
Unser Gastautor Till Randolf Amelung über Cancel Culture am Beispiel von Gertraud Klemm.
Eine Buchankündigung des österreichischen Leykam-Verlags führt in nuce vor, wie Cancel Culture immer noch funktioniert. Was ist passiert? Am 21. Mai veröffentlichte die Autorin Mareike Fallwickl eine Vorschau für die gemeinsam mit Eva Reisinger erarbeitete neue Anthologie „Das Pen!ismuseum“, die im September 2025 im Leykam-Verlag erscheinen soll. Auch der Verlag selbst veröffentlichte eine Ankündigung. In der ursprünglichen Ankündigung war auch der Name von Gertraud Klemm enthalten – doch der wurde wieder zurückgezogen. Grund dafür ist, dass der mehrfach preisgekrönten feministische Autorin Klemm wegen zweier Kommentare, die 2023 und 2022 in der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ veröffentlicht wurden, „Transfeindlichkeit“ vorgeworfen wird. Das ganze Drama spielte sich vornehmlich auf Instagram ab.
Am 22. Mai veröffentlichte Leykam eine Story auf Instagram, die inzwischen ebenfalls gelöscht ist. Darin hieß es unter anderem: „Wir nehmen jegliche Kritik sehr ernst und haben uns seit gestern eingehend damit befasst. Wir haben uns gemeinsam entschieden, klare Konsequenzen zu ziehen und die Autorin nicht zu veröffentlichen.“ Bekannt wurde dieses Posting, weil es von aufmerksamen Autoren wie Klemms Landsmann Martin Prinz rechtzeitig gesichert und am 6. Juni auf Facebook als Screenshot geteilt wurde.
Die Autorin Lydia Mischkulnig, die selbst im Leykam-Verlag veröffentlich hat, kritisiert das Canceln von Klemm auf Facebook: „Die Verlagsstrategie der Unterwerfung an eine Netz-Bubble, Schriftsteller*innen aus monatelang vorbereiteten Anthologien hinauszulizitieren, um der Befindlichkeit von ein paar Poster*innen zu dienen, und seien es viele, ist falsch und hat einen totalitären Anstrich.“
Doch was hat Getraud Klemm sich in den mehr als zwei Jahre alten Essays, die offenbar Steine des Anstoßes waren, überhaupt zu Schulden kommen lassen? Im Text „Ich bin jetzt eine FLINTA*“ kritisierte sie 2022 im Vorfeld des Internationalen Frauentags, der jährlich am 8. März als feministischer Aktionstag begangen wird, den Queerfeminismus. Besonders die Verleugnung der körperlichen und damit auch verbundenen sozialen Realitäten des Frauseins wurden von ihr moniert.
Zugleich kritisierte sie auch die Diskursblockade, mit der jeglicher Einwand an queerfeministischer Ideologie und Begriffsbildung als unmoralisch geframt wird – und ist damit erschreckend aktuell geblieben, wie sie am eigenen Beispiel erleben muss: „Egal ob Mädchenmord, Sexualverbrechen oder Gender-Pay-Gap: Es sind FLINTA*s, die darunter leiden. Wenn ich sprachästhetische oder ideologische Bedenken habe und mich frage, was passiert, wenn die Kategorie Frau einfach so verschwindet, aber nicht die Kategorie Mann, bin ich unten durch. Dann krieg ich ein neues Kürzel verpasst: FART oder TERF. Diskussion beendet.“
Solche Bedenken sind im Queerfeminismus tabu. Stattdessen muss mit Mitteln der Manipulation über moralischen Druck über den Verweis auf eine „marginalisierte Minderheit“ dafür gesorgt werden, ein unwissenschaftliches Verständnis von Geschlecht in der Mitte der Gesellschaft zu platzieren. Die biologischen Realitäten von Geschlecht zu leugnen ist so, als würde man plötzlich „Die Erde ist eine Scheibe“ zur Wahrheit erklären.
