40 Jahre Werkkreis Literatur der Arbeitswelt – Nachruf auf einen Untoten

Die Arbeiterliteratur in Deutschland hat nur noch literarhistorische Bedeutung. Nach dem „Bitterfelder Weg“ in der DDR ist auch der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt schon lange ästhetisch wie politisch gescheitert. Aus den schreibenden Arbeitern wurden nie arbeitende Schreiber, aus Schriftsetzern eben keine Schriftsteller.

Der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt wäre – wenn er denn nicht gänzlich vergreist aufträte – vor Monaten gut vierzig Jahre jung geworden. Im Mai 2010 lud die Erbengemeinschaft proletarischer Dichterdarsteller auf ihrer Homepage  mit dem schön sprechenden Namen www.werkkreis-literatur.de wohl zum allerletzten Mal zur Heldengedenkfeier ein.

„Am Mittwoch den 19. Mai (2010) feiert der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt e.V. im DGB-Haus in München sein vierzigjähriges Bestehen. Werkkreismitbegründer Erasmus Schöfer spricht über die Bedeutung des Werkkreises, der seit nunmehr 40 Jahren arbeitenden Menschen eine literarische Stimme gibt. (…) Musikalisch umrahmt wird der Abend vom Gewerkschaftschor ‚Roter Wecker‘.“

Doch gehört haben die wenigen verbliebenen Werkkreisler den Wecker schon lange nicht mehr. In einem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung polemisierte Mitte 2009 ihr Sprecher Markus Dosch ausgerechnet gegen eine Schreibschule der eigenwilligen Autorin und Filmemacherin Doris Dörrie, um gegen die vermeintliche Diskriminierung einer Literatur von ‚Arbeitnehmern und anderen Benachteiligten‘ zu wettern:

„Der ‚Werkkreis Literatur der Arbeitswelt‘ betreibt ebenfalls literarische Schulungen für Arbeitnehmer und andere Benachteiligte in der BRD, damit sie ihre gesellschaftliche Situation reflektieren und in literarischer Form darstellen können. Aber der WK findet keinen Platz in den Medien und das seit Jahrzehnten. (…) Für uns ist es die pure Heuchelei und eine wohlbedachte Ausgrenzungspolitik! (…) Haben die SZ und andere Medien kein Herz für sozialkritische Schreiber in Deutschland?“

Man merkt es nicht nur dem weinerlichen Leserbrief an: In den Anthologien des Werkkreises dürfen letzte Mitglieder der Autorengenossenschaft Sprachhülsen recyceln oder ihre Schubladentexte entsorgen. Auch sonst im Werkkreis-Umfeld seit Mitte der 70er Jahre nichts Neues: immer noch dieselbe Vereinsmeierei, dasselbe Lamento, die gleichen schlechten Gedichte und Geschichten.

Aufstieg und Fall

Dabei hatte der erhoffte proletarisch-literarische Aufbruch vor knapp 40 Jahren so hoffnungsvoll begonnen. Es waren auch Autoren der Dortmunder Gruppe 61, die im Frühjahr 1969 mit dem Schreibaufruf „Ein gewöhnlicher Arbeitstag, oder auch: ein bemerkenswerter Vorfall aus dem Arbeitsleben“ über einen Wettbewerb ihre eigene politisch-literarische Konkurrenztruppe ins Leben riefen. Die besten Texte dieses Schreibwettbewerbs wurden 1970 unter dem Titel „Ein Baukran stürzt um“ beim Piper Verlag herausgegeben.
Erasmus Schöfer, der klügste Theoretiker in Sachen Arbeiterliteratur, war es, der parallel dazu am 7. März 1970 in Köln den Werkkreis Literatur der Arbeitswelt mitbegründete. Hier sollten Arbeiter „durch theoretische Anleitung und praktisches Beispiel“ so weit geschult werden, bis sie selbst für ihre Kolleginnen und Kollegen „gesellschaftskritische, sozial verbindliche Literatur“ hätten schreiben können. Eine Literatur die angeblich dazu taugen sollte, „die gesellschaftlichen Verhältnisse im Interesse der Arbeitenden zu verändern“. Der Werkkreis erklärte im Programm vom März 1970 kurzerhand seine Wünsche zur Wirklichkeit:
„Die im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt hergestellten Arbeiten wenden sich vor allem an die Werktätigen, aus deren Bewußtwerden über ihre Klassenlage sie entstehen.“
Was das Programm beschwor, das schien für kurze Zeit sogar in der Praxis zu funktionieren. Bundesweit entstanden Dutzende von Schreibwerkstätten; die vielen bunten Werkkreis-Büchlein beim Fischer Taschenbuch Verlag erreichten bald eine Gesamtauflage oberhalb der Millionengrenze.
War also das Schreiben als Produktion von Klassenbewußtsein tatsächlich geglückt, die Indienstnahme der Literatur durch die Politik gelungen, die „Werktätigen“ als Leser wirklich erreicht? Wohl kaum. Eher bewiesen die unzähligen Textsammlungen des Werkkreises etwas ganz anderes: Dass nämlich ein enormes Nachholbedürfnis bestand an literarischer Auseinandersetzung mit Werk- und Alltagsverhältnissen, ein Nachholbedürfnis auf Autoren- und Leserseite. Bereits Ende der siebziger Jahre aber hatten sich die meisten satt gelesen an Literatur als Politik-Ersatz, an einer handwerklich mittelmäßigen Literatur mit ihren unermüdlich kämpfenden Arbeiterfiguren. Zu gern gesehen waren in den meisten Kurzromanen oder Gedichten der pädagogische Zeigefinger und die rote Moral von der Geschicht. Der ewige Bergmann und Stahlarbeiter bestimmten das Szenario.
Und die Nostalgie-Realisten ignorierten zu lange die Veränderungen innerhalb der Arbeiterklasse selbst, den Strukturwandel insgesamt. Seit 1980 – so meldeten die Nachrichten – zählte man in der Bundesrepublik erstmals mehr Angestellte als Arbeiter. Schon vorher begannen auch die Verkaufszahlen der sog. Arbeiterliteratur drastisch zu sinken. Der Werkkreis war gescheitert.

