Cybrothel-Affäre: Anatomie einer Falschmeldung

Cybrothel: Ein Bordell für Sexpuppen in Berlin. Was ist dran an den Vorwürfen?
Cybrothel: Ein Bordell für Sexpuppen in Berlin. Was ist dran an den Vorwürfen?

Cybrothel: Können in dem Berliner Sexpuppen-Bordell wirklich Gewaltfantasien mit minderjährigen Mädchen nachempfundenen Sexpuppen ausgelebt werden? Eine Recherche.

Vor einer Woche hat eine Freundin von mir eine Story der feministisch-aktivistischen Instagram-Seite „My Voice, My Choice“ geteilt, die ich mit Staunen gelesen habe. Die Story verwies auf einen Instagram-Post, in dem „My Voice, My Choice“ ihren damals 329.000 und mittlerweile 342.000 Followern erzählt hat, dass es da in Berlin ein so genanntes „Sexpuppen-Bordell“ gäbe, in dem es legal sei, an blutüberströmten Sex-Puppen, die auf Wunsch minderjährigen Mädchen nachempfunden seien, sexuelle Gewaltfantasien auszuleben. Über 21.000 Likes hat der Post bis heute gesammelt.

Das ist natürlich ziemlich schockierend. Blöderweise nur, habe ich diesen Reflex, immer wenn ich mir empört denke „Das kann doch wohl nicht wahr sein!“, nachzuprüfen, ob, naja, das auch wirklich wahr ist. Als erstes habe ich also nach der Quelle geschaut, die „My Voice, My Choice“ angegeben hat. Einfach nur „The Berliner“ stand da als Quelle. Okay, kann ich ja schnell nachschauen. The Berliner hat tatsächlich einen Artikel über dieses „Cybrothel“ geschrieben. Das Ding nur: In dem Artikel wird von all diesen furchtbaren Dingen, die da angeblich möglich sind, so überhaupt nichts erwähnt. Das kann also eigentlich schon mal nicht die Quelle dieser Vorwürfe sein.

 

Den Vorwürfen auf der Spur

 

Als nächstes sah ich mir dann die Homepage dieses Sexpuppen-Bordells in Berlin an. Ich sah da weder Minderjährigen nachempfundene Sexpuppen, noch irgendwelche Hinweise auf Gewaltfantasien, die da angeboten wurden. Im Gegenteil, steht da an einigen Stellen ganz deutlich, dass derlei Wünsche nicht erfüllt werden. Irgendwie auch einleuchtend. Von den ethischen Problemen mal ganz abgesehen: Diese hochmodernen Sexpuppen sollen ziemlich teuer sein. Wäre vermutlich kein sonderlich smartes Geschäftsmodell, wenn jeder Kunde die nach Herzenslust zerlegen dürfte.

Ich hatte die angegebenen Quellen also angeschaut und weiß jetzt immer noch nicht, wo genau diese Vorwürfe eigentlich herkommen. Also habe ich zwei sehr freundliche Presseanfragen verschickt. Eine an Cybrothel, von denen ich wissen wollte, ob die Vorwürfe stimmen bzw. ob sie sich erklären können, wo diese Vorwürfe herkommen und eine an „My Voice, My Choice“ in denen ich sie fragte, worauf sie ihre Vorwürfe stützen, da ich diese dem als Quelle angegebenen „The Berliner“-Artikel nicht entnehmen konnte. Die Anfrage ging jeweils an die auf ihren Websites angegebene E-Mail-Adresse.

 

Die leicht gereizte Antwort von „My Voice, My Choice“

 

„My Voice, My Choice“ antwortet mir innerhalb von 24 Stunden. Wer mir geantwortet hat weiß ich nicht, da die E-Mail nicht mit Namen gezeichnet ist. Warum sie ihre Vorwürfe mit einer Quelle versehen haben, in der diese Vorwürfe gar nicht stehen, erklärt die anonyme Antwort-Mail, die nicht namentlich gezeichnet ist, nicht. Die Antwort ist generell nicht sonderlich lang und besteht im Grunde nur aus zwei Links, einmal zu einem Artikel der schottischen Boulevardzeitung The Scottish Sun und einer zu einem knapp anderthalbminütigen Tiktok-Video, auf das sich auch der Artikel der Scottish Sun bezieht und die sich beide auf ein Buch der britischen Autorin Laura Bates beziehen, dazu später mehr. Außerdem noch der rotzige Satz „+ literally just check the webpage of the brothel“. Man ist bei „My Voice, My Choice“ wohl entweder nicht gewohnt oder nicht so glücklich darüber, sich rechtfertigen zu müssen, da mag die Presseanfrage auch noch so höflich sein.

Von Cybrothel erhalte ich einen Tag später eine ausführliche Antwort von Inhaber Philipp Fussenegger. Fussenegger glaubt, dass die Anschuldigungen ursprünglich zurückgehen auf Äußerungen der britischen Autorin Laura Bates im Podcast Should I Delete That, in dem sie ihr neues Buch The New Age of Sexism: How the AI Revolution is Reinventing Misogyny bewirbt, in dem sie unter anderem auch beschreibt, wie sie das Cybrothel besucht und sexuelle Handlungen an einer Puppe ausführt, wie sie sich dabei fühlt, was sie darüber denkt.

 

Das Körnchen Wahrheit im Empörungsquark

 

Bates hat nach eigener Aussage, was Fussenegger nicht leugnet, bei ihrem Besuch ihre Puppe mit zerrissenen Netzstrumpfhosen bestellt und auch so zur Verfügung gestellt bekommen. Um Bates Äußerungen im Podcast, auf die sich „My Voice, My Choice“ immerhin mit ihren Anschuldigungen beruft, nachvollziehen zu können, habe ich ihr Buch gelesen, um zu sehen was eigentlich der Kontext ist. Fussenegger weist ganz energisch zurück, dass man im Cybrothel blutüberströmte Puppen anfordern könne, wie „My Voice, My Choice“ das behauptet.

