Der Staat Israel ist nicht das Problem. Er ist die Antwort auf das Problem.

Israelflagge in der Nähe der Klagemauer/Jerusalem; Foto: Peter Ansmann
Israelflagge in der Nähe der Klagemauer/Jerusalem; Foto: Peter Ansmann


Es gibt eine Sache, die kaum jemand laut ausspricht, aber jeder in der Region versteht: Was die umliegenden Staaten, die Islamisten, die „Widerstandsbewegungen“ und ihre westlichen Fans wirklich fertigmacht, ist nicht das, was Israel angeblich tut. Es ist, was Israel nicht mehr ist. Von unserem Gastautor Christopher-Ariel Merkel.

Jahrhundertelang waren Juden überall eine geduldete Minderheit auf Abruf. Wir durften leben, solange die Mehrheit Lust hatte, uns leben zu lassen. Wenn sie keine Lust mehr hatte, kamen Pogrom, Vertreibung, Enteignung, Mord. In Europa. In Nordafrika. Im Nahen Osten. Überall. Kein Rückzugsort, keine eigene Armee, kein Ort, an dem wir nicht von der Laune anderer abhängig waren.

Israel hat das beendet. Israel ist die erste Situation in der Geschichte der Juden, in der wir sagen können: „Nein. Nicht nochmal. Nicht mit uns.“ Das ist die wirkliche Sünde Israels in den Augen derer, die uns hassen: Dass Juden nicht mehr nur Opfer sein müssen.

Genau deshalb werden wir ständig in diese Täterrolle hineingelogen. Uns wird vorgeworfen, wir würden „immer gleich die Opferkarte ziehen“. Die Realität ist das Gegenteil: Wir haben zum ersten Mal in 2000 Jahren die Möglichkeit, nicht Opfer zu sein. Und genau das macht unsere Gegner rasend.

Schau dir die aktuelle Rhetorik an. Die islamistischen Gruppen in der Region – Hamas, Islamischer Dschihad & Co. – stellen sich hin und verkaufen sich als „wehrhafte Unterdrückte“, gezwungen zur Gewalt, weil Israel angeblich „Kolonialmacht“ sei. Gleichzeitig sagen diese Gruppen klipp und klar, dass Israel kein Recht hat zu existieren. Sie fordern nicht „Koexistenz“, sie fordern unsere Abschaffung. Nicht Grenzverhandlungen. Nicht Politik. Auflösung. Ende.

Und trotzdem kriegen sie in westlichen Städten Standing Ovations von Aktivistengruppen, die das in schöne Worte packen: „Widerstand“, „Dekolonisierung“, „Befreiung“. Sie kaschieren damit ein altes Ziel mit neuem Sprachlack: Juden dürfen nicht souverän sein.

Frage dich mal ehrlich: Wann hast du in diesen Demos je gehört: „Hamas, leg die Waffen nieder“? Nie. Echt nie. Du hörst „Waffenstillstand jetzt“ – aber immer adressiert an Israel. Nie an die, die offen sagen, dass ihr Endziel nicht Frieden ist, sondern dass Israel verschwinden soll.

Und da liegt der ganze Betrug.

Es gäbe einen extrem einfachen Test, um zu zeigen, wer wirklich Frieden will:

  1. Hamas legt die Waffen nieder.

  2. Hamas gibt alle Geiseln frei.

  3. Hamas sagt öffentlich: „Okay, Israel existiert, wir akzeptieren das, wir greifen euch nicht mehr an.“

Wenn sie das täten – was glaubst du, was passieren würde? Es würde sofort Ruhe einkehren. Israel will nicht sterben. Israel will nicht erobern. Israel will in erster Linie, dass auf uns niemand mehr schießt. Punkt.

Warum fordert das niemand laut? Warum brüllt niemand auf der Straße: „Hamas, entwaffnen JETZT!“?

Ganz einfach: Weil dann die Maske fallen würde. Dann wäre für alle sichtbar, dass die Gewalt nicht nur „Antwort auf Unterdrückung“ ist, sondern existenzielles Programm. Dass es eben nicht darum geht, in Frieden neben uns zu leben, sondern darum, uns am Ende gar nicht mehr da zu haben.