Wallraff is dead

Als soziale Bewegung gescheitert, weil er weder Arbeiter und Angestellte in größerer Zahl dauerhaft erreicht hatte, noch zu kollektivem Schreiben und solidarischer Textkritik ermuntern konnte. Auch als politische Bewegung scheiterte der Werkkreis. Sein Appell „Schreib das auf, Kollege!“ verpuffte ebenso wirkungslos wie Jahre zuvor das „Greif zur Feder, Kumpel!“ des Bitterfelder Weges in der DDR. Alle Versuche, mit operativer Literatur politische Verhältnisse zu ändern, schlugen fehl. Mitglieder des Werkkreises mimten bestenfalls den rosaroten Poetenpanther bei Streiks vor Werktoren, in Hochschulen oder bei 1. Mai-Ritualen.
Außer dem Werkkreis selbst mit seinen literarischen Laienpredigern und Egon-Erwin-Kisch-Kopien war es dann Günter Wallraff, der Mitte der 80er Jahre den Ruf von Dokumentation und Reportage so gründlich ruinierte, dass es seitdem auch für den Werkkreis auf diesem Feld keine Lorbeeren mehr zu verdienen gab.
Mit dem Erscheinen des Buches „Ganz unten“ „enthüllte“ Wallraff nicht nur einmal mehr skandalöse Zustände, diesmal die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen türkischer Arbeiter, sondern sein Buch selbst wurde zum Skandalon. Die Glaubwürdigkeit des Dokumentaristen Wallraff und der Echtheitsanspruch seiner Sozialreportagen wurde unterminiert, als sich herausstellte, dass Wallraffs „Ganz unten“ eigentlich von einem Autorenkollektiv stammte, dass ganze Passagen des Buches aus einem anderen Buch plagiiert worden waren, ja, dass manches aus dem Buch frei erfunden sein könnte. Nach dem Motto „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“ schien Wallraffs Authentizitäts-Bonus verspielt, der Wahrheitsgehalt der in „Ganz unten“ geschilderten Zustände durfte bezweifelt werden. Diesmal waren es die Leser selbst, bekennende Wallraff-Fans, und nicht nur die Bosse, die sich von Wallraff getäuscht fühlten. Man wollte gerade von Wallraff keine Schein-Dokumentationen oder Reportage-Märchen, sondern vom Autor persönlich verbürgte, märtyrerhaft ertragene und seriös recherchierte Wirklichkeit pur. Wenn Wallraff die nicht mehr liefern konnte oder wollte, warum dann nicht gleich artistische Geschichten lesen, die sich dem Leser wenigstens offen als Phantasien, als interpretierte und gestaltete Wirklichkeit zu erkennen geben?

Geduckt? Gedrückt? Gedruckt!!!

Obwohl oder gerade weil der Werkkreis ästhetisch längst selbst in der Sackgasse steckte, fand er viele Nachahmer und „-innen“. Die Aufbruchsstimmung der frühen 70er Jahre hatte zwischen Brandtschem „Mehr Demokratie wagen“ und falsch verstandenem Beuys („Jeder ist ein Künstler“) auch eine Menge Etikettenschwindel und Zwergwuchs in der Literaturszene begünstigt. Nach dem Vorbild des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt entstanden in den 70er/80er Jahren überall im Land neue Schreibezirkel. Über 180 sogenannte Schreib- oder Literaturwerkstätten existierten Mitte der 90er Jahre allein in Nordrhein-Westfalen. Motoren dieser Schreibbewegung waren und sind Volkshochschulen, Knackis, Frauengruppen, Arbeitslosenzentren, Bibliotheken oder Freunde der plattdeutschen Sprache. Eine Vielzahl privater Schreibinitiativen und lokaler Literaturzeitschriften kommt hinzu. Man kann getrost davon ausgehen, dass viele zehntausend Menschen allein in NRW für Schubladen, Freunde und Wettbewerbe dichten. Und das mag auch achtbar sein, so lange die Versuche der Hobbyschreiber nicht mit dem Beruf des Schriftstellers verwechselt, so lange kleine Schritte in der persönlichen Schreibentwicklung nicht als Großtaten zeitgenössischer Literatur ausgegeben werden.
Doch die pseudo-demokratischen „Schreiben befreit“- & „Schreiben kann jeder“-Parolen mündeten leider auch in einer allzu generösen „Veröffentlicht-wird-alles“-Praxis. Das Missverständnis, dass Literaturförderung bedeute, auch den letzten fragwürdigen Text noch zu veröffentlichen, scheint heute allerdings – vor allem angesichts knapper öffentlicher Mittel – ausgeräumt. Literaturförderer unterscheiden wieder zwischen der wünschenswerten Belebung einer literarischen Laienkultur und der Förderung wirklicher (Nachwuchs-)Schriftsteller durch Lesungen, Stipendien, Arbeitsaufträge oder Literaturpreise.

Mancher hat nicht genug Charakter, nicht zu schreiben

Auch die fähigsten Mitglieder des Werkkreises hatten sich angesichts seiner Ignoranz und Torheit seit den 70er Jahren von ihm abgesetzt und eine eigenständige Entwicklung genommen. Sie wurden z.B. Könner in den Bereichen Kabarett (wunderbar: Heinrich Pachl), Reportage (Werner Schmitz), Krimi (Jürgen Alberts) oder Kinder- und Jugendliteratur.

