollten angeblich durch Arbeit zu besseren, zu proletarischen Menschen werden. In Wirklichkeit ging es nur darum, möglichst billig und ohne jede Rücksicht auf menschliche Verluste, Großprojekte wie Eisenbahnlinien oder Kanäle zu bauen und das Volk durch Angst vor dem Lager gefügig zu machen.
Für den französischen Philosophen André Glucksmann ist dann auch das Lager das Symbol des praktizierten Sozialismus. In Köchin und Menschenfresser, (Wagenbach, 1976) schreibt er: „Die Lager sind geheime Kommunikationsinstrumente zwischen Herren und Sklaven, Ausbeuter und Ausgebeuteten. Auch wenn die Plebs nicht eingesperrt ist, liegt doch die Drohung und ein versteinertes Schweigen in der Luft, in denen die Stimme des Herrn unausgesprochen da ist. Jeder deportierte oder nicht deportierte Russe bewohnt „die Lagerzone.“
Die sozialistische Praxis hatte mit Westerwelles Sozialismusbild, in dessen Zentrum großzügigen staatlichen Alimentierung steht, nichts zu tun. Der sozialistische Staat ist der Ausbeuter, nicht der großzügige Helfer des Individuums und die Arbeit war eine seiner Waffen. Aber das ist das Problem von Phrasendreschmaschienen wie Westerwelle: Es geht ihnen nie um den Inhalt, immer nur um den Effekt und sie haben keine Ahnung wovon sie reden.
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