Corona und Katastrophenschutz: „All dies hätten wir früher machen müssen“

Grafitti Corona Colonia Foto: K. Gercek

Am 15. März 2020 begannen die Ruhrbarone diese Interviewreihe. Nach dem 60. Interview mit Magnus Memmeler legten wir mit Hartmut ZIebs, dem ehemaligen Präsidenten des Deutschen Feuerwehrverbandes, nach.  Im 63. Interview steht er uns heute nun wieder dankenswerter Weise zur Verfügung. Heute geht es um die Proteste der Impfgegner, die neue Welle und mögliche Folgen, den Stillstand im Katastrophen- und Zivilschutz und um Ehrlichkeit in der Politik

Ruhrbarone: Hallo Herr Ziebs, heute ist der vierte Advent und in ein paar Tagen beginnt das Weihnachtsfest – das Fest des Friedens und der Hoffnung. Wenn sie an die letzten Wochen denken, wie ist Ihnen denn da zumute?

Ziebs: Dieses Jahr Weihnachten ist immer noch gekennzeichnet durch die Corona-Pandemie. Ich bin nie pessimistisch, aber die Bewegung um die Querdenker, die Corona-Leugner und die Impfverweigerer machen mir große Sorgen.

Die Querdenkerbewegung radikalisiert sich immer mehr. Demonstrationen als Spaziergänge zu deklarieren, durch gezielte Aufmärsche bei Weihnachtsmärkten für Verunsicherung zu sorgen, immer unter dem Deckmantel demokratischer Rechte, ist ein Mittel zur Destabilisierung unserer Gesellschaft. Alleine die Folgerung aus dieser Bewegung, wir stehen vor einer Spaltung der Gesellschaft, halte ich für vollkommen falsch.

Zur Zeit reagiert die Politik immer auf die Menschen, die am lautesten schreien. Dabei wird aber übersehen, dass die weit überwältigende Mehrheit der Bevölkerung weit weg ist von diesen verquerten Bewegungen.

Dass die Fäden dieser Bewegung im Hintergrund durch Rechtsextreme gezogen werden, muss uns noch vorsichtiger werden lassen. Gerade auch mit Blick auf die Gewaltbereitschaft aus dieser Bewegung heraus. Die Corona-Pandemie bedroht Menschenleben. Das Recht auf Leben ist eines der höchsten Rechtsgüter unseres Staates. Daran darf auch nie gerüttelt werden.

Wenn zum Schutz des Rechtes auf Leben auch Grundrechte temporär eingeschränkt werden, dann ist dies aus meinem Rechtsempfinden zulässig. Vielleicht sind wir sogar zu lax mit Einschränkungen umgegangen. Immer denen geschuldet, die am lautesten protestiert haben.

Ruhrbarone: Bitte erläutern Sie kurz mal, wo genau „zu lax“ reagiert wurde?

Ziebs: Eine Pandemie verläuft in Wellen. Um eine Pandemie nicht zu einer übermäßigen Belastung des Gesundheitssystems werden zu lassen, muss man versuchen, die Spitzen der Wellen abzuflachen. Das wurde von den medizinischen Fachleuten auch immer propagiert. Dies darf aber nicht dazu führen, dass mit dem Abflachen einer Welle auch Maßnahmen zurückgefahren werden.

Dann bekommt man mit etwas zeitlicher Verzögerung eine neue Welle. Ich halte die gewaltigen Lockerungen im Sommer 2021 für einen fatalen Fehler. Alle Experten haben vor übermäßigen Lockerungen gewarnt und wurden nicht beachtet. Mit dem Ergebnis, dass wir jetzt wieder vor einer solchen Welle stehen und möglicherweise wieder härtere Einschränkungen hinnehmen müssen.

Ruhrbarone: Vor dem Hintergrund der rasanten Verbreitung der neuen, hochvirulenten Variante mit dem schönen Namen Omikron werden sich härtere Maßnahmen wohl nicht vermeiden lassen, oder?

Ziebs: Ein Virus verändert sich immer. Das ist auch nicht neu. Und die Mutation führt ja nicht alleine zum Überlaufen der Intensivstationen. Vielmehr sind es die harten Krankheitsverläufe nach einer Infektion von Ungeimpften. Wir müssen also die Impfquoten steigern.