Für den Rest aber gilt: „Mancher hat nicht genug Charakter, nicht zu schreiben“. Diesen Satz Karl Kraus‘ möchte man zwischen den traurigen Ruinen des Werkkreises bis heute nicht zur Kenntnis nehmen. Im Gegenteil: Der Werkkreis hat seinen Plan, kollektiv sozialkritische Literatur zu montieren, nicht aufgegeben. Im aktuellen Programm führt sich die Rumpf-Organisation in ihrem geistigen Bankrott sprachlich-stilistisch wieder einmal selbst vor. Widerstand gegen Ästhetik ist endgültig zur gängigen Werkkreis-Praxis geworden, eine Ästhetik des Widerstands bloß nachgeplapperte Hoffnung. Der Werkkreis über sich selbst:

„Es sollen die abhängig Beschäftigten selber zu Wort kommen, aber auch Lyriker und Romantiker sind willkommen. Eine Aufgabe des Werkkreises ist es, diese niedergeschriebenen Erfahrungen durch seine Lektoren aufbereiten zu lassen, damit sie veröffentlicht werden können. (…) Die Mitglieder sind in ihrer Darstellung an keine vorgegebenen Formen der Sprache oder des Ausdrucks gebunden.“

So akut die Erneuerung einer ästhetisch komplexen Littérature engagée auch wäre, der Werkkreis liefert dazu mit „aufbereiteten niedergeschriebenen Erfahrungen“ aus seinen angeblich acht Werkstätten keinen Beitrag mehr.
Wer heute Literatur über Alltag und Arbeitswelt sucht, kann sie in deutscher wie internationaler Prosa leicht finden. Beeindruckende Romane gibt es en masse: „In der Haut eines Löwen“ (Ondaatje), „Der Himmel unter der Stadt“ (McCann), „Armadillo“ (Boyd) oder „Unabhängigkeitstag“ von Richard Ford. In deutscher Sprache schrieben und schreiben Walser, Genazino, Gerold Späth und Jens Sparschuh, Ingo Schulze, Katja Lange-Müller, Karen Duve und andere ästhetisch gekonnt über den unerhörten Alltag in all seinen Facetten. Anders als in den 50er oder 60er Jahren gibt es in den letzten anderthalb Jahrzehnten statt der „Rückkehr zur Normalität der Verdrängung“ (Erhard Schütz) eine Renaissance des welthaltigen Erzählens.
Der Horizont ist wieder offen für die Weite und Vielfalt des Erzählens; für das Experiment, sich auf die Abgründe der Wirklichkeit einzulassen. Offen für Schriftsteller, die virtuos Welt und Sprache verarbeiten, die angestrengte Literaturtheorien vielleicht zur Kenntnis nehmen, sich aber nicht mehr genötigt fühlen, ihre erzählerischen oder poetischen Texte vor ihnen zu rechtfertigen.

WAZ Watching – Die Lokalzeitung in der PR-Falle

Die Lokalredakteurin Elisabeth Höving berichtet in der Gelsenkirchener Ausgabe der WAZ am Samstag von einem besonderen Ereignis. „Gefeiert wie ein Popstar“ ist ihr Artikel über den Besuch von Schalke-Trainer Felix Magath beim Schalker Gymnasium überschrieben. Mit Lokaljournalismus hat der Beitrag allerdings wenig zu tun und fällt eindeutig in die Rubrik Gefälligkeits-Berichterstattung.

Wie viele andere Unternehmen hat der FC Schalke 04 ein Projekt der Schule gefördert, dass den Oberstufenschülern wird professionelle Studien- und Berufsberatung bietet. So diktiert der Meistertrainer in die Blöcke der anwesenden Journalisten: „Schließlich gehört die Entscheidung für eine schulische oder berufliche Weiterbildung zu den wichtigsten im Leben“. Soviel Lebensweisheit trübt schon mal die Erinnerungsfähigkeit und das kritische Bewusstsein, denn der Fall Julian Draxler liegt erst wenige Wochen zurück. Da hatte Felix Magath das 17jährige Fußballtalent und seine Eltern dazu überredet, die Schulausbildung abzubrechen und lieber erfolgreich vor die Kugel zu treten. Getreu dem Motto: Der Junge braucht kein Abi. Das hat bundesweite für Kritik gesorgt und nicht nur die Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VdV) hat Schalke 04 einen „unverantwortlichen Umgang mit dem Jungstar“ vorgeworfen.

Erst das Schulgesetz in NRW hat das Ausbildungsende verhindert und die schulische Laufbahn geht für Draxler nach den Sommerferien an der Gesamtschule Berger Feld weiter. Die gilt gemeinhin als Musterschule bei der Ausbildung von Profifußballern, die auch neben dem Platz etwas lernen wollen. Schulleiter Georg Altenkamp zeigte sich nach dem Gespräch mit dem Profi dann auch sehr überrascht: „Ich hatte den Eindruck, dass er über die Möglichkeiten der Schule gar nicht richtig informiert war.“ Dabei kooperiert die Gesamtschule schon lange mit Schalke 04 und die Trainingsplätze des Vereins liegen direkt nebenan. Gestandene Profis wie Manuel Neuer, Alexander Baumjohann und Mesut Özil haben hier die Schulbank gedrückt. Im Juni 2007 wurde die Gesamtschule Berger Feld als vierte deutsche Schule vom DFB als „Eliteschule des Fußballs“ ausgezeichnet.

Das könnte auch Felix Magath wissen. Ein paar kritische Fragen der Lokaljournalistin kann erwarten, wenn der Trainer plötzlich die schulische Ausbildung und mit dem Scheck winkt. Das fehlt in der Berichterstattung allerdings vollständig. „Ein Popstar ist nichts dagegen“ begeistert sich die Kollegin dagegen an dem tollen Termin. So geht die Gelsenkirchener Lokalredaktion ohne Gegenwehr der Schalker PR-Offensive auf den Leim. Die setzt derzeit auf Angriff nicht nur in sozialen Netzwerken wie facebook auf Angriff. Das Image des Vereins und des Meistertrainers haben in der letzten Zeit arg gelitten.