Es ist viel bequemer, so zu tun, als ob Israel der Aggressor wäre, weil Israel zurückschießt. Das ist die Verkehrung: Wer sich verteidigt, wird als Täter geframet. Wer angreift und dann heult, wird als Opfer gefeiert. Das ist Propaganda. Aber sie verfängt, weil sie moralisch einfach klingt.

Jetzt die zweite Ebene, die auch niemand gern berührt:

Man erzählt über Juden in Israel die immer gleichen Dämonengeschichten – besonders über religiöse Juden in Judäa und Samaria, die man pauschal „Siedler“ nennt. Da heißt es dann: „Die plündern Häuser, die nehmen Betten von palästinensischen Familien, die vergewaltigen Frauen, die reißen sich alles unter den Nagel.“ Das sind bewusst gewählte, aufgeladene, entmenschlichende Vorwürfe. Das ist nicht nur politisch – das ist dehumanisierend. Das ist die alte Pogrom-Sprache in neuem Vokabular.

Diese Unterstellungen haben einen Zweck: Wenn du jemanden als Monster zeichnest – als Räuber, als Vergewaltiger, als Eindringling in fremde Betten – dann rechtfertigst du moralisch jede Gewalt gegen ihn. Dann ist er kein Nachbar mehr, sondern „legitimes Ziel“. Genauso werden Pogrome vorbereitet. Immer. Erst mythologisierst du ihn als Monster, dann ist seine Tötung plötzlich „Selbstverteidigung“.

Und jetzt kommt der Teil, den sie nie erzählen:

Der religiöse Jude in den Hügeln von Judäa/Samaria sieht sich nicht als „Kolonist, der fremde Betten klaut“. Sein Selbstbild ist ein völlig anderes: Er sieht sich als jemand, der nach Hause kommt. Zu dem Land seiner Vorfahren. Zu Orten, deren Namen schon im Tanach auftauchen, lange bevor irgendjemand das Wort „Kolonialismus“ überhaupt erfunden hatte.

Was will er? Frieden. Ein Haus bauen. Einen Baum pflanzen. Kinder großziehen. Schabbat mit Nachbarn, Sicht auf seine Hügel, sein Stück Erde. Tikkun Olam heißt für ihn nicht „Twitter-Aktivismus“, sondern ganz schlicht: das Land wieder bewohnbar machen, etwas Gutes hinterlassen, statt als ewiger Flüchtling zu sterben.

Diese Leute wollen bleiben, nicht raiden. Dauer, nicht Raub. Ruhe, nicht Beutezug. Das ist im Kern eine Rückkehr-Idee, nicht eine Raub-Idee.

Passt natürlich nicht in die Story „weiße Siedlerkolonialmacht“, also wird es weggelassen.

Und apropos „weiß“: Die Behauptung, Juden in Israel seien „weiße europäische Siedlerkolonialisten“, ist nicht nur unaufrichtig, sie ist lächerlich. Ein riesiger Teil der heutigen israelischen Juden stammt nicht aus Europa, sondern aus arabischen und muslimischen Ländern – Irak, Marokko, Jemen, Syrien, Ägypten, Iran. Dazu äthiopische Juden. Indische Juden. Mischfamilien. Juden sind ein Volk, kein Lifestyle-Abo. Wir sind keine Fantasie-Ethnie, die man einfach nach Bedarf in „weiß“ oder „fremd“ einsortiert.

Aber genau das passiert: Wir sind „weiß“, wenn man uns als Kolonialmacht beschimpfen will. Und wir sind plötzlich wieder „die fremden Elemente, die hier nicht hingehören“, wenn man Stimmung gegen uns machen will. Das Muster ist alt. Es ist immer dasselbe. Die Vokabeln wechseln nur.