„Nicht nur in den sozialen Medien wird gebissen, gedroht und gecancelt: Darüber, was pfui oder super ist, richtet der netzfeministische Identitätsdiskurs mit knackigen Tweets, bunten Insta-Kacheln und Facebook-Videos ohne Grauzonen und Diskussionskultur. Das kann sich schon mal zu Ausladungen und zu Entlassungen von einschlägigen Intellektuellen steigern – gern auch zu Gewaltandrohungen und Bücherverbrennungen. Wer Diskurs will, darf nicht zimperlich sein“, bringt Klemm den Zustand der Debatten dieser Zeit auf den Punkt. Doch der Leykam-Verlag und die Herausgeberinnen Fallwickl und Reisinger scheinen im Gegensatz zu der von ihm nun gecancelten Autorin Klemm zimperlich zu sein und kein Rückgrat zu haben.
Bemerkenswert ist im Fall Klemm noch, dass zeitgleich mit der Ankündigung von Leykam auch im Haymon-Verlag ein Buch beworben wurde, das ebenfalls einen Beitrag von Klemm enthalten wird. Haymon wurde auch queerfeministische Aktivistas bedrängt, diesen Beitrag von Klemm zu canceln, doch im Gegensatz zu Leykam gibt man bei Haymon der digitalen queerfeministischen Inquisition bislang nicht nach.
Im Diskursverhalten der Queerfeministen und auch Transaktivisten zeigt sich etwas, was der britische Menschenrechtsexperte Robert Wintemute neulich im „Telegraph“ wie folgt benannte: „Einige Mitglieder der Transgender-Bewegung scheinen nicht zu verstehen, dass auch Frauen Menschenrechte haben.“ Weltweit lassen sich das immer weniger Menschen, insbesondere Frauen, gefallen. Wenn nun allerorten gejammert wird, warum die Stimmung um das Trans-Thema so aufgeladen ist, dann sollte man sich ins Gedächtnis rufen, wie Aktivisten in den vergangenen Jahren vor allem mit kritischen Frauen umgesprungen sind und immer noch umspringen.
Passenderweise warnte erst vor drei Tagen Wolfram Weimer, der neue Beauftrage für Kultur und Medien der Bundesregierung, in der SZ vor einem Kulturkampf. Kunst würde von linken und rechten Kräften gleichermaßen versucht zu politisieren und daraus resultierend in ihrer Freiheit einzuschränken. Kultur, Sprache und Debatten seien Ermöglichungsräume und keine Verbotszonen, heißt es. Der Fall Gertraude Klemm kann getrost in die Liste der Beispiele von Cancel Culture aufgenommen werden.
Doch viele im linksprogressiven Medien- und Kulturbetrieb wollen immer noch nicht wahrhaben, dass es dieses Problem überhaupt gibt. So kommentierte beispielsweise Harald Staun in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Essay Weimers: „Solange eine linksliberale Mainstreamzeitung so etwas noch druckt, kann es nicht so schlimm um die Meinungsvielfalt bestellt sein. Man kann wirklich nicht mehr hören, dass man nichts mehr sagen darf.“
Für die Verengung und das Abwürgen von Debatten braucht es allerdings nicht nur geistlose, selbstgerechte Aktivisten, sondern vor allem auch opportunistische und ängstliche Erfüllungsgehilfen, wie den Leykam-Verlag mitsamt den beiden Herausgeberinnen Fallwickl und Reisinger. Diese Unart des Cancelns wäre längst eingedämmt, würden Medien- und Kultureinrichtungen nicht so leicht vor dem sich im digitalen Raum formierenden Mob einknicken. So aber wird ein solcher Mob immer dafür belohnt, dass man Menschen noch mit den hanebüchensten Anschuldigungen die materielle Lebensgrundlage gefährden kann. In einer demokratischen, aufgeklärten Gesellschaft müssen auch Ideologien hinterfragt werden können, die im Gewand des (vermeintlichen) Schutzes von Minderheiten daherkommen.
Quellen:
https://www.leykamverlag.at/produkt/das-pensmuseum/
https://www.derstandard.at/story/2000133831041/autorin-gertraud-klemm-ich-bin-jetzt-eine-flinta
https://www.derstandard.at/story/3000000182602/frau-zwischen-barbie-flinta-und-terf
https://www.telegraph.co.uk/news/2025/05/27/i-lost-friends-when-i-changed-my-mind-on-trans-rights/