Kein Wunder, dass immer mehr Leser der Zeitung den Rücken kehren und man sich als Abonnent immer öfter erklären muss. Zwar bestätigten Zeitungsforscher der WAZ-Gruppe im letzten Jahr steigende journalistische Qualität, aber Leser und selbst die Redakteure in den Redaktionen sehen das anders. So ist die Redaktion in Gelsenkirchen am Wochenende manchmal nur mit einem Redakteur besetzt. Das merkt man dann an der unzureichenden Berichterstattung in der Montagsausgabe. Zwar gibt es jetzt ein Rechercheblog der WAZ im Internet, aber mehr Personal und mehr journalistisches Handwerk wären noch besser.

Der Ruhrpilot

Foto: vorwärts.deUmland: SPD kann Hamburg allein regieren…FAZ

Umland II: Hamburg hat verloren…F!XMBR

Afghanistan: Deutsche Soldaten müssen mit Gangstern zusammenarbeiten…WAZRecherche

Verkehr: Morgendlicher Berufsverkehr rollt ohne Warnstreiks…Welt

Immobilien: Börsengang der Evonik-Immobiliensparte ist vom Tisch…Reuters

NRW: Warum Schulen Rankings fürchten…RP Online

Guttenberg: Bochum statt Bayreuth…Achse des Guten

Guttenberg II: Akrobatischer Querdenker…Post von Horn

Bochum: CDU Perspektiven…Ruhr Nachrichten

Bochum II: Autonome Perspektiven…Bo Alternativ

Duisburg: Uni eröffnet Innenstadtfiliale…Der Westen

Duisburg II: 500 Jahre Mercator…Der Westen

Essen: OB Paß droht Schlappe im RWE-Aufsichtsrat…Der Westen

Dortmund: Kranker Amtsleiter Berten kandidiert…Ruhr Nachrichten

Gelsenkirchen: Zu Fuß nach Indien…Focus

Medien: Wer macht denn da Reklame?…Zoom

Computer: CCC bietet Bundestag Finanzierung von Adhocracy an…Netzpolitik

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Ein Schnellschuss zur Hamburg-Wahl

Foto: vorwärts.de

Hamburg hat gewählt. Die SPD hat die Wahl gewonnen, die CDU hat verloren. Sozialdemokraten sprechen vom Rückenwind, den dieser Auftaktsieg ihnen für die folgenden sechs Landtagswahlen gäbe. Konservative betonen die spezifische Situation Hamburgs, die zu diesem Wahlergebnis geführt habe. So weit, so unspektakulär. Auch nach den nächsten Wahlen werden die Sieger allgemein gültige positive Signale erblicken, werden die Verlierer – so die Möglichkeit des Leugnens der Niederlage entfällt – die Besonderheiten des Einzelfalls für ihre schwierige Situation verantwortlich machen. So kennen wir es.

Deshalb ist Claudia Roths stetes Herausstreichen des Hamburgerischen bei dieser Hamburg-Wahl wesentlich aufschlussreicher als ihre Formel vom ersten Wahlziel (Stimmenanteil verbessern), das erreicht worden sei, und dem zweiten Wahlziel (absolute Mehrheit verhindern), das nicht erreicht werden konnte. Es ist nicht zu übersehen, dass die Grünen mit den zwei oder drei hinzugewonnenen Prozentpunkten deutlich hinter dem bundesweiten Umfragehoch zurückgeblieben sind, und dass sie sich mit ihrem Coup, Schwarz-Gelb ohne nachvollziehbare Begründung aufzukündigen, selbst aus der Bürgerschaft herausgekickt haben. Kürzer: die Grünen haben sich verzockt.

Die Christdemokraten hatten keine Chance – weder im Wahlkampf noch bei der Kommentierung des Wahlergebnisses. Wer seinen Stimmenanteil halbiert, kann nichts mehr beschönigen. Ihm bleibt nur, sich auf die örtlichen Besonderheiten zurückzuziehen. Vieles spricht dafür, dass die Konservativen mit dieser Interpretation näher an der Wahrheit liegen als diejenigen Sozialdemokraten, die bereits einen Trend auszumachen glauben machen wollen. Fairerweise ist anzumerken, dass die CDU ihre Hamburger Spezifika lauter in die Mikrofone bringt als die SPD den von ihr erhofften Trend.

Wenn sowohl der beliebte Spitzenmann als auch der ungeliebte Koalitionspartner überraschend von der Fahne gehen, wenn der neue Bürgermeister blass und kein anderer Koalitionär in Sicht ist, dann ist bei einer Wahl nichts zu gewinnen. Dass die CDU in Hamburg ein Desaster erlebt hat, wogegen sich die einzelnen Wahlschlappen der SPD in der zurückliegenden Serie beinah überschaubar darstellen, dürfte den Strategen im Konrad-Adenauer-Haus dennoch zu denken geben. Dass eine konservative Partei an der Regierung den Leuten nicht mit einer Schulreform kommen darf, und dass es sich bei einer Zuwiderhandlung um einen Kardinalfehler handelt, weiß man dort bereits.

Nur: die Volksabstimmung gegen das Reformvorhaben richtete sich nicht nur gegen Schwarz und Grün, sondern auch gegen Rot und Rot. Niemand bezweifelt dieses angeführte eherne Gesetz; eine Erklärung für die erdrutschartigen Verluste bietet der Gesetzesbruch jedoch nicht. Allenfalls ist er als ein Mosaikstück eines allgemeinen Profilverlustes der (Hamburger) CDU zu betrachten. Dennoch: die Konjunktur im (CDU-geführten) Deutschland zieht an, die wirtschaftliche Situation im reichen Hamburg ist günstig. Wird dort die CDU als Regierungspartei dramatisch abgestraft, kann das Merkel nicht kalt lassen.