Und das führt alles zu einem Punkt, der nicht schön ist, aber ehrlich:

Antisemitismus war immer mit der Idee verknüpft, dass Juden am Ende keine Macht haben dürfen. Antizionismus ist nur die modernisierte Version davon: „Ihr dürft keinen eigenen Staat haben. Ihr dürft nicht bewaffnet sein. Ihr dürft keine Grenzen haben, hinter denen euch niemand anfassen kann.“

Genau deshalb gilt: Jeder offene Antisemitismus, jeder Antizionismus, jedes „Israel hat kein Existenzrecht“, jede Lüge über „die Siedler vergewaltigen einfach alle“, jedes Transparent mit „From the river to the sea“, jede Ausrede für Hamas – all das liefert nicht ein Argument gegen Israel, sondern ein Argument für Israel.

Weil es zeigt, dass die Welt immer noch mit derselben alten Obsession unterwegs ist: Juden ja – aber bitte nur dann, wenn sie schwach sind.

Und das ist vorbei. Genau deshalb existiert Israel. Genau deshalb muss Israel existieren. Und genau deshalb macht Israel die Leute so wütend, die sich daran gewöhnt haben, dass der Jude kein Subjekt ist, sondern ein Objekt ohne Zähne.

Wenn du wirklich Frieden willst, ist die Lösung nicht kompliziert:

Sagt euren „Widerstandskämpfern“, sie sollen die Waffen niederlegen. Alle. Komplett. Ohne Ausrede. Ohne „aber zuerst …“. Nehmt ihnen den Vorwand.

Wenn sie’s tun und Israel schießt trotzdem weiter – dann habt ihr euer Narrativ, dann könnt ihr sagen: „Seht ihr, Israel will Krieg.“

Wenn sie’s nicht tun – dann ist für alle sichtbar, wer keinen Frieden will.

Dass dieser Test nie laut gefordert wird, sagt alles.

Und deswegen: Ja. Der Staat Israel ist nicht das Problem. Er ist die Antwort auf das Problem.

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thomas weigle
thomas weigle
18 Tage zuvor

Ich meine es war Broder, der da sagte:“Der Jude ist an allem Schuld, selbst am Antisemitismus. Denn gäbe es den Juden nicht, müsste ihn der Antisemit nicht hassen.“ Wenn ihr meinen Namen ober ins Suchfeld eingebt, findet ihr u.a. eine buchsprechung von um 2020:“Juden in der arabischen Welt-die verbotene Frage.“

mike_mh
mike_mh
16 Tage zuvor

Broder hat in einer Sitzung des Innenausschus des Bundestags mal folgendes gesagt:

„wir haben es beim antisemitismus nicht mit einem vorurteil,
sondern mit einem ressentiment zu tun. vorurteile sind harmlos, man
braucht sie, um sich im leben zurechtfinden. ich habe vorurteile, sie
haben vorurteile, jeder mensch hat vorurteile. und wir stören uns nur
an negativen vorurteilen. wenn ich ihnen sage, dass die deutschen
fleißig, diszipliniert und gastfreundlich sind, werden sie mir erfreut
zustimmen. wenn ich dagegen sage, dass die deutschen geizig,
humorlos und kindisch sind, werden sie sich vermutlich empören. das,
werden sie sagen, ist eine unzulässige verallgemeinerung. mit den
juden ist es genauso. positive vorurteile – das volk des buches, das
volk des witzes – hören wir uns gerne an, negative, die unsere
neigung zu schlechtem benehmen thematisieren, fassen wir als
beleidigung auf.

der unterschied zwischen einem vorurteil und einem ressentiment ist
folgender: ein vorurteil zielt auf das verhalten eines menschen, ein
ressentiment auf dessen existenz. der antisemitismus gehört in die
kategorie der ressentiments. der antisemit nimmt dem juden nicht
übel, wie er ist und was er tut, sondern dass er existiert. der antisemit
nimmt dem juden sowohl die abgrenzung wie die anpassung übel.
reiche juden sind ausbeuter, arme juden sind schmarotzer, kluge juden
sind überheblich und dumme juden, ja, die gibt es auch, eine schande
für das judentum. der antisemit nimmt dem juden prinzipiell alles
übel, auch das gegenteil. deswegen bringt es nichts, mit antisemiten zu
diskutieren, sie von der absurdität ihrer ansichten überzeugen zu
wollen.“

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