Aus dem Buch von Bates geht dann auch tatsächlich der Zusammenhang hervor: Die Puppen im Cybrothel haben gewissermaßen ein Thema. Eine ist Lehrerin, es gibt eine Scifi-Puppe, eine Techno-Puppe und eben eine Vampir-Puppe. In den Werbebildern ist die Technopuppe im Club abgebildet, die Scifi-Puppe im Raumschiff und die Vampir-Puppe beim Bluttrinken. Fussenegger betont, dass man die Puppe aber nicht mit Blut bestellen kann. Dafür gibt es auch nirgendwo einen Anhaltspunkt und auch Bates behauptet das in ihrem Buch nicht. Es erscheint auch sinnig. Man würde bei der Scifi-Puppe sicherlich auch nicht erwarten, dass das Raumschiff mit dabei ist. Wer einen Küchentisch bei IKEA kauft, bekommt auch nicht den gefüllten Obstkorb mitgeliefert, der im Katalog auf dem Tisch steht.

 

Eine mehr als dünne Beweislage

 

Worauf bezieht sich also nun der Vorwurf, dass man im Cybrothel minderjährigen Mädchen nachempfundene Puppen bestellen könne? Nach gründlichster Lektüre von Bates‘ Buch stützt sich dieser Vorwurf auf einen beiläufigen Halbsatz auf Seite 139, in dem Bates erwähnt, dass eine der Puppen aus dem Katalog „für sie“ aussieht, als wäre sie etwa 14. Das erscheint dann doch ein wenig dünn.

Wenn es um persönliche Eindrücke geht: Mir erscheint es so, als gäbe sich Cybrothel große Mühe, auf ihrer Homepage mehr als deutlich zu machen, dass man solche Fantasien nicht bedient und sich darum bemüht, die Puppen auch nicht auf eine solche Weise zu präsentieren. Auf jeden Fall finde ich, dass man für einen solchen Vorwurf mehr bräuchte, als einen vagen Halbsatz in einer doch insgesamt ziemlich reißerisch geschriebenen, auf maximale Empörung ausgelegten und auf Buchlänge gestreckten Cybersex-Reportage.

Cybrothel wies in der Antwort auf meine Anfrage auf jeden Fall mit Nachdruck darauf hin, dass es auf gar keinen Fall geduldet wird, dass mit den Puppen irgendwelche Gewaltfantasien ausgelebt werden und kann belegen, dass sie das auch schriftlich allen Kunden schon bei der Buchung klarmachen. Vor ein paar Jahren ging Cybrothel gerichtlich gegen einen Mann vor, der das missachtete und eine Puppe schwer beschädigte und schlug zudem Alarm, weil der Täter ankündigte, sowas auch mit echten Menschen machen zu wollen. Das ist wohl schwerlich das Verhalten eines Unternehmens, das so ein Verhalten gutheißt, fördert oder davon profitieren will.

 

Anatomie einer Falschmeldung

 

Trotzdem stehen die Vorwürfe jetzt im Raum. Und weil Männer, die Puppen ficken und Leute, die damit Geld verdienen, sowieso irgendwie alle schmuddelig sind, will auch keiner so genau hinschauen, ob das eigentlich alles stimmt. Auch diese Recherche hier ist natürlich nicht so sexy und verrucht, weil es freilich viel langweiliger ist, sich mit Fakten und Details zu befassen, als durch ein paar bunte Bildchen auf Instagram in Schriftgröße Fett zu swipen.

Leider zeigt sich bei „My Voice, My Choice“ hier ein Muster, das zunehmend üblicher wird im Online-Aktivismus: Man nehme ein Körnchen Wahrheit (ja, Bates wollte zerissene Netzstrumpfhosen für ihre Puppe haben und ja, Cybrothel kam dem wohl nach), versehe das mit aufreizenden Bildern, einer guten Portion aufwiegelnder Rhetorik und wenn nicht frei erfundenen Vorwürfen, dann doch zumindest grotesken Übertreibungen, die man eigentlich nur als mutwillig empfinden kann. All das serviert man dann ohne jeden Anspruch an Redlichkeit und korrektes Zitieren als heiße Sauce in den sozialen Medien. Weil es nicht darauf ankommt, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen, sondern auf maximale Aufregung. Denn nur Aufregung generiert Aufmerksamkeit und Likes.

 

Empörung als Währung in der Aufmerksamkeitsindustrie

 

Als Öffentlichkeit müssen wir auch und gerade von Organisationen und Gruppen wie „My Voice, My Choice“, die für sich in Anspruch nehmen, für wichtige Anliegen zu sprechen und zu werben, etwas Besseres verlangen. Auch als Leser dürfen wir es uns nicht zu einfach machen. Wir müssen Quellen überprüfen und Aufmerksamkeit heischende Behauptungen in Frage stellen. Uns muss klar sein, dass unsere Empörung in der Aufmerksamkeitsindustrie eine Währung ist, bare Münze – und manche Leute sind bereit, Falschgeld zu drucken.

Das ist vor allem deswegen ärgerlich, weil wir über das Thema Technologie und menschliche Intimität, welche Implikationen die Ausbreitung von KI für unser Zusammenleben, unsere Gefühle und unsere Sexualität hat, was das mit uns macht und welchen Einfluss das auch auf die Wahrnehmung von Frauen und Männern, ihren Körpern und ihrer Autonomie hat, ganz dringend diskutieren und über die ethischen Implikationen sprechen sollten.

Aber nicht so.

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