Dass die SPD die Wahl gewinnen würde, war seit dem Scheitern von Schwarz-Gelb klar. 40 Prozent prognostizierten die Institute seinerzeit. Seither stiegen die Werte kontinuierlich, bis es heute fast 50 Prozent geworden sind. Balsam für die seit Jahren in Wahlen geschundene sozialdemokratische Seele. So ganz dürfte das Wort vom „Trend“ nicht daneben liegen, weil die Ausgangssituationen für die SPD – vielleicht abgesehen von Sachsen-Anhalt – gar nicht schlecht sind. Durch den Hamburger Erdrutschsieg werden sie jedenfalls nicht schlechter. Insofern dürfte „Rückenwind“ hinkommen; „Trend“ gibt als Erklärung für den heutigen Erfolg dagegen nichts her.

Die Wahl gewonnen hat Olaf Scholz, was aus zwei Gründen bemerkenswert ist. Der erste: auch wenn niemand die Kompetenz des Politikers anzweifelt, hat doch sein oft als holzschnittartig empfundenes Auftreten den Verdacht begünstigt, mit ihm seien keine Wahlen zu gewinnen. Dieser Verdacht wurde heute mehr als widerlegt. Die Affäre um Guttenbergs gefälschte Doktorarbeit dürfte Scholz auf den letzten Metern noch reichlich Wähler zugetrieben haben. Wirkt er doch gleichsam als Prototyp eines Anti-Guttenberg. Statt pomadiger Blenderei solides Polit-Handwerk – dargeboten im Stil der guten, alten Zeit. Mitunter verspottet als Scholzomat.

Der zweite Grund für die besondere Aufmerksamkeit, die Scholz´ Sieg verdient: seine Präsentation der SPD als „wirtschaftsfreundlich“. Scholz ist nicht nur einer der Macher der Agenda 2010; er vertritt diese Politik auch nachdrücklich. Im Hamburger Wahlkampf ließ er keine Gelegenheit aus, sich als Sozialdemokrat in der Tradition von Helmut Schmidt und Gerhard Schröder zu verkaufen. Damit hatte er, auch wenn er keineswegs über das Charisma der beiden Alt-Kanzler verfügt, Erfolg. Sehr großen Erfolg – vielleicht nicht trotz, sondern gerade wegen seiner an Langeweile grenzenden Nüchternheit, in der er sich von der Eloquenz Schmidts und Schröders für jeden sichtbar unterscheidet.

Die Hamburg-Wahl wird die politische Konstellation in der Bundesrepublik – nicht nur wegen des Bundesrats – deutlich verändern. Olaf Scholz´ Sieg wird nicht ohne Auswirkungen auf das innerparteiliche Spannungsfeld in der SPD bleiben. Sigmar Gabriel hat heute Abend bereits damit begonnen, den Kurs ein wenig nach rechts zu korrigieren. Der Druck in diese Richtung wird wegen Scholz´ Erfolg wachsen. Das magere Wahlergebnis der Linken gibt den entsprechenden Spielraum. Sechs Komma Nochwas sind für Hamburg ohnehin schon etwas wenig. Angesichts einer desavouierten GAL und einer „wirtschaftsfreundlichen“ SPD kann das Resultat die Linken nur enttäuschen.

Bei den anstehenden Wahlen in Westdeutschland liegt die Fünf-Prozent-Hürde hoch. Bei den Piraten dürften alle wahlpolitischen Träume endgültig geplatzt sein. Gegenwärtig ist keine Chance zu erkennen, dass die Piratenpartei ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen könnte. Dass die FDP mit einer Kandidatin, die sich im Wahlkampf der SPD als Koalitionspartner andient und mit einem ganz anderen Profil als die Westerwelle-Steuersenkungspartei antritt, in die Hamburger Bürgerschaft zurückkehrt, wird zu einem späteren Zeitpunkt gewiss mehr Beachtung finden als so kurz nach der Landtagswahl.

Der Ruhrpilot

Adolf Sauerland

NRW: Bürgermeister von Volkes Gnaden…Welt

Festivals: Feiern statt Angst bei Bochum Total und Juicy Beats…Der Westen

Verkehr: Streikbereite Lokführer werben um Verständnis…Stern

WestLB: Das lange Warten geht weiter…Welt

Bochum: Kraft auf Kongress…Pottblog

Bochum II: Wenig Reserven für die Katastrophe…Der Westen

Dortmund: Räuber überfällt St. Pauli-Mannschaftshotel…Ruhr Nachrichten

Duisburg: DGB kritisiert Handel in Duisburg für Ladenöffnung auch am 1. Mai…Der Westen

NPD-Sites in NRW gehackt

Zum Anlass der Nazidemonstration in Dresden sind wohl mehrerer NPD-Seiten in NRW gehackt worden. Ein uns gerade zugeschickter Link zeigt die Seite der NPD-Mönchengladbach. Dort begrüßt Winston Churchill die Besucher. In Dresden  eskaliert die Lage zur Zeit. Laut taz sind dort zur Zeit mehrere tausend Nazis unterwegs. Barrikaden sollen sie am demonstrieren hindern.

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„Tag des Sieges“ auf dem Tahrir-Platz: es spricht der moderate islamische Rechtsgelehrte

Yusuf al-Qaradawi

Gestern, am Freitag, den 18. Februar 2011, versammelten sich abermals mehrere Hunderttausend Menschen in Kairo auf dem Platz der Befreiung, dem Tahrir-Platz. Die Ägypter feierten ihre Befreiung; sie begingen den „Tag des Sieges“ genau eine Woche nach diesem Sieg. Am Freitag, den 11. Februar 2011, hatte die Demokratiebewegung ihr vorrangiges Ziel erreicht. Husni Mubarak hatte die Segel gestrichen.