Es war ein Fehler die Impfzentren zu schließen und die Belastung alleine auf Arztpraxen zu verlagern. Ich bin auch nicht sonderlich glücklich über Großveranstaltungen. Mir ist durchaus bewusst, dass Großveranstaltungen auch einen wirtschaftlichen Faktor haben.

Aber dann lieber einen kleineren Wirtschaftszweig weiter mit Hilfsmaßnahmen unterstützen, als ganze Teile des Handels oder der Gaststättenbetriebe wieder in den Keller zu fahren. Nehmen wir als Beispiel die Regelung am Arbeitsplatz mit 3G.

In den ersten Tagen haben sich viele ungeimpfte Arbeitnehmer testen lassen. Langsam wird diesen Menschen der Test zu mühsam und die Zahl der Erstimpfungen steigt. Und das Ziel, die Impfquote erheblich zu steigern, führt zu einer ungeahnten Kreativität der Impfstellen.

All dies hätten wir früher machen müssen.


(c) Hartmut Ziebs

Hartmut Ziebs, 62 Jahre, Dipl.-Ing. Bauingenieurwesen Seit 1977 Feuerwehr Schwelm, Leiter der Feuerwehr Schwelm a.D., Bezirksbrandmeister der Bezirksregierung Arnsberg a.D.
Von 2003 bis 2015 Vizepräsident Deutscher Feuerwehrverband. Vom 1.1.2016 bis 31.12.2019 Präsident Deutscher Feuerwehrverband Von 2019 bis 2020 Vizepräsident CTIF (internationaler Feuerwehrverband)

 


Ruhrbarone: Kommen wir auf den Zivil- und Katastrophenschutz zu sprechen, wie sieht es dort aus?

Ziebs: Der Ukrainekonflikt macht mir große Sorgen. Diese Entwicklung war schon lange vorhersehbar. Ich kann nur hoffen, dass dieser Konflikt auf diplomatischem Weg befriedet werden kann.

Gleichzeitig bin ich über den Stillstand der Entwicklungen des Zivil- und Katastrophenschutzes besorgt. Die Flut im Sommer hat Defizite in einigen Bereichen aufgezeigt. Die notwendigen Veränderungen ziehen sich aber hin.

Mehr Ehrlichkeit auf allen Ebenen

Ruhrbarone: Die neue Bundesregierung hat gerade erst begonnen zu arbeiten, ein bisschen Zeit müssen Sie ihr aber da schon einräumen, nicht wahr?

Ziebs: Sie hätten dann Recht, wenn es alleine ein Problem der Bundesregierung wäre. Katastrophenschutz ist aber Ländersache. Und da kann man sich nicht hinter einen neuen Bundesregierung verstecken. Und scheinbar ist das auch keine Frage der Regierungspartei. In Rheinland-Pfalz regiert die SPD und man sieht keinen Handlungsbedarf seitens des Landes. In Nordrhein-Westfalen regiert die CDU und ein Untersuchungsausschuss tagt. Hier wünsche ich mir etwas mehr Ehrlichkeit auf allen Ebenen.

Ruhrbarone: Wenn sie nach mehr Ehrlichkeit in der Politik rufen, erübrigt sich das nicht?

Ziebs: Politik muss glaubwürdig sein. Im Moment habe ich da an vielen Stellen Zweifel. Im Bundestagswahlkampf hat sich eine Partei massiv für die Grundrechte eingesetzt und muss nun zurückrudern. Die andere Partei will nicht wahrhaben, dass sie 16 Jahre die Bundeskanzlerin gestellt hat und muss sich gerade deshalb neu erfinden. Ministerien werden nicht nach fachlicher Kompetenz, sondern nach anderen Regelungen besetzt. Während wir die Atomkraftwerke abschalten, kaufen wir im Ausland Strom aus Atomkraftwerken. All das lässt sich im Einzelfall immer gut begründen. Aber Glaubwürdigkeit sieht etwas anders aus.

Politik und Ehrlichkeit schließen sich aus. Politik und Glaubwürdigkeit aber nicht.

Ich wünsche allen einen schönen vierten Advent und eine friedvolle Weihnachtszeit.

Glück Auf und bleiben Sie gesund.

Ruhrbarone: Ihn auch und herzlichen Dank

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