Ernüchterung sei eingetreten am „Tag des Sieges“. „Die Institutionen des alten Regimes und die Regierung fühlen sich jetzt wieder sicherer“, zitiert die FAZ einen der Organisatoren der Proteste. Die Euphorie des Sieges sei daher in den letzten Tagen verflogen. Gut also, dass der Prediger Yusuf al Qaradawidie Bewegung in seiner Freitagspredigt auf dem Platz auf(rief), nicht aufzugeben und bis zum Sieg der Revolution durchzuhalten – sie sei noch nicht zu Ende.“ Yusuf al Qaradawi konnte auf Einladung der “Jugend der Revolution” (The Revolution’s Youth), die auch zu der gestrigen Großkundgebung aufgerufen hatte, das Freitagsgebet sprechen.
Die ARD-Tagesschau berichtete darüber folgendermaßen: „Heute Mittag hatte der bei vielen Ägyptern beliebte konservative Fernsehprediger Yusuf al-Qaradawi auf dem Tahrir-Platz das Freitagsgebet gehalten. Er forderte das Militär auf, die Grenze zum Gazastreifen zu öffnen. Bald, so hofft er, werde er auf dem Tempelberg in Jerusalem predigen. Dies ist als Provokation Israels gemeint. Wegen solcher Äußerungen hat er jahrelang nicht in Ägypten predigen dürfen.“ Das war´s; mehr erfahren wir nicht über den Geistlichen.

So wird ganz beiläufig Ägyptens Demokratiebewegung denunziert: „Provokation Israels“. Wodurch denn? Die Forderung, die Blockade des Gazastreifens aufzuheben, wird doch nicht nur auf dem Tahrir-Platz erhoben, sondern auch von der gesamten westlichen Welt. Und der Gazastreifen wird nun einmal nicht nur von Israel, sondern auch – so ist die Geographie – von Ägypten abgeriegelt. Ist es da eine „Provokation“, wenn ein muslimischer Prediger fordert, dies zu beenden?
Oder dass al Qaradawi auf dem Tempelberg predigen möchte? Ja, Du lieber Himmel. Dort steht bekanntlich die al-Aqṣā-Moschee, in der (nicht nur) jeden Freitag gepredigt wird. So what? Was will uns Jörg Armbruster, der ARD-Korrespondent in Kairo, damit sagen? Oder damit, dass der Fernsehprediger Yusuf al-Qaradawi „konservativ“ sei. So etwas soll bei Klerikern vorkommen. Oder sind die US- Fernsehprediger etwa „progressiv“? – Also bitte!
Dass al-Qaradawi von der “Jugend der Revolution”, also den Facebook-Revolutionären eingeladen wurde, ließ Armbruster übrigens unerwähnt. Genau wie den Grund dafür, warum ausgerechnet dieser Prediger bei vielen Ägyptern so beliebt ist. In dieser Hinsicht wissen Spiegel-Leser mehr. Denn in der aktuellen Printausgabe des Nachrichtenmagazins findet sich ein ausführliches Porträt des ehrwürdigen Scheichs, das bislang jedoch nur in englischer Sprache online steht.

Yusuf al-Qaradawi ist ein respektierter Gelehrter, die prominente, namhafte, weltbekannte Stimme des sunnitischen Islam. Ein „globaler Mufti“ sozusagen, dessen Einfluss auf die Sunniten – übrigens auch in Deutschland – gar nicht überschätzt werden kann. Schon seit fünfzehn Jahren läuft jeden Sonntag auf al-Dschasira seine Sendung „Scharia und Leben“ mit etwa 60 (sechzig!) Millionen Zuschauern.
Auf solche Informationen wartet der deutsche Fernsehzuschauer jedoch vergebens. Wir hören, der Imam sei „konservativ“. Wir erfahren aber nicht, dass er sich „den Ruf eines Moderaten“ erworben hat. Weil auf korrektes Zitieren zur Zeit besonders viel Wert gelegt wird: Alexander Smoltczyk, Jussuf und seine Brüder, „Der Spiegel“ 7 / 2011 vom 14.2.11, S. 84 f. Qaradawi plädiert für „die Toleranz gegenüber Andersgläubigen und verurteilt die Anschläge der Qaida“.
Doch auch dies erwähnt Jörg Armbruster mit keiner Silbe. Stattdessen erweckt er in der Tagesschau den Eindruck, dass sich Israel völlig zurecht provoziert fühle. Kein Wort darüber, dass sich der Scheich „auch gegen die systematische Züchtigung von Ehefrauen (ausspricht). Dumm sei so etwas“.

Auch wir sind modern“, sagte er in einem Spiegel-Gespräch, weil „wir auch von den großen Erfindungen des Westens, von der Revolution des Informationszeitalters profitieren.“ Der Spiegel, das ist schon etwas ganz Anderes als die Tagesschau. Noch einmal ein ganzes Stück seriöser ist freilich Die Zeit. Sie stellte uns bereits 2002 den muslimischen Top-Gelehrten mit dem Aufsatz „Globalisierung auf islamisch“ auf vorbildliche, weil objektive Art und Weise vor. Nämlich so:
„Er predigt die Rückbesinnung auf den Islam: Nur so könnten die Muslime den ihnen in der Welt zustehenden Platz wiedererlangen. Die Bücher des Scheichs sind Bestseller, seine Seiten im Netz die wohl am meisten besuchten in arabischer Sprache. Der gebürtige Ägypter, der an der berühmten Azhar-Universität in Kairo studiert hat, lebt heute in Doha, der Hauptstadt Qatars. Auch in Deutschland ist der Gelehrte ein häufiger Gast bei Großveranstaltungen der Muslime. Die Themen: Fragen des Lebens, der Moral und, nicht zuletzt, der Politik. Sein Wort ist für viele Muslime Gesetz.“

Oder wir sehen nach bei Wikipedia: „al-Qaradawi kann als eine der obersten zeitgenössischen Autoritäten im sunnitischen Islam betrachtet werden und gilt in der islamischen Welt als wichtige moralische Instanz.“ Der heute 84-jährige Präsident der „Internationalen Vereinigung Muslimischer Rechtsgelehrter“ (IAMS) und des Europäischen Rats für Fatwa und Forschung ist „gegen Angriffe auf Homosexuelle“, wie er dem Londoner Labour-Linken Livingstone versichern konnte.
Für diese „geschlechtliche Abartigkeit“ (al-Qaradawi) setzt es 100 Peitschenhiebe, dekretiert der Großmufti, womit er die Scharia zweifelsfrei recht moderat auslegt, wenn man bedenkt, dass dafür andernorts die Todesstrafe fällig ist. Die Todesstrafe hält al-Qaradawi bei außerehelichem Geschlechtsverkehr für angemessen. Unattraktiv für Berlusconi, wenn außerehelicher Verkehr doch nicht besser ist, als schwul zu sein. Selbst Prostituierten ist mit läppischen 100 Peitschenhieben die Barmherzigkeit des beliebten Fernsehpredigers sicher.
Na klar, Schwule und Huren erhalten im Falle der Rückfälligkeit noch einmal eine Tracht Prügel. Aber das ist immer noch besser als die Todesstrafe. Irgendwann werden die Peitschenhiebe schon die erhoffte Wirkung erzielen, vermutlich bei den Huren früher als bei den Schwulen. Letzteren dürfte aber ein höheres Maß an Diskretion und gesellschaftlicher Anpassung durchaus helfen können. Und, wie gesagt, wenn es doch einmal sittlichen Ärger geben sollte, hat ein Scharia-Richter das gottgefällige Urteil zu sprechen – und nicht der erzürnte Pöbel.

Die ägyptische Muslimbruderschaft hatte al-Qaradawi im Jahr 2002 gebeten, sie zu führen, was er ablehnte, weil ihn diese Funktion zu stark einschränken würde. Inzwischen dürfte er auch für die Übernahme einer solch verantwortungsvollen Position zu alt geworden sein. Selbst seine Vortragsreisen nach Deutschland werden allmählich seltener. Dabei hat der Fernsehstar auch hierzulande eine Vielzahl von Fans. Wie auch immer: jetzt wird al-Qaradawi in Ägypten, seiner Heimat, gebraucht. Und als Prediger auf dem Tahrir-Platz nützt er der Bewegung gewiss genauso viel wie als als politischer Führer der Muslimbruderschaft.
Oder nützlicher. Die Muslimbruderschaft wird jetzt auch offiziell zur Partei, und Partei kommt vom lateinischen pars (Teil), ist also nur ein Teil der Bewegung. Besser ist es, sich von dem breiten Bündnis der “Jugend der Revolution” einladen zu lassen. Und da die Generation Facebook sich schwer tut mit den Auffassungen des älteren Herrn zur Sexualmoral, ein aus dem christlichen Abendland nur allzu bekanntes Phänomen, stellt al-Qaradawi dieses Trennende (vorläufig) ein wenig zurück und konzentriert sich auf das ihn mit der Jugend Einende.

„Die Revolution muss weitergehen“, sagte er gestern auf dem Tahrir-Platz. Ob mit oder gegen die ägyptischen Militärs. Der Gazastreifen muss geöffnet, der Blick nach Jerusalem gerichtet werden. Es geht schließlich um die „Befreiung Palästinas“, wie in Tunesien, so auch in Ägypten. Dies wollen nicht nur die Alten und die Frommen, sondern auch die Jungen und die Revolutionären. Sonst hätten sie diesen alten Hetzer nicht die Predigt zum „Tag des Sieges“ halten lassen.
“Die ganze Geschichte hat Gott Leute gesandt, um sie für ihre Verkommenheit zu bestrafen. Die letzte Bestrafung ist von Hitler ausgeführt worden“, predigte al-Qaradawi vor zwei Jahren auf al-Dschasira. Sie, das sind die Juden, die er zu „Feinden Gottes“ erklärt. Yusuf al Qaradawi stimmt die Muslime auf einen neuerlichen Holocaust schon einmal ein: „So Gott will, wird das nächste Mal diese Strafe Gottes durch die Hand der Gläubigen erfolgen.“
Auch Frauen und Kinder sind keineswegs von der „Strafe Gottes“ auszuschließen, so al-Qaradawi. Selbst das im Islam strenge Suizidverbot hat der islamische Rechtsgelehrte für den Kampf gegen Israel außer Kraft gesetzt. Zum Märtyrertod darf die Muslima erforderlichenfalls sogar ohne Kopftuch antreten.

Gutes Copy, schlechtes Copy

Da haben wir sie endlich: Die Urheberrechtsdebatte. Endlich wird auch Konservativen vor Augen geführt, was „Geistiges Eigentum“ (Achtung: Kampfbegriff!) im digitalen Zeitalter alles bedeuten kann und wie viele Aspekte und Ebenen hierbei zu beachten sind. Zynisch betrachtet, hatten die Konservativen damit bisher ja nur dahingehend zu tun, dass sie darüber beraten mussten, ob man „Raubkkopierern“ das Internet kappen soll, es der Verwerterindustrie leichter machen, zivilrechtlich gegen sie vorzugehen – oder ob man doch gleich Netzsperren gegen den „Ideenklau“ im „rechtsfreien Raum Internet“ einrichten sollte.

Das ist nun mit einem Schlag anders geworden. Nicht, weil es Plagiate erst seit Google gibt. Sondern durch die falschen Vergleiche mit Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“, die von unzähligen Menschen vehement zurückgewiesen wurden. Nämlich von solchen, die irgendwann in ihrem Leben mal viel Mühe in eine wissenschaftliche Arbeit gesteckt haben.

Vor einem Jahr, als die Feuilletons eher hilflos mit Helene Hegemans Copy & Paste aus Weblogs umgehen mussten, dominierte die Sichtweise „so macht die Internetgeneration das eben“. In der taz wurde Hegemanns Copy & Paste zum Beispiel mit einer Aktion „ich habe abgeschrieben“ aufgegriffen. Dass aus der Hegemann-Debatte nicht so viel produktives herauskam, liegt vielleicht auch an der Behäbigkeit, der Holzmedienhaftigkeit, die in vielen Feuilletons bzw. Kulturredaktionen im Vergleich zu anderen Ressorts wohl besonders stark verbreitet ist.

Alles nicht so schlimm, sagte man damals auch. Das Mädel ist doch erst 17, und sie ist eben in ein paar Blogs gesurft und hat sich da „inspirieren“ lassen. Das haben Künstler doch schon immer so gemacht. Und das ist auch gar nicht schlimm.

Geht es einem ausschließlich um die Fakten, die Wahrheit in der Welt, und nicht um die monetäre Verwertung des produzierten Wissens, dann ist das genau richtig. Copy & Paste in der Wissenschaft – unabhängig davon, dass es der Verteidigungsminister dieses Landes war – ist gravierender. Denn hier geht um die Wahrheit. Eine wissenschaftliche Arbeit ist kein Roman. Wissenschaftliche Arbeit baut auf wissenschaftlicher Arbeit von anderen auf. Isaac Newton wird der Spruch

„If I have seen further it is only by standing on the shoulders of giants“

zugeschrieben, in Wirklichkeit ist das Gleichnis aber älter. (Danke @schillingst für das Zitat und Goldbach für die Präzisierung zu möglichen Urhebern).

Hätten die Riesen, auf denen „Newton“ sein Wissen aufbaute, bei ihrer Arbeit geschlampt, dann wäre der Turm aus Riesen, von dem aus er so weit sehen konnte, ganz schnell zusammengebrochen. Schlampige Riesen können weniger tragen. Und wenn alle so arbeiten würden wie Guttenberg, dann würde die Wahrheit untergehen. Was im konkreten Fall noch hinzukommt: Rezipienten der Guttenberg’schen Doktorarbeit hatten sogar ein zusätzliches „Trust-Siegel“, nämlich die Note „Summa cum Laude“, mit der die Doktorarbeit bewertet wurde.

Vor allem in Zeiten des digitalen Meers mit unendlich vielen Informationen sind Inseln des Vertrauens unbedingt nötig. In digitalen Zeiten werden Quellen wichtiger, nicht unwichtiger. Das Gerede von der Copy & Paste Generation, „die das eben so macht“, ist im Wissenschaftskontext (genauso bei „Journalismus“) nicht gerade von Klugheit geprägt.

So auch der Artikel von Ulf Poschardt, der Guttenberg mit dem Argument des „Samplings“ verteidigt („Sampling – eine Kulturtechnik, die zu Guttenberg passt“). Da ist wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens

„Der Jay-Z der bürgerlichen Politik: Beim jüngeren Publikum wird die Erregung über Guttenbergs Umgang mit Zitaten die Zuneigung eher verstärken, hat es sich doch in Zeiten des Copy and Paste daran gewöhnt, einen Teil seiner Schul- und Unileistungen durch virtuose Quellenrecherche zu perfektionieren“

Bei jüngeren Menschen wie mir und auch bei den jungen Menschen von Dradio Wissen (Audiobeitrag zum „Orden wider den tierischen Ernst, u.a. mit von Rüttgers „geklauten“ Karnevalswitzen) kommt die Kopiererei im Wissenschaftskontext nicht so gut an. Und auch Andreas Popp, stellvertretender Vorsitzender der Piratenpartei, differenziert in dem Beitrag „Warum Guttenberg kein Pirat ist“ den Knackpunkt genüsslich auseinander.

„Ohne Zitation hat sich Guttenberg einer Urheberrechtsverletzung schuldig gemacht. Da wir Piraten das Urheberrecht ja eh blöd finden, sollten wir Guttenbergs Aktion dann nicht gut finden? Die Antwort lautet hier: Nein! (…) Das, was Guttenberg hier getan hat, hat nichts mit Filesharing zu tun und auch nichts mit dem gewünschten akademischen »Remix«, es ist schlicht und ergreifend Betrug“

Popp schreibt in seinem Beitrag auch sehr genau auf, dass ein Unterschied zwischen privater Nutzung und einer Veröffentlichung besteht. Man könnte als Pirat oder anderswo auch nochmal auf die inzwischen doch recht verbreitete Kultur Freier Lizenzen hinweisen, die in den meisten Fällen eine Nennung von Urhebern fordert. Wie schrieben die Kollegen weiland so schön im „Internet Manifest“

13. Im Internet wird das Urheberrecht zur Bürgerpflicht.

„Das Urheberrecht ist ein Eckpfeiler der Informationsordnung im Internet. Das Recht der Urheber, über Art und Umfang der Verbreitung ihrer Inhalte zu entscheiden, gilt auch im Netz. Dabei darf das Urheberrecht aber nicht als Hebel missbraucht werden, überholte Distributionsmechanismen abzusichern und sich neuen Vertriebs- und Lizenzmodellen zu verschließen. Eigentum verpflichtet“

Also, liebe Konservativen! Liebe Holz-Feuilletons! (und liebe Grünen: „Gutt kopiert“ – *ähem* *hust*). Mal nicht immer so auf dieses Internet schimpfen. Und nicht immer so falsche Vergleiche ziehen – in diesem Internet gibt es ganz viele, die Zitate wichtig finden. Und bei wissenschaftlichem Arbeiten (und übrigens auch bei „Journalismus“) doppelt gern!

Ohne sichere, vertrauenswürdige Quellen keine Wahrheit. Wo kämen wir denn hin, wenn die im weltweiten Informationsmeer Schiffbruch erlitte.